Kopfarbeit ist vor allem eins: sehr anstrengend, ohne dass es so aussieht. Geistig anspruchsvolle Aufgaben rauben dem Körper eine Menge Energie. Jeder, der für Schule oder Studium büffelt oder den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt, weiß das. Ohne sich körperlich ausgepowert zu haben, ist man abends fix und fertig.
Wenn Sie mit Ihrem Pferd Denk-Übungen machen möchten, sollte es möglichst ausgeruht sein. Zudem sind Ruhe und eine entspannte Atmosphäre auf dem Reitplatz oder in der Halle wichtig. Vermeiden Sie für das Kopf-Training die Rushhour im Stall.
Weil die Konzentrationsspanne bei Pferden nur sehr kurz ist, sollten Sie nach spätestens fünf Minuten eine kurze Pause von mindestens einer Minute einplanen. Übungen, die Ihrem Pferd schwerfallen, sollten Sie höchstens drei Mal wiederholen, wenn nötig in kleinere Schritte zerlegen und dann an einem anderen Tag wiederholen.
Verlangen Sie nicht mehr als drei Übungen pro Trainingseinheit. Spätestens nach einer Gesamtzeit von 30 Minuten sollten Sie das Kopf-Training beenden.
Mit diesen Übungen trainieren Sie die unterschiedlichen Gehirnareale Ihres Pferdes:
Koordination im Stangensalat

Betrifft: Kleinhirn
Übung: Legen Sie in der Reitbahn oder auf einer Wiese mehrere Stangen oder Schaumstoffbalken kreuz und quer übereinander. Es sollen unterschiedliche Abstände und Höhen zwischen den verschiedenen Stangen entstehen. Lassen Sie Ihr Pferd am langen Strick im Schritt einen Weg durch die Stangen suchen.
Erkenntnis & Effekt:
Je ruhiger Ihr Pferd in der Übung vorgeht, desto besser ist seine Koordination, die im Kleinhirn gesteuert wird. Je hektischer es agiert, desto weniger ist dieser Bereich ausgeprägt. Der Mandelkern schaltet sich schneller ein, weil das Pferd die Aufgabe nur schlecht bewältigen kann und das seine Fluchtfähigkeit einschränkt. Lassen Sie Ihr Pferd ruhig dreioder viermal nacheinander über die Stangen gehen – vor allem wenn es noch Mühe hat oder hektisch reagiert. Es wird mit jeder Wiederholung besser, weil im Kleinhirn neue Verknüpfungen entstehen. Beruhigt sich ein Pferd nicht zügig, reduzieren Sie die Stangenzahl. Meistert Ihr Pferd den Stangensalat im Schritt sicher, können Sie es traben lassen.
Kreuzen für Gedächtnis und Koordination

Betrifft: Kleinhirn
Hintergrund: Gekreuzte Pferdebeine sind nicht nur eine prima Gymnastik, sie zeigen auch, ob das Pferd eine gute Koordination hat (Kleinhirn) und gelassen ist (Mandelkern). Wenn Pferde nicht übertreten möchten, kann das mehrere Ursachen haben: Eventuell ist das Pferd noch zu unkoordiniert und hat Angst, die Balance zu verlieren. Oder es vertraut dem Reiter noch nicht zu 100 Prozent. Im Moment der gekreuzten Beine kann das Pferd nicht mehr optimal flüchten. Ist ein Tier sehr unsicher, wird es vermeiden, die Beine zu kreuzen.
Übung: Lassen Sie Ihr Pferd an der Hand übertreten und beobachten Sie genau, ob sich die Hinterbeine wirklich überkreuzen. Dazu hilft es, mit Kappzaum und Longe auf dem Zirkel zu arbeiten. Gehen Sie relativ weit vorne, um das Pferd mit Ihrem Körper nach vorne zu begrenzen und nach seitwärts zu bewegen (siehe Foto). Mit weniger geübten Pferden können Sie das Seitwärts aus einer Volte heraus erarbeiten, indem Sie das Pferd vermehrt nach innen stellen und die Hinterhand kreuzen lassen. Eine andere Variante wäre an der Bande entlang mit etwa 30 Grad Abstellung. Soll Ihr Pferd mit dem linken Hinterbein übertreten, halten Sie mit der rechten Hand die Gerte, Ihre linke greift die Longe relativ nah an der Pferdenase, um das Pferd parieren zu können. Falls Ihr Pferd noch Mühe damit hat, lassen Sie es aus dem Halten heraus nur einen Tritt zur Seite übertreten. Loben Sie es und geben Sie Ihrem Pferd eine Pause zum Nachdenken. Steigern Sie die Anzahl der Tritte langsam. Klappt ein Tritt gut, können Sie zwei verlangen. Danach die Hand wechseln. Pferde, die im Schritt schon sicher übertreten, lassen Sie im Trab auf dem Zirkel übertreten.
Erkenntnis & Effekt:
Je ruhiger und sicherer ein Pferd übertritt, desto besser ist der Bereich im Kleinhirn schon ausgeprägt und desto mehr Vernetzungen haben stattgefunden. Lassen Sie ein Pferd regelmäßig übertreten, profitiert sein Gehirn enorm – der Körper obendrein.
Bewegungen koordinieren und abspeichern

Betrifft: Großhirn, Kleinhirn
Übung: Longieren Sie Ihr Pferd im Schritt durch ein Dreieck aus gelben und blauen Schaumstoffstangen. Lassen Sie im Dreieck die Longe so locker, dass sie durchhängt. Nach zwei Runden wechseln Sie die Hand. Wichtig: Da viele Pferde anfangs stolpern, nutzen Sie bitte keine Holzstangen.
Hintergrund: Die schrägen Stangen sind für Pferde optisch sehr schwer einzuschätzen. Die Übung stimuliert den prämotorischen Cortex, der im Großhirn für die Planung von Bewegungen zuständig ist, und das Kleinhirn, wo das Zentrum für die Koordination sitzt. Sie stammt aus der Dual-Aktivierung, einem Trainingskonzept, das der bayrische Pferdetrainer Michael Geitner entwickelt hat, um die Links-rechts-Verknüpfung sowie Balance und Koordination von Pferden zu fördern. Erkenntnis & Effekt: Pferde, die noch Mühe mit Koordination und Bewegungsplanung haben, machen anfangs Taktfehler im Dreieck oder schleifen die Gassen mit den Hinterbeinen mit. Auch Hektik oder extreme Faulheit im Dreieck zeigen Schwächen in diesem Bereich. Nach einigen Wochen Kopf-Training mit dem Dreieck bewegen sich die meisten Pferde flüssig und sicher durch die Übung. Fragen Sie zuerst im Schritt insgesamt acht Runden durchs Dreieck ab, nach jeder zweiten Runde folgt ein Handwechsel. Gelingt das gut, probieren Sie nach vier Schrittrunden die letzten vier im Trab. Danach unbedingt eine Pause einlegen.
Pausen für die Speicherplatte

Betrifft: Hippocampus, Langzeitgedächtnis
Hintergrund: Um Gelerntes effektiv zu verarbeiten und ins Langzeitgedächtnis abzuspeichern, braucht ein Pferd immer wieder Pausen.
Übung: Schaffen Sie einen Pausenplatz (z.B. ein Quadrat aus vier Stangen), an dem das Pferd zwischen den Arbeitsphasen für etwa eine Minute pausiert. Um ein erwünschtes, richtiges Verhalten mit einer Pause zu belohnen, haben Sie nur wenige Sekunden Zeit. Daher sollten Sie den Pausenplatz so zentral platzieren, dass Sie ihn rechtzeitig erreichen.
Erkenntnis & Effekt: Senkt Ihr Pferd in der Pause den Kopf, schnaubt es ab oder kaut es sogar? Dann verarbeitet es gerade das Gelernte. Wirkt es unruhig und gestresst, fällt ihm das Verarbeiten und damit das Lernen noch schwer. Wenn Sie Pausen immer an einem bestimmten Ort machen, lernt Ihr Pferd, dass es hier entspannen darf. Studien haben gezeigt, dass Pferde, die an einen Pausenplatz gewöhnt sind, den Puls schneller senken. Beim Lernen sind sie dann umso motivierter. Pferden, die in Pausen nicht optimal entspannen, hilft es, sie am Widerrist zu kraulen. Und nach schwierigen Lektionen hilft auch eine Schrittpause am langen Zügel beim Verarbeiten.
Kombinieren, Koordinieren und sicher abspeichern

Betrifft: Hippocampus, Großhirn, Kleinhirn
Übung: Jetzt darf Ihr Pferd sein Köpfchen anstrengen. Sie benötigen einen alten Teppich oder eine feste Decke. Legen Sie eine Spur von zehn größeren Leckerlis, Apfel- oder Karottenstücken und rollen Sie den Teppich danach so auf, dass sich die Leckerlis in der Rolle befinden. Nur das erste Leckerli darf zu sehen sein. Führen Sie Ihr Pferd an den Teppich heran und warten Sie ab, ob es die versteckten Leckerlis findet.
Erkenntnis & Effekt: Für diese Übung braucht Ihr Pferd gute motorische Fähigkeiten (Kleinhirn) und eine gewisse Hartnäckigkeit. Dabei werden Hippocampus und das Großhirn stimuliert. Dank der direkten Belohnung durch die Leckerlis wird das Pferd motiviert, an der Übung dranzubleiben. Pferde, die sehr fit in diesen Hirnregionen sind, haben den Dreh schnell raus. Eher zurückhaltenden Tieren müssen Sie anfangs eventuell etwas auf die Sprünge helfen. Zeigen Sie einem zögerlichen Pferd, dass es den Teppich rollen kann.
Fluchtbereitschaft im Test

Betrifft: Mandelkern
Übung: Konfrontieren Sie Ihr Pferd am Boden mit einem Gegenstand, den es noch nicht kennt – zum Beispiel einen Regenschirm. Zunächst darf sich das Pferd den Gegenstand anschauen: Entweder er liegt auf dem Boden und Sie schicken Ihr Pferd hin oder Sie nähern sich damit. Möchte das Pferd daran schnuppern, darf es das gerne tun. Ist es eher ängstlich, halten Sie Abstand. Wichtig ist, dass sich Ihr Pferd damit beschäftigt. Lässt sich das Pferd mit dem Schirm an der Schulter berühren, berühren Sie es. Verhält es sich dabei ruhig, können Sie mit etwas Abstand den Schirm aufspannen und dann mit dem Schirm vorweglaufen.
Erkenntnis & Effekt: Manche Pferde verspannen sich, sie machen den Rücken fest, ziehen die Nüstern hoch oder gehen auch mal zur Seite – solche Reaktionen bewegen sich im normalen Rahmen. In solchen Momenten kann das Pferd noch denken und verarbeiten. Zeigt ein Pferd eine größere Reaktion, wie einen großen Satz zur Seite, starkes Prusten oder versucht es, sich loszureißen, ist der Mandelkern aktiv – der Bereich im Gehirn, den wir nicht fördern möchten. Denn wenn ein Pferd mit Angst oder Panik reagiert, kann es nicht mehr klar denken. Stresshormone besetzen dann nämlich die Bereiche des Gehirns, die fürs Denken zuständig sind. Der Mandelkern schaltet sich bei Gefahr ein, ohne einen Reiz vorher zu bewerten. Das Pferd kann diesen Fluchtreflex quasi nicht kontrollieren. In der Natur sichert ihm das sein Überleben, für Menschen kann der Reflex jedoch gefährlich sein. Da der Mandelkern wie alle Gehirnareale bei Beanspruchung leistungsfähiger wird, sollte er möglichst selten aktiviert werden. Falls Ihr Pferd sehr schreckhaft ist, gewöhnen Sie es in ruhiger Atmosphäre an Gegenstände aus dem Gelassenheitstraining. Auch eine bessere körperliche Balance durch sinnvolle Gymnastizierung sorgt für mehr Ausgeglichenheit.
Lernen durch Unterscheidung

Betrifft: Limbisches System, Hippocampus
Übung: Bringen Sie zwei Din-A4 große Zettel an einer Wand an. Ein Blatt bleibt weiß, auf dem anderen ist ein großes Kreuz gedruckt. Hängen Sie die Zettel in einem Abstand von 50 cm auf (also weiter auseinander als auf unserem Foto) und gehen Sie mit Ihrem Pferd aus etwa fünf Metern mittig und am langen Strick darauf zu. Pferde untersuchen gerne Neues und werden die Zettel sicher genau anschauen. Sobald Ihr Pferd das Kreuz anstupst, geben Sie ihm ein Leckerli oder belohnen Sie es mit der Stimme. Absolvieren Sie an einem Tag zehn bis 20 Anläufe und hängen Sie etwa alle drei Durchgänge die Zettel um. Erkenntnis & Effekt: Ihr Pferd kann wirklich gut unterscheiden, wenn es zu 80 Prozent richtigliegt. Mehr zum Versuch: CAVALLO-Ausgabe 6/2016 oder unter www.cavallo.de/unterscheidungstest. Diese Übung fördert die kognitiven Fähigkeiten von Pferden – sie lernen zu lernen, Dinge besser wahrzunehmen und zu unterscheiden. Viele Bereiche im limbischen System werden dabei stimuliert, zum Beispiel der Hippocampus. Gute kognitive Fähigkeiten helfen auch beim Reiten: Da müssen Pferde Hilfen unterscheiden – etwa ob ein Schenkel vorwärtstreibend, seitwärtstreibend oder verwahrend einwirken will.
Seitenwechsel fördern
Betrifft: Balken, Kleinhirn, Hippocampus
Hintergrund: Die Farben Blau und Gelb können von Pferden besonders gut wahrgenommen werden. Messungen haben ergeben, dass die Aktivität im Pferdegehirn steigt, sobald sie durch blaue und gelbe Gassen gehen.
Übung: Longieren oder reiten Sie Ihr Pferd im Schritt durch eine blau-gelbe Gasse. Geben Sie in der Gasse die Zügel so weit nach, dass der Kontakt zum Pferd minimal wird. Nach jedem Durchgang wechseln Sie die Hand.
Erkenntnis & Effekt: Durch die ständigen Wechsel von rechter und linker Hand wird der Austausch der beiden Gehirnhälften über den Balken angeregt. Weil das Pferd dabei die Beine koordinieren muss, wird zudem das Kleinhirn angeregt. Verliert das Pferd bei dieser Übung den Takt, hat es in diesem Bereich noch Defizite. Absolviert es die Gassen im Schritt flüssig, können Sie das Ganze im Trab probieren. Nach etwa acht Runden durch die Gassen sollten Sie Ihrem Pferd eine Pause gönnen. Insgesamt sollten Sie die Übung nicht öfter als dreimal pro Einheit machen.
Diagonale Verknüpfung verbessern

Betrifft: Balken, Hippocampus
Hintergrund: Pferde können Erfahrungen und Bewegungen nicht besonders gut von links auf rechts übertragen. Wahrscheinlich haben sie ihre beiden Körperhälften unterschiedlich gut unter Kontrolle.
Übung: Reiten Sie im Schritt eine Volte mit acht Metern Durchmesser. Achten Sie darauf, dass dabei vor allem der äußere Zügel und der innere Schenkel anliegen; der innere Zügel sollte nur kurz Stellung geben und danach wieder eine lockere Verbindung haben. Ihr Pferd sollte mit den Hinterhufen in die Spur der Vorderhufe treten. Dann wechseln Sie auf die andere Hand.
Erkenntnis & Effekt: Vermutlich wird diese Übung auf einer Hand besser klappen als auf der anderen. Das liegt nicht nur an der Schiefe, sondern auch daran, dass Pferde meistens eine Körperhälfte besser im Bewusstsein haben als die andere. Übungen, bei denen der äußere Zügel und das innere Bein zum Einsatz kommen, fördern den Austausch der Körperhälften. Dadurch verknüpft das Pferd die linke mit der rechten Körperhälfte besser. Klappen die Volten gut, reiten Sie seitwärts. Die anspruchsvolle Koordination stimuliert das Gehirn (Kleinhirn) zusätzlich. Besonders effektiv für die Rechts-links-Verknüpfung sind Schenkelweichen oder Traversalen mit vielen Richtungswechseln.
Das Körperbewusstsein steigern

Betrifft: Großhirn, Kleinhirn, Balken
Hintergrund: Pferde lernen Bewegungen vor allem über die Vorderbeine. Ihre Hinterbeine haben sie oft nicht besonders gut im Bewusstsein.
Übung: Gewöhnen Sie Ihr Pferd langsam an eine Hinterhandbandage und arbeiten Sie zunächst nur vom Boden aus. Sie können eine elastische Bandage oder ein Elastikband an einen Longiergurt oder den Sattelgurt anbringen. Arbeiten Sie mit wenig Zug – vor allem bei einem Elastikband. Beginnen Sie im Schritt und wechseln Sie erst dann zu schnelleren Gangarten, wenn Ihr Pferd den Wickel am Po akzeptiert. Später können Sie damit Lektionen erarbeiten und verfeinern. Wickeltechniken mit Elastikbändern finden Sie in CAVALLO 1/2018.
Erkennntnis & Effekt: Die elastische Bandage um den Pferdepo hilft dem Pferd, ein besseres Bewusstsein für seine Kruppe und die Hinterbeine zu bekommen. Die Körperbandage sendet über die Haut einen Reiz ans Großhirn und hilft dem Pferd so, diese Teile seines Körpers besser zu spüren. Das spricht wichtige Bereiche in Groß- und Kleinhirn an und sorgt für einen besseren Austausch von linker und rechter Gehirnhälfte.