Was tun, wenn's bei Pferd und Reiter an Harmonie fehlt?
Harmonie auch unterm Sattel

Am Boden sind Sie und Ihr Pferd beste Freunde, aber im Sattel fehlt es noch an Harmonie? Wir zeigen die Knackpunkte auf und geben Übungstipps.

CAV Freunde unterm Sattel Aufmacher
Foto: Rädlein

Ein gelassenes, zufriedenes Pferd wünscht sich wohl jeder Reiter. Stattdessen erwarten ihn aber gerade beim Reiten oft ständige Alarmbereitschaft, Unaufmerksamkeit und nervöses Zögern. Manchmal sogar dann, wenn am Boden das Vertrauensverhältnis schon gut ist.

1. Knackpunkt: Das Vertrauen – Fühlt sich mein Pferd sicher, wenn ich es reite?

"Wenn Pferde ihrem Reiter nicht voll vertrauen, kontrollieren sie beim Reiten ständig ihre Umgebung", so die Erfahrung von Ausbilderin Sybille Wiemer. "Auch Probleme wie Ungehorsam oder scheinbare Sturheit haben oft weniger mit Dominanz, sondern mehr mit Unsicherheit zu tun", erklärt Wiemer. "Viele Pferde brauchen es, dass der Reiter ihnen sagt: Du musst nicht ständig alles abchecken, ich habe die Umwelt im Griff."

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Ob sich ein Pferd bei seinem Reiter sicher fühlt, prüft Sybille Wiemer, indem sie dessen Gesichtsausdruck beim Reiten beobachtet. "Bleibt das Pferd länger in einer Mimik mit einer gewissen Grundspannung, richtet die Ohren nach hinten und spannt die Maulwinkel an, kann es sich bei seinem Reiter wahrscheinlich weniger entspannen." Ist das Spiel von Augen, Ohren und Nase lebendig, ist das ein Zeichen dafür, dass sich das Pferd wohlfühlt.

Lob für Vertrauen

Um dem Pferd ein positives Gefühl zu vermitteln, ist Wiemer Lob wichtig. "Lobe ich mein Pferd mit der Stimme, dreht es die Ohren zu mir und kaut – so entsteht ein lebendiger Dialog." Auch Dressurausbildern Andrea Betghe arbeitet gerade in vermeintlichen Gefahrensituationen viel mit Belohnung: "Ich lobe jeden Ansatz neugieriger, mutiger Aufmerksamkeit, den ein Pferd einer vermeintlichen Gefahr entgegenbringt", sagt Bethge. "Durch Lob, oft auch mit Leckerli, versuche ich die Angst auszugrenzen, damit das Vertrauen wächst", erklärt sie. "Das funktioniert am Boden, aber auch im Sattel."

Wer seinem Pferd Sicherheit geben will, muss außerdem verständlich und konsequent kommunizieren: Fangen Sie immer mit den feinstmöglichen Hilfen an und werden dann deutlicher", erklärt Dressurausbilderin Tuuli Tietze. "Verlässlichkeit ist das A und O", sagt auch Westerntrainerin Yvonne Gutsche. "Dazu gehört, den Blick ehrlich nach innen zu richten: Brauche ich mehr Selbstsicherheit, damit ich sie meinem Pferd vermitteln kann?" Ein Trainer oder Helfer am Boden kann helfen, eigene Unsicherheiten zu überwinden.

Sicher Vorausgehen

Doch selbst wenn Sie Ihrem Pferd bereits genügend Ruhe vermitteln, kann es sich beim Reiten unsicher fühlen. Kennen Sie die folgende Situation? Ihr Pferd sieht etwas Unheimliches und will partout nicht daran vorbeigehen. Sitzen Sie ab und gehen voraus, scheint das Ungetüm plötzlich harmlos und Ihr Pferd geht gelassen mit Ihnen daran vorbei.

Dieses Verhalten ist nur natürlich: "Pferde folgen in der Herde ihrem Anführer", erklärt Dressurausbilderin Tuuli Tietze.

"Geht der Reiter als Ranghöherer voraus, kann sich das Pferd also sicher fühlen." Sitzt der Reiter oben, muss das Pferd sich an der Gefahrenstelle vorbeischicken lassen. "Diese Situation gibt es auch in der Natur: Die Rangniedrigen werden bei Gefahr vorgeschickt, weil ihr Verlust für die Herde nicht so schmerzhaft wäre", erklärt Tietze. "Als Reiter muss ich mein Pferd vorausschicken und ihm gleichzeitig Sicherheit bieten können."

Das funktioniert am besten, indem Sie ihm schon am Boden vermitteln, dass beim Vorausgehen keine Gefahr droht. Üben Sie dazu unterschiedliche Führpositionen, besonders auf Gurthöhe. So lernt das Pferd, souverän vorwärtszugehen, auf ihre Signale von hinten zu lauschen und diesen zu folgen. Wie die Übung genau funktioniert, erfahren Sie in der Bildergalerie.

Können Sie eine Situation vom Sattel aus nicht bewältigen, ist es keine Schande, abzusitzen und zu führen. "Sie dürfen nur nicht in die Rolle des vorgeschickten Rangniedrigen geraten", sagt Tuuli Tietze. "Das gelingt, indem Sie ein Spiel aus Annäherung und Rückzug gestalten. Sie schicken Ihr Pferd vor, lassen es zurückweichen, wenn es möchte, und ermuntern es zum erneuten Vorstoß, sodass letztlich seine Neugier siegt." Klappt das, können Sie das Gleiche vom Sattel aus abfragen.

2. Knackpunkt: Das Verständnis – Versteht mein Pferd die Reiter-Hilfen?

Wer am Boden schon viel mit seinem Pferd erarbeitet hat, fragt sich oft, warum es im Sattel mit der harmonischen Kommunikation trotzdem nicht richtig klappen will.

"Hier lohnt sich ein genauer Blick auf die am Boden angewendeten Kommunikationsmittel", sagt Ausbilder Peter Kreinberg. "Lag der Schwerpunkt bei der Bodenarbeit vor allem auf der Kommunikation durch visuelle Informationen wie Körpersprache, Bewegungsmuster oder Positionsveränderungen, ist das Pferd plötzlich vergleichsweise informationslos, wenn der Reiter im Sattel sitzt."

Beim Reiten sind nämlich nicht visuelle, sondern vor allem taktile Signale und Hilfen wie Schenkel- oder Zügelkontakt wichtig für die Verständigung. Auch die verschiedenen Druckvarianten auf Zunge, Lefzen oder Nase durch die Zäumung sind taktile Reize. "Beim Reiten kommunizieren wir auf einer anderen Verständigungsebene, die vor allem den Tastsinn anspricht", betont Kreinberg.

Damit das Pferd Ihre Hilfen vom Sattel aus versteht, sollten Sie am Boden nicht nur aus der Distanz arbeiten, sondern bereits hier Berührungsreize einführen. "Touchieren Sie das Pferd zum Beispiel mit der Gerte dort, wo später Ihr Schenkel liegt, um es vorwärtszutreiben oder es seitwärts weichen zu lassen. So lernt es die Signale kennen, die Sie später auch vom Sattel aus geben", rät Peter Kreinberg. "Nur wenn das Pferd die Signale des Reiters versteht, kann es wie gewünscht reagieren."

Gibt es Missverständnisse, versuchen manche Reiter, das Pferd zur gewünschten Reaktion zu zwingen, wie Kreinberg beobachtet hat. "So ist aber keine freundschaftliche Kommunikation möglich."

Kreinberg fordert deshalb ein Umdenken der Reiter: "Machen Sie sich bitte stets bewusst, dass Pferde gewöhnlich alles willig ausführen, was ihre Reiter fordern." Tut ein Pferd das nicht, wurde ihm die Bedeutung der Reiterhilfen oft noch nicht nachhaltig genug vermittelt. "Soll das Pferd die Reiterhilfen mit der gewünschten Reaktion verknüpfen, ist gutes Timing wichtig. Setzen Sie den Berührungsreiz aus, sobald das Pferd reagiert."

Damit ein Pferd die Hilfen im Sattel leichter versteht, kann es hilfreich sein, sie mit Stimmsignalen zu verknüpfen, die es bereits aus der Bodenarbeit kennt. "Versteht das Pferd zum Beispiel eine Schenkelhilfe noch nicht, kombiniere ich diese mit einem vom Boden bereits bekannten Stimmkommando", erklärt Tuuli Tietze.

Auch Westerntrainerin Yvonne Gutsche macht sich ihre Stimme beim Reiten zu Nutze. "Ich achte dabei darauf, dass die Signale sehr unterschiedlich klingen", sagt sie. "So kann das Pferd noch leichter unterscheiden, was gerade gefragt ist." Gutsche etabliert für jede Gangart eine Stimmhilfe: Klacken mit der Zunge heißt Trab, ein Küsschen Galopp, "Hoo" anhalten. Um das Pferd daran zu gewöhnen, dass diese Signale aus verschiedenen Positionen ertönen können, arbeitet Gutsche mit der Doppellonge und bewegt sich dabei hinter dem Pferd.

Zeit zum Nachdenken

Folgt eine Reaktion nicht prompt, können neben Unverständnis auch körperliche Ursachen wie zum Beispiel fehlende Balance der Grund sein. "Überfordern Sie Ihr Pferd nicht körperlich und setzen Sie es keinem unnötigen Stress aus", empfiehlt Peter Kreinberg.

Manchmal ist auch einfach ein bisschen Geduld nötig: "Zum freundschaftlichen Reiten gehört für mich auch, Pferden Zeit zu lassen, über Dinge nachzudenken", sagt Yvonne Gutsche. "Sonst habe ich am Ende Mitarbeiter, die nur Befehle ausführen, aber nicht die echten Partner, die ich mir wünsche."

3. Knackpunkt: Die Klarheit – Gebe ich überhaupt klare Hilfen?

Sie treiben, aber Ihr Pferd legt nicht zu? Sie wollen langsamer, aber Ihr Pferd dreht trotzdem auf? Findet ein Paar nicht zur Harmonie, kommuniziert der Reiter häufig nicht klar genug. "Der Mensch geht, wenn er im Sattel sitzt, zwar nicht mehr mit seinem Körper voraus, wohl aber mit seinem Energiemanagement", erklärt Tuuli Tietze. Reagiert das Pferd also nicht auf Hilfen, ist es zu träge oder hektisch, spiegelt es mitunter einfach nur seinen Reiter wider – der ihm durch seine Körperhaltung und -spannung etwas anderes vermittelt, als er eigentlich im Kopf hat. Wie Sie Ihr eigenes Energielevel bewusst steuern können, lesen Sie links.

Fällt es Ihnen im Sattel schwerer als am Boden, eindeutig mit Ihrem Pferd zu kommunizieren, ist das nicht ungewöhnlich: "Wer am Boden klar in seiner Energie ist, kann das nicht längst immer in den Sattel übertragen", so Tuuli Tietzes Erfahrung. "Häufig haben Reiter Angst vor hohem Tempo oder Kontrollverlust und verspannen sich unbewusst." Der erste Schritt zur Lösung ist, sich selbst genau zu beobachten. Bemerken Sie bei sich Anspannung, atmen Sie bewusst aus und danach tief weiter. Das Pferd wird darauf seinerseits mit Entspannung reagieren.

Bewusste Spannung

Um Ihrem Pferd Energie oder Entspannung zu vermitteln oder es auf kommende Hilfen aufmerksam zu machen, setzt auch Andrea Bethge auf Energie im Körper. Der Muskeltonus steht dabei im Vordergrund. "Üben Sie ähnlich wie bei der progressiven Muskelentspannung, bewusst mit Ihrem Muskeltonus umzugehen", rät sie. "Spannen Sie Ihre Muskeln kontrolliert an und lassen Sie danach wieder los."

Das hilft auch in vermeintlichen Gefahrensituationen, Ihrem Pferd Ruhe zu vermitteln. "Springt mein Pferd zum Beispiel vor einer Plane zur Seite, muss ich meine Muskelspannung kurzzeitig hochfahren, um den Sprung sitzen zu können. Sofort danach entspanne ich meinen Körper bewusst wieder. So kann ich dem Pferd zeigen, dass keine Gefahr droht", erklärt Bethge.

Für die Grand-Prix-Reiterin ist ihr Körper ein Mittel, mit dem Pferd Ideen und Stimmungen auszutauschen. "Beim Reiten ist das Einheitsgefühl für mich viel intensiver als am Boden." Bethge kommuniziert dabei über graduelle Veränderungen ihres Körpers. Will sie ihr Pferd etwa ermuntern, ein Hindernis zu untersuchen, verlagert sie ihr Gewicht leicht nach vorne. "So hat das Pferd schnell Lust, es sich anzusehen." Vorraussetzung für so feine Kommunikation ist ein ausbalancierter Sitz: Klemmt der Reiter etwa oder sitzt schief, sendet er unbewusst falsche Signale ans Pferd.

Für Sybille Wiemer gehört zur guten Kommunikation auch der richtige Fokus: "Lässt sich mein Pferd zum Beispiel durch ein Hindernis auf der linken Seite ablenken, heißt meine Botschaft einfach: Guck nach rechts." Statt sich darauf zu konzentrieren, was er nicht will, wählt der Reiter so ein klares Ziel und kann dieses dadurch besser kommunizieren. "In dieser konkreten Situation hieße das zum Beispiel, mit dem rechten Bein zu treiben und das Pferd sanft nach rechts zu stellen", so Wiemer. Auch Tuuli Tietze rät, selbst den Fokus zu halten: "Nur wenn der Reiter klar im Kopf hat, was er von seinem Pferd möchte, kann er ihm als gutes Beispiel dienen."

6 Übungen für mehr Harmonie im Sattel:

Harmonie am Boden: 4 Übungen zur Freiarbeit nach Aguilar

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Erscheinungsdatum 17.05.2023