Fressen Pferde gezielt heilende Kräuter?

Wenn sich Tiere selbst heilen
Fressen Pferde gezielt heilende Kräuter?

Veröffentlicht am 20.06.2025
Ein Pferd frisst auf einer blühenden Wiese
Foto: Joelle Paur/ gettyimages

Fressen Pferde bestimmte Kräuter zur Selbstmedikation?

Zielstrebig zieht Stute Mia dorthin, wo besonders viel Spitzwegerich wächst. Wallach Dino ist heiß auf die abgemähten, angewelkten Brennnesseln am Koppelrand. Einfach Geschmackssache – oder fressen Pferde bestimmte Kräuter, um ihren Gesundheitszustand zu verbessern? Dass Tiere das, was die Natur ihnen gibt, zur Selbstmedikation nutzen, ist wissenschaftlich belegt. Zoopharmakognosie lautet der etwas sperrige Fachbegriff dafür; seit 1987 gilt sie als anerkannte wissenschaftliche Disziplin. Nur: Was ist Zufall, was wirklich Selbstmedikation?

Tiere sind erfinderisch, um sich selbst zu heilen

Für Letztere müssen die Tiere einige Faktoren erfüllen: Sie müssen Erkrankungsanzeichen haben, die sich bessern, nachdem das Tier bestimmte Pflanzen(-teile) gefressen hat. Die Pflanzen dürfen keinen Nährwert besitzen, üblicherweise nicht gefressen werden (auch nicht von anderen Mitgliedern der Herde oder Gruppe). Und: In dem Kraut müssen Substanzen stecken, die pharmakologisch aktiv sind, also quasi wie ein Medikament wirken. Beispiele gibt’s einige: Schimpansen schlucken haarige Blätter, um Würmer loszuwerden, oder saugen Äste bei Durchfall aus. Wiederkäuer mit Magen-Darm-Parasiten fressen mehr tanninhaltige Pflanzen. Und Pferde?

Studien zur Zoopharmakognosie bei Pferden sind mehr als rar. Für seine Dissertation an der Colorado University 2008 gab Tierarzt David Williams vier chronisch lahmen Pferden mit Medikamenten versetzte Karotten bzw. Äpfel. Ihm zufolge konnten die Tiere einen Geschmack mit der Wirkung "Schmerzfreiheit” verbinden. Aktuell untersuchen Forschende der Universität Calgary, ob Wildpferde bestimmte Kräuter gegen Darmparasiten fressen; Ergebnis offen. Weitere Studien? Fehlanzeige.

So positiv wirken Kräuter auf dein Pferd

Heilkräuter sind die erste Medizin: Früheste Aufzeichnungen sind über 5 000 Jahre alt; für Pferde gab es erste Kräuterbücher ums Jahr 900. Warum welches Kraut wie wirkt, wissen wir häufig bis heute nicht; daher verlassen wir uns oft auf Erfahrungen wie diese:

Brennnesseln sollen bei der Entgiftung helfen, harntreibend und beruhigend aufs Pferd wirken. Als Tee oder Tinktur aufgekocht, kann die Pflanze bei Allergien oder Juckreiz helfen.

Löwenzahn gibt’s auf fast jeder Koppel. Das Kraut regt die Produktion von Verdauungssäften an und soll Leber und Niere unterstützen.

Schafgarbe wird nachgesagt, dass sie den Appetit anregt und bei Verdauungsbeschwerden hilft; das Kraut soll leicht krampflösend wirken.

Spitzwegerich enthält Schleimstoffe; diese sollen reizlindernd wirken. Gerbstoffe in der Pflanze sowie Iridoidglykoside sollen die Atemwege zudem beruhigen.

Wichtig: Kräuter können im Übermaß schaden und Nebenwirkungen haben. Also mit Köpfchen füttern; im Zweifel den Tierarzt holen.

Wissen Pferde instinktiv, welches Kraut richtig für sie ist?

Dass Pferde instinktiv wissen, was sie brauchen, davon ist etwa Caroline Ingraham überzeugt. Die Britin, die mit Forschern auf dem Gebiet der Zoopharmakognosie zusammenarbeitet, hat Selbstmedikations-Kurse entworfen. Deren Prinzip: Das Pferd bekommt 20 bis 25 verschiedene Pflanzenextrakte angeboten; es kann wählen, was es frisst und an welchen ätherischen Ölen es danach riecht. Was die Pferde mögen, bekommen sie so lange von ihren Besitzern angeboten, bis sie genug haben.

Im Frühjahr knockt die Gier aufs Grün die Instinkte aus

Prof. Ellen Kienzle, emeritierte Inhaberin des Lehrstuhls für Tierernährung und Diätetik der LMU München, sieht das kritisch: Ohne wissenschaftliche Herangehensweise könne man aus den Fress-Ergebnissen keine validen Aussagen ableiten. Dass Pferde auf der Weide gezielt Pflanzen auswählen, hält sie für sehr unwahrscheinlich: "Die sind im Frühjahr einfach gierig auf Grünfutter. Das setzt Mechanismen wie Nahrungsprägung, erlernte Aversion und sogar Meideverhalten für bestimmte Geschmacksrichtungen wie bitter effektiv außer Kraft. Die meisten Pferde schaffen es so nicht mal, Giftpflanzen zu meiden.” Lässt die Gier nach, werden ihrer Erfahrung nach Kräuter wie Kamille oder Wegerich eher gemieden. Auf die Instinkte sollte man also nicht unbedingt setzen.