Auf insgesamt rund 30 Metern ist der Pferdedarm Heimat Billionen kleinster Lebewesen. Zusammen bilden sie die Darmflora. Von den winzigen Mitbewohnern hängt viel ab: Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Verwertung von Futter und sind wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Immunabwehr. Solange das Ökosystem Darmflora im Gleichgewicht ist, ist verdauungstechnisch alles in bester Ordnung. Doch schon kleine Veränderungen können für das Pferd verheerende Auswirkungen haben. Was gefährdet die Darmgesundheit – und was stärkt sie?
Die Darmflora, eine komplexe Gemeinschaft von Mikroorganismen
Geboren werden Pferde ohne Darmflora. Die Besiedlung des Verdauungstrakts mit lebenswichtigen Mikroorganismen setzt bei der Geburt ein. Fertig aufgebaut, ist die Darmflora eine hochkomplex zusammengesetzte Gemeinschaft von Bakterien, Pilzen und Einzellern. Je nach Darmabschnitt und dem dort vorherrschenden pH-Wert variiert diese Mikro-WG.
Unterschieden wird zwischen resistenten, also dauerhaft vorhandenen, und transistenten Mikroorganismen. Letztere vermehren sich im gesunden Darm nicht und werden ausgeschieden. Zu den normalerweise vorkommenden Mikroorganismen zählen:
- Laktobazillen
- Streptokokken
- verschiedene Gattungen von Enterobakteriazeen (wie Escherichia coli)
- diverse anaerobe und aerobe Bazillen
- Hefe- und Schimmelpilze.
Pferde brauchen die Darmflora für die Verdauung
Im Dünndarm werden die im Futter enthaltenen Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette in Aminosäuren, Fettsäuren und Zucker zerlegt und resorbiert. „Das geschieht nicht nur über Verdauungssäfte mit entsprechenden Enzymen, sondern auch durch Keime“, erklärt Tierärztin Dr. Kathrin Irgang, die auf Rationsberechnung bei Pferden spezialisiert ist. Durch den Dünndarm flutscht der Futterbrei mit 20 Zentimetern pro Minute in rund einer Stunde durch.
Länger dauert es im Dickdarm: Der lässt sich mehr als 24 Stunden Zeit. „Hier leisten unzählige zelluloseverdauende Keime enorme Arbeit“, erläutert Dr. Kathrin Irgang. Ohne diese anaeroben, also nicht auf Sauerstoff angewiesenen Bakterien könnte das Pferd seine Hauptnahrung – Raufutter wie Heu – gar nicht verwerten. Denn die Bakterien produzieren Enzyme. Die wiederum zerlegen die Zellulose, die Bestandteile des Raufutters, in komplexe Kohlenhydrate. Dabei werden auch wertvolle Mineralien, Spurenelemente und Vitamine freigesetzt. Eine intakte Darmflora sorgt also für die optimale Nährstoffausbeute. Und sie leistet noch mehr.
Die Darmflora als Immunpolizei
Die „guten“ Keime hindern schädliche Keime daran, sich an der Darmwand festzusetzen oder gar in die Blutbahn zu dringen. Das leisten sie zum einen durch eine starke mikrobielle Barriere. Zum anderen bilden einige von ihnen Stoffwechselprodukte, die auf andere Keime toxisch wirken. Geringe Vorkommen von Salmonellen gelten etwa als ungefährlich, weil sie von Escherichia coli und Streptokokken in Schach gehalten werden können. Solange sie im Verhältnis zu den nützlichen Keimen nicht überhand nehmen, herrscht Gleichgewicht im Darm; man spricht von Eubiose.
Darüber hinaus fördern die Mikroorganismen einer intakten Darmflora die Bildung von Immunglobulinen, die wiederum die Abwehr stärken und Allergien vorbeugen können.
Darmflora beim Pferd als Ökosystem
Welche Auswirkungen die verschiedenen Darmbewohner genau auf den Pferde-Organismus haben, ist noch längst nicht geklärt. „Die Darmflora ist ein individuelles, hochkomplexes Ökosystem, von dem wir ein inkomplettes Wissen haben“, erklärt die Veterinärin Dr. Kathrin Irgang.
Die Darmflora zu erforschen, ist außerdem ziemlich schwierig: Probenentnahmen aus dem Dünn- und Blinddarm sind beim lebenden Pferd nur mittels einer künstlichen Fistel, also eines Zugangs zum Darm durch die Haut, möglich. Diese Methode ist extrem aufwändig, repräsentative Studien mit ausreichend hohen Fallzahlen sind daher bislang kaum möglich.
Eine Kotprobe verrät längst nicht alles
Über die Dickdarmflora gibt eine Kotprobe Aufschluss – sollte man meinen. Vorsicht: Eine solche liefert nicht unbedingt der Weisheit letzten Schluss. Denn eine Kotprobe gibt nur Auskunft darüber, welche Mikroorganismen im letzten Darmabschnitt vorhanden sind. Wie es weiter vorne aussieht, zeigt sie nicht.
Weiteres Problem: Es gibt keine Richtwerte für Anzahl und Verhältnis von Bakterien, Pilzen und Einzellern. „Wir wissen noch nicht, was eine ,normale’ Darmflora überhaupt ist“, so Irgang. Zudem sind Kotuntersuchungen nicht so standardisiert wie Blutbilder. Testprofile der Labore können sich stark unterscheiden. Was wir bei unserem Test mit Kotproben herausgefunden haben, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Dennoch kann eine Untersuchung der Darmflora hilfreich sein, zum Beispiel, wenn sie einen auffallend starken Pilz- oder Salmonellenbefall nachweist. Tierheilpraktiker Ingmar Ostermaier, der sich auf das Thema Darmgesundheit beim Pferd spezialisiert hat, rät zweimal im Jahr zu einem prophylaktischen Test: „So kann ich frühzeitig erkennen, ob etwas im Argen liegt und gegensteuern – nicht erst, wenn Symptome auftreten.“
Das Ökosystem Darm ist hochempfindlich
„Die extreme Nahrungsspezialisierung des Pferds macht seine Darmflora deutlich störungsanfälliger als die anderer Tiere“, erklärt Irgang. „Schon kleinste Änderungen in der Fütterung haben große Auswirkungen auf das Mikrobiom“, also auf das Leben der Mikroorganismen. Alter, Stress, Schmerzen oder eine Antibiotikum-Behandlung sind weitere Faktoren, die die Darmflora verändern können. Und das rasant schnell, denn Bakterien haben extrem kurze Reproduktionszyklen. „Eine Änderung der Mikroflora ist schon innerhalb einer Stunde zu beobachten.“
Auch körperliche Aktivität scheint sich auf das Mikrobiom auszuwirken. Eine brasilianische Studie zeigte kürzlich, dass sich die Darmflora von gerade antrainierten Jungpferden ändert. Sobald sie an das Training gewöhnt waren, kehrten sie zu den Ausgangswerten zurück.
Falsches Futter bringt die Darmflora aus dem Tritt
Das falsche Futter kann zum Beispiel schimmelpilzbelastetes Heu sein, zu viel frisches Gras oder auch ein Übermaß an Kraftfutter. „Die meisten Pferdebesitzer überschätzen den Energiebedarf ihres Pferds deutlich“, sagt Jasminka Ivanovic, Diplom-Agraringenieurin und Futterberaterin bei der Firma Masterhorse.
Wird zu viel Kraftfutter gefüttert, passieren große Mengen an Stärke den Dünndarm sehr schnell und gelangen unverdaut in den Dickdarm, wo sie nicht hingehören. Hier vermehren sich die kohlenhydratspaltenden Bakterien, die eigentlich in der Minderheit sind, explosionsartig. „Die Bakterien bilden Milchsäure, und große Mengen an flüchtigen Fettsäuren werden freigesetzt“, erklärt Ivanovic.
Die Folge: Der pH-Wert sinkt, und die wichtigen zelluloseverdauenden Bakterien sterben ab. Giftstoffe entstehen und gelangen durch die Darmschleimhaut in den Organismus, wo sie gefäßschädigend wirken. Schlimmstenfalls können sie eine Hufrehe auslösen. Ähnlich verhält es sich mit einem Zuviel an fruktanreichem Gras: Die darin enthaltenden Zuckermoleküle rauschen unverdaut in den Dickdarm – mit denselben Folgen. (Ratgeber zum Weidegang für Pferde mit Rehe, EMS oder Cushing).
Kommt die Darmflora aus der Balance, steigt das Infekt-Risiko
Die Symptome einer solchen „Übersäuerung“ sind länger andauernder Durchfall, Kotwasser, übermäßige Blähungen oder gar Koliken. „Auch Empfindlichkeit an der Flanke beim Putzen, ein harter, gespannter Bauch und Bewegungsunlust deuten auf eine gestörte Darmflora hin“, erklärt Ostermaier.
Dauert das Ungleichgewicht der Darmflora – die sogenannte Dysbiose – länger an, kann Nahrung nicht mehr optimal verwertet werden. Die Darmflora versagt zudem als Immunpolizei. Krankheitserreger dringen durch die Schleimhaut, vor allem, wenn die Darmwand durch den zu niedrigen pH-Wert geschädigt oder entzündlich verändert ist.
Die Folgen: schlechter Allgemeinzustand, Atemwegsinfektionen, Allergien und und und. „Viele dieser Erkrankungen bringt man zunächst gar nicht mit einer gestörten Darmflora in Verbindung“, sagt Tierheilpraktiker Ostermaier. „Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht: Bei einer ganzheitlichen Betrachtungsweise stößt man in sehr vielen Fällen auf den Darm als Ursache für Erkrankungen.“
Welches Futter den Darm in Schuss hält:
„Wichtig ist genug Raufutter von hoher Qualität, keine langen Fresspausen, das Heu vor dem Kraftfutter und Kraftfutter maßvoll geben“, fasst Jasminka Ivanovic die wichtigsten Regeln zusammen. Hochwertiges Heu ist das A und O, betont auch Dr. Kathrin Irgang: „Moderne Futterempfehlungen gehen von 1,7 Kilo Heu pro 100 Kilo Idealgewicht des Pferds ohne Weidegang aus.“
In punkto Kraftfutter rät Dr. Irgang, maximal 300 Gramm Kraftfutter pro 100 Kilo Körpermasse pro Mahlzeit zu füttern. Wie wichtig häufige, kleine Portionen sind, zeigt eine Studie der Southern Illinois University: Je nachdem, ob ein Pferd die Kraftfuttermenge auf einmal oder über drei Portionen verteilt erhielt, unterschied sich die Blinddarmflora. Vor allem, was den Anteil der Streptokokken anging, die im Verdacht stehen, Hufrehe auszulösen: Ihre Anzahl blieb bei mehreren Mahlzeiten relativ gleich, während sie bei nur einer Mahlzeit stark schwankte.
Wie das Pferd futtert, spielt ebenfalls eine Rolle. „Schlingt es, wird die Nahrung nicht ausreichend zerkaut. Das kann zu Fehlgärungen im Verdauungstrakt führen“, erklärt Jasminka Ivanovic. In dem Fall rät sie zu kleinen Portionen in kürzeren Intervallen, um Hungerattacken zu vermeiden. Heu sollte im Netz gegeben werden, damit das Pferd langsamer frisst. „Für optimales Kauen müssen auch die Zähne in Ordnung sein“, sagt Ivanovic.
Bei Alarm im Darm gilt:
Zuerst Grundfütterung prüfen und optimieren. Ostermaier geht so vor: „Mein Ziel ist, größtmögliche Ruhe in den Darm zu bringen. Dazu sollte das Pferd so viel Heu fressen, wie es möchte, und kein Kraftfutter oder Extras wie Leckerli oder Karotten erhalten.“
Will man mit Ergänzungsfuttermitteln unterstützen, gibt es zwei Varianten: Prebiotika dienen den „guten“ Dickdarmbakterien als Nahrung und fördern ihre Aktivität. Probiotika sind lebende Mikroorganismen. Nach deutschem Futtermittelgesetz ist dies ausschließlich die Lebendhefe Saccharomycenes cerevisiae – was zeigt, wie wenig man noch immer über die Wirkung anderer Mikroorganismen auf die Darmflora weiß. „Die speziellen Lebendhefekulturen fördern die Bildung von milchsäurenutzenden Bakterien. Der pH-Wert ist stabiler, die Rohfaserverdaulichkeit besser“, erläutert Ivanovic.
Allerdings können die Hefen sich nicht dauerhaft im Darm ansiedeln. Viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit der Probiotika; dennoch bezweifeln manche Fachleute, dass die Hefepilze das extrem saure Milieu des Magens überstehen und lebend im Darm ankommen. Balsam für den Darm sind Leinsamen und bitterstoffhaltige Kräuter: „Gute Erfahrungen habe ich mit Kamille, Melisse und Mariendistel gemacht“, sagt Dr. Irgang. „Auch Rübenschnitzel fördern die Darmbakterien, sie dürfen aber nicht melassiert sein.“
Auch bei Extras gilt: nicht übertreiben. Und: Wenn die Grundfütterung nicht stimmt, bleiben sie wirkungslos. Hält man sich jedoch an die Regeln, die der Darm vorgibt, bleiben das Pferd und seine Billionen Mitbewohner im Gleichgewicht – und gesund.
Test: Was verrät die Kotprobe?

Der Testkandidat
Wallach Donald ist 14 Jahre alt. Er hat einen allergiebedingten Lungenschaden, 2015 bekam er Hufrehe. Donald lebt im Laufstall. Er bekommt täglich Heu, soviel er will, ca. 500 g eines getreidefreien Müslis sowie ca. 70 g Mineralfutter. Beim Fressen schlingt er. Der Kot ist augenscheinlich normal.
Labor Dr. Böse, Harsum
Ergebnis: Kein Nachweis von Pilzen und Salmonellen. Die bakteriologische Untersuchung fand bei Escherichia coli, aeroben Sporenbildnern und Micrococcus species „geringgradiges“, bei Enterococcus faecium und alpha-hämolysierenden Streptokokken „mittelgradiges Wachstum“. Der pH-Wert wurde nicht angegeben.
Folgerungen: Laut den Ergebnissen ist bei Donald alles in Ordnung. Die getesteten Keime sind normalerweise alle in der Darmflora enthalten, ihr Vorkommen im Rahmen. Im Fall von Micrococcus species ist interessant: „Er wird bei übermäßigem Vorkommen in der Darmflora mit Typhlocolitis, einer oft tödlich verlaufenden Darmentzündung, in Zusammenhang gebracht“, erklärt Dr. Kathrin Irgang.
Labor Vetscreen, Bad Kissingen
Ergebnis: Die Untersuchung auf Schimmel- und Hefepilze sowie Salmonellen fiel auch hier negativ aus. An Bakterien wurden Enterokokken, aerobe Sporenbildner, Bacillus Cereus, Citrobacter und Enterobacter untersucht – alle mit dem Ergebnis „kein Nachweis“. Bei Escherichia coli stellt das Labor einen „mäßigen Gehalt“ fest und weist darauf hin, dass manche der Isolate hämolysierende Eigenschaften zeigen – also rote Blutkörperchen auflösen können, was „als Dysbakterieauslöser in Betracht zu ziehen“ sei. Weiterhin wurde die Probe auf Clostridien untersucht, die nicht nachgewiesen wurden. „Diese Bakterien stehen im Verdacht, Toxine zu bilden, die Typhlocolitis auslösen können“, erklärt Dr. Irgang. Die Gesamtbeurteilung des Labors lautet: „Keine pathogenetische Relevanz von Keimart und -menge.“ Bei der Probe wurde der pH-Wert 6,5 gemessen. Als Toleranzbereich ist 6,5-8,0 angegeben.
Folgerungen: Die Untersuchung weist zwar keine krankmachenden Keime nach, doch fehlen Donald laut Befund Enterokokken, aerobe Sporenbildner, Bacillus Cereus und Citrobacter – Keime, die eigentlich vorhanden sein müssten. Für Tierheilpraktiker Ingmar Ostermaier weist dies auf eine Dysbiose mit Übersäuerung hin. Durch das Schlingen könnten zu große Nahrungspartikel in den Darm gelangen und Fehlgärungen auslösen. Dafür spreche auch der niedrige pH-Wert von 6,5. Dies könne die Lungen- und Hufprobleme erklären.
Fazit
Die bakteriologischen Untersuchungen decken sich bei Enterokokken, aeroben Sporenbildnern und Escherichia coli, kommen aber nur bei Letzteren zum gleichen Ergebnis. Darüber hinaus untersuchten die Labore verschiedene Keime und bilden damit ein anderes Profil der Darmflora ab.
Dr. Kathrin Irgang zweifelt die Richtigkeit der jeweiligen Ergebnisse nicht an, sieht sie aber mit gewissem Vorbehalt, da die Proben nicht per Kurier geschickt wurden und auf dem Postweg unterschiedlich lange unterwegs waren. Manchmal würden bereits ein bis zwei Tage Weg reichen, um Resultate etwa durch Sauerstoff zu beeinflussen. Das könnte erklären, warum Donald laut Laborbefund wichtige Darmbakterien fehlen, obwohl er sehr gut und kohlenhydratarm gefüttert wird: „Man muss Testergebnisse immer zum Gesamtbild in Bezug setzen. Man behandelt letztlich nicht das Laborergebnis, sondern das Tier“, sagt Dr. Irgang. In jedem Fall gilt: Die Deutung der Ergebnisse muss ein Fachmann vornehmen.
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