Porträt Reitmeisterin Dagmar Krech
„Dann heirate ich einen Hengst“

Dagmar Krech ist Deutschlands einzige Reitmeisterin. An ihrer Pferdeliebe biß sich so mancher Verehrer die Zähne aus. (Artikel stammt aus 2006)

CAV Reitmeisterin Dagmar Krech
Foto: Rädlein

Hallo, hier ist der Otto von Frau Krech. Die ist nicht da, Sie haben Pech", tönt ein unmißverständlicher Spruch von Dagmar Krech auf ihrem Anrufbeantworter. Ohne das Gerät namens Otto geht es nicht, denn die 76-Jährige ist immer auf Achse.

Bei der Begrüßung steht sie auf der Straße und wedelt mit den Armen, damit man nicht etwa an dem leicht zurückliegenden Grundstück vorbeisaust. Ihr zierlicher Körper steckt in einem etwas großen
blauen Hemd, sie trägt Jeans, weiße Turnschuhe und eine flotte Sonnenbrille.

Als sie diese abnimmt, strahlt sie ihre Gäste aus grau-blauen Augen an. Die kurzen Haare sehen ein wenig zerzaust aus. Frau Krech wirkt frisch und tatendurstig. Ihre Stimme ist hell und klar.

"Denken Sie nicht, daß ich zuviel Möbel habe. Weiß ich doch selber!"

Beim Eintreten ins umgebaute alte Bauernhaus legt sie gleich los: "Denken Sie nicht, daß ich zuviel Möbel habe. Weiß ich doch selber!" Das ist das erste, aber nicht das letzte Mal, daß sie in viereinhalb Stunden die Fragen vorwegnimmt, frech, geradeaus und mit viel Humor. Dabei wirkt das Haus nicht zugestopft: Bauernmöbel, lauschige Sitzecken, unzählige Pferdebilder, Preise, kostbare Erinnerungen – alles hat die alte Dame geschmackvoll arrangiert. Ihr Humor zieht sich durch das ganze Haus, überall entdeckt man witzige Gegenstände, Bilder und Sprüche.

Boxerhündin Cilly, 7, besitzt zum Beispiel ein Schild mit den Worten: "Vorsicht, umwerfender Boxer." Auch der treue Otto hat seinen
Platz gefunden: Das schwarze Plastikgerät steht neben der gemütlichen Sofaecke im Landhausstil. Davor eine Karte: "Wuff mal wieder an." In der Mitte des Wohnzimmers steht ein riesiger, runder Tisch. Darauf liegen massenweise Bilder aus Krechs Reitertagen. "Die dürfen Sie alle haben, aber noch nicht anschauen", sagt Krech und treibt ihre Gäste auf die Terrasse. Sie will über ihre Philosophie beim Umgang mit Pferden und Reitern reden und dabei ihre Zuhörer testen. Sie weiß, wen sie um sich haben mag und wen nicht. Wer ihr nicht paßt, darf auch schnell wieder gehen. Das entscheidet sie aus dem Bauch heraus. Während Krech aus alten Zeitungsberichten vorliest, sitzt sie keine Sekunde still.

Ihre Hände an der Zeitschrift klappen ständig auf und zu. Wenn sie was erklärt, nimmt sie ihre Lesebrille ab, stützt ihren Kopf auf eine Hand und blickt ihre Zuhörer eindringlich an. Regelmäßig fragt sie: "Wollen Sie das hören?" Dagmar Krech wird auf einem Forstamt in Oberschlesien groß. Sie hat drei Geschwister, von denen zwei im Krieg umkommen. Der Vater ist sehr streng. "Wenn wir zu spät zum Essen kamen, rief er: ’Durch was ist Preußen groß geworden?’" Die Antwort schießt sie hinterher: "Ordnung, Pünktlichkeit und Disziplin."

Der Reiter vermittelt seinen Kinder die Liebe zu den Pferden. Mit sechs beschließt Klein-Dagmar: "Wenn ich groß bin, heirate ich einen Hengst." Daß das blondbezopfte Mädchen keine Männer mag, ist verständlich: Das einsame Forsthaus dient immer wieder als Station für Kavalleristen, die sich hier zum Krieg rüsten. Die Soldaten sehen es nicht gerne, wenn das Kind unter den Pferdebäuchen durchkrabbelt und treiben sie ständig fort. Mit 14 hat Krech ein grausames Erlebnis. Während sie erzählt, zittert sie leicht: "1945 mußten wir mit unseren Trakehnern aus Schlesien fliehen. Wir hatten gerade Rügenerreicht, als die Russen kamen und uns unsere Pferde stahlen."

Krech wird leise. "Ich konnte das nicht ertragen, nahm ein Kummet und rammte es einem der russischen Soldaten in den Bauch. Der wurde wütend, war jedoch glücklicherweise unbewaffnet. Ich floh und versteckte mich zwei Tage lang. Ich bekam dennoch mit, daß mich die Russen suchten. Sie wollten mich tatsächlich töten." Für Krech steht fest: "Meine Generation ist um ihre Jugend betrogen worden. Nur die Pferde haben uns Freude gemacht."

Auf Gut Ising fing Alles an

1958 fängt Krech als Bereiterin auf dem bayerischen Gut Ising an. 1963 besteht sie ihre Reitlehrerprüfung bei Paul Stecken in Münster. "Auf Ising gab es nur Springpferde", erzählt Krech, die für das Gut bis 1972 in Springen der schweren Klasse startet. Sie wird dafür bekannt, daß sie regelmäßig ihre Reit-kappe verliert. Als das Springpferd und Dressurtalent Cornelia plötzlich jeden Sprung verweigert, startet 1965 Krechs Dressurlaufbahn.

Sie reitet Cornelia erfolgreich bis Grand Prix. Aus Krechs Hand stammt kein Geringerer als der weltberühmte Granat, Olympiasieger, Europa- und Weltmeister unter der Schweizerin Christine Stückelberger in den 70ern. Bislang unbekannt ist eine Geschichte, die sie mit ihm erlebte: Als der junge Granat zum bayerischen Spitzenauktionspferd gekrönt wird, bittet die damalige Wochenschau Krech um ein Fernsehporträt, bei dem sie den Braunen durch Isings Park traben soll.

Krech wird allein bei dem Gedanken daran schlecht: Granat ist damals gefährlich und setzt seine Reiter ständig in den Sand. Doch Krech wäre nicht Krech, wenn sie nicht sofort eine Idee hätte: Anstelle von Granat trabt sie auf dem unerschütterlichen Figaro, einem Polizeipferd, durch den Park, das Granat bis in die Hufspitzen gleicht. Wildpferd Granat bleibt der Anblick erschrecklicher Journalisten erspart, und Figaro wird unerkannt zum TV-Star.

Männer haben es schwer an der Seite der pfiffigen Reiterin. "Klar hatte ich immer wieder einen Freund", schmunzelt sie. "Meine Pferde hatten aber Vorrang." Das wird deutlich, als sie von einem geplanten Besuch in der Salzburger Oper erzählt. Als ihr Verehrer vorfuhr, litt ein Pferd gerade unter einer Kolik. Mozart-Fan Krech blieb im Stall, eine Freundin übernahm ihre Karte und auch
gleich den Verehrer.

1972 bis 1977 verschlägt es Krech in einen privaten Turnierstall. 1977 geht sie nach Neumarkt auf das Gestüt Mooswiese. Hier wird Krech als Reitlehrerin bekannt. "Ich hab’ es mir immer zum Ziel gemacht, meinen Mitarbeitern Freude an der Arbeit und meinen Schülern Spiel und Spaß am Reiten zu vermitteln. Ich bin aber streng genug geblieben." Krech hebt ihre Stimme, wie immer, wenn ihr etwas am Herzen liegt. Sie klingt hell, sie singt fast. "Ein Beispiel: Bei der Einteilung der Schulpferde durfte sich derjenige, der am ordentlichsten und korrektesten gekleidet war, sein Pferd selber aussuchen. Glauben Sie mir mal, wie das Früchte trägt."

Krech haut auf den Tisch. "Und wer es dann immer noch nicht geschnallt hatte, zu dem hab’ ich gesagt: "Willst Du deinem armen Pferd zumuten, dich in diesem Aufzug zu tragen?" Für Krech sind Pferde nun mal edle Geschöpfe, auf die man sich vorbereitet und für die man sich entsprechend anzieht. Punkt. Ihre Methoden haben Erfolg. Heute hat sie enge Freunde aus alten und aktuellen Reitertagen. "Ich bin kein Freund von Brüderschaften beim Champagnertrinken", sagt Krech.

"Eine vorsichtige, distanzierte Verbindung zwischen Lehrer und Schüler bewährt sich immer." 1992 beendet Krech ihre Turnierkarriere. Weit über 1000 Siege und Plazierungen in den schweren Klassen sind ihr Erfolg. Im selben Jahr bekommt Krech in Münster den Titel Reitmeisterin verliehen – bis heute als einzige Frau Deutschlands (Artikel stammt aus 2006).

Die FN verleiht ihr den Titel aufgrund der sportlichen Erfolge und dafür, daß aus ihrem Ausbildungsbetrieb die meisten Lehrlinge mit den besten Abschlüssen hervorgingen.

"Eine vorsichtige, distanzierte Verbindung zwischen Lehrer und Schüler bewährt sich immer"

1997 zieht sich Krech aus dem Beruf zurück. Seitdem lebt sie auf dem Hof ihrer Schwester in Gaggenau-Winkel, Baden-Baden. "Natürlich
bin ich nur hergekommen, weil es ideal für meine Pferde ist", lacht Krech, die sich mit ihrer Schwester aber gut versteht. Die Stallarbeiten erledigt Krech alleine. Ihre Pferde, der ehemalige Dressurcrack Papillon, 26, und das alte Schulpferd Momo, 27, stehen in den 6 x 4 Meter großen Boxen eines hübschen Holzstalles und genießen die Aussicht auf einen herrlichen Garten. "Nein, Gartenarbeiten mache ich nicht", beantwortet Krech wieder einmal eine Frage, bevor sie gestellt wird. "Ich bin ein Antitalent. Ich kann nur mit Pferden umgehen." Stute Momo mag nicht mehr geritten werden. Papillon jedoch läßt sich manchmal noch zu Piaffen oder Traversalen auf dem Waldweg hinreißen. So dankt er seiner Reiterin ihre Liebe und Fürsorge. Krech: "Abends gehe ich im Schlafanzug zu meinen Pferden und hab’ noch ein Schmusestündchen."

Dagmar Krech blickt auf einige schlechte, am liebsten aber auf die guten Erlebnisse ihrer erfolgreichen Laufbahn als Reiterin und Ausbilderin zurück. Sie ist sich sicher: "Wenn ich nochmal auf die Welt komme, werde ich wieder Berufsreiterin. Ein Leben ist dafür zu kurz." Ihre Lieblingsgeschichte erlebt sie nach ihrer Pensionierung. Als Papillons Stallgefährte Bartók – ebenfalls ein alter Dressurstar Krechs – stirbt, trauert Papillon. Dressurreiterin Ann-Kathrin Linsenhoff erfährt von der Misere und schenkt Krech spontan einen Stallgefährten (Max) für den unglücklichen Papillon.

"Daß jemand so selbstlos handeln kann", staunt Krech, immer noch gerührt. Leider kann Max nicht alleine bleiben. Er tritt alles kurz und klein. Max muß zurück, und Momo zieht ein, ein altes Schulpferd aus Mooswiese. Krech unterrichtet heute etwa dreimal pro Woche außer Haus. Das langt. Im Winter setzt sie ganz aus: "Das habe ich meinen alten Knochen versprochen." Ebenso wie sie denen wohl versprochen hat, nicht lange still zu sitzen.

Beim Fotografieren fragt sie spätestens nach drei Schüssen: "Reicht das jetzt?", um dann zu neuen Taten aufzuspringen.

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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023

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