Christine Hlauscheck über individuelle Pferdeausbildung

Interview mit Ausbilderin Christine Hlauscheck
„Pferdeausbildung ist kein Standardprogramm“

Zuletzt aktualisiert am 14.02.2024
Christine Hlauscheck auf ihrem Pferd Linus im Galopp auf einer Wiese
Foto: Rädlein
CAVALLO: Christine, du hast zwei Wallache, die charakterlich total gegensätzlich sind. Linus (17) ist schon seit 2011 bei dir, Rakoczy (7) seit rund zwei Jahren. Sprechen wir zuerst über Linus: Wie kam er zu dir und wie würdest du seine Persönlichkeit beschreiben?

Christine Hlauscheck: Linus wurde mir damals von seinem Züchter zur Ausbildung angeboten. Er hat mehrmals angefragt, aber ich ließ mir ehrlich gesagt jedes Mal eine Ausrede einfallen, warum ich ihn nicht nehmen kann. Linus hatte damals Ähnlichkeit mit einer Giraffe. Er war schmal, hatte einen langen dünnen Hals und eine schwache Hinterhand. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass man dieses Pferd einmal gesunderhaltend reiten könnte. Irgendwann machte der Züchter mir jedoch so ein gutes Angebot, dass ich endlich klein beigab und zustimmte, ihn auszubilden. Umso überraschter war ich dann, als ich merkte, was für ein feines Pferd ich da unter dem Sattel habe. Linus ist immer bei der Sache, immer aufmerksam, und er lernt extrem schnell. Das hat mich fasziniert. Genau das macht ihn allerdings für den Reiter zu einem sehr anspruchsvollen Partner. Als der Züchter ihn verkaufen wollte, war mir das dann auf einmal überhaupt nicht recht. Dieses Sensibelchen in den falschen Händen? Ich wollte nicht, dass er als Problempferd von einem zum nächsten Besitzer wandert. Also kaufte ich ihn.

Linus hat es geschafft, dich als Reiterin und Pferdebesitzerin komplett in Frage zu stellen. Wie ist es dazu gekommen?

Ich war damals überglücklich, mit Linus ein so lernwilliges Pferd zu haben. Was ich ihm beibrachte, hatte er schnell verstanden, und so war ich gleich wieder Feuer und Flamme für die nächste Aufgabe. Als Ausbilderin möchte und muss ich ja auch ein Stück weit zeigen, was ich mit meinen Pferden erarbeitet habe. Deshalb hatte ich recht viel Ehrgeiz entwickelt. Selbstverständlich habe ich Linus auch mit auf Veranstaltungen genommen. Er war immer brav und hat alles mitgemacht, nie hatte ich Probleme mit ihm. Doch eines Tages, wir waren gerade zurückgekommen von einer Messe, wollte ich Linus von der Koppel holen und er drehte mir demonstrativ den Hintern zu. Das ging ein paar Tage so. Immer, wenn er mich sah, drehte er um und lief weg. Mich hat das sehr getroffen. Denn Linus führte mir ganz klar vor Augen, dass ich einen Riesenfehler gemacht habe. Mir wurde bewusst: In unserem Training gab es nie eine Pause des Lernens, immer wieder kam etwas Neues dazu. Wenn er mit mir irgendwohin fahren musste, verhielt er sich zwar immer vorbildlich. Doch eigentlich war das purer Stress für ihn. Anstatt das wahrzunehmen und ihm nach solchen Erlebnissen eine Erholungspause zu gönnen, bin ich gleich wieder zum Alltag zurückgekehrt. Leider habe ich nicht registriert, dass er sich gerne zurückgezogen hätte. Als mir das alles plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel, ging es mir richtig mies. Wie konnte ich als Ausbilderin, der es immer wichtig war, pferdegerecht zu arbeiten, einen solchen Fehler begehen und so betriebsblind sein? Ich war lange Zeit wie in einem Schockzustand, dachte sogar daran, das Reiten an den Nagel zu hängen.

Wie ging es mit Linus nach diesem Tief weiter?

Unbewusst hatte ich ja geahnt, dass schon seit einiger Zeit zwischen Linus und mir etwas im Argen liegt. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt und beschlossen, nochmal ganz von vorne und vor allem ganz neu anzufangen. Ich wusste, ich brauche für uns ein Blatt, das noch unbeschrieben ist. Deshalb habe ich nach Möglichkeiten gesucht, wie ich Linus beschäftigen und mit ihm Zeit verbringen kann, ohne dass bei ihm negative Gefühle aufkommen. Seinetwegen habe ich das Clickern angefangen und allerlei Blödsinn gemacht. Reiten war lange Zeit kein Thema. Diese unbeschwerte Zeit hat uns beide unglaublich zusammengeschweißt. Wir hatten wieder Spaß miteinander, und so hatte unser Zusammensein eine Leichtigkeit, die früher leider wohl oft gefehlt hat. Wir konnten diese Stimmung auch mit in den Sattel nehmen, als ich anfing, ihn wieder leicht zu arbeiten. Doch nach einer Verletzung lahmte er immer wieder diffus, sodass wir stets wieder pausiert haben. Als es nicht besser wurde, habe ich beschlossen, Linus nicht mehr zu reiten und ihn in Frührente zu schicken. Da er vom Typ her zu den modernen, überbeweglichen Sportpferden gehört, war es mir nicht mehr möglich, ihn auf dem Trainingslevel zu halten, das er gebraucht hätte, um ein stabiles, tragfähiges Reitpferd zu sein. Selbstverständlich lebt er immer noch bei mir.

 Christine Hlauscheck und ihr Schimmel Rakoczy bei einer Veranstaltung
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Und dann kam irgendwann der große Schimmel ins Spiel...

Den wollte ich eigentlich auch erst nicht haben! Rakoczy begegnete mir im Stall einer Schülerin. Mir wurden die Knie weich, als er aus der Box guckte. Der war genau mein Typ. Und er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Das passte mir gar nicht. Denn nach der erschütternden Erfahrung mit Linus wollte ich kein Pferd mehr haben, aus Angst davor, nochmals ein Tier unglücklich zu machen. Doch wie das Schicksal so spielt, stand Rakoczy kurz nach unserer ersten Begegnung zum Verkauf. Ich haderte mehrere Monate mit mir, bis ich mich entschloss, nochmal zu ihm zu fahren. Einen ganz klaren Plan hatte ich im Kopf: Ich nehme ihn nur, wenn ich hundertprozentig sicher bin, dass er zu mir passt. So etwas wie mit Linus sollte mir nicht noch mal passieren. Dieses Pferd habe ich in seiner Feinheit nicht richtig verstanden. Wenn nochmal ein Pferd, dann sollte das ein bisschen so ticken wie ich und keinen Stress mit neuen, unbekannten Dingen haben. Ich präsentiere meine Arbeit gerne vor Publikum und brauche ein Pferd, das mental damit gut klarkommt. Auch meinen Schülern sage ich immer: Such dir dein Pferd nicht nur mit dem Herzen aus, sondern überlege auch genau, was du möchtest und was das Tier leisten kann. Das ist wichtig. Rakoczy ist es dann tatsächlich geworden. Er ist neugierig, mutig und trotz seines jungen Alters ein selbstbewusster Kerl. Ich hatte den richtigen Riecher. Auf seiner ersten Messe war er zwar aufgeregt, aber nichts hat ihn aus der Bahn geworfen. Mit Linus habe ich mich bei Auftritten immer gefühlt wie eine Mutter mit ihrem Kind. Mit Rakoczy war es wie mit einem Kumpel.

Was hast du aus diesen Erfahrungen gelernt?

Ich achte grundsätzlich viel mehr auf die Persönlichkeit des Pferds und überlege, wie es lernt und was es überhaupt lernen und leisten kann. Das Ergebnis ist mir dabei nicht wichtig, mich interessiert der gemeinsame Weg. Das Pferd muss immer das Gefühl haben, Teil eines Teams zu sein. Dazu gehört, das individuelle Pferd mit seinen Bedürfnissen wahrzunehmen, damit man ihm gerecht werden kann. Was hilft dem Pferd sein perfekter Trainingszustand, wenn es dabei traurig ist? Und ist umgekehrt ein Pferd, das sehr aufgeweckt und schlau ist, glücklich, wenn es nur im Gelände geritten wird? Durch Linus habe ich entdeckt, wie hilfreich die Arbeit am Boden ist. Dabei entwickelt sich eine ganz andere Art der Kommunikation. Jeder Mensch sollte seinem Pferd mal ins Gesicht schauen und beobachten, wie es sich bei bestimmten Lektionen und Übungen verhält. Feinste Äußerungen, die Missmut ausdrücken, müssen wir ernst nehmen. Ich möchte nie mehr erleben, dass ein Pferd zu mir sagt, ich mag nicht mehr mit dir arbeiten.