Das unbestimmte Schicksal der Wildpferde
Seit fast zwei Jahrzehnten debattieren Ökologen und Pferdefreunde in Rumänien über das Schicksal der wildlebenden Pferde im Donaudelta. Die einen befürworten die Ausrottung oder teilweise Reduzierung der Tiere, während die anderen vor drastischen Auswirkungen auf das Ökosystem des UNESCO-Biosphärenreservats warnen. Das Donaudelta beherbergt riesige Seerosenfelder, Europas größte Schilfdickichte und extreme Trockenbiotope, was es zu einem ökologischen Wunderland macht.
Bis vor Kurzem war das Reservat ein Paradies für wilde Pferde. "Nach unserer letzten offiziellen Zählung gibt es im ganzen Donaudelta über 1926 Pferde, davon 915 im Naturreservat Letea. Die Zählung stammt aus dem Jahr 2023", teilt Robert Hengl aus Wien mit. Er ist Leiter der Abteilung Pferdeschutz bei der Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" und zuständig für die Projektarbeit im Delta. Hengl weiter: "Es gab immer wieder Schätzungen, die sich aber nie mit einer offiziellen Zählung bewahrheitet haben." Die meisten Pferde sind Huzulen, eine Rassenmischung mit anglo-arabischen Merkmalen. Ursprünglich als Arbeits- und Tragtiere genutzt, entwickelten sie sich zu kompakten, stämmigen Ponys mit einem ausgeglichenen Charakter und mit festen, harten Hufen, die meist keinen Beschlag brauchen.
Wie kamen die Pferde ins Donaudelta?
Die meisten Forscher sind sich einig, dass die Vorfahren der freilebenden Pferde im Donaudelta vor über 700 Jahren mit den Tataren kamen und dort nach deren Niederlage blieben. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems wurden die Kolchosen aufgelöst – die freigelassenen Pferde zogen ins Donaudelta. Dort vermischten sie sich mit den wildlebenden Pferden und pflanzten sich fort. Da sie keine natürlichen Feinde wie etwa Wölfe haben, geschah dies stressfrei und unkontrolliert. Die freilebenden Pferde ernähren sich im Winter von Disteln, Baumrinde und seltenen Pflanzen. Das stört das ökologische Gleichgewicht der Natur im Delta und gefährdet den einzigartigen Letea-Wald mit seinen Weinreben, Eichen und Birken. Naturschützer schlagen Alarm. Sie fordern, die Pferdepopulation auszurotten oder zumindest zu reduzieren, insbesondere im Letea-Wald. Pferdeliebhaber dagegen betonen, dass die Ausrottung der Pferde das ökologische Gleichgewicht genauso stören könnte. Der Tierarzt und Sportpferde-Züchter Stefan Raileanu sieht die wilden Pferde zudem als genetischen Schatz für die zukünftige Pferdezucht.
In der Vergangenheit sicherte der Wildpferdefang den Lebensunterhalt der Dorfbewohner im Delta. Die Umstände waren jedoch äußerst grausam. Vor dem Verladen in den Transporter kämpften unterschiedliche Herden gegeneinander, was zu schweren Verletzungen führte. Im Mai 2011 gelang es Tierschützern, einen Transport mit 70 wilden Pferden zum Schlachthof zu stoppen, aber viele Tiere waren bereits geschwächt oder verletzt. Nach intensiven und kontroversen Diskussionen entschieden die Behörden, ein großes Waldgebiet einzuzäunen und dort die Pferde laufen zu lassen. Um sicherzustellen, dass kein Tier unter Wassermangel leidet, installierten sie zwei Tränken. Die langanhaltende Dürre im Jahr 2022 führte jedoch dazu, dass das Wasser rapide knapp wurde, was zu erheblicher Dehydrierung und sogar zum Tod einiger Pferde führte. Während sich die Behörden heißredeten, wie weiter vorzugehen sei, fütterten und tränkten engagierte Menschen die Pferde über den Zaun. Erst nach einigen Wochen ordnete der Gouverneur des Biosphärenreservats im Donaudelta an, die Tore zu öffnen und den Pferden die Freiheit zu geben.
Wie geht es weiter mit den Pferden in Rumänien?
Die Frage, wie weiter mit den Pferden verfahren werden soll, bleibt bis heute offen. Ideen gibt es viele: Mihaela Eremia von der Stiftung "Arca lui Noe" schlägt vor, die Pferde in eine Region zu bringen, die von Überschwemmungen betroffen ist. Trotz Zustimmung der Behörden steckt dieses Projekt aufgrund wirtschaftlicher Probleme fest. Stefan Raileanu von der Vereinigung der Pferdetierärzte Rumäniens an der Universität für Agrarwissenschaften in Cluj-Napoca schlägt vor, eine Verwaltung zu schaffen, die die Aufsicht übernehmen würde, ähnlich dem Bureau of Land Management der USA, das wilde Pferde und Esel in zehn westlichen Staaten verwaltet und schützt. "Die Pferde im Delta verdienen das", sagt Raileanu.
Das Ministerium für Gesundheit und Veterinärmedizin in Tulcea beschloss indes, zusammen mit der Präfektur des Donaudeltas, die Pferde zu chippen. Denn laut rumänischem Recht müssen alle Pferde, die sich auf dem Territorium des Landes befinden, identifiziert und registriert werden – ohne Ausnahmen, auch diejenigen im Donaudelta. "Das Donaudelta ist jedoch ein sehr großes Gebiet”, so Robert Hengl. "Vor Ort sind nicht genug Leute, die sich darum kümmern könnten. Der Aufwand ist enorm.” Und wer wäre überhaupt der rechtmäßige Besitzer von all den gechippten Pferden im Donaudelta? Derjenige, der die Chips injiziert? Solange das nicht geklärt ist, ist es schlicht unsinnig, die Tiere zu chippen. Offiziell möchte niemand Besitzer der Pferde sein. Denn: "Sobald ein Tier gechippt ist, muss sich der Besitzer kümmern”, so Robert Hengl. Ziel der Tierschutzorganisation "Vier Pfoten” ist, dass sich die Behörde des Biosphärenreservats verantwortlich für die Pferde zeigt. "Dazu wäre ein Gesetz hilfreich und wichtig, das die Tiere schützt”, sagt Robert Hengl. "Eine allumfassende Lösung zu finden, ist jedoch eine große Herausforderung.” Denn wer überprüft jedes einzelne Pferd und kontrolliert, ob es gechippt ist? Die Zusammenarbeit mit den Behörden ist daher von höchster Wichtigkeit, damit es gesetzliche Rahmenbedingungen gibt bzw. diese durchgesetzt werden. "Wir arbeiten daran, dass die Pferde, die wir behandeln, erfasst werden. Es ist aber natürlich nicht unser Ziel, dass uns alle Tiere gehören”, sagt Robert Hengl.
Chippen ist keine Lösung für Rodica Craciunescu, Vertreterin der Bürgerinitiative "S.O.S. CAII DELTEI". Sie bezeichnet das Projekt sogar als "völlig illegal. Vor allem, weil es nicht mit den Spezialisten besprochen wurde und ihre Meinungen nicht eingeholt wurden", so Rodica Craciunescu gegenüber "Planeta Verde" von RFI. Dies könne zu einer paradoxen Situation führen, in der einige freilebende Pferde einen Mikrochip, einen Pass und einen Besitzer erhalten könnten. Dann dürfe der Besitzer mit den Tieren tun, was er wolle: erschlagen, verkaufen, wieder ins Delta freilassen. "Das bedeutet, dass wir uns nicht mehr einmischen können. Ich würde sagen, dies ist gleichbedeutend mit dem Todesurteil für die Pferde", so Rodica Craciunescu.

Mit Hilfe von Verhütungsspritzen soll die unkontrollierte Vermehrung der Pferde gestoppt werden.
"Vier Pfoten” konzentriert sich daher darauf, den Bestand der Pferde zu reduzieren – mittels Verhütung in der Population. Seit rund zwölf Jahren setzen die Tierschützer die Verhütungsspritze PZP ein, die die Empfängnis der Stuten für ein Jahr stoppt. Der Bestand hat sich gebietsweise dadurch tatsächlich um rund 200 Tiere reduziert. Durch die Corona-Pandemie konnte die Tierschutzorganisation jedoch rund eineinhalb Jahre ihrer Arbeit im Donaudelta nicht nachgehen. Die Stuten wurden nicht geboostert und daher wieder trächtig. Die Folge: Der Bestand ist seither wieder ein wenig angestiegen. Seit 2023 setzt die Organisation "Vier Pfoten" im Rahmen einer Studie das langanhaltende Immunkontrazeptivum "SpayVac" ein. Eine Dosis stoppt die Empfängnis für drei Jahre. "Dies ist natürlich noch effektiver als die Verhütungsspritze PZP”, so Robert Hengl.
Während erfolglose Diskussionen über die Wildpferdepopulation die Behörde des Biosphärenreservats beschäftigt, entsteht im Donaudelta ein neues Problem – die rasch wachsende Zahl roter Schakale. Viorel Rosca, Direktor des Nationalparks "Macin Mountains", der an das Donaudelta grenzt, führt dies auf das Verschwinden der Wölfe zurück. Er schlägt vor, Wölfe anzusiedeln, um die Schakale zu vertreiben. Experten sind sich jedoch einig, dass Schakale und Wölfe um die gleiche Beute konkurrieren – das Pferd. Das komplette Verschwinden der wilden Pferde würde das ökologische Gleichgewicht aber genauso gefährden. Die Debatte geht also weiter.
Der Letea-Wald im Donaudelta
Der Letea-Wald ist Rumäniens ältestes Naturschutzgebiet. Es umfasst eine Fläche von rund 2800 Hektar und gilt als Kerngebiet des 1990 eingerichteten Biosphärenreservats Donaudelta. Schon ein Jahr später erkannte die UNSECO das Mündungsgebiet der Donau am Schwarzen Meer als Weltnaturerbe an.
Mit seinem weitverzweigten Netz aus Nebenarmen der Donau, Seen, Wäldern, Sumpf, Marsch-, Dünen- und Schilflandschaften bietet es Lebensraum für 2244 Insekten-, 135 Fisch-, 331 Vogel- und 1839 Pflanzenarten sowie viele Amphibien und Reptilien. Lediglich das australische Great Barrier Reef und die Galapagos-Inseln im Pazifik sind noch artenreicher.