Liebe lässt sich nicht in Zahlen messen. Trotzdem ist die Zahl der Pferde enorm, die Kerstin Kremser schon gerettet und bei sich aufgenommen hat. "Über 20 waren es sicher schon", schätzt Kremser. Die meisten von ihnen sind inzwischen Schulponys in ihrer Kinderreitschule "Birkenhof" vor den Toren Münchens (www.birkenhofponys.de).
Dort lernen Kinder und Jugendliche in entspannter Atmosphäre und mit kluger Didaktik von klein auf den fairen und feinen Umgang mit dem Pferd sowie korrektes Reiten nach klassischen Grundsätzen. Und das alles mit Ponys, die schon aussortiert waren. Zu alt, zu krank, zu schwierig – dass die Vierbeiner freundliche und zuverlässige Schulpferde werden würden, hätte vor ihrem Umzug auf den Birkenhof niemand vermutet. Dass sie es wurden, hat vor allem einen Grund – Kerstin Kremsers großes Herz für alle Pferde.
Bedingungslos lieben
Das schlägt nicht nur für Ponys. Die Trainerin hilft auch verwahrlosten Pferden in Portugal und hat selbst mehrere Härtefälle aufgenommen. Über zwei Fohlen, Indigo und Favorito, und ihre ersten Monate in Deutschland berichtete CAVALLO in einer kleinen Serie von November 2013 an.
Egal ob Shetty, Haflinger oder Lusitano, Kremser lernt von jedem Pferd. "Vor allem, dass wahre Liebe bedeutet, ein Pferd stets so zu akzeptieren, wie es ist." Das Lebewesen in seiner Art anzunehmen, sich anzupassen und nichts zu fordern, das ist für viele Reiter eine große Herausforderung. "Bedingungslos zu lieben fällt uns schwer. Wir können der Versuchung oft nicht widerstehen, die Pferde zu beeinflussen, damit sie unsere Wünsche erfüllen", erklärt Kremser. Doch wahre Liebe bedeutet eben, eigene Ansprüche hinten anzustellen, keine Erwartungen zu stellen, das Beste aus jedem Pferd und jeder Situation zu machen und auch Grenzen zu akzeptieren.
Wo die Reise hingeht, bestimmen bei Kremser allein die Pferde. Das kann schon mal bedeuten, dass ein Pony, das sich dauerhaft im Reitunterricht unwohl fühlt, einen anderen Job bekommt. Oder dass Kremser ein gerettetes Pferd nach drei Jahren intensiver Arbeit in sorgfältig ausgesuchte Hände weitergibt. "Werde ich einem Pferd nicht mehr gerecht, etwa weil ich nicht genug Zeit mit ihm verbringen kann, suche ich einen Partner, der das kann und will. Wer ehrlich liebt, muss auch loslassen können."
Große Show, ganz ohne Show-Effekte

"Wir haben unsere Pferde, weil wir sie lieben." Wohl kaum ein Pferdemensch kann diese Aussage glaubwürdiger treffen als der französische Showstar Frédéric Pignon. Die Liebe zu Pferden ist bei ihm und seiner Frau Magali Delgado allgegenwärtig. Das kann jeder spüren, der die beiden schon einmal in ihren Shows erlebte. Der Ausdruck der Pferde, ihr Eifer und ihre Fröhlichkeit in der Arena heben sich deutlich ab von vielem, was ansonsten in Shows zu sehen ist.
Auch auf dem Heimat-Hof in Süd-Frankreich spürt man, dass Menschen und Tiere hier besonders eng miteinander verbunden sind. Im Sommer 2012 erlebte das CAVALLO-Team einen ganzen Stall voll entspannter, zufriedener und hoch motivierter Hengste. Eindrucksvolle Show- und Trainings-Demos zeigten, wie sehr die Pferde ihre Menschen lieben und es genießen, etwas für sie und mit ihnen tun zu dürfen. Die Magie zwischen Menschen und Pferden ist auch hier allgegenwärtig, sie ist also alles anderes als ein Show-Effekt.
Freiheitsdressur nach Frédéric Pignon

Auch abseits der Demos gab es viele liebevolle, herzliche Pferd-Mensch-Momente: Da dürfen hochkarätige Show-Hengste auf den Rasenflächen grasen, voneinander getrennt nur durch einzelne Zaunbänder. Und als ein frecher Hengst sich einen Durchgang zum Nachbarn sucht und ein Spiel beginnt, gibt es kein Geschrei oder Ärger. Eine Pflegerin geht hin, sammelt den frechen Hengst ganz freundlich wieder ein. Und der Macho lässt sich auch ganz ohne Widerstand wieder auf seine eigene Parzelle bringen. Strenge Gesichter, harte Worte, schneidende Stimmen – all das erleben wir hier nicht. Stattdessen werde die Pferde gestreichelt, getätschelt, gekrault und geküsst, was das Zeug hält. Die Hengste danken es ihren Besitzern durch große Zuneigung und volles Vertrauen – egal ob daheim im vertrauten Stall oder in den Show-Arenen dieser Welt.
Ihre Liebe zu Pferden zeigen Frédéric Pignon und Magali Delgado aber nicht nur in ihrer Arbeit mit den Pferden. Auch, dass manches talentierte Pferd aus dem Show-Team wieder entlassen wird, wenn die Menschen merken, dass das Tier sich im Rampenlicht nicht wohl fühlt, ist gelebte Pferdeliebe. Für solche Pferde sucht das Paar dann in aller Ruhe einen neuen, passenden Besitzer – und verkauft es nicht einfach an den Meistbietenden.
Pferde sind für die Showstars eben keine Nutztiere, sondern echte Familienmitglieder. Und weil man als Familie nun mal eng zusammenlebt, bleibt Frédéric Pignon mit Frau Magali und Sohn Noah auf dem eigentlich viel zu kleinen Hof. Der bietet zwar keine idealen Trainingsbedingungen. Aber er erlaubt es den Menschen, zu jeder Tages- und Nachtzeit jedem Pferd eine Streicheleinheit zu geben. So lässt sich Liebe leben.
Jedes Pferd ist das Beste

"Das ist ein ganz besonderes Pferd", sagt Andrea Bethge. Mit glänzenden Augen öffnet sie eine Box. Das "ganz besondere" Pferd ist Waikato, ein 16-jähriger Hannoveraner. "Der kann allerdings auch anders", sagt Bethge. Doch für die Ausbilderin und Grand-Prix-Reiterin (www.playfulpiaffe.de) ist Waikato der Allerbeste – egal wie doof er werden kann. Und Waikato kann! Der Wallach ist hoch sensibel, extrem schreckhaft und gelegentlich auch auf Krawall gebürstet. Hinzu kommt, dass er sich bei einem Sturz schwer an Becken und Wirbelsäule verletzte. Mit Geduld und stressfreiem Training brachte Andrea Bethge ihn zurück in den großen Sport.
Ein paar Boxen weiter steht das nächste "ganz besondere Pferd": Paritjätt, kurz Pari, ein 22-jähriger russischer Warmblüter. "Ist der nicht niedlich?", strahlt Bethge und umarmt ihr braunes Herzenspferd. Dabei stellte Paris labile Psyche die Trainerin vor viele Herausforderungen. "Ich glaube, sein Verhalten ist mit dem eines psychotischen Menschen vergleichbar. Pari baut sehr schnell Spannung und Angst auf und reagiert dann sehr stark darauf. Dafür sind nur minimale Reize nötig, die viele Pferde nicht einmal wahrnehmen."
Fürsorge, Bauchgefühl und Kompetenz

Pari ist zum Beispiel extrem bodenscheu, was das Reiten ganz schön erschwert. Denn der Untergrund sieht an jeder Stelle etwas anders aus, was Pari sofort registriert und fürchtet. "Trotz alledem ist er mein größter Lehrer", sagt Bethge. "Durch unsere gute Beziehung kann ich ihn aus seinen Angstzuständen befreien und ihn fröhlich stimmen." Glück findet Pari zudem täglich auf Bethges weitläufigen Koppeln in einer intakten Herde.
Problempferde wie Waikato oder Pari sind in Andrea Bethges Stall keine Einzelfälle. Die erfolgreiche Grand Prix-Reiterin gewinnt ihre Schleifen immer wieder mit Pferden, die durch ihr Temperament oder ihre körperlichen Probleme ganz besondere Herausforderungen sind. Für Bethge aber ist jeder Schützling "der Beste". Damit beweist die einfühlsame Trainerin, dass man mit schwierigen Pferden auch sanft ganz oben aufs Treppchen kommen kann – indem sie diese Tiere wieder glücklich macht. Andrea Bethge verfolgt nicht nur ihre Ziele beharrlich. Sie entscheidet vieles aus dem Bauch heraus. Es muss kein potenzieller Grand-Prix-Star sein, der bei Bethge liebevoll aufgenommen und einfühlsam versorgt wird. Das größte Problem für die Ausbilderin ist auch niemals ein vermeintlich schlechtes Pferd. Sondern der Moment, wenn sie eines ihrer Berittpferde wieder abgeben muss. Denn jedes ist tief in ihrem Herzen gelandet.
So viel Fürsorge, Bauchgefühl und Kompetenz – das spüren die Vierbeiner, und selbst schwerste Fälle wie Waikato oder Pari spiegeln das mit herausragenden Leistungen bis Grand Prix. Andrea Bethges Liebe bewirkt eben Wunder. Und schon läuft die Reiterin zur nächsten Box. "Schauen Sie mal, diese Stute hier. Eine ganz Großartige. Und ihr Nachbar: Also der ist ein richtig Toller!"
Schulpferde sind Freunde fürs Leben

Sibylle Wiemers Traum war ein Schwarzwälder-Kaltblut, das sie zu einem Dressurpferd ausbilden wollte. Vor 12 Jahren kam dann Felix in ihre Reitschule (www.sibyllewiemer.de): Ein hochallergisches Tier, das zur Erlösung beinahe getötet worden wäre.
Heute ist der Wallach ein zuverlässiges Lehrpferd. Neben Felix haben in den letzten 20 Jahren viele traumatisierte, verrittene oder kranke Pferde bei der Reitlehrerin eine neue Heimat gefunden. Ob groß, klein, dick oder dünn, stark oder schwach: Für Wiemer ist jedes Pferd eine gute Fee und verdient eine Chance. Ihre Liebe zu den Rössern paart sie mit dem Wunsch, allzeit zuverlässige Mitarbeiter zu haben. Auch wenn das anstrengend sein kann.
Felix etwa läuft am liebsten auf Sparflamme. "Er hat biologisch keine Idee davon, dass es auch flotter als vier Stundenkilometer voran geht", schmunzelt Sibylle Wiemer. "Das heißt, dass ich bei Felix ständig den Schenkelgehorsam abfragen muss." Auf Korrekturen wie diese kann die Reitlehrerin bei einem Lehr- und Therapiepferd nicht verzichten. "Gleichzeitig gibt mir Felix durch seine Art Sicherheit", schwärmt sie. "Er wird niemals wild."
Dass Kraftbolzen Felix nicht aufmuckt, liegt sicher aber auch daran, dass Sibylle Wiemer ihm so viel zutraut. "Ich projiziere auf ihn, zu was er in der Lage ist", erklärt sie. "Ich weiß, dass er ein Arbeitstier und ein gutes Dressurpferd sein kann." Das Zutrauen der Reitlehrerin beflügelt Felix und Co. – und darum erfüllen sie willig deren Wünsche. "Wenn Du da bist, gehen die Pferde besser", sagen ihre Schüler. Zumal Wiemer ihre treuen Mitarbeiter niemals überfordern würde. "Ich nehme jedes Pferd so, wie es ist, und akzeptiere, dass jedes seine Grenzen hat. Felix etwa im Galopp."
Ihre Pferde liebt Sibylle Wiemer "dankbar und von ganzem Herzen". Und das schon, bevor sie ihre Wünsche erfüllten. "Und natürlich auch, wenn sie das nicht mehr können", sagt sie. "Das ist meine Verantwortung. Mitarbeiter können entlassen werden. Freunde aber sterben in meinen Armen."
Partner auf Liebes-Basis

Richard Hinrichs – dieser Name steht für feine und pferdefreundliche Ausbildung in der klassisch-barocken Dressur. Und er steht für eine im Dressur-Lager nicht immer selbstverständliche, ausgesprochen tiefe Liebe zum Pferd.
Die wurde dem jungen Hinrichs in die Wiege gelegt: "Meine Mutter soll nach der Geburt im Krankenhaus mit mir auf dem Arm direkt in den Pferdestall gegangen sein, erst danach in die Wohnung", berichtet der Sohn eines Reiterpaares. Angeblich wurde er im Alter von drei Monaten erstmals aufs Pferd gehoben, konnte schnalzen, bevor er sprach, und erkundigte sich nach längeren Abwesenheiten von zuhause stets zuerst, wie es den Pferden ging.
Wer Hinrichs bei der Arbeit mit Pferden beobachtet, spürt diese Liebe sofort. Sie bewegt Erstaunliches. Zum Beispiel auf einer Reitanlage östlich von Paris. Dort besuchte das CAVALLO-Team gemeinsam mit Hinrichs den legendären Ausbilder Michel Henriquet (CAVALLO 5/2011). Dessen hoch sensibler Wallach Whisper geriet beim Piaffe-Training am Boden immer wieder in großen Stress, wurde regelrecht panisch. Nachdem Whisper von seinem Bereiter geritten worden war, übernahm Hinrichs in der Reithalle des 2014 verstorbenen Altmeisters die Zügel zur Handarbeit. Er ließ den Dunkelbraunen im Schritt auf dem Hufschlag gehen – und verschwand mit dem Pferd unter einer unsichtbaren Glocke. Nach einer halben Runde zeigte Whisper gelassen erste diagonale Tritte.
Besonders augenfällig sind die Effekte liebevollen Umgangs und Trainings bei Hinrichs eigenen Pferden. Etwa sein Lusitano-Hengst Alegorico: "Als er vor drei Jahren zu mir kam, war er extrem unsicher und bodenscheu. Ich zeigte ihm durch viel Lob, dass er ein tolles Pferd ist. Dadurch wurde er langsam immer selbstsicherer und entwickelte sogar einen gewissen Stolz auf seine Leistung. Seine Bodenscheu ist inzwischen fast verschwunden".
Wie Kollegen im Büro

Faszinierend ist, wie gut sich der Ausbilder in Pferde einfühlt. Weil er genau das tut, was die Tiere jeweils brauchen, fällt es ihnen leicht, die Wünsche ihres Reiters zu erfüllen. Für Hinrichs geht es da noch gar nicht um Liebe: "Bei Ausbildungspferden ist es nicht so wichtig, ob man wirklich auf einer Wellenlänge liegt. Mit ihnen halte ich es wie mit Kollegen im Büro: Ich stelle mir einfach vor, ich fände sie sympathisch. Das reicht, um auf guter Basis erfolgreich zusammenzuarbeiten."
Sucht Hinrichs ein Pferd, mit dem er lange zusammen sein möchte, muss er sich jedoch zuerst in das Pferd verlieben. Danach betrachtet der Ausbilder natürlich auch die objektiven Stärken und Schwächen des Pferds. Denn Liebe ist für Reiter nicht allein entscheidend: "Ich kann nur jedem raten, sich ein Pferd zu kaufen, das wirklich zu ihm passt. Lassen Sie sich dabei im Zweifel auch unabhängig beraten. Ansonsten ergeht es Ihnen wie einem unglücklich verliebten Menschen, der vom Partner nicht zurück geliebt wird. Sie laufen Gefahr, sich selbst und das Pferd unglücklich zu machen." Und wahre Liebe hat schließlich jeder verdient.