Enge verunsichert viele Pferde
Das Gefühl für unendliche Weite liegt Pferden in den Genen. In Nordamerika lebten schon Pferde in der Prärie, noch bevor die ersten Siedler kamen. "Fluchttiere bevorzugen einen guten Überblick. So erkennen sie Gefahren rechtzeitig”, erklärt Pferdewissenschaftlerin Katja Schnabel. Durch Stallgassen gehen, in Boxen stehen, sich in einen Anhänger verladen lassen: An so eine Enge müssen Pferde sich erst gewöhnen. Ein Anhänger ist für die Tiere zunächst eine dunkle Kiste, die keinen Überblick bietet. "Anhängerfahren ist die Königsdisziplin in puncto Enge. Pferde haben gerne Weite vor sich. Im Anhänger ist das Sichtfeld eingeschränkt”, sagt die Expertin.
Katja Schnabel hat aber eine gute Nachricht: Angst kann sich über Training und Gewöhnung auflösen. Die Expertin weiß: Je früher der Mensch ein Pferd an Enge gewöhnt und es nach und nach damit bekannt macht, desto normaler wird diese fürs Tier. Pferde sind lernfähig. Und: Für uns Menschen tun sie viele Dinge im Alltag, die eigentlich nicht ihrer Natur entsprechen.
Klar ist aber auch: Manche Pferde haben bereits traumatische Erfahrungen gemacht. "Viele kommen dreijährig von der Weide, kennen kaum das Halfter und werden direkt in einen Anhänger verfrachtet; das überfordert”, meint die Ausbilderin. Manche Pferde haben auch Zwänge – so wie klaustrophobische Menschen, die Panik im Fahrstuhl bekommen. "Da kommt man schwer gegen an; gutes Zureden allein hilft nicht.”
Was brauchen Pferde, damit sie im besten Fall gar nicht erst Platzangst bekommen? Und was hilft Pferden, die bereits ein Problem mit Enge haben? Hier können Sie Katja Schnabels Verlade-Tipps nachlesen:
"Ich baue über systematisches Training Vertrauen auf und gewöhne das Pferd nach und nach mit positiven Erfahrungen an Enge”, erzählt Katja Schnabel. Vertrauensarbeit löscht schlechte Erfahrungen und überschreibt diese mit positiven Erlebnissen. Hier kommt die erste Übung aus dem Anti-Platzangst-Übungsprogramm:
Die Trainings-Gasse
Aufbau mit Tonnen und Plane
Bauen Sie sich eine Gasse: Diese können Sie für verschiedene Übungen nutzen. Zudem lässt sie sich mit wenig Aufwand variieren – und Sie können den Schwierigkeitsgrad erhöhen. "Anfangs sollte die Gasse etwa fünf Meter breit und vier Meter lang sein”, rät Katja Schnabel. Verwenden Sie vorrätiges Material. Kreativität ist gefragt. Am Anfang und am Ende stehen Tonnen im Abstand von fünf Metern und bilden je den Ein- und Ausgang. Sie können die Schwierigkeit steigern und einen Sprung zwischen die Tonnen bauen. Als höchste Stufe hängt zudem eine Plane überm Sprung. Damit diese nicht flattert, ist sie unten mit einer Stange beschwert.
Übung 1: Ruhig in der Gasse stehen und enstpannen
Führen Sie das Pferd in die Gasse. Wählen Sie eine Führposition, in der Sie sich sicher fühlen und Ihr Pferd ebenfalls.

Das gibt dem Pferd Mut und es geht durch die Gasse. Die Trainerin läuft außen mit.
Sie können mit dem Pferd in die Gasse gehen oder selbst außen gehen und das Pferd schicken. Das Pferd schnuppert an den Gegenständen?

Was ist das? Der Wallach begutachtet neugierig die Tonnengasse. Katja Schnabel strahlt mit ihrer Körperhaltung dabei Ruhe aus.
Wunderbar. Geben Sie dem Pferd Zeit, alles zu erkunden. "Es erfährt, dass nichts Schlimmes passiert und wird selbstbewusster”, weiß Katja Schnabel. Führen und schicken Sie das Pferd einige Male durch die Gasse.
Dann üben Sie, in der Gasse zu halten. Richten Sie eine Komfort-Zone ein, also einen angenehmen Platz für sich und das Pferd. Das funktioniert, indem Sie selbst möglichst relaxt sind – was sich aufs Pferd überträgt: Atmen Sie aus, entspannen die Muskeln, lassen Sie die Schultern hängen, Ihre Knie sind leicht gebeugt. "Machen Sie es sich bequem und trinken Tee – zumindest in der Vorstellung”, rät die Expertin. In dieser Pausen-Position verweilen Sie einige Minuten – aber mindestens so lange, bis das Pferd auch Zeichen der Entspannung zeigt. Woran Sie das erkennen? Es senkt etwa den Kopf, schließt die Augen mehr, atmet aus und entlastet ein Bein. Diese Ruhe nehmen Sie mit in Ihr Anhänger-Training.

Das Pferd lernt, entspannt in der Gasse zu stehen.
So entspannt gibt das Pferd die Kontrolle ab. Der Pferdemensch vermittelt Sicherheit. Klappt es noch gar nicht mit dem ruhigen Stehen, üben Sie dieses zunächst gesondert.
Die Expertin

Katja Schnabel ist Pferdewissenschaftlerin, Reiterin, Physiotherapeutin und Osteopathin für Pferde. Die Trainerin kommt aus Buckow bei Berlin und bildet europaweit Menschen und Pferde aus. (www.katja-schnabel.de)