Wenn Pferde ständig krank sind
Was tun, wenn das Pferd zum Dauerpatienten wird?

Manche Pferde sehen den Tierarzt öfter als den Schmied – weil eine Krankheit die andere jagt. Tatsächlich besteht oft ein Zusammenhang.

Medizin Kompendium
Foto: Lisa Rädlein

Dass du dir beim Herumtollen auf der Koppel die Sehne verletzt hast, war schon schlimm genug. Es hat Monate gedauert, bis du wieder halbwegs belastbar warst. Und jetzt das: Du lahmst nun auf der anderen Seite. Wie konnte das passieren?

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Kranke Pferde
Was manche Pferde zu Dauerpatienten macht
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Eine Krankheit folgt der nächsten – viele Pferdebesitzer kennen das. Entweder haben sie die Erfahrung selbst gemacht oder haben Stallkollegen mit Dauerpatienten. Von "Montagspferden" ist dann die Rede, bei denen Kranksein der Dauerzustand und Gesundheit die Ausnahme ist. Die Pferde leiden, die Besitzer machen sich Sorgen und obendrein kosten die Tierarztbesuche Zeit, Geld und Nerven.

Eine Krankheit führt zur nächsten

Auch Julie von Bismarck, international tätige Pferdeexpertin, Pferdeosteopathin, Reiterin und Buchautorin, kennt "wahnsinnig viele Halter, die mit wiederkehrenden Erkrankungen ihrer Pferde Probleme haben. Viele haben über Jahre gar nichts. Und dann bekommen sie plötzlich eine Kolik und erholen sich nie wieder richtig".

Von Bismarck lernte auf den Pferden ihrer Großmutter reiten. "Schon in meiner Kindheit gab es diesen Spruch: Wenn der Tierarzt einmal auf dem Hof ist, wird man ihn nicht mehr los. Und häufig war da etwas Wahres dran", sagt sie.

Natürlich kann es Zufall sein, wenn ein Pferd immer wieder kränkelt. Oft hängen die Beschwerden des Vierbeiners jedoch miteinander zusammen, weiß von Bismarck aus ihrer langjährigen Tätigkeit in der Behandlung von Pferden auf der ganzen Welt.

"Vor mehr als 20 Jahren, als ich mit der Osteopathie begann, waren Pferdebesitzer häufig zunächst sehr skeptisch und hielten die Behandlungen für Voodoo – wahrscheinlich, weil ich durch die Akupunktur auch mit Nadeln arbeitete." Doch die Behandlungserfolge konnten schnell überzeugen.

Wenn ein Pferd ständig krank oder verletzt ist, sollte man im Hinterkopf behalten, dass ein Zusammenhang bestehen könnte. "Es ist keine Einbildung, wenn Pferde plötzlich immer wieder unter irgendetwas leiden."

Zusammenhang zwischen Muskeln und Organen

Der Tierarzt hat sich dein Hinterbein angeschaut und ein Röntgenbild gemacht. Gefunden hat er: nichts. Du hast ein Schmerzmittel bekommen, aber ich merke mittlerweile deutlich, dass dir das Stehen nicht guttut: Deine Muskeln bauen ab, du wirkst unzufrieden. Warum trifft es ausgerechnet dich?

Es sei nicht so, dass bestimmte Pferde besonders gefährdet seien für Folgeerkrankungen, sagt Julie von Bismarck: "Natürlich lassen sich durch artgerechte Haltung, vernünftiges Training und ein stressfreies Umfeld viele Blessuren vermeiden. Grundsätzlich kann sich aber jedes Pferd verletzen oder etwas Falsches fressen – und wenn dann nicht alle initialen Folgen behandelt und behoben werden, ist das oft der Beginn einer Odyssee."

Vom Besuch des Tierarztes in die Klinik und in die nächste, vom Physio über den Osteo und Chiro – bis hin zu den fragwürdigsten Methoden. "Ein schmerzhafter Zustand zieht immer eine Schonhaltung nach sich, in deren Folge stets andere Strukturen überlastet werden. Und es gibt Zusammenhänge zwischen Bewegungsapparat und Organen, die vielen so nicht klar sind."

Beispiele für klassische Dauerpatienten

Wichtig für Reiter: Die Beschwerden, die aus der ersten Blessur entstehen können, haben mit dieser auf den ersten Blick meist gar nichts zu tun. In ihrem Buch "Zusammenhänge im Pferd" nennt von Bismarck Beispiele: "Ein Pferd, welches eine Kolik gehabt hatte, war einige Wochen später hinten lahm.

Ein anderes, zuvor sehr rittiges Pferd, das sich eine Sehne im Vorderbein gezerrt hatte, wehrte sich plötzlich gegen den Zügel und begann zu steigen, obwohl die Sehne längst verheilt war. Und ein drittes hatte nach ausgeheiltem Husten plötzlich Taktstörungen und immer wieder Atemwegsinfekte. Ich könnte Hunderte Fälle aufzählen."

Und was geschieht, wenn Dinge auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben? Dann behandeln Reiter und Tierärzte die Symptome getrennt voneinander. Das lindert zwar – mal mehr, mal weniger erfolgreich – die Beschwerden. Die Ursache, die hinter allen steckt, bleibt aber bestehen. Und so entstehen immer wieder neue Wehwehchen bis hin zu schweren Erkrankungen.

Kosten, Hilflosigkeit und Sorgen

Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll: Schon wieder war der Tierarzt da. Du hattest eine Kolik! Dafür warst du nie anfällig. Wie konnte das passieren? Und obendrein die ganzen Tierarztrechnungen. Wann reißt diese Pechsträhne endlich ab?

Neben hohen Kosten bereiten Dauerpatienten ihren Besitzern enorme Sorgen. Das Gefühl, dem vierbeinigen Partner nicht helfen zu können, ist erdrückend. Und sieht das Pferd den Tierarzt irgendwann öfter als den Hufschmied, beginnen viele Reiter zu zweifeln: "Mache ich etwas falsch?", fragen sie sich oder "War es richtig, sich diese Stute anzuschaffen?"

Die Verzweiflung ist irgendwann so groß wie die Ratlosigkeit – weil die wenigsten wissen, dass die Beschwerden des Pferds etwas miteinander zu tun haben könnten.

"Ich dachte bei solchen Fällen auch eine Zeit lang, der Tierarzt hätte eventuell nicht seinen besten Tag gehabt oder das Pferd sei möglicherweise nicht lange genug geschont worden", berichtet Julie von Bismarck. "Doch nichts davon ist meist der Fall. Man kann sich vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich Zusammenhänge fand, die den weitaus größten Teil dieser Verkettungen erklärten."

Blockierte Wirbel können Folge und Ursache zugleich sein

Die Abwärtsspirale mit diesem Wissen zu durchbrechen, sei manchmal erstaunlich einfach, so die Pferdeosteopathin: "In den weitaus meisten Fällen liegt eine Ursache zugrunde, die sich beheben lässt." Das Pferd, das nach der Kolik lahmte, hatte sich beim Wälzen drei Lendenwirbel blockiert, was im Kniegelenk Probleme verursachte.

Das zuvor brave Pferd stieg, weil durch die Schonhaltung Halswirbel blockierten, die Beweglichkeit der Schulter eingeschränkt war und schließlich auch das Zungenbein und die Kiefergelenke betroffen waren. Und beim dritten hatte die Atemwegserkrankung zu einer Blockierung im Widerrist und so zu den Taktstörungen geführt.

Jahrelange Odyssee ist nicht ungewöhnlich

Heute war die Osteopathin auf dem Hof, die das Pferd meiner Freundin behandelt. Ich habe ihr deine Krankengeschichte erzählt und als sie mir erklärt hat, wie alles zusammenhängt, war ich fassungslos. Die Sehnenverletzung von damals war der Grund für deine Kolik?! Aufgrund der Schonhaltung hat sich dein Becken verschoben. Das hat die Lendenwirbelsäule belastet und darüber einige Brustwirbel blockiert. Zwischen ihnen treten Nerven aus, die zum Verdauungstrakt führen. Kaum waren die Blockaden gelöst, erschien dein Gang wieder rund und du sahst sichtlich erleichtert aus. Ich könnte heulen vor Glück!

Wenn Pferdebesitzer Julie von Bismarck um Hilfe bitten, haben viele eine jahrelange Odyssee hinter sich. "Etliche wissen einfach nicht mehr weiter. Wenn sich die Schwierigkeiten dann mit einer oder zwei Behandlungen beheben lassen, ist das natürlich immer sehr beeindruckend."

Einen Fall, über den sie selbst gestaunt hat, schildert von Bismarck so: "Ich sollte ein Pferd behandeln, das nicht mehr galoppieren konnte. Glücklicherweise sahen die Besitzer das und schoben es nicht darauf, dass es nicht galoppieren wolle." Es hatte bereits MRT-Untersuchungen und diverse Gelenkspiegelungen hinter sich.

"Bei der Untersuchung stellte sich dann heraus, dass nur sein Erbsenbein fest war und sich nicht mitbewegte. Ich hätte auch nicht gedacht, dass eine so winzige Struktur so massive Auswirkungen haben könnte – aber so war es. Eine Stunde nach der Behandlung galoppierte das Pferd wieder fröhlich durch die Halle."

Schulmedizinische Abklärung ist Voraussetzung

Was der Osteopathin wichtig ist: "Die Diagnostik durch Tierärzte ist immer der erste Schritt. Bei heftigen Bewegungseinschränkungen oder unklaren Lahmheiten müssen sie immer zuerst abklären, ob eventuell schwerwiegendere Ursachen zugrundeliegen. Das kann von Frakturen über Sehnenschäden bis hin zu Arthrosen gehen und muss natürlich ausgeschlossen werden."

Die Behandlung der Osteopathin ist nun ein paar Wochen her und ich bin ganz aufgeregt: Heute darf ich dich endlich wieder satteln!Du hast einiges an Muskeln verloren, deshalb reite ich nur kurz. Doch das Gefühl, dass ich mich wieder auf deinen Rücken schwingen darf, ist unbeschreiblich. Ich bin so froh, dass es dir wieder gut geht!

Die Expertin Julie von Bismarck ist Pferdeostopathin, Reiterin und Buchautorin. Als Pferdeexpertin ist sie international tätig. www.julievonbismarck.com

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023