Sie wissen nicht, woran Sie arbeiten sollen? Ihr Pferd ist Ihre wichtigste Muse. Hören, spüren und schauen Sie genau hin – wer Problemstellen sucht, wird Trainingsaufgaben finden! Fahren Sie Ihre Antennen aus: Wie geht es Ihrem Pferd mental und körperlich? Darin stecken Anreize fürs Training.
Das Pferd als Ideengeber
Die Grundstimmung wahrnehmen: Ist Ihr Pferd bei Ihrer Ankunft im Stall nervös oder entspannt, hat es viel oder wenig Energie? Schon haben Sie eine Grundrichtung für Ihr heutiges Training. Ein nervöses Pferd soll sich durch Ihre Aufgaben beruhigen, ein vor Energie strotzendes das richtige Energieniveau finden, ein in sich gekehrtes Pferd will mit Denk-Anreizen aufgeweckt werden.
Aufmerksam putzen: Fühlen Sie, ob die Muskulatur hart oder weich ist. Zieht Ihr Pferd den Rücken ein, wenn Sie darüber bürsten? Legt es die Ohren an, wenn Sie die Bauchmuskeln berühren? Das können Anzeichen für Muskelkater oder Verspannungen sein. Die Trainingsaufgabe: Das Pferd zum Beispiel an der Longe oder bei der Bodenarbeit lösen.
Als Reiter forschen: Achten Sie auch beim Reiten ganz genau darauf, was Ihrem Pferd leicht- und was ihm noch schwerfällt. "Daraus ergibt sich dann der Trainingsablauf wie von selbst", so Thomas Ritter. Beobachten Sie zum Beispiel:
• Welches Tempo bietet das Pferd an? Hat es eher zu viel oder zu wenig Energie?
• Wie leicht bleibt es auf einer geraden Linie? Schert eher die Hinter- oder die Vorhand aus?
• Welche Körperteile sind beweglich, welche weniger?
Lösungen finden: Sie haben eine Baustelle oder gleich mehrere Probleme entdeckt? Schon haben Sie eine Trainingsaufgabe: Lösen Sie das dringlichste Problem zuerst! Bauen Sie dabei immer wieder Selbstkontrollen ein, die Ihnen zeigen, ob Sie richtig gearbeitet haben. Kehren Sie dazu jeweils nach etwa zehn Minuten Arbeit zu der Aufgabe zurück, bei der Sie das Problem festgestellt haben. Klappt es nun besser? Dann sind Sie auf dem richtigen Weg.
Kreative Kegel
Ein Schachspieler braucht kreative Spielzüge, um seinen Mitspieler zu verblüffen – überraschen Sie doch mal Ihr Pferd mit einem gedachten Schachbrett auf der Reitbahn. "Man kann sich vorstellen, dass die Reitbahn in Quadrate unterteilt ist. Die Seitenlänge der Quadrate entspricht der halben Bahnbreite", erklärt Thomas Ritter.
Bei einer 20x40- oder 20x60-Bahn sind das etwa zehn Meter. Stellt man jeweils einen Kegel in die Seitenmitten dieser gedachten Quadrate (siehe Zeichnung), kann man die Umrisse von unzähligen Kreisen, Quadraten und Rechtecken erkennen und nachreiten. Sie werden sehen: Dieses Schema hilft, aus einem immer gleichen Trainingsaufbau auszubrechen!
Die Kegel sind auch gute Markierungspunkte zum Anhalten und für viele weitere Lektionen wie Vorhandwendungen, Hinterhandwendungen oder Rückwärtsrichten.

Biegsam & beweglich
"Selbst im Grand Prix kommen eigentlich nur sechs elementare Bewegungen vor", erklärt Thomas Ritter. "Vorwärts, anhalten, wenden, biegen, übertreten und rückwärtsrichten." Das Tolle daran: Diese Bewegungen helfen Ihnen, beim Training in neue Richtungen zu denken und vorwärtszukommen.
Mithilfe von Fragen zu den Bewegungsarten finden Sie neue Trainingsaufgaben:
• Sind Übergänge in eine höhere oder niedrigere Gangart einfacher?
• Sind Linkswendungen einfacher oder Rechtswendungen?
• Ist es leichter, nach links zu biegen oder nach rechts?
• Ist es einfacher, mit dem linken Hinterbein übertreten zu lassen oder mit dem rechten?
Ihr Forschungsdrang ist geweckt? Dann sammeln Sie noch mehr Informationen. Die folgenden Punkte helfen, die elementaren Bewegungen zu verbessern und können eine ganze Trainingseinheit füllen:
• Fordern Sie die Bewegung an einer anderen Stelle des Platzes.
• Geben Sie die Hilfen länger oder kürzer.
• Überprüfen Sie das Timing Ihrer Hilfen.

Experimental-Kunst im Viereck
Ein breiter Pinselstrich oder ein dünner, Tusche oder Ölkreide: Experimentieren Sie doch mal wie ein Künstler mit verschiedenen Techniken. Probieren Sie in einer Trainingseinheit zum Beispiel gezielt das Reiten mit Kappzaum und Gebiss aus, oder experimentieren Sie mit verschiedenen Zügelführungen beim Reiten auf Kandare.
Wenn Sie noch nie Hand- oder Langzügelarbeit gemacht haben, wagen Sie sich an diese neuen Trainingsmethoden. Auch bei Sitz und Hilfengebung können Sie neue Techniken ausprobieren: Untersuchen Sie zum Beispiel einmal, ob man in den Seitengängen mehr auf dem inneren oder äußeren Gesäßknochen sitzen sollte.
Oder variieren Sie Ihren Sitz. Verteilen Sie beispielsweise Ihr Gewicht auf eine größere oder kleinere Fläche, indem Sie mehr auf den Innenflächen der Oberschenkel oder mehr auf den Gesäßknochen sitzen. Sie können die Bewegung des Pferderückens bewusst in eine Richtung unterstützen oder gegen diese Bewegung Widerstand leisten – etwa nach oben, unten, links, rechts, vorwärts oder rückwärts. Arbeiten Sie dazu mit der Position Ihres Oberkörpers, mit Gewichtsverlagerung und Körperdrehung.
Auch mit Ihrer Hilfengebung können Sie experimentieren: Arbeiten Sie zum Beispiel mit bestimmten Schenkel- und Zügelkombinationen, wirken Sie impulsartiger oder länger ein oder versuchen Sie, mit jeder Hilfe ein ganz bestimmtes Körperteil zu erreichen.
"Das sind nur ein paar Vorschläge. Sie können mit allem spielen, was Ihre Neugier weckt", betont Thomas Ritter. "Jedes Mal, wenn wir irgendetwas tun oder verändern, wird das Pferd antworten, indem es besser oder schlechter wird. Durch wohlüberlegtes Experimentieren können wir so von unserem Pferd lernen, was es verschlechtert und was es verbessert."
Spannende Linienführung
Viele Künstler haben Phasen, in denen sie sich ganz auf ein bestimmtes Thema konzentrieren – ob Porträts, Pflanzen oder Strichzeichnungen. Malen doch auch Sie mal immer die gleiche Figur in den Sand! Klingt öde? Im Gegenteil: Wer sich ganz auf eine Bahnfigur konzentriert, bringt Abwechslung ins Training.
Sie können eine bekannte Bahnfigur wählen, sich selbst eine neue Figur ausdenken (zum Beispiel ein Oval oder ein Dreieck) oder mehrere Figuren miteinander kombinieren.
Reiten Sie erst im Schritt, um dem Pferd die Aufgabe zu zeigen. Dabei sehen Sie auch, welcher Teil der Figur dem Pferd noch schwerfällt und woran Sie arbeiten können.
Klappt die Übung im Schritt flüssig, gehen Sie über zum Trab, später zum Galopp. Ergänzen Sie Seitengänge an den Stellen, an denen sie sich sinnvoll in die Geometrie einbauen lassen. Verwenden Sie zum Beispiel Schulterherein, und Kruppeherein oder auch die Konterlektionen Konterschulterherein und Renvers. Ist Ihr Pferd dazu noch nicht bereit, reiten Sie alternativ etwa Schenkelweichen.

Neues Pferd, neue Muse
"Immer, wenn ich etwas Neues von meinem Lehrer oder einem Pferd lerne, probiere ich es mit allen Pferden und allen Schülern aus", erzählt Thomas Ritter. So könne man herausfinden, wie eine Übung oder konkrete Hilfe wirkt. "Manche Pferde werden sich verbessern, bei anderen gibt es keine Auswirkung, einige reagieren sogar negativ", so Ritter.
Mit je mehr Pferden Sie etwas ausprobieren, umso besser verstehen Sie die Übungen und ihre gymnastizierende Wirkung. Beobachten Sie, wie sich unterschiedliche Exterieur-Merkmale wie etwa die Winkelung der Hinterhand, Form und Länge des Halses oder Länge und Umfang des Rückens auswirken.
Übrigens: Verschiedene Pferde zu reiten, macht Sie kreativer und flexibler – denn nicht jeder Lösungsweg ist ideal für jedes Pferd.
"Man sollte ohnehin immer ausprobieren, was noch funktioniert – auch wenn man schon eine Technik gefunden hat, die sich bewährt hat", findet Thomas Ritter. "Sonst kann es sein, dass das Pferd abstumpft und die Wirkung nachlässt."