Rückenschmerzen beim Reiten

Hilfe für verspannte Rücken
Das hält uns den Rücken frei

Zuletzt aktualisiert am 06.06.2024
CAVALLO Das hält uns den Rücken frei
Foto: Lisa Rädlein

Sie haben manchmal "Rücken"?

Und was tun Sie dagegen? Seien Sie ehrlich: nichts? Wenn wir Reiter über den "Rücken" sprechen, meinen wir meistens unsere Vierbeiner. Unser eigener Rücken ist selten Thema. Dabei spielt dieser doch eine zentrale Rolle, wenn wir auf dem Pferd sitzen. Und deshalb gehen unsere Rückenprobleme an den Pferden nicht spurlos vorbei.

Fast zwei Drittel der Erwachsenen in Deutschland leiden innerhalb eines Jahres mindestens einmal unter Rückenschmerzen, zeigte die "Krankheitslast-Studie” BURDEN 2020. Die meisten haben Probleme mit dem unteren Rücken: Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule kommen doppelt so häufig vor wie Schmerzen im oberen Rücken. Mehr als 15 Prozent der Befragten berichten sogar von chronischen Rückenschmerzen, die drei Monate und länger andauern.

Viele Reiter sind betroffen

Auch wenn regelmäßiges Reiten die Rückenmuskeln stärkt, leiden Reiter möglicherweise häufiger unter Rückenbeschwerden als die Durchschnittsbevölkerung. Eine britische Studie mit Profi-Springreitern belegt einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Reitjahre und Rückenschmerzen: 85 Prozent der Befragten berichten von Rückenschmerzen, 67 Prozent geben an, dagegen regelmäßig Schmerzmittel zu nehmen, fast jeder Zehnte sogar verschreibungspflichtige Medikamente. Alle Betroffenen sind sich sicher, dass die Rückenschmerzen ihre Leistung beim Reiten beeinträchtigen, etwa aufgrund einer resultierenden Asymmetrie oder eingeschränkter Beweglichkeit. Den dressurreitenden Kollegen geht es ähnlich: Einer ebenfalls britischen Studie zufolge treten drei Viertel der Elite-Reiter auf Turnieren mit Schmerzen an. Wiederum drei Viertel davon verorten die Beschwerden im Bereich des unteren Rückens. Die Hälfte der Betroffenen nimmt regelmäßig Schmerzmittel.

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Lisa Rädlein

Aber Reiten ist doch gut für den Rücken? "Prinzipiell ja", sagt Dr. Julia Schmidt, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie, die am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im "Athleticum" seit vielen Jahren eine Reitersprechstunde anbietet und immer wieder Reiter mit Rückenschmerzen behandelt. Reiten, so die Ärztin, habe den großen Vorteil, dass es die tiefe Rückenmuskulatur kräftige. "Das sind Muskeln, die wir kaum bewusst trainieren können, die aber ständig reagieren müssen, wenn wir uns auf dem Pferd ausbalancieren." Reiten verbessere die Mobilität des Beckens und die Körperhaltung. Anderseits gehe es mit Stoßbelastungen einher, die dem Rücken weniger guttun. Negativ für den Bewegungsapparat sei auch die Einseitigkeit. Im Alltag sitzen die meisten ohnehin zu viel; zudem verbessert Reiten kaum die Ausdauer und fördert auch nicht die Beweglichkeit.

Was den Reiter-Rücken plagt

Wenn wir reiten, leistet unser Rücken eine ganze Menge. "Er muss stabilisieren und gleichzeitig eine gewisse Beweglichkeit behalten", erklärt Schmidt, die selbst seit ihrer Kindheit reitet. "Und er spielt eine wichtige Rolle bei der Hilfengebung – es heißt nicht umsonst, dass wir übers Kreuz reiten." Es sei jedoch falsch, den Rücken isoliert zu betrachten: "Wir sollten von der gesamten Rumpfmuskulatur sprechen, den Rücken- und Bauchmuskeln, der Gesäß- und der Oberschenkelmuskulatur sowie dem Beckenboden. All diese Muskelgruppen müssen optimal zusammenspielen, um beim Reiten Sitz und Haltung sicherzustellen sowie Stöße abzufangen." Die häufigsten Rückenbeschwerden von Reitern: Verspannungen, Probleme mit den Bandscheiben oder Ischiasschmerzen. Deren Ursachen sind vielfältig, sagt Schmidt: "Rückenschmerzen können von einem falschen Sitz oder einer schlechten Haltung herrühren, doch in den meisten Fällen sind muskuläre Dysbalancen der Grund." Das bedeutet: Manche Muskelgruppen sind zu stark, während ihre Gegenspieler zu schwach sind. Häufig sind etwa die Brustmuskeln zu kräftig und die Muskeln im oberen Rücken zu schwach – was zu einem Rundrücken führt. "Rückenschmerzen können auch entstehen, wenn man beim Reiten die Ellbogen nicht am Körper hält", so Schmidt. "Mit abstehenden Ellbogen zu reiten, führt schnell zu einer Überlastung der Muskeln im oberen Rücken." Manchmal liegt die Ursache der Beschwerden noch weiter weg – etwa, wenn eine Blockade im Sprunggelenk zu einer Verspannung in der Halsmuskulatur führt.

Die psychischen Ursachen von Kreuzschmerzen seien ebenfalls nicht zu unterschätzen: "Angst und Stress können Verspannungen verursachen, und auch Perfektionismus spielt bei Rückenschmerzen eine Rolle", erklärt Dr. Julia Schmidt. "Denn wer immer alles richtig machen will, lässt die Achtsamkeit zu kurz kommen, was zu Überlastungen und Überschätzung führen kann." In stressigen Phasen, ergänzt die Ärztin, seien Menschen schmerzempfindlicher.

Was tun gegen Rückenschmerzen?

Wer seine Rückenschmerzen loswerden will, sollte zunächst auf Ursachenforschung gehen, rät Claudia Uhland, die auf der Schwäbischen Alb ein Gesundheits- und Fitnessstudio führt und eigene Pferde besitzt: Treten die Schmerzen eher bei Belastung oder in Ruhe auf? Wenn bei Belastungen, bei welchen? Ist es ein stechender oder ziehender Schmerz? Fühlt sich etwas taub an? Mit diesen Fragen ließe sich das Problem einkreisen: Sind es die Muskeln, die gerade schmerzen, oder die Faszien? Klemmt vielleicht sogar eine Bandscheibe einen Nerv ein?

Auch Claudia Uhland ist davon überzeugt, dass Reiten ein gutes Rückentraining sein kann. "Doch die Dosis macht das Gift." Außerdem spielten das reiterliche Level und die individuelle Anatomie eine Rolle: Reitet man eher im Gelände spazieren oder betreibt man Leistungssport? Hat die Wirbelsäule eine Form wie im Lehrbuch, sodass die Bandscheiben ihre Stoßdämpferfunktion gut erfüllen können? Oder liegt eine Skoliose vor, eine seitliche Verkrümmung? Auch eine von Natur aus sehr gerade Wirbelsäule kann Stöße nicht so gut abfangen.

Die Rolle des Sattels

Passt der Sattel dem Pferd nicht, verspannt es und gibt den Rücken nicht her, was das Sitzen erschwert und beim Reiter zu Rückenschmerzen führen kann. Passt der Sattel zwar dem Pferd, wird aber vom Reiter als unbequem empfunden, kann das ebenfalls zu einem verkrampften Sitz führen. Das Risiko für Rückenschmerzen ist umso größer, je unbeweglicher das Becken im Sattel ist. Manche empfinden große Pauschen an Dressursätteln als bequem. Wer jedoch durch sie wie "festgeklemmt" und mit stark gestreckten Beinen auf dem Pferd sitzt, kann im Becken nicht locker mitschwingen und Stoßbelastungen abfangen. Einer Studie mit 108 Teilnehmenden zufolge ist das Risiko für Schmerzen im unteren Rücken auf Westernsätteln geringer. Demnach klagten 66 Prozent der Englisch-Reiter über Rückenschmerzen, aber nur 23 Prozent der Westernreiter. Welcher Sattel der richtige ist, kann sich zudem ändern: Nach der Geburt eines Kindes ist das Becken von Frauen breiter, weil sich die Schambeinfuge gedehnt hat. Das kann die Position der Sitzbeinhöcker verändern und einen zuvor bequemen Sattel unbequem machen.

Mit Rückenschmerzen im Stall – Was geht und was nicht?

Bei akuten starken Rückenschmerzen lassen Sie sich bei der Stallarbeit unterstützen oder vertreten. Wenn das nicht geht, sollten Sie die Stallarbeit rückenschonend verrichten, den Rücken warmhalten und das Reiten zurückfahren. Schrittreiten tut bei leichten Rückenschmerzen gut, weil es sanft das Iliosakralgelenk und die Lendenwirbelsäule mobilisiert, so Ärztin Dr. Julia Schmidt. Bei Rückenverspannungen, die stressbedingt entstanden sind, wirkt die Zeit im Stall manchmal Wunder. Denn geraten die Alltagssorgen für ein paar Stunden in Vergessenheit, lassen oft auch die Verspannungen nach und schmerzhafte Verhärtungen lösen sich.

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Und was ist mit Aussitzen? Bei moderaten Rückenbeschwerden komme es darauf an, wie sich das Pferd sitzen lasse, sagt Dr. Julia Schmidt. "Man kann auch mit Rückenbeschwerden aussitzen. Wichtig ist jedoch, dass man die Bewegung mit der Rumpfmuskulatur stabilisieren kann." Schmidt empfiehlt kurze Aussitzphasen, die jedoch immer wieder von Schrittphasen oder Leichttraben unterbrochen werden. "Das tut auch dem Pferd gut." Nur, wenn sich die Rückenbeschwerden durch das Aussitzen verschlimmern, sei davon abzuraten. "Schmerz ist ein Warnsignal des Körpers, dass ihm gerade etwas zu viel ist."

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Die Expertinnen:

CAVALLO Dr. Julia Schmidt
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Lisa Rädlein
CAVALLO Alina Reichert
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