Janina Boysen: Vom Rennpferd zum Freizeitpferd

Interview mit Janina Boysen
Vom Rennpferd zum Freizeitpferd

Zuletzt aktualisiert am 10.05.2024
Janina Boysen führt ein braunes Rennpferd
Foto: Janina Boysen
CAVALLO: Zunächst ein paar Worte zu Ihnen: Wie kamen Sie "auf das Pferd" und wo können wir Sie in der Reiterwelt verorten bzw. wie gestaltete sich Ihr reiterlicher Werdegang?

Janina Boysen: Ich habe nicht die typischen Rennsport-Anfänge, wie die meisten im Sport. Ich habe klassisch mit dem Voltigieren im Alter von etwa zehn Jahren angefangen. Danach kam das Dressurreiten. Ausritte ins Gelände habe ich schon damals sehr viel und gerne gemacht. Irgendwann ging ich meine ersten kleinen Turniere in der Dressur und im Springen, gestaffelt von E bis L. Ich war schon damals sehr ambitioniert im Freizeitbereich unterwegs und habe später auch meinen Trainerschein im Breitensport gemacht.

Und wann kamen die Vollblüter ins Spiel?

Nach meinem Trainerschein habe ich Beritt für Jungpferde angeboten und bin damals auf die ersten Vollblüter gestoßen. Ich hatte mir einen kleinen eigenen Stall aufgebaut und hatte zwei Vollblüter zum Überwintern bei mir. Ich war super angetan, wie gelehrig diese waren und wollte wissen, was sie außerhalb ihrer Winterpause tun. So habe ich dann sehr spät tatsächlich, also mit 30 Jahren erst -ich bin jetzt 36-, den Rennsport für mich entdeckt und habe mich damit auseinandergesetzt, ihn kennengelernt und sozusagen vom Freizeitsport zum Rennsport gewechselt. Und dort bin ich bis heute sehr aktiv. Ich bin bereits zweimal Championesse bei den Amateuren geworden und gehe dieses Jahr auf Weltmeisterschaft.

Wie kamen Sie auf die Idee, sich auf die "Umschulung" von Rennpferden zu spezialisieren?

Nun, ich kenne einfach beide Aspekte unglaublich gut und glaube, dass ich in der Hinsicht "normalen" Rennsportlern etwas voraushabe. Da ich ursprünglich aus dem Freizeitbereich komme, weiß ich genau, was ein Ex-Rennpferd dort erwartet und wo eben auch Punkte sind, die sich drastisch zur Rennpferde-Ausbildung unterscheiden. Genau da weiß ich, wo ich ansetzen muss, um aus dem Rennpferd einen großartigen Freizeitpartner zu machen.

Wie sieht die konkrete Vorbereitung der Rennpferde aus? Was sind genau die Punkte, auf die Sie im Training zur Vorbereitung auf ein Leben als Freizeitpferd besonders eingehen?

Wenn ein neues Pferd zu mir kommt, ist es für mich zunächst ganz wichtig zu gucken, was das Pferd ganz individuell mitbringt. Das Wesen, die Veranlagungen, der Ausbildungsstand usw. sind natürlich auch bei jedem Rennpferd unterschiedlich. Es kommt darauf an, wie es vorher geritten wurde, bei welchen Trainern es war, welche Dinge es schon kennt. Im nächsten Schritt versuche ich, dass die Pferde Dinge kennenlernen, die sie im Freizeitbereich erwarten werden. Das sind z.B. das Reiten auf dem Platz oder in einer Halle. Ich bringe ihnen bei, dass sie stehenbleiben beim Aufsteigen usw. Das ist tatsächlich etwas, was wenige Rennpferde kennen, weil man im Rennalltag doch meistens auf das schrittgehende Pferd von einer anderen Person hochgeschmissen wird. Bei mir lernen die Pferde also vor allem die im Freizeitbereich selbstverständlichen Dinge wie z.B. eine Aufstiegshilfe oder auch einen Dressursattel mit längerem Sattelblatt und schwereren Steigbügeln kennen. Sie lernen bei mir, dass auch mal Gegenverkehr auf einem Reitplatz kommt – auch etwas, womit sie vorher auf der Rennbahn keine Berührungspunkte haben. Außerdem gehe ich mit den Pferden ins Gelände und in den Wald.

Neben dem Kennenlernen neuer Abläufe, Umgebungen und Equipment gibt es sicherlich auch reiterliche Herausforderungen. Worauf achten Sie speziell im Beritt der Vollblüter?

Das Geradeaus ist allen Rennpferden bekannt. Größere Probleme haben die meisten also tatsächlich auf gebogenen Linien, auf dem Zirkel beispielsweise. Biegung und Stellung müssen sie einfach kennenlernen. Das ist meist aber keine große Sache. Vollblüter sind super gelehrig. Die Art des Reitens unterscheidet sich einfach. Im Rennsport stehen wir auf den Pferden, d.h. wir haben nicht die Beine, um das Pferd einzurahmen und mit einer Schenkelhilfe zu unterstützen. Wir reiten ganz entspannt mit langem Zügel, wenn die Pferde galoppieren und wenn ich in den Endkampf reinkomme, dann mache ich mich ganz klein und arbeite mit meiner Körperspannung, d.h. ich sage dem Pferd: Jetzt Vollgas! Die Vollblüter sind sensibel und unheimlich gelehrig. Sie fühlen also sofort, wenn ich mich anspanne. Ich fasse die Zügel nach und baue eine richtige Spannung auf und schicke das Pferd so nach vorne. Für ein Rennpferd ist das das Zeichen: jetzt darfst du richtig rennen! Und jetzt kommt der gewöhnliche Freizeitreiter, der das Reiten an sich natürlich vollkommen anders versteht. Wenn ihm das Pferd zu schnell wird und er bremsen möchte, ist der Freizeitreiter natürlich angespannt, weil er langsamer werden möchte, fasst dann die Zügel nach und schon haben wir ein ganz großes Missverständnis. Hier setze ich in der Umschulung der Pferde an: ihnen beispielsweise zu vermitteln, dass Zügel nachfassen, eben nicht mehr Endgalopp und Vollgas bedeuten.

Würden Sie sagen, dass man als Freizeitreiter dem Temperament solcher Pferde gewachsen sein muss? Die Auslastung als Rennpferd ist ja doch eine andere als die eines Freizeitpferds.

Das ist tatsächlich so ein kleines Vorurteil, gegen das ich ganz viel kämpfe. In der Regel sind es nämlich häufig eben die vorher beschriebenen Missverständnisse, die in den Freizeitställen passieren, was wiederum nicht auf das Temperament des Pferdes zurückzuführen ist. Das Pferd rennt und wenn ich die Zügel stärker annehme, rennt es noch schneller, weil es das von klein auf so gelernt hat. Das Pferd macht also nichts falsch. Deswegen ist die Umschulung auch so wichtig. Und das ist eben genau das, was ich in den Sport selbst tragen will: Dass die Pferde, bevor sie vermittelt werden, umgeschult werden sollten. Es sind hochintelligente Pferde, die ganz viel lernen können und beschäftigt werden wollen. Zusätzlich sollte das Futter an dem angepasst werden, was die Pferde tatsächlich tun und leisten. Das ist denke ich das A und O. Auch ein Blüter kann mit dem richtigen Management unglaublich ruhig und gelassen sein. Es ist superwichtig, sich vorab schon mit der Rasse auseinanderzusetzen. In der Hundewelt ist das schon normal, bevor man sich ein Tier anschafft. In der Reiterwelt ist das noch nicht so ganz etabliert. Das Vollblut im Allgemeinen bringt eine sportlichere Figur mit sich, d.h. wenn ich glaube, ich könnte aus diesem Pferd eine schön runde Warmblutstatur rausbekommen und füttere das Ganze mit Hafer auf, wird das natürlich schwierig. Weil dann hat das Pferd ohne Ende Energie, die es wahrscheinlich nicht mehr herauslassen kann.

Welche reiterlichen Fertigkeiten sollte man denn mitbringen, wenn man sich für ein Ex-Rennpferd interessiert?

Wenn ein Interessent zu mir kommt, ist natürlich zuallererst die Frage: Welches Pferd passt zu ihm? Für einen blutigen Anfänger ist diese Rasse grundsätzlich eher nichts. Das hat aber gar nichts mit dem Ex-Rennpferd zu tun, sondern einfach mit dem Vollblüter an sich. Ich habe auch Vollblüter die noch nie Rennen gegangen sind und habe ähnliche Problematiken. Das sind einfach sehr intelligente Pferde, die ein bisschen was tun wollen. Das kann auch jeden Tag nur Spazierengehen sein, aber es muss eben alles sehr klar für sie sein. Der Reiter muss das "Leittier" für den Vollblüter werden. Im Freizeitbereich sehe ich die Entwicklung, dass einfach viele gleichberechtigt mit ihrem Pferd sein wollen, doch viele Pferde fühlen sich dabei vielleicht auch ein bisschen unwohl, weil ungeklärt ist, wann übernehmen sie das Zepter und wann der Reiter. Das mag mit einem Tinker irgendwie funktionieren, doch gerade mit einem Vollblüter wird es dann sehr schwierig. Es muss aber natürlich auch vom Charakter her passen, also der individuelle Charakter des Pferdes muss zum Reiter passen.

Sie haben unter anderem auch den Verhaltenskodex "After-Race-Care" mitgestaltet. Was versteht man darunter und an wen richtet er sich?

Im Grunde geht es darum, wie und unter welchen Bedingungen ein Sportpferd weitervermittelt wird. Wir wollen mit dem Kodex die breite Masse ansprechen: Egal ob Freizeitreiter, Sportreiter, Vereine, Ausbildungsbetriebe und -ställe oder Trainer. Und zwar geht es darum, dass man sich verpflichtet, für das Sportpferd bedürfnisgerecht zu handeln. Dass ich dem Pferd z.B. eine Umschulung gebe oder, wenn ich es nicht umschule und direkt vermittle, zumindest die Neubesitzer darüber aufkläre, was das Pferd mitbringt und welche Laufbahn sozusagen hinter ihm liegt, um die Verantwortung dafür mitzugeben und folglich dann auch jemanden finde, der dieser Verantwortung reiterlich gewachsen ist. Außerdem ist in dem Kodex auch die Transparenz hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Pferdes festgeschrieben, sodass neuen Besitzern mitgeteilt wird, welche eventuellen Vorerkrankungen und Verletzungen das Pferd hatte. Ganz wichtig ist hier auf der Gegenseite aber auch die Devise, dass Platz vor Preis gilt. Dem Sportpferd soll es nach seiner Karriere weiterhin gut gehen. So soll vermieden werden, dass sich die Ex-Rennpferde zu Wanderpokalen im Freizeitreiter-Bereich entwickeln und wirklich einen Endplatz bei sachkundigen und engagierten Pferdemenschen finden.

Wie lange dauert die Umschulung eines Pferdes und wie gestaltet sich konkret die anschließende Vermittlung?

Im Schnitt sind die Pferde ca. 2 Monate bei mir. Es gibt natürlich auch Einzelfälle, aber es dauert etwa 4-6 Wochen die Pferde an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen und umzuschulen und nochmal etwa 2 Wochen die Pferde letztlich zu vermitteln. Ich als Bereiterin bin auch die Ansprechpartnerin für potenzielle Käufer, d.h. der Besitzer wird hier erstmal aus der Verantwortung genommen und ich kümmere mich um alles. Ich wähle die Pferde entsprechend der Vorstellungen des Käufers aus und achte hier sehr darauf, dass Reiter und Pferd gut zusammenpassen. Manchmal besteht Interesse an einem bestimmten Pferd, wenn die Leute zu mir kommen und sich direkt an der Box in ein Pferd verlieben, es aber dann reiterlich nicht passt. In so einem Fall sage ich den Interessenten auch, dass das Pferd nicht zum Reiter passt und stelle ihnen nach Möglichkeit ein anderes Pferd vor. Mittlerweile habe ich mir in dieser Hinsicht einen guten Ruf aufgebaut und die Leute vertrauen mir, wenn ich ihnen offen und ehrlich meine Sicht der Dinge mitteile und Alternativen vorschlage. Bisher habe ich für jedes Pferd den passenden neuen Besitzer gefunden – auch bei den etwas schwierigeren Fällen.

Was schätzen Sie an den Vollblütern besonders und wo sehen Sie deren Einsatzgebiete nach der Rennkarriere?

Vollblüter sind unglaublich leistungsstark. Sie sind viel robuster und widerstandsfähiger, als manch einer glauben mag. Sie können viel höheren Belastungen standhalten als ein Warmblüter. Sie sind frühreif, intelligent und wollen dem Menschen gefallen. Vollblüter sind unglaublich anpassungsfähig und so vielschichtig ist natürlich auch ihr Einsatz nach der Rennkarriere. Ich hatte Pferde, die ich als reine Freizeitpferde vermittelt habe. Auf der anderen Seite hatte ich aber auch Pferde, die nach wie vor Sportpferd durch und durch waren und die ich in andere Sparten der Reiterei wie beispielsweise in die Vielseitigkeit, zum Springen oder auch in den Polosport vermittelt habe. Selbst zum Bogenschießen habe ich einmal einen Vollblüter vermittelt. Im Durchschnitt habe ich Pferde hier im Alter von vier bis sieben Jahren, d.h. die Pferde sind nach dem Ausscheiden aus dem Rennsport verhältnismäßig jung, sodass ihnen noch fast alle Türen offenstehen. Die wenigsten Rennpferde verbringen einen Großteil ihres Lebens auf der Rennbahn. Deshalb ist die Verantwortung für die Zeit danach auch so wichtig.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Galopprennsports?

Ich wünsche mir, dass sich die Menschen intensiver mit dem Sport befassen, bevor sie auf den Zug der Vorurteile aufspringen. Dass sie vielleicht auch mal hinter die Kulissen schauen, Leute ansprechen, sich austauschen miteinander. Wir haben im Rennsport z.B. sehr strenge tierärztliche Kontrollen, um zu prüfen, ob die Pferde überhaupt in diesem frühen Alter geritten werden dürfen – das passiert noch vor dem Anreiten. Deshalb finde ich es auch so wichtig, dass man sich ein eigenes Bild macht und sich informiert. Der Reitsport allgemein hat in letzter Zeit sehr in der Öffentlichkeit gelitten – aufgrund einzelner Missstände. Natürlich ist es gut, wenn diese aufgezeigt werden, aber es muss eben auch gezeigt werden, dass die meisten Pferdemenschen ihre Tiere und ihren Sport wirklich lieben und mit Verantwortung für das Pferd handeln.

Janina Boysen auf einem braunen Vollblüter im Training
Janina Boysen

Mehr Informationen zur Umschulung von Rennpferden und Janina Boysen finden Sie auf der Website des deutschen Galopprennsports.