Sensibelchen Püppy neigt zum Erschrecken, Rocky gebärdet sich als Draufgänger und Ponymix Einstein ist ein Blitzmerker. Reitern fällt es leicht, den Charakter ihrer Lieblinge zu beschreiben – doch ebenso schnell kommen sie ins Grübeln: Hat die Erziehung Schuld an bestimmten Wesenszügen, oder ist das Temperament in die Wiege gelegt? Und besonders wichtig: Kann Training das Wesen eines Pferds beeinflussen? Forscher beantworten all diese Fragen mit einem klaren „Ja“ – soviel vorneweg. Nur: Was hat wieviel Anteil daran, wie ein Pferd tatsächlich tickt?
Was Temperament ist
Temperament beschreibt einen bestimmten Verhaltensstil. Dieser kann etwa eher ängstlich, aggressiv, apathisch oder aufgeschlossen sein – und ist tief im individuellen Verhaltensrepertoire eines Pferds verankert. „Das Temperament ist praktisch die Basis, aus der sich im Lauf des Lebens eine bestimmte Persönlichkeit formt, die sich mit psychologischen Modellen und Tests beschreiben lässt“, sagt Verhaltensforscherin Dr. Vivian Gabor aus Greene/Niedersachsen. Sie beurteilt Pferde gerne mit Hilfe des „Eysenck-Modells“: Ein Fragebogen und sich kreuzende Achsen (introvertiert/extrovertiert, stabil/instabil) umreißen den Charakter.
„Genetik und Emotion funktionieren bei Pferden ähnlich wie bei uns, weshalb sich menschliche Modelle mit kleinen Einschränkungen übertragen lassen“, sagt Gabor. Wichtig ist, dass möglichst mehrere Reiter ein Pferd unter die Lupe nehmen – sonst besteht die Gefahr, dass der Mensch aufgrund des eigenen Charakters die Bewertung subjektiv verzerrt. Doch was bringt es, die Persönlichkeit seines Pferds zu kennen? Ganz einfach: Es erleichtert den Umgang und hilft, das Training typgerecht zu gestalten.
Auf der Suche nach passenden Trainingsmethoden für bestimmte Persönlichkeiten greifen Forscher in die Trickkiste. Beim Novel-Object-Test konfrontieren sie beispielsweise ein freigelassenes Pferd mit einem fremden Gegenstand, etwa einem aufspringenden Schirm, und messen seine Reaktion. Von neugierigem Anstupsen bis panischer Flucht ist je nach Rasse und individueller Persönlichkeit alles möglich. Doch was von diesen Reaktionen ist nun vererbt und was ist schlicht anerzogen?
Einfluss des Erbguts
„Das Grundtemperament ist zu 80 Prozent genetisch fest verankert und nur zu 20 Prozent durch Umwelteinflüsse wie Haltung, Aufzucht, Training beeinflusst“, sagt Ausbilderin und Verhaltensforscherin Sandra Kogler aus Partenstein. Die Forschungsgruppe um Ethologin Dr. Iris Bachmann vom Schweizer Nationalgestüt in Avenches konnte etwa belegen, dass die Genetik bei der Berührungsempfindlichkeit rassenabhängig eine wichtige Rolle spielt. So reagieren Kaltblüter besonders unempfindlich auf taktile Hautreize, moderne Sportpferde dagegen sehr sensibel. Die gemütlichen Schweizer Freiberger liegen im Mittelfeld. Je mehr sie aber durch Warmblüter veredelt sind, desto mehr gleicht sich ihre Reaktion den Sportpferden an.
Tief im Genom, dem Erbgut, verborgen, steckt auch der Schlüssel für Neugier: Forscher um Yusuke Hori von der Universität in Kyoto in Japan entlarvten den körpereigenen Botenstoff Dopamin als Stellschraube, die – neben vielen anderen Faktoren – mitbestimmt, wie extrovertiert und aktiv Pferde agieren: Je mehr Rezeptoren für Dopamin (DRD4) im Hirn vorhanden sind, umso neugieriger verhält sich ein Pferd.
Verteilung und Anzahl der Rezeptoren unterscheiden sich ebenfalls. „Sie bestimmen auch, wie aktiv Pferde nach Belohnung streben“, sagt Bachmann. Und das ist ein zweischneidiges Schwert. Sehr extrovertierte Pferde können zwar leicht über Lob motiviert werden, ihre Neugier aber auch einsetzen, um sich dem Reiter zu entziehen. „Jeder Charakterzug kann positive wie negative Ausprägungen haben.“
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Zucht und Typen
Seit der Entschlüsselung des Pferdegenoms lesen Forscher in den rund 3 Milliarden Basenpaaren der DNA immer wieder spannende Geschichten. Manche werfen Licht in die dunklen Anfänge der Pferdezucht.
So hat eine internationale Forschergruppe anhand von Untersuchungen an etwa 4000 bis 6000 Jahre alten Pferdeskeletten der Skythen herausgefunden, dass dieses legendäre Reitervolk bereits am Temperament seiner Pferde feilte. Neben einer stabilen Vorhand selektierten sie ihre Tiere auf Farbe, Sprintvermögen – und den Charakter. „Man weiß das, weil sich bestimmte Muster von Genvarianten und deren Anhäufung zwischen diesen frühen domestizierten Pferden und den modernen Pferderassen unterscheiden“, sagt Genetiker Stefan Rieder, der bei der Studie mitwirkte. Die Skythen scheinen zahmere Pferde geschätzt zu haben.
Über die Jahrhunderte prägten Züchter bei einzelnen Rassen je nach Verwendung bestimmte Wesenszüge, die sich mit der Zeit fest verankerten. Beispiel Quarter Horse: Während typische Pleasure-Linien eher ruhig auf Neues reagieren, sind „Quarter mit ausgeprägten Cow-Sense ebenso wie Stierkampfpferde mit einer höheren Portion Aggressivität ausgerüstet“, beobachtet Vivian Gabor. In den falschen Händen wird das leicht ein Problem. Gabor erinnert sich lebhaft an ein Cuttingpferd, das vor lauter Unterforderung und mangelnder Erziehung die Besitzerin durch den Auslauf jagte, als sei diese eine Kuh.
Reiter sollten sich demnach besser vor dem Kauf überlegen, für welchen Zweck eine Rasse ursprünglich gezüchtet wurde – und sich fragen, ob die eigenen Fähigkeiten ausreichen, so ein Tier entsprechend zu fördern. Ein Blick in die Stutbücher und Zuchtwertschätzungen der FN bei Hengsten ist ebenfalls hilfreich. Denn bestimmte Stutenstämme und Stempelhengste geben ihren Nachfahren neben Leistung auch ein gewisses Temperament mit – was nicht bedeutet, das Geschwister grundsätzlich eine ähnliche Persönlichkeiten haben: Sie wachsen nur selten unter vergleichbaren Bedingungen heran.
Also spielt die Umwelt in die Persönlichkeit ebenfalls mit hinein?
Die Rolle der Umwelt
„Haltung, Ernährung und Training formen die Pferdepersönlichkeit durchaus mit“, sagt Iris Bachmann. Selbst die Ernährung könnte im Fohlenalter eine Rolle spielen. Forscher vermuten, dass Omega-3-Fettsäuren und Tryptophan, eine Aminosäure, positiv auf Lernverhalten und Gemüt wirken.
In den ersten sechs bis zwölf Monaten ist die Entwicklung der Pferdepersönlichkeit ohnehin besonders anfällig für äußere Einflüsse. Ein Unfall, ein heftiges Unwetter, eine negative Begegnung mit Menschen oder Artgenossen kann ein Pferd in seinem Wesen nachhaltig deformieren – trotz bester genetischer Veranlagung. Traumatische Erfahrungen und emotionale Belastungen in der Phase der Prägung hinterlassen im limbischen System, dem Gefühlszentrum des Hirns, eine Art biochemische Narbe. Sie ist verantwortlich, dass manche Pferde später selbst bei geringsten Belastungen mehr Stresshormone ausschütten als ihre Kollegen.„Trotzdem ist selbst bei solchen Pferden selten alles verloren“, beruhigt Sandra Kogler. „Viele Verhaltensweisen lassen sich komfortabel glätten.“ Und wie funktioniert das?
„Die passende Haltung ist immer der erste Schritt“, sagt Vivian Gabor. Ein sehr reaktives Pferd mit viel Vollblut wird in einer Einzelbox mit hoher Wahrscheinlichkeit eher Stereotypen wie Weben oder Kreiseln beginnen, wenn es nicht über ausreichend Bewegung Stress abbauen kann. Gabor legt außerdem Wert darauf, Pferde typgerecht zu trainieren.
Ein unsicherer Charakter gewinnt über Folgeübungen Zutrauen – und wächst beim Vorausschicken durch Gassen über sich hinaus. Ein eher aggressiver Typ profitiert von Abstandsübungen, die ihm Grenzen aufzeigen, und klarer Konsequenz. Sandra Kogler: „Ein Phlegmatiker lernt oft leichter mit klassischer Konditionierung, bei der auf einen Reiz eine Reaktion folgt. Ein introvertierter Typ profitiert von operanter Konditionierung.“ Dabei wird spontanes erwünschtes Verhalten durch ausgiebiges Loben gefördert. „Überhaupt gewinnen introvertierte Typen durch enthusiastisches Stimm-Lob und Streicheln Energie.“
Für ein Sensibelchen wäre überschwängliches Lob indes zu viel des Guten. Solche Pferde erfreut ein beruhigendes „Braaav“ oder mal ein flockiger Galopp, weil das besser zu seiner Persönlichkeit passt.
Wie Zuneigung wirkt
Unabhängig vom jeweiligen Temperament ist es wichtig, dass der Mensch eine innige Bindung zum Pferd aufbaut, etwa durch viel Bodenarbeit, Zuwendung und Klarheit. „Je mehr ich mich mit dem natürlichen Ausdrucksverhalten befasse und Vertrauen aufbaue, desto leichter bewegt sich ein Pferd in Richtung optimales Verhalten“, sagt Dr. Kathrin Kienapfel, Pferdewissenschaftlerin an der Universität Bochum. Für sie ist Problemverhalten meist schlicht vom Menschen gemacht.
Und selbst bei solchen Fällen schreibt das Leben mitunter die schönsten Happy Ends. Pearl, das Quarter Pony von Vivian Gabor, wurde mit Elektrotreibern traktiert, das Nasenbein mit Gewalt gebrochen. Was Männer der sanften Stute antaten, hinterließ tiefe Narben an Körper und Seele. Anfangs ließ Pearl niemanden an sich heran, legte sich bei Angst sofort in den Sand. Bodenarbeit ließ die verstörte Stute aufblühen. Inzwischen ist sie Therapiepferd und sucht mitunter freiwillig die Nähe zu Männern, um sich streicheln zu lassen.
Als Mutter ist Pearl übrigens eine echte Perle: „Ihre guten Gene und ihr freundliches Wesen gibt sie zuverlässig an ihre Kinder weiter“, sagt Vivian Gabor.




