Der Fall: Vor elf Jahren besuchte ein damals dreijähriges Mädchen mit seinen Eltern das Weisweiler Pfingstturnier. Als diese mit Verwandten an einem Biertisch zusammensaßen, entfernte sich ihre Tochter unbemerkt. Das Mädchen kletterte in einen Pferdeanhänger, der wegen der hohen Temperaturen geöffnet war. Eines der Pferde im Anhänger erschrak und schlug aus. Der Huf traf das Kleinkind am Kopf. Es wurde so schwer verletzt, dass es zeitlebens unter den Folgen des Unfalls leiden wird.
Wer trägt die Schuld an diesem Unfall?
Über diese Frage herrschte lange Zeit Uneinigkeit. Die Eltern des Mädchens verklagten die Pferdebesitzerin auf Schadensersatz. Laut ihrer Klage sollte sie für die bisherigen und zukünftigen Kosten des Unfalls aufkommen. 2017 bewilligte das Landgericht Freiburg ihre Forderung, teilte allerdings die Schuldlast auf: Die Pferdebesitzerin musste laut dem damaligen Urteil nur zwei Drittel der Folgekosten tragen. Für das andere Drittel wären die Eltern verantwortlich, da sie ihre Aufsichtspflicht verletzt hatten.
Berufung der Pferdebesitzerin
Ein Jahr später beriet das Oberlandesgericht Karlsruhe über den Vorfall. Das Gericht stellte fest, dass die Schuld für den Unfallhergang nicht nur bei der Pferdebesitzerin und den Eltern des Mädchens, sondern auch beim Turnierveranstalter lag und änderte das Urteil der Vorinstanz ab. Jede Partei wurde zu einer Haftung von einem Drittel verurteilt. Laut Oberlandesgericht hätte die Pferdebesitzerin dafür Sorge tragen müssen, dass sie den geöffneten Anhänger nicht unbeaufsichtigt zurücklässt. Ebenfalls wäre es die Pflicht der Eltern gewesen, ihre Tochter nicht aus den Augen zu lassen, und der Veranstalter hätte seinerseits sicherstellen müssen, dass auf dem Turnier keine Gefahr für Dritte bestünde.
Korrektur durch den BGH
2021 traf der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshof ein letztes Urteil in diesem Prozess (VI ZR 210/18): Die Eltern des Kleinkindes müssen allein für den Unfall haften. Dieser Urteilsspruch entlastete sowohl die Pferdebesitzerin als auch den Turnierveranstalter. Laut Bundesgerichtshof könnten sich diese "unter den Umständen des vorliegenden Falles darauf verlassen, dass Kleinkinder so beaufsichtigt werden, dass sie nicht in den Pferdeanhänger (…) gelangen können".
Außerdem sei die Gefahrensituation "für die Besucher des Reitturniers offensichtlich" gewesen. "Daher hätten Aufsichtspersonen Kindern ohne ausreichendes Gefahren- und Verantwortungsbewusstsein keinen Freiraum gewähren dürfen (...)", heißt es in der Urteilsbegründung. Kleinkinder seien nicht in der Lage, das Risiko einer Situation abzuschätzen. Sie besäßen aufgrund ihrer geringen Lebenserfahrung noch kein Gefahrenverständnis. Deshalb gesteht die Rechtsprechung Kindern erst ab einem Alter von vier Jahren die Möglichkeit zu, unter Beaufsichtigung Freiräume zu erhalten. Das dreijährige Mädchen hätte somit keinen Freiraum haben dürfen.
Schuld haben die Eltern
Nach dem Urteil des VI. Zivilsenats hätten die Eltern ihre Tochter unter den gegebenen Umständen zumindest so beaufsichtigen müssen, dass sie "(…) nicht aus dem Blick gelassen wird und gegebenenfalls sofort an die Hand genommen werden kann". Dies war nicht der Fall, weshalb die Eltern alleine für die Folgen des Unfalls haften.
Der Fall und die BGH-Entscheidung verdeutlichen, wie entscheidend die Aufsicht von Kleinkindern im Umgang mit Pferden ist.
Oberste Istanz
Der Bundesgerichtshof (BGH) mit Sitz in Karlsruhe ist das oberste deutsche Zivilgericht. Der BGH klärt grundlegende Rechtsfragen und bildet so das Recht fort. Als oberste Instanz überprüft der BGH Urteile von Amts-, Land- und Oberlandesgerichten auf etwaige Rechtsfehler. bundesgerichtshof.de
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