Reif liegt auf den Bäumen, Nebel wabert über den Weiden, schemenhaft sind traumschöne Pferde zu erkennen. Friedlich stehen die Hengste in der Gruppe beieinander, Kopf an Kopf. Ein Traum?

Ja, aber dieser hier ist wahr geworden! Im Jahr 2015 stolperte Susanne Gelf-Kapler zufällig über ein Anwesen in Bad Wurzach im Allgäu, das zum Verkauf stand. Sofort wusste sie: Hier soll ein Paradies für Hengste entstehen – der Barockpferdehof Fleur de Lis. Kurz zuvor, zu ihrem fünfzigsten Geburtstag, hatte sie sich bereits einen anderen Traum erfüllt: den vom eigenen Friesenhengst.
Nach Kenzos Kauf war sie schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet, denn einen Platz, wo er als Hengst wirklich artgerecht hätte leben können, fand sie nicht. Die Hof-Entdeckung kam für den damals Dreijährigen knapp zu spät – er war bereits gelegt, um ein schönes Leben als Wallach führen zu können.
Vier bis fünf Hengste und Wallache in Gemeinschaft
Heute ist der mittlerweile Zehnjährige ein großer "Onkel" für die vierjährigen Hengste Nabucco und Hank, die Jungspunde in seiner Gruppe. 18 Pferde leben auf Fleur de Lis, 14 Hengste und vier Wallache – bis auf drei Aufzucht-Hengste gehören alle der Gestütsbesitzerin selbst oder ihren beiden Mitarbeiterinnen.
Aufgeteilt in zwei Vierer- und zwei Fünfer-Gruppen sind sie jeden Tag gemeinsam auf der Weide – im Sommer teils 24 Stunden, jetzt im Winter solange es hell ist – bei jedem Wetter. Nachts oder bei Mittagshitze kommen die Pferde in ihre Boxen.

Stuten gibt es keine auf dem Hof – ein Grund dafür, dass die Hengste so harmonisch zusammenleben. "Es gibt viel zu wenig Betriebe, die sich rein auf Hengst- oder Wallachhaltung spezialisieren", findet Susanne Gelf-Kapler. Dass Hengste oft ein Einzeldasein fristen und sogar gezielt von anderen Pferden abgeschirmt werden ("die dürfen nur auf die Koppel, wenn sonst alle im Stall sind und bekommen die Box in der hintersten Ecke"), ist für sie inakzeptabel.
An Pferdebesitzer appelliert sie darum: "Wer keine Möglichkeit hat, seinen Hengst artgerecht zu halten, sollte ihn lieber kastrieren lassen." Die meisten Hengste, die heute auf Fleur de Lis leben, waren vorher in Einzelhaltung – die Eingliederung habe bisher mit jedem Hengst geklappt.
Neulinge gucken zwei Wochen über den Zaun
Neuestes Mitglied der Bande ist der zehnjährige Barockpinto-Hengst Anthimos. Wie alle Neuzugänge bezog auch er erstmal zwei Wochen lang eine Koppel neben seinen künftigen Kumpels. "Da konnte man dann schon mal spanischen Schritt und schöne Levaden sehen. Die wollen sich gegenseitig natürlich beeindrucken", erzählt Anna-Lena Kulicke, die auf dem Barockpferdehof angestellt ist.
Das Zusammentreffen auf der großen Sommerkoppel war dann aber unproblematisch. "Natürlich gehen wir mit der Herdenhaltung ein gewisses Risiko ein, dass etwas passiert – aber das tut man bei einer Stuten- oder Wallachherde doch auch", sagt Susanne Gelf-Kapler. Mehr als "ein bisschen Tapete ab" sei bei den Hengsten bisher nie passiert.

Wichtig ist dafür auch die richtige Gruppenzusammenstellung. Kommt ein neuer Hengst an, macht sich die dreiköpfige Crew von Fleur de Lis (hier herrscht mit Susanne Gelf-Kapler, Anna-Lena Kulicke und der gelernten Landwirtin Nadine Merk Frauenpower) Gedanken, in welche Herde der Neuzugang am besten passt – und ändert die Zusammenstellung bei Bedarf auch.
"Kenzo, unser Friesenwallach, war anfangs bei den Althengsten – er kam dort nicht zur Ruhe, da er dauernd von PRE-Hengst Artillero zu spielerischen Rangkämpfen aufgefordert wurde. Nun steht Kenzo bei den Junghengsten. Dort fühlt er sich wohl und blüht auf", so Nadine Merk.

Auch in der Aufzucht spielen ältere Hengste manchmal den Erzieher für die jungen. "Wenn einer da richtig aufpackt, kommt er zu einer Gruppe mit älteren Hengsten dazu und ist dann wieder ganz handzahm", weiß Gelf-Kapler aus Erfahrung. Sie bietet auf Fleur de Lis Aufzuchtplätze für Junghengste; fünf Dreijährige stehen momentan im neuen, weitläufigen Paddock mit Offenstall und angrenzender Koppel.
"Das besondere bei uns ist, dass die Pferde nicht nur super in der Herde sozialisiert sind, sondern auch jeden Tag Kontakt zum Menschen haben", so die Hofbesitzerin. Tatsächlich kommen die Junghengste sofort ans Tor, als Nadine Merk und Anna-Lena Kulicke auftauchen. Jeden Tag geben die beiden der Truppe ihr Zusatzfutter, jeden zweiten putzen sie die Junghengste.

Einmal die Woche gibt es einen Spaziergang übers komplett umzäunte, 26 Hektar große Gelände, und alle fünf bis sechs Wochen kommt der Schmied.
Nach dem Decken geht es wieder in die Herde
Wenn sie den Hof wieder verlassen, sind die Hengste gut zu händeln – genauso wie die Althengste auf Fleur de Lis. Problemlos führen Susanne Gelf-Kapler und Anna-Lena Kulicke sie von der Weide in den Stall – jede hat dabei zwei Pferde an Halfter und Strick an der Hand, Kulicke außerdem noch ihren Shetty-Wallach Flips.
Der lebt mit vier Kumpels auf der Weide und teilt sich nachts eine ehemalige Abfohlbox mit ihrem Barockpinto-Deckhengst Django. Als die Großen für die Fotos über die Weide donnern, galoppiert der Kleine hinterher, ohne unter die Hufe zu geraten. "Er ist bei den anderen richtig beliebt, kann sich auch durchsetzen und hat eigentlich nie eine Schramme", erzählt seine Besitzerin.

Dass die Hengste im Umgang so brav seien, habe auch damit zu tun, dass sie viel beschäftigt werden – von Bodenarbeit über klassische Dressur und Gelände. "Hengste brauchen schon eine klare Linie – Django muss auch auf dem Weg zur Stute genau auf mich hören."
Gemeinsam mit dem helleren Barockpinto Anthimos gehört Django zu den beiden momentan aktiven Deckhengsten des Hofs. Beide decken im Natursprung an der Hand, fünf Stuten kamen letztes Jahr zu Django. Die Stuten sind dann in einem separaten Stalltrakt untergebracht und außer Sichtweite auf der Koppel, damit keine Unruhe entsteht.

Denn schade wäre es um die Harmonie: Während wir an diesem Novembertag am Zaun stehen, beknabbern sich die Hengste immer wieder, kabbeln Nase an Nase, steigen spielerisch. Oder sie gehen mit den Vorderbeinen fast zu Boden, kneifen sich in die Karpalgelenke. "So spielen Hengste besonders gerne", sagt Susanne Gelf-Kapler. Wenn man sie denn lässt.
Kommentar
Gruppenhaltung, Weidegang und Aktivställe sind auf dem Vormarsch. Doch bisher profitieren davon meist nur Wallache und Stuten. Für Hengste heißt es meist nach der Aufzucht: Nun beginnt der Ernst des Lebens. Und das heißt: Einzelhaft, wenn auch mit Freigang auf der Koppel. Wer sieht, wie friedlich die Althengste auf Fleur de Lis ihr Zusammenleben auskosten, dem blutet bei dem Gedanken an all die einsamen Hengste das Herz. Neue Konzepte für die Hengsthaltung müssen her – ein gutes Vorbild gibt es ja! Natalie Steinmann, CAVALLO-Redakteurin.
