Runde um Runde galoppiert der Quarter-Wallach. Bis er klatschnass ist. Seine Reiterin zieht ihn nach Rollkurmethode zusammen. Maul und Augen sind aufgerissen, er ist völlig verspannt. Andere Reiter flexen pausenlos und verlangen einen Spin nach dem anderen.
Solche Bilder waren bei der Q8, den Internationalen deutschen Meisterschaften der Quarter Horses in Aachen, an der Tagesordnung. CAVALLO hielt sie zusammen mit der Richterin, Trainerin und Psychologin Dr. Ulrike Thiel fest. Zusätzlich beurteilten die Experten Peter Kreinberg und Simone Boden die Fotos.
Reiter die an Zügeln zerren

Bereits im vergangenen Jahr besuchte CAVALLO die Abreiteplätze der Spring- und Dressurprofis auf dem Mannheimer Maimarkt (Heft 7/2007) und die Weltmeisterschaften der Islandpferde (Heft 11/2007). Überall sah das Team ähnliche Bilder: Reiter, die an den Zügeln zerrten und damit ihre Defizite im Balancesitz ausgleichen wollten.





"Obwohl ich kein Westernspezialist bin, kann ich gleich erkennen, welche Pferde richtig und welche falsch trainiert werden", stellt Ulrike Thiel fest. Sie macht ihr Urteil am Bewegungsmuster, an Muskelentwicklung und Körperausdruck fest: "Einige Pferde haben feste Ganaschen, einen festen Unterhals und einen Krampfrücken. Sie sind verspannt und zeigen häufig Lendenblockaden. Manche trauen sich nicht mehr ans Gebiss heran."
Thiel weiß, woran das liegt: "Ob im Trail, in der Reining oder der Hunter-Klasse, es gibt drei Verhaltensschemata: erstens die Reiter, die es gut machen wollen, aber nicht genug ausgebildet sind und deswegen mit zu viel Hand und ohne Balancesitz einwirken. Zweitens die Gruppe, die ein extremes Kontrollbedürfnis hat und in Kauf nimmt, dass das Pferd physisch und psychisch verkrampfen muss. Zum Glück gibt es eine dritte Gruppe von Reitern, die ihr Pferd mit einem unabhängigen, einfühlsamen Sitz unterstützen." Die Bilder von der Q8 waren zwar laut Thiel weniger drastisch als vom Maimarkt und den Islandreitern, trotzdem gebe es auch hier Handlungsbedarf.
Was sieht die Abreiteaufsicht?
Sie wurde - anders als bei vielen Klassikprüfungen - fündig und auch ernst genommen. "Wir werden ein Auge darauf haben", versicherte die Abreiteaufsicht. Just in diesem Moment beendete die Reiterin ihre Lektionen.






Daniela Pflüger, Westernreiterin aus dem hessischen Riedstadt, machte auf der diesjährigen Americana, der Messe für Western- und Freizeitreiter, andere Erfahrungen. Als sich Pflüger bei der Platzaufsicht über einen Reiter beschwerte, der ihr negativ auffiel, bekam sie folgende Antwort: "Wir sind dafür zuständig, dass das Equipment regelgerecht ist und die Pferde nicht blutig geritten werden. Wenn wir auch noch nach so was schauen, könnten wir hier gleich dichtmachen."
Sabine Matt, Westerntrainerin aus dem
württembergischen Schöntal, hatte sich während der Americana auf der Tribüne der Show-Arena bis nachts um halb vier verquatscht. "Dort übte ein Reiter seine Stops", erzählt sie. "Einmal ließ er das Pferd voll gegen die Bande laufen, ein paar der Sperrholzbretter zerbrachen, die Gamaschen flogen weg. Der Reiter wurde ausgebuht. Seine Reaktion: ,Ups, da habe ich wohl zu spät gestoppt.'"
Abreiten auch bei Nacht

"Wir hatten 650 Reiter und Pferde auf dem Gelände. Pleasure- und Trail-Reiter können sich die Abreitehalle nur schwer mit Reining-Reitern teilen. Deswegen stellten wir eine Zeiteinteilung zum Abreiten auf", erklärte Hans-Jürgen Förster, Präsident der Deutschen Quarter Horse Association (DQHA). Auch in der Nacht waren Aufsichten eingeteilt, die allerdings laut Förster nichts zu tun hatten: "Die nächtlichen Abreitestunden wurden nicht genutzt."





Zum Abreiten akzeptiert die DQHA "Draw Reins", die Westernvariante der Schlaufzügel. Meist sogar ohne zusätzliche Zügel. "Die Übersetzung solcher Schlaufzügel ist Wahnsinn", stellt Ulrike Thiel fest. Auf Turnieren der Ersten Westernreiter Union (EWU) sind sie verboten. "Es gelten die gleichen Ausrüstungsbestimmungen wie für die Prüfung", erklärt Miriam Abel, Geschäftsstellenleiterin der EWU. "Zusätzlich sind ein gleitendes Ringmartingal, Sperrhalfter und Beinschutz beim Abreiten erlaubt." Die anderen Institutionen "übernehmen die Regeln der US-Verbände", erklärt Western-Expertin Simone Boden.
Ungewöhnliche Hilfszügel und Gebisse

"So weit ich es auf dem Foto erkennen kann, drückt das Mundstück bei nicht aufgenommenem Zügel gegen den Oberkiefer, bei Annehmen auf die Zunge beziehungsweise den Unterkiefer. Durch den Hebel und die Kinnkette wird der Druck verstärkt. Das Mundstück scheint bei Zügeldruck die Zunge einzuzwängen und beim Nachgeben wie eine Maulsperre zu wirken."





Laut Förster ist dieses Gebiss nach amerikanischem Regelbuch auch in Prüfungen erlaubt. Der DQHA-Präsident erklärt die Wirkungsweise: "Wird der Zügel angenommen, spaltet sich der Druck auf und wird gleichzeitig zwischen Mundstück und Kinnriemen verteilt. Dieser neue Hebel signalisiert dem Pferd, sich zu versammmeln und die Schultern zu heben. Der Druck geht nicht nach unten, sondern nach oben. Dieses Gebiss gehört nur in vorsichtige Hände."
Die meisten der abgebildeten Reiter dürften noch nicht genügend ausgebildet sein, um zu wissen, dass sie mit ihren groben Hilfen wenig erreichen. "In jeder Reitweise sollte das Pferd die Chance haben, sich an das Gebiss heranzustrecken.
Starkes Abknicken des Genicks hemmt seinen Bewegungsfluss", erklärt Ulrike Thiel. Schuld ist meist der Reiter, dessen Sitz nicht ausreichend geschult ist: "Der Oberschenkel soll locker am Pferd liegen und mitschwingen. Das garantiert dem Tier einen ungestörten Bewegungsablauf. Wird das Knie hochgezogen und werden die Fußspitzen nach außen gedreht, tritt der gegenteilige Effekt ein. Der Reiter beamt sich aus dem Sattel."
Missstände aufdecken und abstellen
"In Zeiten hoher Anforderungen an Pferd und Reiter und steigender finanzieller Interessen ist es vielleicht wichtiger denn je, über Verbesserungen der Situation zu diskutieren. Eine allgemeine und damit unverbindliche Schelte wird der Sache aber nicht gerecht."

Mit CAVALLO liegt er da auf einer Wellenlänge. Es geht nicht darum, alle Westernreiter an den Pranger zu stellen. Es geht darum, Missstände aufzudecken - und abzustellen.
Lernen Sie auf der folgenden Seite unsere Experten für diesen Artikel kennen.





CAVALLO-Experten für diesen Artikel
Dr. Ulrike Thiel

Psychotherapeutin, Reitlehrerin, Xenophon-Trainerin und Dressurrichterin aus dem niederländischen Soerendonk. Sie gründete dort das "Institut für Hippische Sportpsychologie und Equitherapie Hippocampus".
"Genau wie in anderen Reitweisen geht es im Westernreiten um ein losgelassenes Pferd. Ich bin erschrocken, wie mit Hilfszügeln und Gebissen umgegangen wurde. Vereinzelt sah ich auch positive Bilder."
Kontakt:
www.hippocampus-nl.com
Peter Kreinberg

Gründete das Gestüt Goting Cliff in Wagenhoff/Niedersachsen und lebt seit 2004 in Frankreich. Kreinberg bildet Reiter aller Reitweisen aus, war Richterobmann und gibt Seminare beim Hannoveraner Verband.
"Die Bilder dokumentieren Trainingspraktiken, die von Mechanisierung bis zur Unterwerfung reichen. Wenn solche Reiter Erfolg hätten, läge es nahe, dass diese schlechten Beispiele Schule machen."
Kontakt:
www.thegentletouch.de
Simone Boden

Kam über die klassische Reiterei zum Westernreiten. Xenophon-Mitglied. 2002 deutsche Reining-Vizemeisterin, mehrfach bei Europameisterschaften platziert. Hat heute eine Reitanlage in Breisach/Baden.
"Ich habe mich dem Westernreiten zugewandt, weil ich von der Feinheit und Harmonie dieser Reitweise fasziniert war. Inzwischen muss ich feststellen, dass die Reitkunst der US-Cowboys zusehends verkommt."
Kontakt:
www.sb-westernpferde.de