Horsemanship: Von Maultieren lernen
Das Muli-Experiment

Halb Pferd, halb Esel: Maultiere sind ein cleverer Mix. Und eine echte Herausforderung für die erfahrene Ponyreiterin.

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Foto: Lisa Rädlein

Muli Merle wird es zu bunt. Als ich die langohrige Stute über ein paar Autoreifen führen möchte, hat sie eine bessere Idee: Sie zieht mich zum Ausgang der Reitwiese, rempelt CAVALLO-Fotografin Lisa Rädlein um, die einfach im Weg steht, und steuert das erstbeste Grasbüschel an. Der Muli-Erlebnis-Tag fängt ja lustig an!

Das CAVALLO-Team ist zu Gast bei Julia Krüger auf der Schwäbischen Alb. Die Wanderreiterin besitzt eine der größten Maultier-Herden Deutschlands. Dort möchte ich, CAVALLO-Autorin Cathrin Flößer, am Boden und im Sattel ausprobieren, wie die Mixe aus Pferd und Esel ticken. Sind die Langohren wirklich so anders als Pferde oder meine Reitponystute Pandora?

Das Muli hat eine Pferde-Mama

"In Deutschland gibt es vor allem Maultiere, kurz Mulis", erklärt Julia Krüger. Beim Muli ist die Mama ein Pferd und der Papa ein Esel. Bei Mauleseln ist es umgekehrt: Die Mutter ist eine Eselstute, der Vater ein Pferdehengst. Kleine Eselsbrücke: Maulesel = Mutter Esel. Da stets die Mutter das Fohlen erzieht, verhalten sich Maultiere eher wie Pferde und Maulesel eher wie Esel. Heißt es wenigstens. Schauen wir mal.

Zurzeit gehören 14 Tiere zu Julia Krügers Herde. Erstaunt stelle ich fest: Maultiere gibt es in ähnlich vielen Varianten wie Pferde – je nachdem, welche Rasse mitgemischt hat. Kein Muli gleicht dem anderen. Lukas ist ein eher zierlicher Araber-Muli, Ferdinand ein kräftiger Ardenner-Muli und Bubble – ein Tinker-Esel- Mix mit vier hochweißen Beinen ohne Behang.

Maultiere sind schlau

Fohlen? Fehlanzeige. Mulistuten sind selten fruchtbar, Mulihengste immer unfruchtbar. Bei der Kreuzung entsteht eine ungerade Chromosomenzahl, weshalb meist keine Geschlechtszellen gebildet werden. Der Sexualtrieb ist dennoch da, so dass die Hengste kastriert werden sollten.

Meine erste Muli-Bekanntschaft mache ich mit Merle, deren Mama ein Shetty ist. Bei ihr lerne ich gleich am Putzplatz die äußerlichen Unterschiede zum Pferd kennen. Denn die Ohrenlänge ist längst nicht alles, was anders ist.

Maultiere haben eher runde Kastanien; manche vier, andere nur zwei an den Vorderbeinen – wie ihre Eselväter. Mulihufe sind im Verhältnis zum Körper kleiner und ovaler als Pferdehufe. "Damit können Mulis prima auf schmalen Wegen balancieren", erklärt Julia Krüger. Besonders trittsicher sind Mulis auch dank einer vergleichsweise steilen Schulter. Außerdem sind Mulihufe in der Regel steinhart, so dass die meisten Tiere im Gelände ohne Hufschutz auskommen.

Daneben fällt mir die lange Schweifrübe und eine eher dachförmige Kruppe auf – das Erbe der Esel. Und genau wie die Grautiere haben Mulis eine eher problematische Sattellage. Deshalb stattet Julia Krüger einige Langohren trotz Maßsattel mit einem Hintergeschirr aus. Auch die Gurtlage muss die Muli-Expertin besonders beobachten. Denn Mulis haben wie Esel zwar eine dickere Haut als Pferde, was sie noch unempfindlicher gegen Sonne und Kälte macht. In der Sattel- oder Gurtlage brechen im Winter oder bei starker Beanspruchung jedoch immer wieder Haare ab.

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Lisa Rädlein
Als Cathrin Flößer kurz abgelenkt ist, geht Shetty-Muli Merle sofort eigene Wege.

Bodenarbeit mit Muli

Apropos haarig: Jetzt geht’s für Shetty-Muli Merle und mich zur Bodenarbeit auf die Reitwiese, wo ich Planen, Reifen, Poolnudeln und eine Brücke entdecke. Prima, das kenne ich vom Pferdetraining. Ich bin erleichtert, wenn auch nur kurz.

Die ersten Schritte mit Merle klappen fast so gut wie daheim mit meiner Ponystute Pandora. Locker klappern das Muli und ich über die Brücke, hüpfen gemeinsam übers Cavaletti. Dann ist Schluss mit lustig – und ich bin schuld daran.

"Mulis merken sofort, wenn man den Fokus verliert", sagt Julia Krüger. Erwischt! Weil ich mich einen Moment zu lang auf unsere Fotografin konzentriere und nicht genug auf Merle achte, geht sie ihren eigenen Weg. Die kleine Stute überholt mich, hebelt den Kopf nach außen – und ich bin machtlos. Ein ähnliches Erlebnis habe ich später mit Freiberger-Muli Elli: Ich überlege noch, wie ich die Stute am besten über Autoreifen dirigiere, schon weicht Elli aus.

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Lisa Rädlein
Auch Freiberger-Muli Elli verweigert ohne klare Ansagen die Mitarbeit.

Mulis sind nicht stur

Was bei Mulis oft für Sturheit gehalten wird, ist tatsächlich Besonnenheit. Die Langohren denken mit, treffen weniger emotionale, sondern rationale Entscheidungen. Sie brauchen daher Zeit zum Überlegen – und bleiben derweil stehen.

Pferde treffen eher emotionale und schnelle Entscheidungen. Bei Gefahr flüchten sie sofort.

Bei der Muli-Ausbildung darf man sich keine Fehler erlauben, denn die klugen Mixe haben ein bombastisches Gedächtnis: "Sie merken sich einfach alles, sind wesentlich nachtragender als Pferde", meint Julia Krüger. Genau wie beim Pferdetraining gilt: "Neue oder schief gegangene Übungen zerlegt man am besten in kleine, logische Einzelschritte."

Und wie lassen sich Mulis reiten? Ich steige in den Sattel von Hafi-Muli Afra. Die falbfarbene Stute ist deutlich kooperativer als Merle, lässt sich prima lenken. Sie ist ein trittsicheres, ausdauerndes Bewegungstalent: Bergauf, bergab – ich fühle mich so sicher wie auf dem Rücken meiner Stute Pandora.

Am Ende des Muli-Erlebnis-Tags sehe ich die Langohren mit anderen Augen. Die angeblichen Sturköpfe sind in Wahrheit tolle Reitlehrer. Damit sie mitarbeiten, muss man fair, konzentriert und konsequent sein. Klar: Das gilt auch für Pferde. Mulis erziehen Menschen aber ein wenig eindrücklicher zu planvollem Denken und Handeln. Von einem Muli-Tag des Reiters profitiert das Pferd daheim also immer.

CAV Muli 4
Lisa Rädlein
Muli-Stute Afra klettert genauso nervenstark und trittsicher wie ihre Eltern: Haflinger und Esel.
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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023

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