Bei diesem Braunen muss sogar der Experte zweimal hinsehen. Denn wo bei anderen Pferden ein normal geformter Hinterhuf sitzt, besteht dieser Hinterhuf fast nur noch aus einer schwarzen Wucherung. Zentimeterweit ist das stinkende Horn schwammartig über die normale Hufform hinausgewachsen – ein außergewöhnlicher Fall von Hufkrebs. Selbst für Hufbeschlagschmied Markus Raabe, der Experte für diese Erkrankung ist und den Braunen wieder in die Hufe helfen soll.
Dabei ist Hufkrebs (Pododermatitis chronica verrucosa, auch Parakeratose) keine Krebserkrankung im klassischen Sinn, bei der Tumorzellen wuchern. Die Krankheit wurde nach den warzen- bis blumenkohlförmigen Wucherungen benannt, die wie Tumore aussehen.
Wie macht sich Hufkrebs beim Pferd bemerkbar?
Je nachdem, welche Teile des Hufs befallen sind, spricht man von Strahl-, Sohlen-, Eckstreben- oder Wandkrebs. Diese Varianten kommen fast nie getrennt vor, sondern gehen ineinander über. Meist erkrankt zuerst der hintere Teil der mittleren Strahlfurche. Von dort aus greift die Wucherung auf Strahl und Eckstreben über, oft auch auf die seitlichen Teile der Hufsohle.
Die Lederhaut quillt bei Hufkrebs auf und verfärbt sich weißlich. Es bildet sich ein käsiger Belag, der allerdings lange unsichtbar bleiben kann. Die Lederhautzöttchen können sich auf einen halben bis ganzen Zentimeter vergrößern; Form und Aussehen der Lederhaut ähneln dann einem Blumenkohl. Dazu kommt: Hufkrebs stinkt, und zwar ziemlich penetrant.
Im fortgeschrittenen Stadium kann sich der Hufkrebs auf die Wände ausbreiten und das Pferd lahmen lassen. Im schlimmsten Fall kann das Hufbein rotieren und das Pferd ausschuhen. Häufig wandert der Hufkrebs hoch ins Blättchenhorn und bricht dann am Kronsaum durch.

Was verursacht Hufkrebs?
Hufkrebs beginnt in der Huflederhaut. Gesunde Lederhäute bilden ständig neue Epithelzellen, die absterben und sich in totes Horn umwandeln. Bei Hufkrebs degenerieren die Epithelzellen; statt zu verhornen, bilden sie einen schmierigen Belag, der sich irgendwann entzündet.
Was wiederum die Ursache für diese fehlgeleiteten Epithelzellen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Viele Experten vermuteten, dass miese Haltungsbedingungen die Krankheit auslösen. Matschige Ausläufe, mist- und urindurchtränkte Einstreu sollen Hufkrebs fördern, weil in diesem feuchtwarmen Milieu Bakterien bestens gedeihen.
Das sind jedoch eher perfekte Bedingungen für Strahlfäule, "und Strahlfäule und Hufkrebs unterscheiden sich deutlich voneinander", betont Hufbeschlagschmied Markus Raabe: "Strahlfäule ist ein Zerfallsprozess, bei dem vorhandenes Gewebe schwindet. Hufkrebs hingegen ist ein Wachstumsprozess, bei dem fremdes Gewebe hinzukommt."
Der Hufexperte behandelt in seiner stationären Schmiede im nordrheinwestfälischen Harsewinkel häufig Pferde mit Hufkrebs und vermutet andere Ursachen hinter der Erkrankung: nämlich falsche Fütterung, Stoffwechselstörungen und Veränderungen an der Huflederhaut, hervorgerufen etwa durch unsachgemäße Bearbeitung.
In punkto Fütterung verweist Raabe auf eine Unter- und Überversorgung mit bestimmten Nährstoffen: "In einem Experiment wurden Pferde unter Zinkmangel gesetzt. Die Folge war Parakeratose." Auch nach einer künstlichen Übersättigung mit Vitamin A sei es dazu gekommen. Er vermutet, dass eine generelle Fehlfütterung – vor allem in Verbindung mit Übergewicht – ebenfalls Hufkrebs auslösen kann. Viele der vierbeinigen Patienten, die Raabe behandelte, waren zudem zuvor in einer Klinik oder erhielten eine medikamentöse Behandlung. Auch dies, so Raabe, könne den Stoffwechsel durcheinander bringen.
Bakterien wie Fusobacterium necrophorum stehen ebenfalls unter Verdacht, neben Strahlfäule auch Hufkrebs auszulösen. Studien weisen zudem darauf hin, dass bovine Papillomaviren der Typen 1 und 2 (BPV 1/2) an der Entstehung beteiligt sind. Diese Erreger können bei Pferden Equine Sarkoide, häufig vorkommende Hauttumore, hervorrufen. Forscher der Uni Wien haben 25 an Hufkrebs erkrankte Pferde auf eine BPV1/2-Infektion untersucht. In der Kontrollgruppe waren 13 Pferde, die nicht unter der Krankheit litten.
Alle Hufkrebs-Patienten trugen das Virus in sich, Tiere aus der Kontrollgruppe nicht. Weitere Untersuchungen an anderen Universitäten führten zum gleichen Ergebnis. Papillomaviren werden wahrscheinlich durch blutsaugende Insekten von erkrankten auf gesunde Pferde übertragen.
Welche Tiere haben ein erhöhtes Risiko?
Pferde mit engen, hohen Hufen sind eher gefährdet. In deren schmalen Ritzen können eher Fäulnisnischen entstehen. Pferde, die Traber oder Blüter in ihrer Ahnengalerie haben, scheinen häufiger betroffen zu sein, so die Beobachtung von Hufbeschlagschmied Markus Raabe. Hufkrebs tritt zudem häufiger an Hinterhufen auf.
Wie behandeln Tierärzte und Hufschmiede?
Wird Hufkrebs frühzeitig entdeckt, kommen Pferdebesitzer mitunter um eine Operation herum. Hufschmied Markus Raabe hat in diesem Fall gute Erfahrungen mit einer Mixtur aus Kupfer-Sulfat-Pentahydrat mit Aluminiumacetat-Tartrat-Lösung gemacht.
Oft ist es jedoch für so eine Behandlung zu spät – dann hilft nur: runter mit den Wucherungen und Belägen. "Die betroffenen Stellen am und unter dem Huf müssen radikal entfernt werden", betont Markus Raabe. Häufig entfernt er auch die Hufballen und Eckstrebenwände mit. Das Pferd wird dafür vor Ort von einem Tierarzt sediert und lokal anästhesiert. Eine Vollnarkose versucht Raabe zu vermeiden; das wird nur bei sehr schweren Fällen nötig.
Nach der Operation wird das erkrankte Gewebe thermochemisch oder chemisch verödet. Wichtig bei der Therapie ist die Nachsorge. "Als Wundversorgung und zur Heilungsbeschleunigung nutzen wir eine Merbromin- und Lotagenlösung zu 2%", so Raabe.
Auf den operierten Huf kommt anschließend ein Druckverband in Verbindung mit einem Deckelhufeisen oder einem Gipsverband. Der Druckverband hindert die Lederhaut daran, weiter vorzuquellen, und stimuliert sie zudem, gesundes Hufhorn zu produzieren. Der Verband muss täglich kontrolliert und gewechselt werden. Dazu bekommt das Pferd in den ersten Tagen nach der OP schmerzstillende Medikamente.
Manche Tierärzte setzen Göttlers Hufpaste ein (www.goettlershufpaste.com), um die Heilung zu unterstützen. Die Pferdebesitzerinnen Alisa Palmer und Bärbel Göttler aus Vierkirchen/Bayern haben sie entwickelt. "Ihre Wirksamkeit bei Hufkrebs wurde in zahlreichen Tests in Zusammenarbeit mit Pferdetierarzt Dr. Robert Ruff, einer Huforthopädin und der Pferdeklinik Wolfesing bestätigt", so Palmer. "Die Paste ist ein reines Naturprodukt, wirkt entzündungshemmend, schmerzlindernd und antibakteriell." Das Besondere: Die Hufpaste ist wie Knete, so dass sie in die Strahlfurchen einmodelliert werden kann und diese schützend ausfüllt.
Wie lange die Therapie dauert, ist schwer vorherzusagen. Einige von Markus Raabes Patienten waren bereits nach vier bis sechs Wochen wieder einsatzbereit, andere erst nach sechs Monaten. "Wir haben jedoch eine Heilungsquote von fast 100 Prozent", sagt Raabe. Auch der Braune wurde wieder gesund.
Wie lässt sich Hufkrebs vorbeugen?
Gewissenhafte Hufpflege, Hygiene und eine fachgerechte, regelmäßige Hufbearbeitung durch einen Hufexperten schützen die Hufe. Eine angepasste Fütterung, die das Pferd mit allen Nährstoffen versorgt, ist ebenfalls wichtig.
Risikopatient Kaltblut?
Kaltblüter haben oft eine rassebedingt schlechtere Hornqualität. Das kann unter Umständen Hufkrebs begünstigen, so die Meinung einiger Experten wie Hufbeschlaglehrschmied Burkhart Rau. Möglicherweise spielt aber auch das höhere Gewicht und der damit verbundene Nährstoffbedarf eine Rolle. Das vermutet Fütterungsexpertin Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand.