Das erste Dressurpferd Teil 3
Gemeinsam tanzen lernen

Das Training mit der Biomechanikerin bringt Aha-Erlebnisse: Bewegungswunder Alizé entdeckt die Langsamkeit, Cola-Dosen verbessern den Reitersitz.

Das erste Dressurpferd
Foto: Thomas Grünhage

Keinen Bauchtanz machen!", ruft Christine Hlauscheck. Ihre Reitschülerin galoppiert mit ihrer schwarzen Stute auf dem Zirkel um sie herum. Die Biomechanikerin steht in der Mitte und unterstreicht ihre Worte mit dem Körper: Sie schwingt die Hüfte so ausdrucksstark, dass Sängerin Shakira vor Neid erblassen würde – "so nicht", kommentiert sie. "Wir wollen Stabilität. Denk an die Cola-Dose."

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Was es mit dem inneren Bild auf sich hat, verraten wir später. Sicher ist, es wirkt: Reitschülerin Dr. Vivian Gabor sitzt augenblicklich ruhiger auf dem Pferd – und Alizé galoppiert noch erhabener als zuvor. Ein harmonisches Bild!

Die Trainerin wird selbst zur Schülerin

Das erste Dressurpferd
Elke Vogelsang
Verhaltens-Profi meets Dressur-Ausbilderin: Gemeinsam holen die beiden Alizé von der Koppel.

Moment mal, ist Dr. Vivian Gabor nicht eigentlich selbst Ausbilderin? Richtig. Aber heute sitzt die Expertin für Pferdeverhalten als Reitschülerin im Sattel. "Ich möchte mich fortbilden und habe Lust, reiterlich Neues zu entdecken", erzählt sie.

Zudem bringt ihre siebenjährige Westfalen-Stute mit ihren schwebenden Gängen einige Herausforderungen mit sich: Was braucht das Pferd, um sich gesund zu entwickeln? Welche körperlichen Voraussetzungen und Talente hat Alizé? Was sollte die Reiterin fördern – wo sind die Fallstricke? Bei diesen Fragen hilft Pferdewirtschaftsmeisterin Christine ("Tine") Hlauscheck.

Das erste Dressurpferd
Elke Vogelsang
Im täglichen Training sind die großen Bewegungen der Stute aber herausfordernd. Darum hilft Ausbilderin Christine Hlauscheck.

Die Dressur-Ausbilderin vermittelt Biomechanik und Sitzschulung anschaulich mit vollem Körpereinsatz. Neugierig, welche Aha-Effekte es gibt – und warum es bei Dressurpferd Alizé zunächst weniger wichtig ist, das Bewegungstalent zu fördern? Blicken wir gemeinsam über die Bande und schauen, was die Trainerinnen erarbeiten.

Alizé ist elastisch wie eine Ballett-Tänzerin

Alizé ist Vivian Gabors erstes eigenes Dressurpferd. "Sie ist wie eine Ballett-Tänzerin. Ganz im Gegensatz zu meinem Criollo-Wallach, der eher einem Bodybuilder ähnelt", erzählt sie. Bei ihrem 22-jährigen Pablo baut Vivian Gabor darum viele Seitengänge ins Training ein, damit er geschmeidig bleibt. Alizé hingegen schiebt sich förmlich von selbst unterm Sattel hin und her. "Sie ist superelastisch." Da macht es eher Probleme, eine gerade Linie zu halten.

Moderne Sportpferde haben oft lange Beine für mehr Bewegungspotenzial. "Dadurch sind sie aber instabil, wenn man durch Ecken reitet", weiß Tine Hlauscheck. "Das erzeugt Stress. Denn Pferde wollen als Fluchttier ihren Körper kontrollieren können." Deshalb fahren viele Dressur-Cracks auch psychisch so schnell hoch, meint die Ausbilderin. Sie möchte Vivian Gabor heute zeigen, wie sie ihrer jungen Stute Rahmen und Stabilität bieten kann.

Die Stute könnte schnell spektakulär strampeln

Alizé galoppiert rhythmisch durch die Bahn. "Begleite ihre Welle", rät Tine Hlauscheck. Vivian Gabor soll sich tragen lassen. Damit die Reiterin stabiler im Oberkörper wird, hat die Trainerin ein inneres Bild parat: Sie soll sich ihren Rumpf so stabil wie eine Cola-Dose vorstellen. Immer wieder ruft die Ausbilderin ihr "Cola-Dose" zu, wenn die Reiterin zu weich in den Rippen wird.

Vivian Gabor sitzt bald wie ein Zentaur auf dem Pferd – und scheint mit Alizé zu verschmelzen. Wie fühlt sich das an? "Wie gemeinsam tanzen und ein Mix aus Spannung und Beweglichkeit", meint die Reiterin. Wenn sie vorher an Stabilität gedacht habe, sei sie immer ins Hohlkreuz geraten. Vivian Gabor ist begeistert, wie fein ihre Stute auf kleinste Veränderungen des Sitzes reagiert.

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Elke Vogelsang
Hoch das Bein! Ausbilderin Tine Hlausckeck macht das „Go“ von Sportpferden nach. Dafür braucht der Reiter Stabilität, damit er nicht hinter die Bewegung gerät.

Bei ihrem Criollo Pablo habe sie nie so viel Stabilität nötig gehabt, weil er kompakter sei und kürzer trete. Alizé ist als Sportpferd hingegen auf "Go" gezüchtet, mit raumgreifenden Bewegungen: "Genetisch ist sie so veranlagt, dass sie in zwei Monaten spektakulär losstrampeln könnte", meint Tine Hlausckek. Daran möchte die Biomechanikerin aber nicht arbeiten, im Gegenteil.

Sie erklärt, weshalb das für die Gesundheit des Pferds fatal wäre: Bei manchen Menschen gäbe es auch Talent für Handstandüberschlag. Aber erst sollten sie Purzelbaum üben. "Der Körper muss lernen, die Kraft aufzunehmen. Sonst droht Verschleiß." Was jetzt wichtiger sei als Raumgriff zu fördern: Ruhe und Langsamkeit schaffen.

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Elke Vogelsang
„Jetzt fühlt es sich an, als würden Alizé und ich zusammen tanzen“.

Die Trainerin baut mit flachen Hütchen Kreise in der Bahn auf (mehr zum Kreismeister-Konzept siehe Ausgabe 11/2017). Die optischen Hilfslinien bieten Orientierung. Vivian Gabor kreiselt um die Hütchen und soll das Wohlfühl-Tempo finden. Sie sieht konzentriert aus. Alizé ist noch etwas hektisch unterwegs. "Kannst du deinen Atem bis in den Rumpf runterleiten?", fragt Tine Hlauscheck.

Die Reiterin atmet tief aus. Von Alizé kommt direkt die Antwort: Sie schnaubt – und dehnt sich. Die Trainerin lobt und gibt dem Paar eine Pause. Während Alizé am langen Zügel döst, analysiert die Biomechanikerin das Exterieur der Westfalen-Stute.

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Elke Vogelsang
Tief ausatmen, bitte! Die Ausbilderin zeigt, wie sich das Brustbein dabei senkt.

Immer schön die Ruhe bewahren

Sie legt ihre Handkante auf die Linie von Alizés Schulter. "Die Schulter ist eher steil", meint die Expertin. Bei der Stute sei es wichtig, im Laufe der Ausbildung Schulterfreiheit zu erarbeiten. "Dafür ist ruhiges Tempo wichtig. Sonst produzierst du ein vorderhandlastiges Pferd." Ruhe ist die Königsdisziplin in der Ausbildung.

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Elke Vogelsang
„Schau, die Schulter ist relativ steil.“ Die Biomechanikerin analysiert das Exterieur.

Vivian Gabor gibt zu, dass sie sich manchmal von Alizés Eifer anstecken lässt. "Der weckt schon meinen Ehrgeiz. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel mache. Sonst verwirft sie sich im Genick," erzählt die Reiterin. Also gibt’s von Tine Hlauscheck noch eine Aufmerksamkeits-Übung mit auf den Weg: Die Reiterin soll sich ab und zu aufs Pferd setzen und nicht direkt mit Hilfen starten – sondern abwarten. "So findest du heraus, was das Pferd von sich aus anbietet. Es macht Spaß, sich darauf einzulassen", meint die Pferdewirtschaftsmeisterin.

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Elke Vogelsang
Öhrchen spitzen und aufpassen: Heute gibt es viele neue Sachen zu lernen.

Für heute ist aber Feierabend. Vivian Gabor bringt ihre Stute zurück in den Aktiv-Stall. Dann schlendert sie mit Kollegin Tine ins Reiterstübchen. Die beiden trinken Kaffee und resümieren die Stunde: Vivian Gabor hat sich wieder wie ein Anfänger gefühlt – und fand es toll.

Sie hat neue Perspektiven gewonnen und Motivation. Sie genießt es, zusammen mit ihrem Pferd zu lernen. "Jetzt merke ich, was ich vorher vermisst habe. Ich bin so dankbar für die intensive Zeit mit Alizé."

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Vivian Johann
Happy! Nach dem Training strahlt nicht nur die Sonne.

Vivian & Alizé

Neues Team: Westfalen-Stute Alizé fehlte eine Aufgabe. Ausbilderin Vivian Gabor fehlte ein Ausgleich. Seit Jahren arbeitet die Verhaltenstrainerin und Stallbetreiberin professionell mit Pferden. Die Kehrseite: Sie ritt immer weniger zur eigenen Freude. Per Zufall traf sie 2020 auf Stute Alizé und kaufte sie. Ein Dressurpferd besaß sie nie zuvor. Die Reiterin war früher im Westernsport erfolgreich. Mit der nun siebenjährigen Alizé entdeckt sie ihr Hobby neu.

So geht's weiter

Feuer frei! Vivian Gabor und Alizé machen einen Ausflug auf eine Burg. Dort stellen sie sich einer neuen Herausforderung: einem Feuer-Kurs. Zusammen wollen sie durch Flammen reiten und das Vertrauen weiter stärken. Wie wird der erste Wochenend-Trip wohl werden? Wir begleiten die beiden.

Die aktuelle Ausgabe
6 / 20253

Erscheinungsdatum 17.05.2023