Nervöser Neurotiker oder tiefenentspannter Kumpeltyp – die Persönlichkeiten von Pferden wirken allzu menschlich. Schaut man sich im Stammbaum um, fragt sich mancher Pferdefreund: Fällt der Apfel(schimmel) vielleicht gar nicht so weit vom Stamm?
Forscher suchen Hinweise auf Charaktereigenschaften in den Genen
Ein japanisches Forscherteam hat sich dieser Frage angenommen und nach genetischen Hinweisen auf grundlegende Charaktereigenschaften bei Rennpferden gesucht. Dass die Persönlichkeit nicht nur von der Umwelt, sondern auch von der Genetik beeinflusst wird, ist bei Menschen schon bewiesen. Hindernis beim Pferd: Im Gegensatz zum Reiter kann es keine psychologische Selbsteinschätzung beisteuern, um diese mit genetischen Befunden zu vergleichen.
Das Team um Studienleiter Tamu Yokomori nahm sich das "Big 5"-Persönlichkeitsmodell aus der Menschenpsychologie zum Vorbild, welches bereits genetisch erforscht ist. Es verglich die Daten mit jenen einer Gendatenbank von 101 Englischen Vollblütern. Im Fokus: Die orthologen Gene, die bei verschiedenen Spezies ähnlich genug sind, um sie direkt vergleichen zu können, da sie auf ein gemeinsames Ursprungs-Gen zu einem früheren Zeitpunkt in der Evolution zurückzuführen sind. Pferde wie Menschen verfügen über solche orthologen Gene.
Nervenstark oder nervös? Es steckt in den Genen
Zunächst sichteten die Forscher bisherige Studien zu Persönlichkeitsmerkmalen bei Menschen basierend auf dem Big-5-Modell und seiner genetischen Basis. Die Psychologie nutzt die "Big 5", um anhand von fünf Charaktereigenschaften die Persönlichkeit eines Menschen individuell einzuschätzen und innerhalb des Modells zu verorten (siehe Abschnitt "Big 5-Modell"). Dann identifizierte das Team die Pferdegene, die den 28 Genen entsprechen, die die menschliche Persönlichkeit prägen.
Ein Gen kann in verschiedenen Varianten auftreten, die sich auf Erscheinung und Verhalten auswirken können, aber nicht müssen. In der Studie wurden bei 18 der Gene insgesamt 55 Genvarianten gefunden, die Einfluss auf das Verhalten des Pferds haben könnten. Auffällig: 23 Gene wirkten sich auf das Merkmal Neurotizismus aus, das sich bei Pferd (und Mensch) unter anderem im Maß der Nervenstärke oder Nervosität äußert. Die übrigen Eigenschaften wurden von deutlich weniger Genen beeinflusst: Extraversion von 6, Gewissenhaftigkeit und Offenheit jeweils von 4 und Verträglichkeit von 3 Genen. Viele Gene beeinflussen eine dieser Eigenschaften und Neurotizismus gleichzeitig.
Ob Stuten oder Hengste nervöser sind, ist unklar
Zudem entdeckten die Forscher einen möglichen Geschlechterunterschied bedingt durch Varianten des Gens MAOA, die auf dem Geschlechtschromosom X liegen: "Das könnte die Unterschiede im Temperament zwischen den Geschlechtern beeinflussen", sagt Yokomori. Welche konkreten Differenzen verschiedene MAOA-Varianten bewirken, wie dies mit der vererbbaren Persönlichkeit zusammenhängt und ob Stuten für bestimmte Charakterzüge prädestinierter sind als Hengste oder umgekehrt, ist indes noch unklar. "Die Humanforschung hat jedoch gezeigt, dass eine Veränderung im MAOA-Gen Neurotizismus verschlimmert", berichtet der Wissenschaftler. "Wir denken daher, dass diese Veränderung den Neurotizismus auch bei Pferden intensiviert." Die Neigung zu Nervosität und Reizbarkeit in stressigen Situationen könnte demnach ausgeprägter sein.
Gene könnten helfen, die Persönlichkeit von Pferden einzuschätzen
"Wir müssen die Gene noch mit denen anderer Rassen vergleichen, um festzustellen, ob Englische Vollblüter vermehrt zu Neurotizismus neigen", stellt Yokomori klar. Beobachtete Charakterunterschiede bei Pferden anderer Rassen könnten auch auf die Unterschiede in Haltung, Umgang, Nutzen oder Zuchtselektion zurückzuführen sein: "Die Zuchtauswahl der Vollblüter hat sich auf die ‚Rennfähigkeit‘ der Pferde konzentriert. Daher kann es sein, dass diese genetischen Einflüsse ebenso spezifisch sind", meint Yokomori.
Das japanische Forscherteam verspricht sich von den Erkenntnissen bessere Möglichkeiten, die individuelle Persönlichkeit eines Pferds einzuschätzen. Dies könnte helfen, eine passende "Zweitkarriere" für ehemalige Rennpferde zu finden. So bieten sich laut Yokomori besonders Vollblüter mit einem geringen Neurotizismus-Wert, also nervenstarke Pferde, als spätere Reitpferde an.
Persönlichkeits-Gentests für Pferde sind denkbar
Yokomori und sein Team stehen allerdings noch am Anfang: "Zukünftig erforschen wir den Zusammenhang zwischen jedem einzelnen Gen und dem Verhalten eines Pferds und überprüfen, ob und wie jedes Gen die Persönlichkeit positiv oder negativ beeinflusst." Und kommt irgendwann der Pferde-Persönlichkeitstest für den Hausgebrauch? "Ja!", ist Yokomori zuversichtlich, "wir möchten das Wohlergehen von Pferden verbessern, indem wir ihre Persönlichkeit besser verstehen. Wenn wir mehr über ihre Genetik wissen, könnte eine Gen-Typisierung den Charakter auch laienverständlich machen."
Was ist das Big 5-Modell?
Das Persönlichkeitsmodell (auch OCEAN- oder Fünf-Faktor-Modell) entwickelten amerikanische Psychologen in den 1930er-Jahren. Die fünf Eigenschaften sind individuell ausgeprägt.
Offenheit für Erfahrungen (Openness): offen für Neues oder konservativ Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness): sorgfältig oder nachlässig, spontan oder planend
Geselligkeit (Extraversion): gesellig oder zurückhaltend, orientiert an anderen Menschen oder unabhängig
Verträglichkeit (Agreeableness): kooperationsbereit oder wettbewerbsorientiert, mitfühlend oder egoistisch
Neurotizismus (Neuroticism): emotional ausgeglichen oder nervös (neurotisch)