Schulpferdersatz oder Hilfsmittel
Reiten lernen mit Reitsimulator?

Hoppel, hoppel, Reiter – viele Schulpferde könnten ein Lied davon singen. Sollten Reitanfänger also besser erstmal trockenüben? Reitsimulatoren würden es möglich machen. Wir haben Reitlehrer um ihre Meinung gebeten.

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Foto: Julia Waldenmeier / www.jw-fotografie.com

"Das echte Pferd ist für mich gerade bei Reitanfängern nur die zweite Wahl nach dem Simulator"

Ich unterrichte seit sechs Jahren mit Reitsimulatoren und habe auch viele Schüler, die erst seit Kurzem reiten. Manche haben zum Beispiel Probleme, den richtigen Takt im Leichttraben zu finden, gezielt aufzustehen und wieder gefühlvoll einzusitzen. Nach einem intensivem Training auf dem Reitsimulator von 20 bis 30 Minuten haben sie es dann oft verstanden und können das Geübte auf dem Pferd direkt viel besser umsetzen.

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Das bessere Schulpferd?
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Das echte Pferd ist also für mich gerade bei Reitanfängern die zweite Wahl. Erst wenn ein Schüler die Basis der Ausbildungsskala des Reiters – also Balance, Losgelassenheit und das Eingehen in die Bewegung des Pferds – größtenteils beherrscht, kann man weiter zur Hilfengebung gehen.

Was wichtig ist: Am meisten bringt das Reitsimulatortraining mit einem guten Lehrer an der Seite, der Messergebnisse einordnen und auswerten kann und sich etwas in der menschlichen Anatomie auskennt. Denn gerade darum geht es beim Training: den Reiter zu verbessern, für mehr Sensibilität, feinere und gezielte Einwirkung und Einfühlungsvermögen auf dem Pferd.

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Julia Waldenmeier / www.jw-fotografie.com
Anja Schade, Reitsimulator-Trainerin.

Anja Schade, Reitsimulator-Trainerin

"Reiten ist nicht nur Technik, sondern auch Einfühlung"

Früher hieß es: Reiten lernt man nur durch Reiten. Heute gibt es viele ergänzende Möglichkeiten: Mentaltraining, die Arbeit am Boden nach Centered Riding (Groundwork) oder Holzpferde mit Sattel – und eben Simulatoren. Ich sehe sie als sinnvolle Erweiterungen.

Als ich selbst zum ersten Mal auf einem Simulator saß, hatte ich das Gefühl, ein Pferd mit außergewöhnlich taktmäßigen und schwungvollen Gängen unter mir zu haben. Das einmal zu fühlen, kann sehr hilfreich für lernende Reiter sein. Und wenn es darum geht, die Hilfen technisch richtig umzusetzen, erspart ein Simulator den echten Pferden unzählige Fehlversuche. Das gilt für Basis- und fortgeschrittene Lektionen: Die korrekte Lage des treibenden Schenkels im Schenkelweichen oder der richtige Moment für die Hilfen bei Einerwechseln lassen sich auf dem Simulator viel einfacher finden.

Insgesamt sehe ich bei solchen Feinheiten auch das größte Potenzial der Simulatoren: Gerade für Reiter, die vielleicht den Sprung von L nach M schaffen wollen, sind sie eine tolle Sache. Mit absoluten Anfängern würde ich dagegen lieber auf dem echten Pferd beginnen. Dazu führe ich das Pferd, lasse ein Gefühl für den mitgehenden Sitz im Schritt entwickeln. Das ist etwas, das man auf einem künstlichen Pferd schwer simulieren kann: Es hat nun mal keine zwei langen Rückenmuskeln. Leichttraben kann man zum Beispiel gut auf einem Ball üben, bevor es aufs Pferd geht. So schont man das Pferd, aber vermeidet einen Aspekt, der mich am Simulator stört: Ich möchte nicht, dass Reitanfänger ein inneres Bild vom Pferd entwickeln, das mechanisch ist. Reiten ist schließlich vielmehr das Zusammenwirken zweier neuronaler Systeme. Ein Pferd kann manchmal scheinbar Gedanken lesen, reagiert auf das feinste Längen meines Rücken oder spürt, wenn ich daran denke, mich zu erden. Das kann ein Simulator nicht. Reiten ist nicht nur Technik, sondern auch Einfühlung, Zuwendung und gegenseitiges Vertrauen, das man aufbaut.

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Lisa Rädlein
Dr. Lysan Massmann, Centered-Riding-Instruktorin.

Dr. Lysan Massmann, Centered-Riding-Instruktorin

"Uns auf diese wundervollen Lebewesen zu setzen, ist ein Privileg. Es sollte Vorausetzungen dafür geben"

Aus meiner Sicht wäre es ein riesengroßer Schritt in Richtung mehr Tierschutz im Reitsport, wenn jeder Reitschüler erstmal auf dem Simulator trockenüben müsste. Leider fügen wir Reiter Pferden noch viel zu oft Schaden oder Schmerzen zu – einerseits bewusst, andererseits aber auch unbewusst. Es gibt nun mal niemanden, der von Anfang an richtig sitzen kann und nicht am Zügel zieht. Kinder plumpsen dabei genauso in den Rücken wie Erwachsene. Die Folge ist, dass Pferde unter Anfängern in einer schlechten Laufmanier gehen. Das ist für sie unangenehm, mitunter schmerzhaft und auf Dauer verschleißend.

Daher ist meine Meinung: Wir sollten es uns wirklich verdienen, reiten zu dürfen. Wir müssen das Bewusstsein schaffen, dass es ein großes Privileg ist, sich auf diese wundervollen Lebewesen setzen zu dürfen. Deshalb sollte es dafür Voraussetzungen geben. Mein Traum wäre ein System, in dem jeder, ähnlich wie beim Auto-Führerschein, erstmal Theoriestunden und Einheiten auf dem Reitsimulator meistern müsste. Nach einer Prüfung auf dem Simulator ginge es dann aufs Pferd. Das hieße, dass jeder Reitanfänger bereits Leichttraben und sicher im Entlastungssitz balancieren könnte, bevor er sich einem fühlenden Pferd zumutet. Dass er in allen Gangarten zügelunabhängig sitzen könnte. Ich würde hinter einer solchen Pflicht zum Üben auf dem Simulator zu 100 Prozent stehen. Natürlich müssten dann in genügend Ställen flächendeckend Simulatoren vorhanden sein. Doch finanzierbar wäre das aus meiner Sicht genauso wie normale Reitstunden.

Nicht nur die Pferde, auch die Schüler könnten profitieren. Sie könnten in stressfreier Atmosphäre lernen, ohne Angst vor Unvorhersehbarem. So wären Bewegungsmuster in aller Ruhe zu verinnerlichen. Und der Reitlehrer könnte mit mehr Ruhe erklären.

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Tania Konnerth
Babette Teschen, Longier- und Reitausbilderin.

Babette Teschen, Longier- und Reitausbilderin

"Ob ich erst den Simulator wähle, hängt von der Person ab"

In den vielen Jahren, die ich nun mit meinem Reitsimulator arbeite, hatte ich nur wenige Komplettanfänger. Die meisten sind Wiedereinsteiger oder Menschen, die durch Unfälle traumatisiert oder körperlich beeinträchtigt sind sowie Angstreiter. In der Arbeit mit ihnen habe ich viele Vorteile des Simulators erlebt, die auch für Anfänger sicherlich hilfreich sind. Zum einen ist der Kontrollverlust komplett ausgeschaltet – das heißt, es gibt keine Überforderung des Reiters. Er kann lernen, sich fallen zu lassen und sich ganz in Ruhe auf den eigenen Körper und die Bewegung konzentrieren.

Auch an der Koordination lässt es sich auf dem Simulator wunderbar arbeiten, denn man kann ganz kleinschrittig ausprobieren, welchen Einfluss Veränderungen in der Haltung von Kopf, Brustkorb, Becken oder Schenkel haben. Für mich als Ausbilderin ist es dabei wirklich ein Geschenk, die ganze Zeit neben meinem Schüler stehen zu können, selbst im Galopp einen Finger auf seine Schulter legen zu können. So kann ich Bewegungsanweisungen unmissverständlich vermitteln.

Was man auf dem Simulator aber nicht gewinnen kann: Erfahrung darin, mit dem Pferd einen Bewegungsdialog zu führen. Denn dieser Dialog hat ganz stark mit der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur von Pferd und Reiter zu tun. Bei jedem Pferd braucht man etwa einen anderen Grad der Muskelanspannung, muss herausfinden, welcher Schenkeleinsatz ausreicht – all das kann man nur mit dem jeweiligen Pferd abstimmen. Dabei begegnen sich zwei Wesen auch auf emotionaler Ebene. Wo setzt das Pferd Grenzen, wo der Reiter? Diesen lebendigen Dialog kann man auf einer Maschine nicht üben.

Ob ich es für eine gute Idee halte, Reitanfänger, Wiedereinsteiger oder traumatisierte Reiter zuerst auf den Simulator zu setzen, hängt für mich ganz stark davon ab, wen ich vor mir habe. Wo liegt das Handicap der Reiters? Umso verkopfter der Mensch ist, umso eher würde ich ihn zuerst aufs echte Pferd setzen. Denn wenn das Kognitive die Führung übernimmt, bleibt das "Fühlen können" auf der Strecke. Mein Ansatz ist dann weniger auf die Hilfengebung beim Reiten, sondern mehr auf das Wahrnehmen der Bewegungsübertragung fokussiert.

Die Kopflastigkeit vieler Reiter ist ein Handicap, mit dem ich oft arbeite. Es überlagert das "Fühlen" und bremst einen harmonischen Bewegungsdialog beim Reiten. Andererseits profitieren manche Reiter stark davon, erstmal ihr Körpergefühl auf dem Simulator zu schulen. Wichtig für mich ist immer, zu erkennen und individuell zu entscheiden, was für den harmonischen Bewegungsdialog beider Wesen am sinnvollsten ist. Danach wird ein Plan erstellt, in den der Reitsimulator mit eingebaut wird.

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Lisa Rädlein
Frauke Behrens, Ausbilderin und Reitsimulator-Trainerin.

Frauke Behrens, Ausbilderin und Reitsimulator-Trainerin

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Lisa Rädlein
In Bewegung dicht am Reiter bleiben: Für den Ausbilder gar nicht so einfach. Ein Simulator bietet hier Vorteile.

"Reitsimulatoren sind toll, aber ich zweifle an der Akzeptanz"

Ich fände mehr Reitsimulatoren klasse, um das Körpergefühl von Reitern zu verbessern. Wir haben das Problem, dass viele Reiter zwar relativ fortgeschritten sind, aber trotzdem zum Beispiel nicht wirklich zügelunahängig sitzen.

Allerdings habe ich Bedenken, ob das angenommen würde. Wer ist bereit, so viel an sich selbst zu arbeiten? Und wer schickt seine 12-Jährige für teures Geld auf den Simulator, wenn es Gruppenstunden für zehn, zwölf Euro gibt? Das ist auch die Crux bei längerem Longenunterricht. Er schont das Pferd, ist aber nicht wirtschaftlich. Da müssten Menschen erst bereit sein, mehr zu zahlen.

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Lisa Rädlein
Sibylle Wiemer, Reitlehrerin und Trainer-Ausbilderin.

Sibylle Wiemer, Reitlehrerin und Trainer-Ausbilderin

Gut zu wissen

Die ersten Reitsimulatoren kamen fürs Training von Jockeys im Rennsport zum Einsatz. Mittlerweile können viele Simulatoren Dressur auf hohem Niveau. Sie haben Sensoren in Schenkellage, am Maul und unter der Sitzfläche, die die Einwirkung des Reiters erfassen. Ein Dressur-Simulator kostet in der Anschaffung ca. 60.000 Euro, ein Dressur- und Springreitsimulator sogar um die 100.000 Euro.

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6 / 20253

Erscheinungsdatum 17.05.2023