Ruhe. Einfach nur Ruhe. Ein Reitverein mitten im Grünen, so ganz ohne Trubel, alle Gebäude verwaist, alle Pferde auf der Koppel. Nur Wallach Scirocco steht am Anbindeplatz und döst mit halbgeschlossenen Augen. Ab und an schlägt er mit dem Schweif oder stampft mit dem Huf. "Er hasst Fliegen", erklärt Sciroccos Reiter, der mit der einen Hand sein Pferd putzt und mit der anderen die Brummer verscheucht. Mitfühlend streicht er dem Wallach über die Nase.

Zusammen mit seinem Pferd ist Christoph Ackermann wie in einer Seifenblase, die niemalsplatzt. Der Mann hat entweder ein zufriedenesLächeln im Gesicht oder wirkt gelassen konzentriert.Genauso wie Scirocco, der im Wechsel chillt und die Öhrchen spitzt. Doch die beiden können auch ganz anders.
Während Scirocco von Null auf Hundert und wieder zurückschalten kann, sprudelt Christoph Ackermann wie ein Wasserfall, wenn es um sein Herzensthema geht: gutes klassisches Reiten. Und er wird laut, wenn er das Gegenteil davon sieht. Die heutige Sportreiterei ist dem Dressurreiter und Neindorff-Schüler ein Dorn im Auge. Er kämpft für das, was er gelernt hat, und zeigt mit seinem Scirocco, wie gut das funktioniert.
Bestnoten für schlechte Reiter regen Ackermann auf
Deshalb rafft er sich immer wieder auf, um sein Pferd auf Turnieren vorzustellen. "Obwohl ich da keinen Blumentopf gewinne", gesteht er und erzählt, wie oft er sich mit den Richtern anlegt, die schlechten Reitern immer wieder Bestnoten geben. "Ich bin inzwischen nicht gern gesehen."
Korrektes Reiten würde heute nicht mehr gewürdigt, sagt Ackermann. Spektakulär muss es sein und schnellen Erfolg bringen, aber das habe ja nichts mehr mit Dressur zu tun. "Die klassische Dressur fördert, was die Natur dem Pferd in den Schoß gelegt hat. Das erfordert Mühe, Geduld und Liebe für das Pferd. Aber diese Zeit nimmt sich ja heute niemand mehr."

Christoph Ackermann hat diese harte Schule durchlaufen. Reitmeister Egon von Neindorff war ein strenger Lehrer. "Wenn ich mein Pferd durch schlechtes Sitzen gestört habe,gab es Ärger und manchmal sogar einen Schlag ins Kreuz. Da war ich schon mal den Tränen nahe", gibt er zu.
"Mit dem können wir es probieren"
Doch die Liebe zu den Pferden ließ ihn durchhalten. Und die entdeckte er schon früh. Die Eltern hatten immer Pferde. Seine Mutter organisierte 1973, dass ihr Sohn bei Neindorff vorreiten durfte. "Mit dem können wir es probieren", sagte der Meister und von da an verbrachte der damals 14-Jährige die Wochenenden und Ferien am Reitinstitut. Mit den Pferden seiner Eltern absolvierte er dort die Reitabzeichen und machte die Ausbildung zum Amateurreitlehrer FN. Doch statt Pferde zum Beruf zu machen, entschied er sich für ein BWL-Studium. Das wollte der Vater zahlen, der Sohn fügte sich.
Seine Frau Sybille hat das nie verstanden. Sie ermunterte ihn 30 Jahre später, endlich das zu machen, wofür er brennt. Mit knapp über 50 Jahren meldete er 2012 ein Nebengewerbe an und baute Schritt für Schritt seine zweite Karriere als Reitausbilder aus. 2016 übernahm er die Anlage des Reitvereins Miltenberg bei Würzburg und investierte vor allem in den Komfort für die Pferde: mehr Licht im Stall und der Reithalle, größere Boxen und Winterausläufe – eine kleine Oase. Die elf Einstellerpferde gehen ebenso wie die drei Pferde der Ackermanns tagsüber raus, auch im Winter.

Dass Scirocco auch mal im Galopp über die Wiese brettert, gönnt sein Reiter ihm von Herzen, ohne die wertvollen Dressurpferdebeine in Watte zu packen. Auch beim Reiten schwingt Scirocco seine Hufe ohne Bandagen oder Gamaschen durch den Sand. Denn der Wallach hat trotz rund 1,76 Meter Widerristhöhe seinen Körper gut im Griff. Beinahe lautlos fußt er im sicheren Takt, nach dem man die Uhr stellen könnte – egal in welcher Haltung oder Lektion er geritten wird. "Die Reinheit des Gangs ist das Allerwichtigste", betont Christoph Ackermann, "wird aber kaum noch erfüllt. Wenn die Pferde über Tempo geritten werden und dabei mit den Hinterbeinen über die Spur der Vorderhufe hinaustreten, können sie sich nicht mehr in Balance halten. Das ist dann kein Arbeitstrab mehr."
Ackermanns Geheimnis: Mit dem Pferd sprechen
Immer mit der Ruhe ist das Motto. Denn die innere Losgelassenheit der Pferde ist für Ackermann die zweite Säule für gutes Reiten. Auch wenn Scirocco sich mal fürchtet oder mit tiefen Hanken eine kraftstrotzende Piaffe zeigt, wechselt er danach sekundenschnell wieder in den Entspannungsmodus. Ackermann spricht viel mit seinem Pferd, lobt, beruhigt oder sagt auch mal "so nicht, mein Guter". "Pferde gehen gerne, wenn wir ihnen ein gutes Gefühl geben", erklärt er. "Dann nehmen sie es uns auch überhaupt nicht übel, wenn wir sie mal kurz ermahnen oder sie sich anstrengen müssen." Was bei Christoph Ackermann und Scirocco so leicht aussieht, ist das Ergebnis langjähriger Arbeit.
Mit Scirocco hat alles auf einer Auktion in Verden begonnen. Nach einen Proberitt wusste Christoph Ackermann: "Dieses Pferd liegt mir." Obwohl der schlaksige Jungspund "von klein auf schon kaputtgeritten" war und nur spannige Bewegungen zeigte, hatte Ackermann sein Herz an ihn verloren. "Als ich ihn nicht mehr so eng im Hals gemacht habe, ging er plötzlich viel schöner", erinnert er sich. "Ziemlich blöd, denn auf einmal wollten die anderen Interessenten ihn auch haben."

Bei der Versteigerung lag Christoph Ackermann mit 39 Grad Fieber krank im Bett und hatte das Telefon am Ohr. "Als Scirocco dran war, war ich wohl bei 40 Grad", sagt er lachend. Er hatte Glück und bekam den Zuschlag. Und dieses Glück sehen wir noch heute in Christoph Ackermanns Gesicht, wenn er seinen nun 12-jährigen Wallach anschaut.
Deshalb tut er alles dafür, dass es seinem Pferd gutgeht. Auf Turnier geht er ganz selten "und dann müssen wir ganz lieb mit ihm sein", sagt Ackermann. Scirocco ist zwar das Fahren und fremde Umgebung gewohnt, "aber das bedeutet für jedes Pferd einen gewissen Stress", erklärt der Pferdemann. Für das eine Pferd etwas mehr, für das andere weniger – kein Pferd sei gleich, und das müsse man auch bei der Ausbildung berücksichtigen. "Da gibt es kein Schmema F für jedes Pferd. Wir dürfen die Tiere nicht in Schablonen pressen. Die Skala der Ausbildung gibt zwar den Rahmen vor, doch ich muss zugunsten der Persönlichkeit und des Typs eines Pferds auch mal einen Umweg beschreiten."

Ehefrau Sybille reitet die kleine Stute Fräulein Smilla. Ob sie auch mal auf Scirocco darf? "Ich dürfte schon, aber er ist für mich ein Heiligtum, das traue ich mich nicht. Dafür reite ich nicht gut genug."
Ihre Selbsteinschätzung muss wohl am kritischen Ehemann liegen. Sybille Ackermann reitet mit feiner Hand und korrektem Sitz, ihre Smilla wirkt zufrieden und aufmerksam. "Nicht reinlaufen lassen!", schallt es beim Angaloppieren schneidig in Neindorff-Style durch die Halle. "Aufnehmen, vorbereiten, angaloppieren", korrigiert der Göttergatte. Bei der Piaffe schimpft er: "Zu viel Druck auf der Hand!" und schickt gleich ein beschwichtigendes "Mädel, alles gut" hinterher. Das war für Smilla.
Versammelt in der Bahn und im gestreckten Galopp auf der Wiese zuhause
Gut sei sie geworden, die kleine Stute, und klopft ihr wohlwollend den Hals. Ackermann freut sich über die Fortschritte seiner Pferde, ist aber nicht nur in der Bahn zuhause. "Jetzt knattern wir noch die Wiese hoch", kündigt er uns strahlend an. Das machen Ackermanns in schöner Regelmäßigkeit. "Drei bis vier Stunden sind wir dann mit den Pferden weg", so Christoph Ackermann. Denn die Pferde brauchen auch mal den Kopf frei, um sich zu erholen.

Im Gegenteil zum Reiter, der plant schon sein nächstes Projekt: Ein Dressurabend im Reitverein – nur mit gutem klassischen Reiten natürlich. "Wir müssen das doch in die Welt hinaustragen", sagt Ackermann und hat einen großen Wunsch: "Die FN-Szene ist organisiert, da hält man zusammen. Warum klappt das bei den Klassik-Reitern nicht? Jeder kocht seine eigene Suppe. Ich hätte gerne Mitstreiter, die sich mit mir hinstellen und sagen: So geht es nicht weiter!"
Also kämpft Christoph Ackermann alleine weiter für die klassische Reitkunst und gibt den Pferden eine Stimme. Wobei, ganz alleine ist er doch nicht: Er hat Scirocco auf seiner Seite.