Pro Tag macht der Mensch rund 20 000 Atemzüge. Mit jedem Atemzug strömen 25-mal mehr Moleküle in unseren Körper, als es Tiere auf der Erde gibt. Bei den Zahlen stockt Ihnen der Atem? Kein Wunder: Die Fakten führen vor Augen, welches Potenzial unsere Atmung hat. Das schöpfen aber gerade wir Menschen kaum aus. Tatsächlich zeigen Untersuchungen: Wir gehören evolutionär bedingt zu den schlechtesten Atmern im Tierreich – und atmen oft falsch. Da ist Luft nach oben!
Ausbilderin Nicole Künzel nutzt die Kraft des Atmens schon lange im Training und im Umgang mit Pferden. "Wenn wir unserer Atmung Aufmerksamkeit schenken, beeinflussen wir deren Qualität. Das wirkt sich positiv auf den Muskeltonus und damit auf den Sitz des Reiters aus, auf die Hilfengebung und auch auf die Verbindung zum Pferd", weiß die Ausbilderin. Sie teilt hier ihre inneren Bilder für eine tiefe und rhythmische Atmung und zeigt praktische Übungen, die jeder ausprobieren kann.
Luftholen & Loslegen: 6 Atemtechnik-Tipps fürs Reiten und im Umgang
Übung 1: Bewusste Atempause
Ob beim Reiten, Striegeln oder bei der Bodenarbeit: Bauen Sie regelmäßige bewusste Atempausen ein. Halten Sie das Pferd dafür an. "Wenn wir sehr konzentriert sind, geht oft unser Atemfluss verloren", sagt Nicole Künzel. Achten Sie bewusst aufs Atmen. Nicole Künzel steuert den Fokus mit folgenden Fragen: In welche Körperregionen atme ich? Wo bewegt mich der Atem: an Brust, Bauch, Rücken? Füllt der Atem mich aus – oder ist er eher flach? Halte ich die Luft an? Atme ich durch den Mund oder die Nase? "Wir bewerten und verändern dabei nichts, sondern beobachten uns einfach", erklärt Nicole Künzel. Die Wahrnehmung wird von allein mit der Übung feiner. Dann fällt Ihnen auch im Alltag eher auf, wenn der Atem stockt.
Variante: Beobachten Sie Ihre Mitmenschen – beim Reiten oder im Büro. Wie atmen diese? Nicole Künzel nimmt als Ausbilderin wahr, wann ihre Reitschüler den Atem anhalten. Und auch in welcher Körperregion. Übungssache! "Bei vielen stockt der Atem im Brustkorb", meint sie. Die flache Atmung signalisiert auch dem Pferd Stress. Weil sie das bemerkt, kann sie gemeinsam mit dem Reitschüler an einer fließenden Atmung arbeiten.
Übung 2: Im gemeinsamen Atemfluss mit dem Pferd
Legen Sie dem Pferd vor dem Reiten die Finger locker auf den Widerrist. Die Zügel sind lang, Ihre Augen möglichst geschlossen. Atmen Sie durch die Nase ein und durch Mund oder Nase aus. Spüren Sie Ihren eigenen Atemrhythmus – und dann auch den des Pferds. "Der Atem wird dabei tiefer und gleichmäßiger. Pferde spiegeln das oft, indem sie die Augen schließen, den Kopf senken, die Nüstern entspannen und selbst tiefer atmen oder sogar abschnauben", sagt Ausbilderin Nicole Künzel.

Ines Kremeike hat bei Nicole Künzel gelernt, sich über den Atem mit dem Pferd zu verbinden.
Variante "Hände auflegen”: Vom Boden aus stehen Sie seitlich neben dem Pferd. Eine Hand liegt auf dem Pferdebauch, eine auf der Lende oder auf dem Widerrist. So spüren Sie, wie das Pferd zwischen Ihren Händen atmet. Tipp: Nehmen Sie sich Zeit für die Übung. Spüren funktioniert nicht auf Knopfdruck.
Impulskontrolle
Manchmal gehen mit uns die Emotionen durch. Weil wir ärgerlich sind, bestrafen wir aus dem Affekt das Pferd. Klar, das wollen wir nicht. "Reiten ist auch Persönlichkeitsschule. Wir sollten immer bereit sein, uns zu entwickeln", sagt Nicole Künzel. Mit dem Atem können wir an unserer Impulskontrolle arbeiten. Das belegt sogar eine Studie des Forschers Sylvain Laborde von der Deutschen Sporthochschule in Köln: Ein Versuch mit 112 Probanden zeigte: Wer eine verlangsamte Atmung übt, reagiert selbst im erschöpften Zustand weniger impulsiv und ist resistenter gegen Stress.
Kurzum: Stress lässt sich tatsächlich bis zu einem gewissen Grad wegatmen. Und eine gute Atemtechnik trägt zu fairem Sport bei, da die Wahrscheinlichkeit von Ausrastern sinkt. Über bewusstes Atmen steuern wir Emotionen und aktivieren den Vagusnerv, der ein Schlüssel für Ruhe und Gelassenheit ist.
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Die Expertin

Nicole Künzel schult in Seminaren und in ihrem evipo-Ausbildungszentrum in Fuhrberg/Niedersachsen Pferde und Reiter in klassischer Dressur, Bodenarbeit, Arbeit an der Hand und Zirkuslektionen. Sie ist auch Autorin und schrieb unter anderem das Buch „Jeder Gedanke ist eine Kraft. Durch positive innere Bilder im Einklang mit dem Pferd.” Kontakt: www.evipo.de