Die neunjährige Warmblutstute ließ sich auf einmal nur noch ungern anfassen. In ihrem Aktivstall ging sie seltener in den Teil, in dem Heu gefüttert wurde, und fraß generell weniger. Eine Gastroskopie gab schließlich Aufschluss über das Leiden: Die Stute hatte mittel- bis hochgradige Geschwüre im gesamten Magenbereich.
Damit ist sie nicht allein; Studien zeigen erschreckende Zahlen: Zwischen 80 und 100 Prozent der Englischen-Vollblut-Rennpferde, bis zu 58 Prozent der Sport- und 93 Prozent der Distanzpferde sowie rund 54 Prozent der Freizeitpferde leiden an unterschiedlichen Ausprägungen der komplexen Erkrankung Magengeschwüre (Equine Gastric Ulcer Syndrome, EGUS).
Wissenswertes zur Anatomie
Der Pferdemagen ist ein Workaholic. Er ist auf 16 Stunden Verdauung pro Tag ausgerichtet. Deshalb produziert er ständig salzsaure Magensäure. Diese sorgt dafür, dass die Nahrung vorverdaut wird, und tötet Bakterien, Pilze und Parasiten ab. Die Magensäure wird normalerweise auf zwei Wegen neutralisiert: durch den Speichel des Pferds, der beim Kauen entsteht, und durch basische Verdauungssäfte im Dünndarm, wenn der Mageninhalt dorthin entleert wird. Ist der Magen jedoch im Leerlauf, fehlen diese Schutzmechanismen. Die kutane (drüsenlose) Schleimhaut (Pars nonglandularis) und die drüsenhaltige Schleimhaut (Pars glandularis) sind also weniger geschützt.
Es kann zu einer Gastritis, einer Entzündung der Magenschleimhaut, kommen – und in der Folge kann ein Magenulkus (umgangssprachlich Magengeschwür) entstehen. „Man unterscheidet dabei zwischen einem Equine Squamous Gastric Disease (ESGD), das im drüsenlosen Bereich des Magens auftritt, und einem Equine Glandular Gastric Disease (EGGD), bei dem die Drüsenschleimhaut betroffen ist“, erklärt Dr. Rosa Barsnick, Fachtierärztin für Innere Medizin der Pferde von der Pferdeklinik Burg Müggenhausen.
Was verursacht die Erkrankung?
Die Ursachen von EGUS sind nur zum Teil bekannt. „Was zu EGGD führt, weiß man noch gar nicht genau“, sagt Dr. Rosa Barsnick. Der Grund: „EGGD hat sich erst in den letzten zehn Jahren als eigenständige Form herauskristallisiert, dementsprechend steckt die Forschung hier noch in den Kinderschuhen.“ Die Ursachen von Magenproblemen im drüsenlosen Bereich sind hingegen bekannter und lassen sich grob in drei Bereiche einteilen: Fütterung, Haltung, Training.
Typische Fütterungsfehler sind zu viel Kraftfutter, also Getreide (wie Mais oder Hafer) und Müslis mit hohem Stärkeanteil und leicht verdauli- chen Kohlenhydraten, zu wenig Raufutter (weniger als 1,5 Kilo Trockenmasse pro 100 Kilo Körpermasse), oder eine rationierte Fütterung (etwa Heu nur zweimal am Tag bzw. Fütterungsabstände von mehr als sechs Stunden). Die Haltung kann ebenfalls Geschwüre entstehen lassen, wenn sie das Pferd stresst – etwa durch Stallwechsel, ständig wechselnde Herdenmitglieder, Rangkämpfe, zu wenig Platz im Offenstall.

Reine Boxenhaltung, wenig Sozialkontakt und wenig bis gar kein Weidegang tragen ebenfalls dazu bei, dass sich das Pferd nicht wohlfühlt. Auch Transporte und Schmerzen können auf den Magen schlagen – etwa durch Fühligkeit: „Meine Erfahrung hat gezeigt, dass fast 80 Prozent der Freizeitpferde mit Magengeschwüren über keinen Hufbeschlag verfügen“, sagt Futterexpertin Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand. Dritter Faktor kann das Training sein. Bei intensiver körperlicher Anstrengung, wie sie etwa Galopper, Spring- oder Vielseitigkeitspferde leisten, zieht sich der Pferdemagen zusammen.
Der saure Magensaft kann dann in den vorderen Teil des Magens laufen und so kutane Magenerosionen mit Ulzera hervorrufen. Kommen Pferde an ihre psychische und physische Leistungsgrenze, sind sie gestresst. Und selbst subtiler Stress kann Schleimhautreizungen sowie leichte bis mittelschwere Geschwüre auslösen. Schmerzmittel und Entzündungshemmer (nicht-steroidale Antiphlogistika) reizen zudem die Schleimhaut, die bei Massenbefall mit Magendasseln auch irritiert sein kann.
Wie macht sich die Krankheit bemerkbar?
Eindeutige Symptome gibt es nicht – doch folgende können auf Magenprobleme hinweisen: Etwa wenn das Pferd keinen Appetit hat, abmagert, viel speichelt oder leer kaut. Flehmen, häufiges Gähnen, Koppen oder Zähneknirschen können ein Zeichen für Magenschmerzen sein. Oft wird das Fell stumpf, das Pferd hat Maulgeruch. Beim Training ist das Tier träge. Mitunter hat es wiederkehrende, leichte Koliken. Auch auf das Verhalten haben die Schmerzen Einfluss: Betroffene Tiere können aggressiv oder schlecht gelaunt werden, die Leistungsfähigkeit schwankt.
Wie stellt der Tierarzt die Diagnose?
Um die Frage zu klären, ob das Pferd an Magengeschwüren leidet, hilft nur eine Magenspiegelung (Gastroskopie). „Dafür darf das Pferd 18 Stunden vorher nichts mehr fressen, auch keine Einstreu“, sagt Dr. Rosa Barsnick. Anschließend wird es sediert. Im Anschluss kann der Tierarzt das flexible, mindestens drei Meter lange Endoskop (Gastroskop) bis in den Magen schieben. Als Biss-Schutz kann hier zusätzlich ein Kunststoffschlauch dienen, der bis an die Speiseröhre reicht. Über das Gastroskop kann der Tierarzt die Magenschleimhaut beurteilen und den Magenausgang (Pylorus) untersuchen; hier sitzen ebenfalls oft Magengeschwüre.

Die Schwere der Erkrankung wird bei ESGD in Stufen von 0 bis 4 eingeordnet. Grad 0 bedeutet völlig unauffällig, bei Grad 4 liegen tiefe, blutende oder ausgedehnte Ulzerationen vor. „Bei EGGD haben sich Experten international noch auf keine Graduierung einigen können, weil das Erscheinungsbild sehr unterschiedlich sein kann“, so Dr. Barsnick.
So behandeln Tierärzte und Therapeuten
Hat das Pferd Erkrankungen im Bereich der kutanen Schleimhaut (ESGD), erhält es Medikamente mit dem Wirkstoff Omeprazol. Dies hemmt die Säureproduktion. Betroffenen Pferden geht es oft schon nach wenigen Tagen besser, die Behandlung muss aber fortgesetzt werden, bis der Magen geheilt ist (mindestens drei Wochen). Magengeschwüre in der Drüsenschleimhaut (EGGD) werden ebenfalls mit Omeprazol behandelt. „Der Behandlungserfolg liegt hier allerdings bei nur rund 60 Prozent“, sagt Dr. Rosa Barsnick.
Deswegen erhalten diese Pferde zusätzlich Medikamente mit einem Drüsenschleimhautschutz (wie Sucralfat) über eine Dauer von vier Wochen. „Verzögert sich die Heilung, können andere Wirkstoffe wie synthetische Prostaglandin-Abkömmlinge nötig werden“, sagt Dr. Rosa Barsnick. „Weil es sich hier jedoch wie bei Sucralfat um Medikamente aus der Humanmedizin handelt, müssen wir diese speziell im Einzelfall verschreiben und fürs Pferd umwidmen.“ Nach Ende der Therapie folgt eine Kontrollgastroskopie. Phytotherapeutisch wirken Pektin-Lecithin-Komplexe (etwa aus Apfeltrester oder Rübenschnitzeln), Kamille, Pfefferminze und Schafgarbe.
Tierheilpraktikerin Julia Melanie Hahlweg aus Ditzingen/Baden-Württemberg therapiert homöopathisch etwa mit Ignatia, Belladonna und Nux vomica. Organpräparate aus aufbereiteten gesunden Zellen (etwa Mucosa, Pancreas oder Ren) helfen in der Langzeitanwendung.
Wie lässt sich vorbeugen?
„Erkrankungen lassen sich nur vermeiden, wenn man die Ursache kennt“, sagt Dr. Rosa Barsnick. Bei ESGD sind mögliche Auslöser bekannt (wie Stress oder Defizite im Fütterungsmanagement). Hier müssen Pferdebesitzer und Tierarzt herausfinden, was Abhilfe schafft (etwa ein Stallwechsel). Weil bei EGGD die Ursachen noch unklar sind, können Pferdebesitzer nur ausprobieren, was ihren Tieren hilft. Omeprazol sollte nicht per se prophylaktisch gegeben werden. Ausnahme: „Wenn ein magenempfindliches Tier Schmerzmittel bekommt, sollte man parallel Omeprazol geben“, so Dr. Barsnick.
Bei beiden Krankheitsformen sollte generell Stress vermieden werden, daneben sollte das Pferd ausreichend Heu (sofern dieses die entsprechende Qualität hat) und zuckerarmes Gras bekommen. Heukauen senkt dabei die Ausschüttung des Hormons Gastrin. Dieses wird in den Drüsen der Magenschleimhaut gebildet und zählt zu den wichtigsten Botenstoffen für die Säureproduktion: Produzieren die Zellen viel Gastrin, sprudelt die Säure. Die Gastrin-Ausschüttung ist wiederum abhängig vom pH-Wert im Magen. Im sauren Milieu unter 3 (bei Heufütterung) stockt sie, darüber sprudelt sie.
Ideal für die Verdauung ist ein Niveau zwischen pH 2 und 3. Fütterungsexperte Dr. Kay Bredehorst empfiehlt zudem für Pferde mit Magenproblemen u.a. mindestens über drei Monate den Verzicht auf Getreide, das Füttern von Leinöl (entzündungshemmende Omega-3-Fettsäuren, Mash aus Leinsaat, Kräutermischungen insbesondere mit Bockshornklee, Kamille, Anis- und Fenchelsamen und Aloe Vera-Saft. Zur Stressreduktion über die Ernährung können zudem Tryptophan, Topinambur, fermentierte Sojaextrakte, Kurkuma und Mangan (z.B. in Kräutern wie Madesüß) beitragen. Die Ernährung sollte insgesamt arm an leicht-verdaulichen Kohlenhydraten sein.