Die Stute konnte sich in der Tierklinik kaum noch auf den Beinen halten, war völlig apathisch. Quarter Horse Lena litt unter einer schweren Lungen- und Bauchfellentzündung. Ursache? Unbekannt. Würde das Pferd überleben? Die Tierärztin hatte wenig Hoffnung. Als der Besitzer kam, besprach sie mit ihm die ernste Lage. Dabei standen beide vor der Box. Plötzlich hob die Stute den Kopf, spitzte die Ohren und brummelte sogar freudig – obwohl sie kaum Luft bekam. "Die wirkt plötzlich viel wacher. So habe ich das Pferd noch nicht erlebt", bemerkte die Ärztin.
Was war passiert? Die junge Stute hatte die vertraute Stimme ihres Besitzers gehört. Allein aus seiner Anwesenheit schöpfte das Pferd offenbar neue Energie. Als der Mann seine Stute von der Box in den Behandlungsraum führte, folgte sie ihm dicht auf den Fersen. An dieser kurzen Strecke waren die Tierärzte erst kurz zuvor fast gescheitert: Lena hatte schlicht keine Puste mehr gehabt. Und nun, mit dem Besitzer an ihrer Seite, mobilisierte die Stute ungeahnte Kräfte – trotz Atemnot und starker Schmerzen.
Kontakt zum Besitzer erhöht die Überlebenschancen von todkranken Pferden
Nach einer Woche in der Tierklinik und langer, intensiver Krankenpflege im heimischen Stall scheint Stute Lena nun über den Berg zu sein. Ihre bewegende Geschichte macht deutlich, welch starken Einfluss ein vertrauter Mensch auf die Genesung des Pferds haben kann. Die Patientin ist kein Einzelfall. Das zeigen die Erfahrungen von Tierärzten sowie viele handfeste Studien.
Schottische Spezialisten für die lebensbedrohliche Graskrankheit (Grass Sickness) betonen schon lange, wie wichtig gute Pflege und intensiver Kontakt zum Menschen für die erkrankten Pferde sind. "Liebe kann nicht immer Leben retten – aber sie kann die Chance auf Genesung steigern", sagt Professor Elspeth Milne von der Tierärztlichen Hochschule in Edinburgh.
Regelmäßige Besuche sind Balsam für die Pferdeseele
Die Anwesenheit eines vertrauten Menschen kann das Interesse des Pferds an seiner Umwelt fördern. "Ich beobachte, dass Tiere, die häufig besucht werden, anfangen, nach ihren Besitzern Ausschau zu halten", berichtet die Tierärztin. Bei ihren chronischen Grass Sickness-Patienten ist dieses Verhalten bereits ein großer Erfolg. Denn viele erkrankte Pferde fallen in einen depressiven Zustand: Sie stehen mit hängendem Kopf im hintersten Teil der Box und sind teilnahmslos.
Wer seinen Liebling streichelt, putzt und mit ihm spricht, weckt angenehme Gefühle – und stärkt damit den Lebenswillen des Pferds. "Oft gehen die Fälle tatsächlich am besten aus, in denen die Besitzer alles für ihr Pferd gegeben haben. Aber eine Garantie gibt es natürlich nicht", so Elspeth Milne.
Wieder Appetit dank guter Pflege:
Nicht nur die Psyche braucht Zuwendung – auch der Körper. Pferde mit Grass Sickness etwa leiden unter verstopften Nüstern. Teils bildet sich sogar eine Blutkruste an der Nase. "Die Tiere riechen dadurch schlechter, was sich auf den Appetit auswirkt", sagt die Spezialistin. Hier kann jeder Besitzer ganz praktisch helfen, indem er die Nüstern sanft mit einem Schwamm auswischt. Oft zeigen die Tiere nach dieser Pflege wieder mehr Lust auf etwas Leckeres.
Die Macht der Mutterliebe

Zuwendung ist vor allem auch für die Jüngsten wichtig – bei Menschen wie bei Pferden. Babys gehen ohne spürbare Zärtlichkeit zugrunde – selbst wenn es ihnen sonst an nichts fehlt. Frühgeborene entwickeln sich schneller, bekommen seltener Hirnschäden und werden eher aus dem Brutkasten entlassen, wenn Eltern sie oft zärtlich streicheln. Das belegen Studien.
Auch Pferdekinder brauchen Nähe. Dafür sorgt die Mama. Stuten lecken ihren Nachwuchs nach der Geburt überall ab. Mit dieser liebevollen Berührung bauen sie eine enge Beziehung zum Fohlen auf. Beim Säugen steht Popo-Kraulen hoch im Kurs.
Wie wichtig Kuscheln für Waisenfohlen ist, berichtete CAVALLO im Januar-Heft 2017. Der kleine Hengst Breeze wuchs ohne Mutter auf. Die Tierschützer des englischen "Mare and Foal Sanctuary" setzten ein Plüschtier als Mama-Ersatz in seine Box. Breeze schmiegte sich oft vertrauensvoll an den Teddy. Das half ihm, wichtige Nestwärme zu erfahren. Heute ist er drei Jahre alt und strotzt vor Kraft.
Der Care-Effekt – Liebe wirkt wie Medizin
Die Auswirkungen von Zuneigung auf die Gesundheit faszinieren auch Wissenschaftler. Sie erklären sich damit etwa den Placebo-Effekt bei Tieren. Lange verblüffte es, dass Scheinmedikamente auch bei Pferden anschlagen. Das schien eigentlich unmöglich. Wieso? Placebos wirken, weil der Patient die Wirkung erwartet.
Ein Pferd kann freilich nicht wissen, dass Tabletten, Tropfen und Co. bald seine Schmerzen lindern. Aber: Der Besitzer kann es. Und das ist laut Experten das Geheimnis des Placebo-Effekts bei Tieren. Der Mensch ist positiv gestimmt und weniger nervös, was sich aufs Pferd überträgt. Zudem spielt das ganze Drumherum bei der Gabe von Medikamenten eine Rolle für den positiven Effekt. Der Besitzer kümmert sich schlichtweg intensiver ums Pferd. Deshalb spricht man auch vom Care-Effekt.
Disziplin ist auch eine Form der Liebe
Wer eine enge Beziehung zum Pferd hat, ist eher bereit, eine Therapie auch umzusetzen", meint Tierärztin Dr. Stefanie Sprauer aus München. Denn oft wird dem Besitzer viel abverlangt, wenn das eigene Tier krank ist. Quarter Horse Lena etwa brauchte wochenlang vier Mal täglich Medikamente. Ihr Besitzer fuhr sogar nachts in den Stall, um sie zu versorgen. Eigentlich kaum zu schaffen, oder? Nur die große Zuneigung zum Pferd ließ den Mann durchhalten.
Disziplin des Besitzers hilft übrigens auch pummeligen Pferden. Die sind vielleicht noch nicht krank, aber Übergewicht gefährdet bekanntlich die Gesundheit. Dicke Tiere haben etwa ein erhöhtes Risiko für EMS, Cushing und Hufrehe. Zeit für eine Diät? Laut US-Forschern sollten Pferdehalter unbedingt lernen, aus Liebe "Nein" zu sagen. Dann purzeln die Pfunde beim Pferd nachweislich schneller. Für eine Studie wurden 24 Privatpferde rund fünf Monate auf Diät gesetzt. Sie erhielten 10 bis 20 Prozent weniger Energie.
Das Ergebnis: Besonders schnell purzelten die Pfunde bei den Pferden, deren Besitzer streng nach Diät-Plan gefüttert hatten. Sie verloren rund 6 Prozent ihres Gewichts. Tja, manchmal geht Liebe eben gerade nicht durch den Magen. Glücklicherweise gibt es auch gesunde Möglichkeiten, den Liebling zu verwöhnen.
Streicheln gegen Stress
Angenehme Berührungen gehen unter die Haut – wortwörtlich. Sie beruhigen und stärken die Abwehrkräfte. Wie funktioniert das? Stehen Pferde ständig unter Strom, arbeiten die Immunzellen anders – sie können Viren und Bakterien schlechter abwehren. Streicheleinheiten wirken dagegen. Dabei schüttet der Körper das Hormon Oxytocin aus, was das Wohlbefinden steigert.
Eine Studie mit Ratten konnte zeigen, dass Berührungen selbst auf lange Sicht positiv sind: Rattenbabys, die von ihrer Mutter oft abgeleckt wurden, ließen sich später von Stress weniger beeindrucken. Durch die Berührung hat ihr Körper einen besseren Mechanismus ausgebildet, um das Stresshormon Cortisol zu binden.
Keine Angst, Sie müssen Ihr Pferd jetzt nicht abschlecken. Massagen haben ebenfalls eine Anti-Stress-Wirkung. Laut italienischen Forschern helfen TTouches Pferden, die beim Satteln gestresst sind. Wurden sie mit den kreisenden Bewegungen verwöhnt, verhielten sie sich weniger aggressiv. Echte Zuneigung hat tatsächlich ganz großartige Effekte.














