Männer und Frauen beim Reiten: Spielt das eine Rolle?
Männer sind anders. Frauen auch. Dass wir manchmal unterschiedlich ticken, wissen wir nicht erst, seitdem wir den Bestseller von John Gray gelesen haben. Zwar können Wissenschaftler nicht belegen, dass es typisch männliches oder typisch weibliches Verhalten gibt. Doch sicher ist: Gene, Hormone, Erfahrungen und Rollenbilder bestimmen, wie wir uns entwickeln und im Alltag auftreten.
Gerade der Reitsport gehört zu den Sportarten, in denen unser Geschlecht eigentlich gar keine Rolle spielt. Auf dem Turnier gehen Reiter und Reiterinnen gleichberechtigt in den Wettbewerb. Doch dort gibt es mehr Männer in Reithosen zu sehen als in jedem Reitstall. Und tatsächlich werden Klischees beim Reiten bedient: Frauen putzen und tüddeln, was das Zeug hält. Männern reicht eine Bürste im Putzkasten, aber ihr Pferd wird trotzdem sauber.
Franziska Müller ist Profi im pferdegestützten Coaching. Sie sagt: "Es gibt immer Ausnahmen, aber generell sind Frauen viel emotionaler. Sie agieren mit Pferden im Beziehungsmodus, während Männer sich sachlich und zielorientert auf Ergebnisse fokussieren.”
Was machen Männer anders als Frauen im Umgang mit Pferden?
Auch Rebekka Pertenbreiter, ebenfalls Expertin im Coaching mit Pferden, unterscheidet zwischen typisch männlichen und typisch weiblichen Eigenschaften beim Umgang mit dem Pferd. Der für sie aufälligste Unterschied: Frauen können ihren Raum nicht so gut einnehmen. Pferde halten zu Männern in der Regel mehr Distanz. Das entspricht der klassischen Geschlechterrolle. "Frauen übernehmen die soziale Interaktion und schaffen Geborgenheit. Geburt und Mutterschaft setzen voraus, dass persönliche Grenzen fallen und sie Nähe zulassen”, so Pertenbreiter.

Wer bewegt wen? Pferde reagieren auf die Energie des Menschen. Klare Grenzen zu setzen, gilt eher als Männersache.
Bei einer australischen Studie kam heraus, dass Pferde Frauen mehr vertrauen – aber eher Männern gehorchen. Frauen etwa haben es leichter, ein Pferd auf der Weide einzufangen. Männer dagegen haben weniger Probleme beim Reiten und im Umgang. Die Wissenschaftler vermuten, dass dies daran liegt, dass Männer und Frauen unterschiedlich auftreten: die Herren dominanter, die Damen ruhiger. Franziska Müller erinnert sich an einen Mann, der bei ihr im Coaching extrem dominant auftrat. Während sie bei Frauen immer sehr schnell durch Schlüsselfragen hinter die Fassade dringen kann, muss sie bei Männern viel länger dranbleiben. Am letzten Kurstag konnte sie den Macho knacken. "Dann war er weicher als alle Frauen. Wir kamen dahinter, dass sein Vater ihm eingetrichtert hatte, er müsse ein ganzer Kerl sein.”
Typisch weibliche oder männliche Eigenschaften sind also nicht unbedingt von der Natur vorgegeben. Die Geschlechterrolle wird von der Erziehung und gesellschaftlichen Erwartungen geprägt. Sogar unser Selbstbild wird von diesen Klischees beeinflusst.

Frauen lassen gerne Nähe zu. Für die Tiere zählt aber vor allem die Energie, die ein Mensch ausstrahlt.
Typisch Mann, typisch Frau? Ein Paar erzählt
Sie bleibt beim Lehrbuch, er experimentiert: Gerlinde Bartelheimer reitet lieber, ihr Mann Ronny hat ein Händchen für die Bodenarbeit. Während sie auf viele Jahre reiterliche Erfahrung zurückblickt, saß Ronny erst als erwachsener Mann auf dem Pferd. Wie es dazu kam, war "typisch Ronny", sagt Gerlinde. Als sie mehrere Monate im Urlaub arbeitete und er ihr Pferd nur longieren sollte, dachte keiner von beiden ans Reiten. Doch Ronny schwang sich in den Sattel. "Er macht einfach", sagt seine Frau. "Das ist doch so ein typisches Männerding. Wo wir Frauen noch die Bedienungsanleitung studieren, drückt er schon auf die Knöpfchen und guckt, was passiert." Gerlinde bleibt bei ihrer bewährten Methode, Ronny experimentiert. "So wie er den Pferden am Boden das Piaffieren beibringt, habe ich es nirgendwo anders gesehen", sagt sie. "Ich hatte anfangs befürchtet, dass da ein gruseliges Gehüpfe mit hoher Kruppe rauskommt. Aber die Pferde führen die Lektion vorbildlich aus."

Gerlinde und Ronny Bartelheimer haben drei Hengste, darunter die Zwillinge Lio und Valoo.
Was beide noch unterscheidet? Ronny sorgt für Disziplin der Hengste, Gerlinde lässt ihnen Freiraum. Er möchte, dass die Pferde sich ruhig benehmen. Sie stört es nicht, wenn sie auch mal ein bisschen lustig sind und lässt sie dann gewähren. "Meine Frau legt Wert auf eine harmonische Beziehung, putzt lange und schaut, dass es den Pferden gut geht. Sie sieht sofort, wenn etwas nicht stimmt, lange bevor ich das erkenne. Das würde ich gerne auch können." Gerlinde stellt sich oft in Frage – was Ronny überhaupt nicht einfällt. Als ihr Nachwuchspferd trotz Training schmächtig blieb und keine Muskeln ansetzte, war sie überzeugt, sie reite ihn nicht richtig. "Wenn ich Selbstzweifel habe, bringt Ronny mich immer runter. Damals sagte er, ich soll nur so weitermachen, das wird schon noch. Er hatte recht."
Du möchtest mehr zum Thema erfahren und wissen was passiert, wenn Mann und Frau gegeneinander bei unterschiedlichen Aufgaben im Umgang und beim Training mit dem Pferd antreten? Hier kannst du die ganzen Ergebnisse dieses spannenden Experiments lesen:

Rebekka Pertenbreiter aus der Region Stuttgart coacht Menschen und Pferde. Sie hat 2010 in den USA bei Kathy Pike, einer Pionierin auf dem Gebiet des pferdegestützten Lernens, die Ausbildung zur EFLC-Trainerin absolviert. Mehr Infos unter seanara.de