Georgien – zwischen Russland und der Türkei gelegen – ist ein Land voller Extreme. Klein und doch enorm vielfältig, modern aber oft auch archaisch, brodelnd und doch voller Ruhe, europäisch und doch zu Asien gehörend – der Balkon Europas, wie sich das Land selbst gerne nennt.
Die Rolle von Pferden in Georgien
In der georgischen Bevölkerung haben Pferderennen eine große Bedeutung. Regelmäßig gibt es im Land "Dorfrennen", wo sich Reiter aus dem nahen Umkreis oder auch ganz Georgien treffen und mit ihren Pferden um Ehre und Preise wetteifern. Die Strecken sind meist 10 bis 20km lang über Stock und Stein und nicht selten finden sich hier mehrere tausend Zuschauer ein, fiebern während des Rennens mit und bejubeln die Sieger. Oft handelt es sich dann um kleine Volksfeste mit Ständen und gutem Essen und Trinken. Diese Art von Rennen hat eine lange Tradition und neben dem Ehrgeiz der Reiter sind sie auch schon immer Treffpunkt für Angelegenheiten aller Art. Hier wurden früher Kriege begonnen und beendet und heute wird so manches Geschäft hier geschlossen und manche Liebe findet hier ihren Anfang.
Doch diese Rennen haben auch ihre Schattenseiten. Der Ehrgeiz der Reiter führt dazu, dass immer wieder Pferde überlastet werden und bis an ihre Grenzen gebracht werden und vielleicht sogar zusammenbrechen. In Einzelfällen tragen die Pferde schwere Schäden davon. Ganz klar: so etwas darf nicht passieren und muss für die Zukunft vermieden werden. Und wie so oft stellt sich die Frage, ob man guten Gewissens eine Tradition bewahren kann und soll, ob man sie beenden muss, oder ob man Wege findet sie in eine vernünftige Zukunft zu führen.
Distanzreiten als Alternative zum Pferderennen
Die Idee und hoffentlich ein Weg in die Zukunft, ist nun die Einführung des Distanzsportes in Georgien als Alternative zu den bisherigen Rennen. Ein klares Reglement, bei dem Tierschutz und Überwachung der Pferde an vorderster Stelle stehen und regelmäßige Kontrollen während des Rittes dafür sorgen, erschöpfte oder verletzte Pferde frühzeitig aus dem Rennen zu eliminieren.
Genau das galt es nun im Juni 2024 zu testen. Unterstützt von einem lokalen Team – den Leuten der Lost Creek Ranch – und amerikanischer Entwicklungshilfe durch USAid, sowie einer Gruppe aus Deutschland galt es den ersten Distanzritt Georgiens stattfinden zu lassen. Um den traditionellen Charakter zu erhalten und sogar in den Vordergrund zu stellen, wurde die Teilnahme auf die traditionellen Gebirgspferde Georgiens und der Region beschränkt, so z.B. Tuschetischen und Kabardiner Pferden.

Pferde sind in Georgien fester Bestandteil der Kultur und Tradition.
Der Veranstaltungsort liegt etwas nördlich von Tiblisi – der Hauptstadt Georgiens und schon nahe dem Kaukasusgebirge. An einem kleinen See gelegen und bei einem Resort, das für Catering sorgt und besonderen Gästen das richtige Ambiente bieten kann, sind sowohl Start als auch Ziel, sowie alle Tierarztkontrollen angesiedelt. Die Strecke des Distanzritts geht entlang des Sees über drei Runden à 15km, also insgesamt über 45km. Die Organisation ist so überschaubar – was auch nötig ist, denn die lokalen Helfer können im Trubel des Rittes noch nicht gut den Überblick behalten. So liegt es vor Allem an der Flexibilität der zwei Tierärzte und drei erfahrenen Distanzorganisatoren aus Deutschland, für einen reibungslosen Ablauf beim ersten Distanzritt Georgiens zu sorgen.

Die Landschaft Georgiens hat einiges zu bieten.
Am Vortag wird eine Vorbesprechung zu einer ausführlichen Schulung der Reiter – eigentlich sogar zu einem Einsteiger-Seminar für Distanzreiter. Genau besprochen werden Ablauf der Veranstaltung und der Tierarzt-Untersuchungen. Es wird erklärt, dass es keinen Massenstart geben wird und somit auch der Zieleinlauf nicht sofort eine Aussage über den Sieger gibt. Dies ist besonders wichtig, um den Druck aus dem Distanzritt zu nehmen. Wenn kein Reiter genau weiß wo die anderen sind, kann man sich nicht gut gegenseitig hochschaukeln und das Pferd ggf. überfordern. Natürlich beantworten wir zahlreiche Fragen ausführlich und genau diese Fragen zeigen auch, dass die Reiter die Regeln durchaus verstehen und interessiert sind diese neue Art von Wettkampf kennen zu lernen. Und natürlich weisen wir auf mögliche Fehler ausführlich hin. Gut vorbereitet erscheinen dann am nächsten Morgen knapp 20 Reiter zur Voruntersuchung und alle Pferde werden ausführlich geprüft. Die Tierärzte zeigen kleine und größere Probleme auf, loben gut vorgestellte Pferde, erklären Reitern und Besitzern Auffälligkeiten und erlauben schließlich 16 Pferden den Start beim ersten Distanzritt Georgiens.

Vor dem Start und während der Reitpausen werden die Pferde von einem Tierarzt gründlich untersucht.
Mit einigen Minuten Abstand reiten nun immer zwei bis vier Reiter über die Startlinie und auf die Strecke. Nach vielen heißen Tagen regnet es heute leicht und somit haben die Reiter ideale Bedingungen für einen Distanzritt durch die malerische Landschaft Georgiens: nicht zu heiß und eine leichte automatische Kühlung während des Rittes. Die Organisation läuft gut und Probleme lassen sich lösen. Zum einen ist das verfügbare Kühl-Wasser sehr warm – kommt es doch aus einem Hoch-Speicher, der sich in der Sonne aufgewärmt hat, also wird kurzerhand die Wasserversorgung geändert. Auch eine Vortrabstrecke findet sich und ist mit Pfosten und Seilen auf einem Stück Weg schnell markiert. Schirme und Pavillons für Regen und Sonne finden sich ein. Und auch ein kleines Catering für die Reiter lässt sich organisieren. Das Rennen läuft gut. Die Reiter sind in vernünftigem Tempo unterwegs und die beiden ausführlichen Untersuchungen aller Pferde (Vetgates) während des Rittes führen zu keinem Ausschluss – alle Pferde dürfen in die verpflichtenden Pausen und anschließend wieder auf die Strecke. Die Reiter sind eigentlich ein wenig auseinandergezogen und doch wird es vor Allem im Ziel ganz schön stressig. Die Pferde sind gerade einmal 20min auseinander und die Untersuchungen so eng zusammen. Das hohe Tempo der Schlussrunde zollt nun seinen Tribut und die Tierärzte müssen einige Pferde im Ziel disqualifizieren. Die Gründe sind divers wie die Pferde. Einige Pferde haben zu hohe Pulswerte, hier haben die Reiter wohl ein zu hohes Tempo auf der letzten Runde angeschlagen. Ein anderes Pferd hat eine leichte Lahmheit, ein Weiteres wird nicht zeitig genug innerhalb 20 Minuten für die Pulsmessung vorgestellt und ein Pferd zeigt leichte Probleme im Rücken. Insgesamt nichts außergewöhnliches und schon garnichts Bedenkliches. Alle Pferde sind in gutem Zustand und bei der Nachuntersuchung, zwei Stunden später, sind alle Pferde fit und erholt und die Probleme sind nicht mehr vorhanden. Das Ziel ein Rennen, einen Wettkampf, einen Distanzritt in Georgien mit Pferden durchzuführen, ohne ihnen Schäden zuzufügen, ist erreicht.

Die Teilnehmer beim ersten Distanzritt Georgiens freuen sich über die Teilnahme und ihre Preise.
Sportlicher Wettstreit und Tierschutz gehen zusammen
Auf der Siegerehrung des ersten Distanzritt Georgiens gibt es dann Preise für jeden Teilnehmer, wie Gutscheine für ein Wellnesswochenende oder einen City-Trip, sowie Geldpreise für die platzierten Reiter. Auch aus Deutschland sind Preise dabei, wie Biothane-Zaumzeuge für die Reiter auf den vorderen drei Rängen. Die Ehrung selbst gestaltet sich sehr stimmungsvoll. Jeder wird bejubelt, jedes Pferd gewürdigt und jeder Reiter geehrt. Alle sind stolz dabei gewesen zu sein und freuen sich über ihre Preise. Natürlich wird anschließend ausgiebig gefeiert und ebenso natürlich beantworten wir dann noch einige Fragen zum Ritt. Gerade die versetzten Start-Zeiten und die damit nicht jedem gleich verständlichen Zielzeiten müssen nochmals erklärt werden. Den Sieg trägt übrigens eine Reiterin davon – gerade das Thema Gleichberechtigung ist in Georgien überall sichtbar, nicht nur im sportlichen Wettstreit.

Auch Frauen nahmen am Distanzritt durch Georgien teil.
Wie geht es nun weiter?
Die Grundlage ist gelegt, das Interesse war groß, im Publikum waren sogar Minister und ein ehemaliger Präsident Georgiens – der sogar zum Händeschütteln bei den Reitern war – sowie zahlreiche weitere Persönlichkeiten, die sich vom "neuen Sport: Distanzreiten in Georgien" überzeugen wollten. Ja, es soll weiter gehen. Im nächsten Jahr dann mit mehr Teilnehmern, einer neuen Strecke – vielleicht durch einen der vielen und wunderschönen Nationalparks Georgiens.
Wir haben versprochen dann wieder dabei zu sein, auch ausländische Reiter – gerne auch aus Deutschland – sind dann Willkommen. Für gut vorbereitete Gastpferde wird man frühzeitig sorgen. In der Zwischenzeit werden wir Reitern und Pferdeleuten aus Georgien helfen zu lernen und auch einige für Praktika nach Deutschland holen.
Ja, der Distanzsport kann in Georgien dem Tierschutz dienen. Der Grundstein ist gelegt. Die regionalen Rassen sollen im Vordergrund stehen und die Georgier stolz auf ihre Pferde vor Ort sein. Ob man die Dorfrennen so ganz abschaffen oder ersetzen kann, wird sich zeigen, aber das ist unser Ziel. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Entwicklung in den nächsten Jahren weitergeht und was wir so für die Pferde erreichen können.
Anmerkung der Redaktion:
Tobias Knoll ist der erster Vorsitzende beim Verein "Freunde und Förderer des Kabardiner Pferdes e.V.". Der Verein wurde am 11.4.2004 in Riemerling bei München gegründet und setzt sich für den Erhalt der Kabardiner Pferderasse ein.
Mehr Informationen zum Projekt und zum Verein finden Sie unter: www.kabardiner.de