Aus den Lautsprechen dudelt Country-Musik, die Zuschauerränge sind mit mehr als 300 Gästen prall gefüllt, und die Luft knistert, weil alle gespannt auf einen Mann warten: Pat Parelli, der weltbekannte Horseman und Gründer von Parelli Natural Horsemanship. Er ist Pionier von Selbstlern- und Online-Kursen in der Pferdewelt und begann damit vor etwa 40 Jahren. Anfang der 80er-Jahre startete sein Programm mit CDs, später mit DVDs, heute hat er neben vielen ausgebildeten Instruktoren eine Online-Plattform mit tausenden Lehr-Videos zum Thema Natural Horsemanship.
Aus 30 Zuschauern sind 30 Jahre später über 300 geworden
Der Applaus ist groß, als Pat Parelli auf dem Pferd eines Instruktors in die Halle im Schweizer Ort Fehraltorf in der Nähe von Zürich reitet. "Vor 30 Jahren war ich das erste Mal als Horseman in der Schweiz", sagt er. Vor rund 30 Leuten habe er hier seinen ersten Kurs in Europa gegeben, heute sind es über 300. Pat Parelli ist inzwischen 68 Jahre alt und tourt dieses Jahr durch Europa. Gerade kommt er aus Italien, wo er eine Woche lang mit seinen Instruktoren Jungpferde angeritten hat. Hier in Fehraltorf wird er zwei Tage lange zwei Gruppen mit je sieben Teilnehmern unterrichten.
70 Teilnehmer haben sich für einen aktiven Platz beim Kurs beworben
Jeder Reiter, der ein Ticket für dieses Event erworben hat, kam auf Wunsch in einen Los-Topf für die aktive Teilnahme. 70 Reiter hatten sich dafür beworben. Alle 14, die heute hier sind, haben bereits Erfahrung im Parelli-System, das auf den berühmten sieben Spielen aufbaut. Durch diese Spiele sollen Pferd und Mensch lernen, besser miteinander zu kommunizieren.

Ob die Teilnehmer in diesen großen Gruppen viel mitnehmen können? Wie werden wohl die Zuschauer eingebunden? Hat Pat Parelli tatsächlich die Strahlkraft, die man ihm zuschreibt? Oder ist alles nur eine Selbstdarsteller-Show?

"Meine Vision ist es, Menschen zu lehren, wie Pferde zu denken", sagt der Horseman. Dabei sind Pferdrasse und Reitweise egal. Heute ist eine bunte Pferde-Truppe zusammengekommen: Araber, Muli, Freiberger, Tinker, Warmblüter, Reitpony und Iberer. Einige Reiter sitzen im Western-, die meisten im Englisch-Sattel. "Parelli Natural Horsemanship ist nicht Western oder Klassik – es ist der natürliche Weg mit dem Pferd umzugehen und zu reiten", sagt Parelli. "Die Beziehung steht an erster Stelle – wir müssen lernen, wie ein Partner auf Augenhöhe mit dem Pferd zu spielen", sagt er und lässt sein Pferd Little ohne Zügeleinsatz um die Hinterhand drehen.

Bevor es losgeht, darf sich jeder Teilnehmer kurz vorstellen und erzählen, was er sich für sich und sein Pferd wünscht: "Ich wünsche mir Harmonie in jeder Situation", sagt Rolf, der sein 17-jähriges Paint Horse Rocky am Seil hat. Sarah wünscht sich von ihrem Spanier Dibujado mehr Lebendigkeit, wenn sie mit ihm kommuniziert. Die erste Trainingseinheit findet am Boden mit Seil statt – "Online", wie es im Parelli Natural Horsemanship genannt wird.
Das Trainingsprogramm ist in vier Bereiche aufgeteilt, die sogenannten Savvys: Online (mit Seil), Liberty (ohne Seil), Freestyle (Reiten am Knotenhalfter ohne Zügelkontakt), sowie Finesse (Reiten mit Zügelkontakt). Wer am Parelli-Programm teilnimmt, kann offizielle Levels von eins bis vier ablegen, wer das vierte erfolgreich abgeschlossen hat, kann sogar Instruktor werden. Das erste Level wird nur im Bereich Online als Basis abgelegt, das zweite in Online, Liberty und Freestyle, ab Level drei dann in allen vier Bereichen.
Die Entwicklung in höheren Levels verhindert, dass Pferde abstumpfen
Dabei ist es Pat Parelli ein großes Anliegen, nicht im ersten Level zu verharren und die sieben Spiele immer wieder stur nacheinander durchzuspielen. Er möchte keine totgespielten Pferde, die wie Marionetten am Seil agieren und keine eigene Meinung mehr haben. Bei den Teilnehmer-Pferden ist das nicht der Fall. Sie wirken in den Pausen entspannt, arbeiten bei den Übungen sehr motiviert mit und spitzen fragend die Ohren.

Das Muli hat bei den ersten Zirkelübungen sogar eigene Ideen. Es dreht sich nach außen über den Hals weg und hebelt seine Besitzerin aus, so dass sie das Seil loslassen muss und trabt durch die Halle. Kein Problem, Pat Parelli galoppiert durch die Halle und sammelt es wieder ein. Dann geht’s einfach weiter.
In den Trainingseinheiten am Seil geht es darum, einfache Dinge in Perfektion zu tun. Die Teilnehmer führen ihre Pferde am durchhängenden Seil mit der Ganasche auf Schulterhöhe des Menschen. Das Pferd soll sich dem Menschen anpassen. Wird es zu schnell, sollen die Teilnehmer den Stick vor der Pferdenase als Bremse nutzen, trödelt es, mit dem Stick nach vorne treiben.

Dabei ist dem Horseman wichtig, dass die Teilnehmer nicht versuchen, durch Mikromanagement das Pferd davor zu bewahren, Fehler zu machen. "Lasst eure Pferde mitdenken", mahnt er und erklärt, was passiert, wenn der Mensch am Boden ständig am Strick korrigiert oder im Sattel ständig mit kurzen Zügeln einwirkt: "Je mehr du die Zügel nutzt, desto weniger denkt dein Pferd mit." Deswegen baut sein Trainingssystem darauf auf, das Pferd beim Freestyle-Reiten zügellos zu reiten. Das ist keine eigene Reitweise, sondern Reiten über Gewicht und Schenkel, das als Basis fürs spätere Reiten mit Kontakt dienen kann.

Pat Parelli betont mehrfach, dass Natural Horsemanship kein eigenes Dogma ist, sondern die natürliche Art, pferdepsychologisch zu kommunizieren. "Ich möchte das Wissen meiner Mentoren Freddy Knie, Walter Zettl, Tom Dorrance oder Ray Hunt weitergeben." Während die Teilnehmer mit ihren Pferden selbstständig üben, läuft Musik und ein Teil der Instruktoren eilt zur Unterstützung in die Halle. Zwischendurch steigt Pat Parelli vom Pferd und zeigt selbst Techniken.
Zuschauer dürfen nach jeder Einheit Fragen stellen oder reflektieren
Nach jeder Übungseinheit reflektieren die Teilnehmer, was sie gelernt haben; auch die Zuschauer werden einbezogen, dürfen aufstehen und ihre Aha-Effekte teilen. "Meine Vision ist es, die Welt für Pferde ein bisschen besser zu machen, indem wir wie ein Pferd denken", sagt Parelli. Zwischen den beiden Gruppen gibt es eine 30-minütige Pause. Dann kommen die Zuschauer in die Halle, Pat Parelli gibt Autogramme und posiert für Fotos. Dafür möchte er von jedem Zuschauer wissen, welche Vision er hat.

In der zweiten Gruppe, die schon fortgeschrittener ist und damit in einem höheren Parelli-Level spielt, kommen wieder sieben Pferd-Mensch-Paare in die Halle. Unter ihnen ist Sarah mit ihrem Dibujado, die schon länger mit ihrem Wallach nach dem Parelli-System arbeitet und zuhause mit der Schweizer Instruktorin Yvonne Salfner trainiert.

Sarah hat Dibujado vor acht Jahren gekauft, sie war eine erfahrene Reiterin und hatte davor schon ein Pferd. Kurze Zeit später ging nichts mehr: Der Wallach ließ sich nicht mehr halftern, führen, gab keine Hufe mehr. Sie holte sich die Hilfe der Instruktorin in ihrer Nähe. Seither ist viel passiert und Dibujado ist inzwischen so entspannt, dass sich Sarah wünscht, dass er mit mehr Energie auf ihre Signale reagiert.

Pat Parelli startet trotzdem mit den Basics: "Je besser dein Pferd rückwärts und seitwärts geht, desto besser klappt auch alles andere." Kurze Zeit später hüpft Dibujado beim Zirkelspiel übermütig im Kreis und macht Freudensprünge. Sarah ist glücklich. "Ich habe Pat Parelli das erste Mal getroffen. Man merkt, wie sehr ihm seine Vision am Herzen liegt. Ich nehme sehr viele neue Erkenntnisse mit."

Keine Show, kein Zirkus – Parelli vermittelt geballtes Wissen
Nicht nur die aktiven Teilnehmer sind begeistert, in den Zuschauerrängen ist es mucksmäuschenstill, während Pat Parelli erklärt. "Es ist so schön, der Pferdemensch zu werden, den mein Pferd braucht", sagt Jutta, die aus Hessen angereist ist, in der Pause. Sie hat Pat Parelli das erste Mal live gesehen. "Das ist ein tolles und inspirierendes Wochenende", sagt sie. "Ich bin so froh, dass ich Natural Horsemanship kennenlernen durfte und Pat Parelli getroffen habe", sagt Magdalena, die schon jahrelang Parelli-Anhängerin ist.

Unser Eindruck: Pat Parelli rückte bei diesem Kurs nicht seine Person in den Mittelpunkt, sondern seine Mission. Er möchte die Welt für die Pferde besser machen und die Menschen ermutigen, jeden Tag zu lernen. Das ist ihm in diesen beiden Tagen perfekt gelungen. Parelli bleibt auf Augenhöhe mit seinen Schülern und wirkte zu keiner Zeit dogmatisch. Nach den beiden Tagen kann man es als Zuschauer kaum erwarten, die neuen Ideen auszuprobieren – beziehungsweise durchzuspielen.
Kurse & Kontakt
In Deutschland gibt es inzwischen in nahezu jedem Bundesland zertifizierte Parelli-Instruktoren, die Einzelstunden, Beritt, Wochenend-Kurse oder Ferien-Camps anbieten. Infos und Termine gibt es unter: www.parelli-instruktoren.com