Guten Flug: Von Deutschland in die USA

Wenn Pferde fliegen
Guten Flug: Von Deutschland in die USA

Zuletzt aktualisiert am 19.01.2009
CAV Animal Lounge
Foto: Rädlein

Nandolinos Augen sind heute noch größer als sonst. Der kleine Schimmelwallach sieht aus, als wüsste er, was ihm bevorsteht: eine große Reise in ein fremdes Land, ohne Rückreiseticket.

Zusammen mit der Stute Schneeglöckchen und dem Wallach Glorious Feeling wird Nandolino von Frankfurt nach New York fliegen und dann weiter nach Vermont reisen. Die große Reise hat das Trio seiner Besitzerin zu verdanken. Sie heißt Jutta Lee und will auswandern. Die gelernte Zahntechnikermeisterin fängt in den USA neu an – und hat sich kurzerhand entschlossen, ihre Pferde, die sie nicht zurücklassen möchte, einfach mitzunehmen.

In der Animal Lounge am Frankfurter Flughafen werden die drei abgefertigt.
Dort kommen die Pferde im Transporter an und werden in einen Container verladen. „Meine Pferde sind Hänger fahren gewohnt, ich glaube nicht, dass Fliegen anstrengender ist“, erzählt Jutta Lee. Die 51jährige aus Renningen bei Stuttgart fährt häufig auf Turniere.

Deutschlands einzige Flughafen-Tierstation

CAV Animal Lounge
Rädlein

Erst im Februar 2008 wurde das neue Gebäude in Betrieb genommen. 80 Prozent der Gäste – vom Anglerwurm bis zur Giraffe – sind hier nur auf Zwischenlandung. „Wir haben diese Station ,Lounge’ genannt, weil die Tiere nur sehr kurz bei uns sind“, erklärt Lounge-Leiter Axel Heitmann.

Auch die Pferde von Jutta Lee werden nur wenige Stunden hier verbringen. „Sie kommen nicht mehr in die Box, sondern gleich in den Container“, ordnet Heitmann an. Jutta Lee hat außer ihren drei Pferden noch drei Ballen Heu, drei Kanister Wasser, drei Tränkeeimer, Pferdedecken und ihren Koffer im Gepäck.

Glorious Feeling, genannt Glory, ist misstrauisch, als er den Container besteigen soll. Doch er überlegt nur kurz. „Glory ist erst vier Jahre alt, er hat noch nicht so viel Erfahrung“, erzählt seine Besitzerin. Sie kaufte den Württemberger Wallach mit der neckischen Zeichnung am Maul als Absetzer.

„Ich hatte ihn schon bei seiner Züchterin entdeckt, doch da war er mir viel zu teuer.“ Durch Zufall landete Glory bei der Züchterin von Schneeglöckchen, und Jutta Lee konnte ihn günstig erwerben.

Schneeglöckchen ist beim Verladen souveräner. Ohne zu zögern stapft die Stute in den Container. Günter Weitzel assistiert. „Ich bin so etwas wie ein Steward am Boden“, scherzt er und empfiehlt: „Machen Sie die Decken besser runter, im Container wird es sehr heiß.“

Vormann Weitzel sorgt für ein reibungsloses Verladen und bereitet den Flugschein vor. Er hat selbst privat mit Pferden zu tun und ist begeistert, wie mutig die drei Pferde den Einstieg in den Container meistern.

Tierische Gäste an Bord

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„Die Wallache bleiben zwei Tage in Quarantäne, die Stute zwei Wochen“, erzählt Jutta Lee. Da Schneeglöckchen eventuell zur Zucht eingesetzt wird, muss sie frei von Geschlechts- krankheiten sein – und zum Test jeden Tag eine Tupferprobe abgeben.

Außer den drei Pferden gibt es an diesem Freitag kaum tierische Gäste. „Die Stoßzeiten sind unter der Woche“, erklärt Axel Heitmann. Ein Gast jedoch wartet schon seit sieben Tagen auf seinen Flieger. Alan, ein deutscher Schäferhund, sollte über Bangkok nach Kuala Lumpur fliegen. Doch wegen der Flughafenbesetzung in Thailand wurden alle Flüge gestrichen. Tierpflegerin Eva Schäfer verschafft dem Hund jeden Tag Bewegung in der Halle.

Auch Fische fliegen ab Frankfurt

Dort warten außerdem unzählige Zierfische auf ihren Weiterflug. In riesigen Stückzahlen kommen sie aus dem Amazonas nach Frankfurt. „Unsere Veterinäre öffnen als Stichprobe zwei Kartons und sehen nach, ob die Fische gesund sind“, erklärt Heitmann. „Sie schwimmen in Plastiktüten. Ist das Wasser schlecht, befüllen die Tierärzte neue Tüten. Damit kein verseuchtes Wasser in die Kanalisation dringt, gibt es einen 16000-Liter- Tank, der Abwasser für 48 Stunden speichert und stets kontrolliert wird.

Film-Wal im Flieger

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Die deutschen Starpferde dagegen flogen zur letzten Olympiade über Amsterdam nach Peking. Langsam wird es für die drei Pferde ernst. Jetzt müssen Nandolino, Schneeglöckchen und Glory im Container auf die Waage. Einer der Frachtarbeiter fährt sie mit einer Art Gabelstapler dorthin. 1600 Kilo wiegen die Tiere, 2630 Kilo mit Container.

Danach gibt es für die Vierbeiner eine kleine Mash-Mahlzeit. Und wie sieht es mit Beruhigungtropfen aus? „Ich habe Rescue-Tropfen dabei, will sie aber eigentlich nicht benutzen“, erklärt Lee. Heitmann ergänzt: „Wir empfehlen Tranqualizer nur, wenn es wirklich nötig ist.“ Gerade bei Pferden ist die Gefahr groß, dass sie bei einer Sedierung zusammensacken. Und jeder Pferdebesitzer weiß: Dann besteht akute Lebensgefahr.

Die drei Reisenden machen nervlich einen stabilen Eindruck, so brauchen sie erst mal kein Beruhigungsmittel. Dabei müssen sie noch eine Weile warten, bis sie in die Frachtmaschine eingeladen werden.

Pferde sind sicher gelandet

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„Der Transfer auf dem Carrier, der uns zum Flieger zog, war laut und wackelig.“ Sie durfte bei den drei Piloten im Cockpit mitfliegen. „Eine interessante Erfahrung“, sagt Lee. Die Pferde reagierten während des Flugs recht gelassen.

Nach der Landung in New York musste Lee ihre drei Schützlinge in der Quarantänestation abgeben. Der Pferde-LKW wurde versiegelt. Zwei Tage später durften Nandolino und Glory in ihr neues Zuhause: die Appledore Farm in Vermont, im Nordosten der USA.

Ein Zurück gibt es für die deutschen Pferde erst mal nicht: Nach dem Umzug und dem Kauf der Farm ist Jutta Lee jetzt blank. Doch warum sollten sie auch zurück wollen?

Gut zum Flug: Animal Lounge

Die Frankfurter Animal Lounge ist die einzige Flughafen-Tierstation in Deutschland. Mitte Februar 2008 wurde der neue Komplex in Betrieb genommen. Er liegt im Norden des Airports auf 3750 Quadratmetern Fläche.

Alle denkbaren Tierarten, vom Angelwurm bis zur Giraffe, waren hier schon zu Gast. Auch elf sibirische Wölfe, die nach Kanada reisten, logierten kürzlich in der Animal Lounge. Jährlich fliegen von hier aus rund 14000 Hunde und Katzen sowie 1500 Pferde.

Die Lounge hat 42 Großtierställe, 39 Kleintierboxen und spezielle Vogelvolieren. 60 Mitarbeiter sind als Tierpfleger und Frachtarbeiter im Einsatz, darunter 25 Veterinäre, die das Land Hessen beschäftigt.

Der Flug nach New York kostet pro Pferd rund 6000 Euro. Die Tiere fliegen mit einem der 19 Frachtflugzeuge vom Typ MD-11F, oder sie reisen in Frachträumen von Passagierflugzeugen.