Wer ist das – Anka oder Tanja? So lautet die Standardfrage der Reitschüler vor dem Laufstall der Rappschwestern. Ahnungsloses Schulterzucken ist zumeist die Antwort. Die beiden Stuten sehen nicht nur gleich aus, sondern besitzen auch noch dasselbe kribbelige Temperament. Doch warum sind sich Pferde-Geschwister oft so ähnlich? Bestimmen die Gene nicht nur das Aussehen, sondern auch den Charakter? Wie beeinflussen Haltung, Erziehung und Ausbildung die Entwicklung?Um dem Rätsel der Pferdefamilien auf die Spur zu kommen, lohnt ein Blick in die Genetik. Forscher fanden heraus, dass die weibliche Eizelle etwas mehr Erbmaterial enthält als die männliche Samenzelle. Genaue Prozentwerte gibt es darüber noch nicht. Sicher ist aber, dass Stuten bei der Vererbung ihre Nasen leicht vorn haben. Geschwister bekommen von ihren Eltern im Durchschnitt zur Hälfte die gleichen Erbanlagen. „Statistisch gesehen stimmen Vollgeschwister in ihren Erbanlagen zu Prozent überein“, sagt Dr. Monika Reißmann, Tierzuchtexpertin von der Universität Berlin. Es gibt aber auch Extremfälle, in denen Geschwister die gleichen Anlagen erben und wie eineiige Zwillinge sind. Oder aber die Geschwister haben genau den anderen Teil des Erbguts bekommen und ähneln sich nur wenig. „Die Karten werden jedes Mal neu gemischt,“ sagt Reißmann.Der Grund: Bei einer Anpaarung werden jeweils von Vater und Mutter Gene auf Chromosomen des Fohlens verteilt. Wie, darüber entscheidet allein der Zufall. Das fand Johann Gregor Mendel, Vater der Vererbungslehre, schon um 1860 heraus.Verwandte Pferde haben oft ähnliche Köpfe:Doch was bestimmen die Erbanlagen, und worauf haben Mensch und Umwelt Einfluss? Die Genetik prägt das Aussehen eines Pferds, zum Beispiel seine Größe, Fellfarbe und eine volle Mähne. Aber nicht alle Merkmale werden gleich stark vererbt. Das erforschte Dr. Ludwig Christmann vom Hannoveraner Zuchtverband in einer Studie mit 5347 Stuten. Am häufigsten geben Pferdeeltern ihren Fohlen die Form des Kopfs mit. Äußere Einflüsse können an ihr wenig ändern. Kein Wunder, dass sich die Mitglieder so mancher Pferdefamilien wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Die Entwicklung der Gliedmaßen hingegen kann der Mensch beeinflussen. Für belastbare, gesunde Beine sind regelmäßige Hufpflege vom Fohlenalter an, artgerechte Haltung, ausreichend Bewegung und ausgewogene Fütterung entscheidend.Züchter sind außerdem gespannt auf die Gangarten des Pferds. Hat das Fohlen den Traum-Galopp des Vaters und den schwungvollen Trab der Mutter? Trab wird bei Pferden am stärksten vererbt, danach folgt Galopp. Schritt liegt am wenigsten in den Genen. Spring- und Dressurtalent vererben Eltern etwa zu 50 Prozent. Dabei schließt ein Talent das andere keineswegs aus. Bestes Beispiel ist der Hengst Salieri, der zweifaches Vermögen weitergab: Die Vollgeschwister Seven Up und Salinero starteten beide bei den olympischen Spielen. Seven Up im Springen, Salinero in der Dressur.
Nachzucht: Warum ähneln sich verwandte Pferde?
Fohlen kopieren das Verhalten der Mutter: Die Gene prägen jedoch nicht nur Aussehen und Leistungsfähigkeit, sondern auch den Charakter. Sie machen Pferde ängstlich, stur, lernwillig, dominant, mutig oder nervös. „Früher stritt man das oft ab,“ sagt Monika Reißmann. „Heute sind sich Forscher einig, dass auch Verhalten erblich bedingt ist. Unsicher ist aber noch, zu welchem Anteil.“ Denn Fohlen bleiben lange Zeit bei der Mutter und schauen sich deren Verhalten ab. Zusätzlich formt der Mensch durch Erziehung und Training das Pferd. Deshalb ist es schwer zu unterscheiden, was abgeschaut und was angeboren ist.Bei Menschen beschä igt sich die Zwillingsforschung mit diesem Thema. Die gibt es bei Pferden nicht, da Zwillingsgeburten sehr selten sind. Mittlerweile hat der Mensch aber Wege gefunden, Zwillinge künstlich zu erschaffen. Die Möglichkeiten dafür liefert die Gentechnik. Dr. Cesare Galli erschuf in Italien mit der Haflinger-Stute Prometea das erste Klonpferd. Danach erstellten Wissenschafftler im Reagenzglas Kopien von Spitzenpferden wie dem Springpferd ET. Klonpferde sind mit Preisen um die 300.000 Euro aber sehr teuer. Fachleute erkannten außerdem schnell, dass sich Pferde auf diesem Weg nicht verbessern lassen und die Zucht sich nicht weiter entwickeln kann. Deshalb setzen Züchter auf andere Verfahren, um Pferde auf bestimmte Eigenschaften zu selektieren. Bei Hengsten können sie sich an der Zuchtwertschätzung orientieren. Der Zuchtwert informiert über die Vererberqualitäten eines Hengstes. Er wird per Computer errechnet und setzt sich aus den Dressur- und Springleistungen des Hengstes und seiner Nachkommen zusammen. Die Ergebnisse veröffentlicht die Deutsche Reiterliche Vereinigung(FN) in ihrem Jahrbuch Sport und Zucht. Zum anderen erhöhen Pferdezüchter die Chance auf erwünschte Merkmale über Stutenstämme und Stempelhengste. Die Tiere werden über Generationen hinweg auf bestimmte Eigenschaften gezogen, bis sie diese sicher weiter vererben. Sie drücken ihren Nachkommen dann im wahrsten Sinne des Wortes einen Stempel auf. Die Papiere sagen also bis zu einem gewissen Grad voraus, wie ein Fohlen wird. Das belegt auch ein früheres Experiment von CAVALLO. Je ein Zuchtexperte der Rassen Haflinger, Holsteiner und Vollblut-Araber sollte Aussehen, Charakter und Begabung eines ausgewählten Pferds bestimmen. Als Grundlage diente lediglich der Stammbaum. Dieser reichte den Experten tatsächlich aus, um ein zutreffendes, präzises Bild des jeweiligen Tiers zu zeichnen.Info:Zwillinge sind bei Pferden äußerst selten. Sie kommen bei nur etwa ein bis zwei Prozent aller Pferdegeburten vor. Für Stute und Fohlen sind sie mit einem hohen Risiko verbunden. Die Fohlen sind häufig schwach und anfällig für Infektionskrankheiten. Das Risiko einer Fehlgeburt ist auch noch im fortgeschrittenen Stadium der Trächtigkeit hoch. Das kann für die Stute lebensgefährlich werden. Oft ist auch die Geburt kompliziert. Einige Trächtigkeiten beginnen zwar mit zwei befruchteten Eiern, meist stößt die Stute aber ein Ei schon nach ein paar Tagen oder Wochen ab. Passiert das nicht auf natürlichem Weg, lassen Züchter wegen der Risiken meist einen oder beide Zwillinge abtreiben.
