Pferdeohren stehen fast nie still. Die plüschigen Antennen sind ständig in Bewegung – immer auf der Suche nach spannenden Geräuschen oder um Stimmung zu machen. An den Lauschern lässt sich auch ablesen, ob Tier und Mensch ein Team sind. Trotz dieses 24-Stunden-Jobs sind Pferdeohren sehr pflegeleicht. Dennoch können viele Reiter ihre Finger nicht von den flauschigen Sinnesorganen lassen und pulen in den empfindlichen Gehörgängen.
Zusammen mit den Augen sind die Ohren ein ausgezeichnetes Frühwarnsystem, ohne das Pferde die letzten Jahrmillionen nicht überlebt hätten. Selbst wenn die Tiere dösen oder schlafen, pausieren die trichterförmigen Lauscher nicht. Unaufhörlich drehen sie sich und fangen Geknister sowie Geraschel ein. Zwölf Muskeln an jedem Ohr machen‘s möglich. "Zudem gibt es noch ein paar kleinere Muskeln, die den Gehörgang verkürzen können", erklärt Professor Horst Erich König, der jahrelang das Institut für Anatomie an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien leitete. Als Fluchttier geboren, hat das Pferd mit diesem selbstständig arbeitenden Frühwahrsystem die Möglichkeit, anschleichende Raubtiere rechtzeitig zu bemerken und sich aus dem Staub zu machen.
Wie sensibel das Gehör ist, erlebte Horst Erich König, als er Wildpferde in Chile beobachtete. "Ich war rund 300 Meter von der Herde entfernt. Schon das leise Geräusch eines kleinen, rollenden Steins verscheuchte die Tiere." Pferde hören gewissermaßen Mäuse husten. Und sie bekommen Wind von Tönen, die ihre Reiter nicht wahrnehmen.
Apropos Wind: Sobald es weht und pfeift, flattern selbst so manchem Gemütstier die Nerven. Der Sturm bläst unbekannte Geräusche in die Ohren und verstärkt bekannte Laute. Das irritirt Pferde. Zudem überlagern bei hohen Windgeschwindigkeiten verschiedenste Töne. Je stärker es weht, umso schwieriger wird es für die Tiere, aus dem Lärm die für sie wichtigen Geräusche zu filtern. Manche mögen auch den starken Winddruck nicht, und so können selbst die nervenstarksten Pferde scheuen.
Pferdeohren sind Stimmungsbarometer
Mit ihren beiden Lauschern fangen Pferde nicht nur Geräusche ein – mit den Trichtern können sie auch kommunizieren. Das Ohrenspiel dient Herdenmitgliedern sowie Reitern als zuverlässiges Stimmungsbarometer. Bereits beim Betreten der Box erkennt der Mensch an den Ohren, wie sich das Pferd fühlt. Legt es sie flach nach hinten an, signalisiert das Tier, dass es schlecht gelaunt ist oder Angst hat. Sind die Lauscher aufrecht nach vorne gerichtet, ist das Pferd neugierig. Gleiches gilt fürs Reiten. Um die Ohrensprache richtig zu deuten, sollte man allerdings auch auf die restliche Körperhaltung achten, raten Verhaltensexperten.
Es gibt nur wenige Momente, in denen Pferdeohren stillstehen: "Entweder die Tiere haben große Angst oder Schmerzen", sagt Tierärztin Dr. Stefanie Sprauer, die eine Praxis für Verhaltenstherapie in München betreibt. Das Ohrenspiel geht ebenso verloren, wenn Pferde beim Reiten resignieren, weil ihnen der Mensch den Kopf auf die Brust zieht. Die Trichter klappen zur Seite.
Gelegentlich bewegen sich auch die Pferdeohren zufriedener Pferde nicht, etwa wenn der Reiter die Lauscher krault – ein großer Vertrauensbeweis, wie Stefanie Sprauer meint. "Nur wenn die Basis zwischen Mensch und Tier stimmt, lässt sich das Pferd darauf ein und kann entspannen."
Selbst nervöse oder ängstliche Pferde kommen zur Ruhe, wenn man ihnen minutenlang beide Ohrmuscheln ausstreicht. "Mit den Fingern trifft man sogenannte psychische Referenzpunkte", erklärt Tierarzt Dr. Uwe Petermann, der eine Akupunkturpraxis in Melle bei Osnabrück leitet.

Richtige Pflege der Pferdeohren
"Diese Punkte haben direkten Einfluss aufs Gehirn", sagt Petermann. Um sie zu stimulieren, braucht es nicht einmal unbedingt Nadeln; die bloßen Hände helfen. "Das Schöne ist, dass man dabei nichts falsch machen kann", versichert Petermann. Weil es am Ohr auch Referenzpunkte für jedes andere Körperteil gibt, beruhigt der Reiter bestenfalls nicht nur das Gemüt, sondern gleicht auch noch weitere Störungen des Energieflusses aus.
Doch Vorsicht: "Stecken Sie Ihre Finger nicht in die Gehörgänge", warnt Hauttierärztin Dr. Ursula Mayer aus München. Sonst droht die Gefahr, dass der Mensch das empfindliche Sinnesorgan verletzt. Auch Wattestäbchen haben im Pferdeohr nichts verloren. "Gesunde Lauscher müssen nicht gereinigt werden", betont Mayer. Selbst Pulen ist tabu. "Die kleinen Höcker, die man beim Kraulen in den Ohrmuscheln spürt, sind ein Gemisch aus Schmalz und Staub – ganz natürlich und kein Grund zur Sorge", erklärt die Haut-Expertin.
Der Schönheit wegen rasieren manche Reiter die Lauscher aus – trotz Verbot. Das Tierschutzgesetz untersagt das sogenannte Clippen, da der dichte Flaum das Gehör vor Insekten und Fremdkörpern schützt. Übrigens: Pferde an den Lauschern zu packen, damit sie beim Doc oder Hufschmied stillstehen, ist ebenfalls tierschutzwidig.
Skeptisch sollten Reiter sein, wenn sich das Pferd plötzlich nicht mehr an den Ohren anfassen lässt. "Rufen Sie einen Tierarzt", rät Ursula Mayer. Möglich, dass die Ohren entzündet sind.
Es lohnt sich also, die spannenden Sinnesorgane Ihres Pferds im Auge zu behalten – und sie sanft zu kraulen.

Typische Krankheiten im Pferdeohr
Insekten, Viren und vermeintlich harmlose helle Flecken machen Tiere kopfscheu. Lässt sich ein Pferd plötzlich nicht mehr am Ohr anfassen, schüttelt es häufig den Kopf oder reibt die Ohren an den Beinen, sollte der Reiter einen Tierarzt rufen. Möglich, dass sich Bakterien oder Parasiten im Ohr eingenistet haben und die Haut entzündet ist. Der Doc entfernt Fremdkörper, reinigt das Ohr und verabreicht gegebenenfalls Antibiotika.
Auch Insektenbisse können Juckreiz auslösen. Ist das Fell am Rand der Ohrmuschel verklebt, kann eine Wunde oder Fistel die Ursache sein. Verletzungen behandelt der Doc sofort; Ohrfisteln werden nur unter Vollnarkose entfernt. Am Ohrrand können sich auch Warzen oder kugelartige Geschwülste bilden. Rötliche, haarlose Wucherungen sind sogenannte Fibrome. Verhornte oder mit eitrigem Sekret bedeckte Geschwülste deuten auf Equine Sarkoide hin. Diese Hauttumore können chirurgisch entfernt werden. Auch neue Behandlungsmethoden wie die Licht- und Strahlentherapie haben gute Erfolgsaussichten.
Helle Flecken in den Ohrmuscheln können Pigmentstörungen oder aurales Plaque sein. Letzeres wird vermutlich durch Papilloma-Viren ausgelöst. Sind die kleinen Flecken leicht erhöht, deutet das auf aurales Plaque hin. Handelt es sich nur um eine Pigmentstörung, ist die Haut eben. "Eine Hautbiopsie schafft Gewissheit", sagt Dr. Ursula Mayer, Fachtierärztin für Dermatologie aus München. Solange die winzigen Knubbel in den Ohrmuscheln das Pferd nicht stören, müssen sie aber nicht entfernt werden. Sollte sich das Tier das Halfter nur widerwillig überstreifen lassen, ist es kopfscheu oder schüttelt sich häufig, ist es empfehlenswert, die Pferdeohren behandeln zu lassen.

Typische Krankheiten im Pferdeohr
Pferde hören fast doppelt so gut wie ihre Reiter. Deren Hörvermögen erfasst Frequenzen zwischen 20 und 20 000 Hertz. Pferdeohren schaffen 55 bis 33 000 Hertz. Damit können die Tiere sogar Töne wahrnehmen, die bereits im Ultraschallbereich liegen. Gutes Hören ist für die ehemaligen Steppenbewohner extrem wichtig. Nur so können die Tiere Gefahren rechtzeitig erkennen. Immer wachsam, spitzen sie schon beim leisesten Rascheln ihre Lauscher. Die Töne werden durchs Mittel- und Innenohr bis ins Gehirn geleitet. Dort wird binnen Millisekunden berechnet, woher der Laut kommt. Zudem filtert das Gehirn den Tonsalat: Pferde reagieren nicht auf jedes Geräusch. Auf welche Schallwellen sie anspringen, hängt von der individuellen Erfahrung und Motivation ab. Unbekannte Geräusche lassen fast alle Pferde nervös werden. So auch im Umgang mit dem Menschen: Gepiepse mögen die Tiere nicht. Eine tiefe Stimmlage beruhigt sie bekanntermaßen – vorausgesetzt, die Sätze klingen nicht gepresst oder unnatürlich tief.