- Was ist eine Trageerschöpfung?
- Was passiert, wenn der Trageapparat schwächelt?
- Sind Reiter Schuld an einer Trageerschöpfung?
- Wird ein schwacher Pferderücken wieder fit?
- Wie Körperhaltung und Gesundheit des Pferds zusammenhängen
- Diese Anzeichen können auf ein Topline-Syndrom hindeuten
- Freizeitpferde im Tragkraft-Check: verschiedene Pferdetypen mit unterschiedlichem Ausbildungsstand im Vergleich
- Trainingsplan für optimale Tragkraft
- Die Expertinnen
Eine schöne Oberlinie ist ein Kompliment fürs Pferd. Sanfte Kurven, weiche Rundungen, keine Ecken, keine Kanten – so muss ein starker und gesunder Pferderücken aussehen. Den braucht das Pferd, wenn es den Reiter tragen soll. Ist es dafür zu schwach, nennen wir es trageerschöpft. Viele legen diesen Zustand dem Reiter zur Last. Doch hätten Sie gedacht, dass auch ungerittene Pferde betroffen sein können?
Was ist eine Trageerschöpfung?
Die Trageerschöpfung ist eine moderne Definition für verschiedene, miteinander zusammenhängende Symptome. In den Reitlehren der alten Meister war der Begriff noch nicht bekannt. Er wurde von der Pferdeosteopathin Tanja Richter geprägt, die 2011 ihr Buch "Illusion Pferdeosteotherapie" veröffentlichte. In diesem fasste sie die Probleme der Pferde mit dem Trageapparat, die ihr in der Praxis so häufig begegneten, zu einem Syndrom zusammen.
Was steckt dahinter? Es liegt nahe, sich vorzustellen, dass der Pferderücken sich unter einer Last nach unten biegt und in der Mitte durchhängt. Ein Pferdekörper ist aber komplizierter zusammengebaut als eine Brücke auf zwei Pfeilern. Und der Rücken ist von Natur aus eigentlich nicht zum Tragen gedacht – zumindest nicht so, wie wir Reiter uns das vorstellen.
Der Trageapparat des Pferd ist eine raffinierte Konstruktion, die nicht zwischen der Vor- und der Hinterhand sitzt, sondern in erster Linie zwischen den Vorderbeinen. Hier nämlich ist der Rumpf eingehängt. Der Brustkorb des Pferds ist nicht, wie beim Menschen, über die Schlüsselbeine an den Schulterblättern fixiert, sondern nur mit Muskeln verbunden. Eine Bauweise mit Stoßdämpferfunktion, die wunderbar flexibel ist, aber auch nachgeben kann – sie heißt "Rumpftrageapparat". Hauptträger ist der Musculus Serratus Ventralis, der den Rumpf festhält und die Schultern stabilisiert. Oben hängt der Rumpf an der Nacken-Rückenband-Muskulatur. Diese hat also auch eine tragende Funktion.
Wichtig: Die beiden langen Rückenmuskeln sind keine Tragemuskeln, sondern Bewegungsmuskeln: Sie spannen sich wechselseitig an, wenn die Beine nach vorne geführt werden. Sind die Rumpftragemuskeln aber zu schwach, müssen die Rückenmuskeln mittragen. Die Folge: Die Wirbelsäule wird belastet und die Schwerkraft hat leichtes Spiel.
Was passiert, wenn der Trageapparat schwächelt?
Wenn die Muskeln, die den Rumpf in Position halten, verspannen, sackt er zusammen mit dem Brustkorb allmählich zwischen den Schultern ab. "Die ganze Geometrie des Pferds verändert sich", erklärt die Pferdeosteotherapeutin Birgit Volesky, die in ihrem Buch "Das Topline-Syndrom" beschrieben hat, wie sich beim trageerschöpften Pferd die Oberlinie (Topline) und damit die gesamte Statik wandelt: Der Schwerpunkt verlagert sich immer nach vorne.
Dabei senkt sich die Wirbelsäule ab. Entweder wird der Widerrist niedriger und die Kruppe durch das steiler gestellte Hinterbein höher. Oder, meist bei großen Pferden mit kurzer Sattellage, der Widerrist verlagert sich nach vorne und oben. "Diese Variante sieht man vor allem bei modernen Sportpferden, auch im Spitzensport", betont Volesky.
Je mehr der Rumpf zwischen den Schulterblättern abtaucht, desto schwerer fällt es dem Pferd, Bewegungen von hinten nach vorne über den Rücken fließen zu lassen. Das ist deutlich sichtbar: Verspannte Muskeln bilden regelrechte Beulen, die Oberlinie wird kantig.
Die Trageschwäche geht mit anderen gesundheitlichen Problemen, aber auch Verhaltensänderungen einher. Durch die körperliche Veränderung entstehen Überbelastungen, die etwa zu Sehnenschäden, Gelenkproblemen oder Kissing Spines führen können. Birgit Volesky bringt mit dem Topline-Syndrom sogar Magen- und Atemprobleme aufgrund von körperlichem Stress und Blockaden in Verbindung.
Sind Reiter Schuld an einer Trageerschöpfung?
Für Birgit Volesky beginnen Probleme schon bei ungerittenen Jungpferden – trotz artgerechter Aufzucht. "Es sind alle Reitpferde betroffen, denen beim Umbau vom Fluchttier zum Sportpferd zu wenig Zeit gelassen wird." Die langen Hebel der Gliedmaßen und die kurze Sattellage der bewegungsstarken Warmblüter könne die Anfälligkeit begünstigen.
Nach Meinung von Pferdetherapeutin und -trainerin Karin Kattwinkel sind fast 80 Prozent der Pferde betroffen. Und es gebe nicht nur eine Ursache. Denn fast jede Ursache des Ganzen könne genauso gut Folge sein – ein echter Teufelskreis.
Beispiel: Zu flache Hufe oder untergeschobene Trachten können eine Trageschwäche verursachen. Aber ein Pferd mit ursprünglich guten Hufen, das durch andere Gründe trageschwach wird, entwickelt flache Hufe mit meist untergeschobenen Trachten, weil sein Gewicht nicht mehr über die Muskulatur abgefedert wird und die Hufe regelrecht plattdrückt.
Weitere mögliche Ursachen: zu wenig Bewegung, ein ungünstiges Gebäude oder ein unpassender Sattel. "Kranke, alte und übergewichtige Pferde können ebenso betroffen sein wie Pferde, die zu früh angeritten wurden", ergänzt Karin Kattwinkel. Es muss also nicht immer der Reiter der Übeltäter sein.
Dennoch: "Übergewichtige Reiter und das Training mit Hilfszügeln oder zu enger Halsstellung können ein Pferd in die Trageschwäche treiben", betont Karin Kattwinkel.
Wird ein schwacher Pferderücken wieder fit?
Wer bei seinem Pferd Hinweise entdeckt, muss nicht verzweifeln: "Werden die Ursachen behoben, kann ein Pferd mit richtigem Training, unterstützender Behandlung und Geduld wieder aufgebaut werden", sagt Karin Kattwinkel. Zu erkennen, dass sich das Pferd in seiner Haut nicht wohlfühlt, sei der erste Schritt.
Eine Studie des Tierspitals der Universität Zürich zeigte, dass 45 Prozent der untersuchten Pferde Rückenprobleme hatten. Nur zehn Prozent von ihnen passte der Sattel. Wir haben gemeinsam mit einer Trainerin und einer Pferdeosteopathin vier Pferde unter die Lupe genommen – und sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
Wie Körperhaltung und Gesundheit des Pferds zusammenhängen
"Mit der Verlagerung des Schwerpunkts nach vorne wird das Stehen für die Pferde anstrengender. Ich habe den Eindruck, dass bereits junge Pferde, die Anzeichen für ein Topline-Syndrom zeigen, sich nicht wohlfühlen", berichtet Pferdeosteotherapeutin Birgit Volesky. Sie begründet ihre Vermutung damit, dass diese Tiere bei der manuellen Behandlung positiv reagieren und ihre Körpergeometrie verändern.

Forscher der Universität Rennes fanden heraus, dass Pferde, deren Oberlinie optimal (leicht geschwungen) verläuft, weniger stereotype oder abnormale Verhaltensweisen zeigen als solche, die ein flaches oder hohles und eher kantiges Rückenprofil haben. Sie verglichen die Rückenlinie der Tiere über Messungen an genau definierten Punkten. Interessant: Depressive Pferde verlagern das meiste Gewicht auf ihre Vorderbeine, wodurch sich die Muskelaktivität im Kruppenbereich verringert. Die Forscher nehmen jedoch auch an, dass Rückenprobleme im Bereich der Kruppe bei Pferden depressives Verhalten auslösen können.
Dass Pferde, denen es schlecht geht, eine andere Körperhaltung einnehmen, entdeckten Wissenschaftler der Universität in Pennsylvania. Sie erstellten in langjähriger Arbeit einen Katalog für Körperhaltungen und Verhaltensweisen, die Pferde einnehmen und äußern, wenn sie sich nicht wohlfühlen: Die Tiere sinken in sich zusammen, nehmen Schonhaltungen ein und verändern ihre Mimik.
Warum eine aufrechte Haltung leistungsfähig macht und gute Laune spiegelt: Dass die Körperhaltung die Psyche beeinflusst und umgekehrt, ist bei uns Menschen bereits erforscht: Wer gerade sitzt, kann sich länger konzentrieren als jemand, der mit krummem Rücken lernt. Personen, die bei Lob aufrecht sitzen, sind stolzer auf ihr gutes Ergebnis. Auch Zufriedenheit geht mit der Körperhaltung einher: Studenten, die von ihrer guten Note erfahren, richten sich unbewusst mehr auf. Wer eine schlechte Note hat, sinkt in sich zusammen. Nicht unwahrscheinlich, dass es unseren Pferden ganz ähnlich geht!
Diese Anzeichen können auf ein Topline-Syndrom hindeuten
Ob Ihr Pferd Anzeichen des Topline-Syndroms hat, können Sie gut erkennen. Schauen Sie sich Ihr Pferd im Stand von der Seite an. Sehen Sie mehrere Schwachpunkte? Das lässt vermuten, dass der Rücken nicht ausreichend tragfähig ist, so Pferdeosteotherapeutin Birgit Volesky.

Einzelne Schwachpunkte können auch mit einem ungünstigen Exterieur oder anderen gesundheitlichen Problemen zusammenhängen.
Hinterbeine:
- stehen steil
- stehen nach hinten heraus
- von hinten sichtbar: ausgeprägte "Hosen" (Sitzbeinmuskulatur) aufgrund von Verspannungen
Rücken und Rumpf:
- Pferd ist überbaut: Kruppe ist höher als Widerrist
- Kruppe ist eckig: Kreuzdarmbeingelenk (ISG) steht heraus ("Hunters Bump")
- Kuhle zwischen letztem Lendenwirbel und erstem Kreuzbeinwirbel
- Rückenlinie fällt hinterm Widerrist ab
- Bauch hängt
- Flanken sind verhärtet
Vorderbeine:
- stehen rückständig
- stehen eng
- Fesseln durchtrittig
- Hufwände innen steiler
Schulter:
- oberer Rand des Schulterblatts deutlich sichtbar
- Brustbein steht nach vorne heraus
- Kuhlen hinter dem Widerrist
- Beule hinter dem Schulterblatt
Hals:
- ausgeprägte Unterhalsmuskulatur
- obere Halslinie wenig ausgeprägt
- scharfer Übergang zwischen Hals und Schulter
- Axthieb
Freizeitpferde im Tragkraft-Check: verschiedene Pferdetypen mit unterschiedlichem Ausbildungsstand im Vergleich
Beispiel 1: "Die Sportlich-Eelegante" (Deutsches Sportpferd, Stute, 7 Jahre)

Ausbildungsstand: A-Dressur
Training: Die Stute ist nach längerem Krankheitsausfall seit März 2021 wieder im Training. Wird vier- bis fünfmal in der Woche Dressur und im Gelände geritten.
Body-Check: "Ein Bild von einem Pferd"! Die Expertinnen sind angetan von der hübschen braunen Stute, die freundlich und neugierig allen Anwesenden ihre Nase entgegenstreckt. Die Siebenjährige hat eine schräge Schulter und gut gewinkelte Hinterbeine. Dennoch entdecken Trainerin und Pferdeosteopathin leichte Schwächen: Die Stute hat einen kleinen Axthiebansatz, der Brustkorb ist leicht abgesackt und im Genick ist die Muskulatur schwach ausgebildet, sodass eine kleine Delle sichtbar ist. Das lässt darauf schließen, dass es der Stute derzeit noch schwerfällt, in die Dehnung zu gehen, vermutet Anne Schmatelka.
Beim Blick auf die Hufe runzeln die Expertinnen die Stirn. "Die Zehen sind zu lang, die Trachten nach innen gekippt und die Eisen sehr eng", stellt Michaela Wieland fest.

Besonders der rechte Vorderhuf ist viel zu hoch. Mit den langen Zehen wird es ihr schwerfallen, abzufußen und abzurollen, vermuten Anne Schmatelka und Michaela Wieland. Die Osteopathin zeigt auf eine Stelle an der Außenseite des rechten Vorderbeins oberhalb der Fessel: "Da ist eine Schwellung."

Als sie das Bein der Stute aufnimmt und die Beugesehne abtastet, reagiert die Stute empfindlich.

"Die Hufe müssen korrigiert werden", betont Michaela Wieland. Wie die Besitzerin berichtet, hatte sie die Stute mit noch ungleichmäßigeren Hufen übernommen. Der Schmied, der daran arbeite, diese zu verbessern, sei leider erkrankt, sodass die Hufbearbeitung in den letzten Monaten eher notdürftig als optimal war.
Die Osteopathin mutmaßt, dass die Hufsituation Verspannungen auslöst, die sich der Muskulatur des Pferds widerspiegeln. Sie checkt die Stute von vorne nach hinten durch: Das Zungenbein sitzt mittig, aber der Kiefer ist rechts fester – das korreliert mit dem hohen rechten Huf. Am Genick reagiert die Stute bei Berührung auf der rechten Seite, die Muskulatur an der Stirn hat rechts einen höheren Tonus, ist also fester. Als Michaela Wieland in die Halsfalte greift, um die Oberarmkopfmuskulatur zu prüfen, setzt die Stute einen Fuß vor – eine Ausgleichsbewegung. Auch im Hals biegt sie sich nach links leichter. Als Wieland die Gurtlage berührt, hebt die Stute das Hinterbein. Der Rücken ist unempfindlich, allerdings vor der Lende fest.

Sattel-Check: Die Expertinnen sind sich einig, dass der Schwerpunkt des Sattels zu weit hinten liegt.
Bewegungs-Check: Durch den zu weit hinten liegenden Schwerpunkt des Sattels wird die Reiterin in Rücklage versetzt. Ihre Schenkel rutschen daher zu weit nach vorne und sie kann ihr Becken nur mit Mühe in eine aufrechte Stellung bringen. Auch fürs Pferd ist der Sattel aktuell schwierig: Er wird durch den falschen Schwerpunkt des Reitergewichts in die Schulter gezogen. Dadurch kann die Stute weder frei aus der Schulter heraustreten noch den Brustkorb gut anheben. "Hinzu kommt, dass die Reiterin durch die Rücklage quasi in den Rücken drückt. Das Pferd kann nicht anders, als sich im Rücken zu verspannen", erklärt Anne Schmatelka. Im Schritt stolpert die Siebenjährige. "Sie kommt wegen der zu langen Zehen vorne nicht rechtzeitig vom Boden weg", vermutet Anne Schmatelka. Michaela Wieland fällt auf, dass die Stute beim Traben rechts vorne mit der Fessel stärker durchtritt. Das könne mit dem rechten, steileren Huf zusammenhängen.

Das Fazit der Expertinnen: In erster Linie seien die Hufe und der Sattel schuld an der muskulären Situation, die es der Stute momentan nicht ermögliche, sich korrekt zu tragen.
Experten-Tipps: Zunächst sollte zeitnah die Stellung der Hufe korrigiert werden, empfehlen Trainerin und Pferdeosteopathin: Die Zehen gehören gekürzt, die Eisen zurückgesetzt und nach und nach sollten die Hufwände begradigt und auf gleiche Höhe gebracht werden. Die Expertinnen raten, den Sattel, falls möglich, so nachpolstern zu lassen, dass er besser im Schwerpunkt liegt.

Michaela Wieland empfiehlt zudem, den rechts verspannten Schulterbereich und die Beugesehnen der Stute immer mal wieder zu lockern. Sie zeigt eine einfache Übung: Dazu vor das Pferd stellen. Das rechte Vorderbein an der Fessel mit beiden Händen anfassen und leicht nach vorne anheben (nicht mehr als Höhe Karpalgelenk). Ein paar Sekunden halten und vorsichtig absetzen. Steigerung: Bein anheben und mit den Händen zur Hufspitze wandern, einen Moment halten und wieder absetzen.
Beispiel 2: "Die ältere Dame" (PRE-Stute, 17 Jahre)

Ausbildungsstand: E-Niveau
Training: Die Besitzerin reitet etwa vier- bis fünfmal in der Woche in der Bahn oder im Gelände. Außerdem wird die Stute longiert oder anderweitig bewegt.
Body-Check: Die sympathische Spanierin hat ein bisschen zu viel auf der Hüfte. Am Mähnenkamm, an den Schultern und an der Kruppe entdecken die Expertinnen kleine Fettdepots. Unterhalb der Schulter ist die Muskulatur recht stark ausgeprägt – "das deutet darauf hin, dass die Stute mehr auf der Vorhand arbeitet und hinten nicht ausreichend aktiv ist", so Anne Schmatelka. Die Hinterhand ist schwächer bemuskelt.
Links und rechts neben der Schweifrübe entdecken die Expertinnen zwei Muskelpaketchen: "Diese Kompensationsmuskulatur entsteht, wenn die Hinterbeine nicht genügend aktiv sind", erklärt Dressurausbilderin Anne Schmatelka.

Die 17-jährige Stute steht mit der Vorhand leicht rückständig. Michala Wieland vermutet, dass dies an den Hufen liegt. Die Zehen seien zu lang. Das belaste auf Dauer die Sehnen.

Sattel-Check: Der Sattel rutscht auf die Schulter und klemmt sich dort fest, weil die Kammer etwas zu weit ist. Der Schwerpunkt liegt zu weit hinten. Von unten betrachtet fällt auf, dass der Sattelbaum nicht ganz gerade ist. "Ein Kunststoffbaum ist nicht so stabil wie ein Holzbaum", erklärt Anne Schmatelka. Sie vermutet, dass sich der Baum durch die Schiefe der Reiterin verzogen haben könnte. "Da reicht schon ein Einknicken mit der Hüfte." Michaela Wieland checkt die Pferdebesitzerin: Ihr rechtes Becken steht etwas weiter vorne, stellt sie fest.
Bewegungs-Check: Als die Reiterin auf dem Pferd sitzt, werden Probleme sichtbar, die der Sattel hervorruft: Durch den zu weit hinten liegenden Schwerpunkt rutschen die Unterschenkel der Reiterin nach vorne und der Oberkörper gerät in Rücklage. Die Sitzgröße wurde wegen des kurzen Rückens der Stute so klein gewählt, engt die Reiterin aber ein. Beim Leichttraben drückt sie mit dem Einsitzen den hinteren Sattelteil auf den Pferderücken herunter. Fürs Pferd ist das unangenehm. Ein möglicher Grund dafür, dass es der Stute schwerfällt, den Rücken loszulassen und mit den Hinterbeinen heranzuschließen. "Sie geht hinten etwas klamm", findet Anne Schmatelka.

Experten-Tipps: Ausbilderin Anne Schmatelka rät der Besitzerin zum leichten Sitz. So kann sie den Rücken ihrer Stute entlasten und sie besser animieren, fleißiger zu werden und den Hals fallen zu lassen. Wichtig: Nicht zu weit mit dem Oberkörper nach vorne lehnen, sondern sich vorstellen, nur das Gesäß nach hinten zu strecken. Dabei die Hände ruhig stehen lassen und vor allem innen leicht bleiben. Sobald sich das Pferd nach vorne streckt, soll die Reiterin mit der Hand vorgehen und etwas nachtreiben. Die kleine Änderung zeigt schnell Wirkung: Die Bewegungen des Pferds werden größer und flüssiger.
Der Sattel sollte hinten etwas aufgepolstert und die Zehen der Hufe gekürzt werden. Erst dann kann die Stute die Muskulatur entwickeln, die sie braucht, um ihre Reiterin zu tragen.
Beispiel 3: "Das Voltigierpferd" (Oldenburgerstute, 13 Jahre)

Ausbildungsstand: A-/L-Niveau
Body-Check: Eine große Stute im Rechteckformat. Im Bereich der Mittelhand entdeckt Anne Schmatelka Defizite: Die Rückenlinie ist ab dem Widerrist absteigend, der Bauch hängt ein wenig und das Brustbein steht zu weit vorne. "Das muss nicht am Training liegen, sondern kann auch ein Sattelproblem sein", überlegt die Trainerin. "Ich kann mich da nur anschließen", stimmt Michaela Wieland zu. Weil der Brustkorb leicht abgesackt ist, steht das Brustbein mehr heraus und die Vorderbeine eng beieinander. Der Pferdeosteopathin fällt auf, dass der mittlere Teil der Halsmuskulatur nicht so gut entwickelt ist: Ein Dreieck ist sichtbar, das eigentlich ausgefüllt sein müsste.

Die schwache Oberschenkelmuskulatur und die leichte Aufwölbung des Darmbeins deuten darauf hin, dass die Stute Probleme hat, aktiv abzufußen. Dagegen ist die Vorhand umso kräftiger.
Sattel-Check: Der Sattel klemmt sich hinter dem Schulterblatt fest und der Schwerpunkt liegt zu weit hinten. Durch den Bauch hat die Stute keine gute Gurtlage – der Sattel wird nach vorne gezogen.

Bewegungs-Check: Die Stute trägt den Schweif mehr links und zu starr. "Er müsste im Schritt und Trab leicht pendeln", so Michaela Wieland. Es fällt der Stute schwer, die Hinterhand in die Wendung zu führen. Von hinten ist erkennbar, dass ihr Becken schief steht. Die Besitzerin erklärt, dass das nach einem Unfall zurückgeblieben sei. Im Schritt sehen die Expertinnen, dass das Pferd die Schulter aus dem Oberarmkopfmuskel heraus nach vorne schiebt und nicht frei aus der Schulter heraustritt.

Körperliche Probleme und der Sattel seien die Ursache dafür, dass die Stute sich nicht gut tragen kann. "Der Beckenschiefstand und der Sattel schränken sie in ihren Bewegungen stark ein", erklärt Anne Schmatelka. "Ein Teufelskreis: Der Sattel drückt, der Brustkorb kann nicht hoch, die Hinterhand nicht untertreten."

Experten-Tipps: Fürs Training empfiehlt Anne Schmatelka viel Bergauf- und Bergabreiten im Gelände sowie Stangen- und Cavalettiarbeit an der Longe. "Die Mittelhand muss hoch und stärker werden", so die Ausbilderin. Beim Reiten helfen große Volten: In der Wendung wird das innere Hinterbein aktiviert und es fällt der Stute leichter, den Hals lang zu machen. Außerdem werden Schulter und Becken gelockert, erklärt Anne Schmatelka.
"Das junge Gemüse" (Trakehner/New-Forest-Mix, Stute, 6 Jahre)

Ausbildungsstand: angeritten
Training: Die Stute ist seit Herbst 2020 unter dem Sattel. Nach einem Reheschub wird sie seit ein paar Wochen am Boden wieder aufgebaut.
Body-Check: "Typisch Pony", sagt Pferdeosteopathin Michaela Wieland lachend, als sie die Stute abtastet. So selbstbewusste Typen haben häufig eine starke und kräftige Hals-/Schulterpartie. Die Stute hat ein "kleines Unterhälschen" und eine feste Halsmuskulatur. Die Osteopathin greift in die Falte zwischen Schulterblatt und Halsansatz – das Pony möchte zunächst nicht den Hals senken, gibt aber dann doch nach. Umso lockerer ist sie im Rücken. Die Hufe sind korrekt bearbeitet und symmetrisch. Die Stute steht gut da, finden die Expertinnen.
Sattel-Check: Zum Anreiten nutzt die Besitzerin einen baumlosen Sattel. Sie geht davon aus, dass dies eine gute Lösung für ihr Pferd ist, das sich im Laufe der Ausbildung noch körperlich verändern wird. Die Expertinnen sind mit dem Sattel jedoch nicht glücklich, weil er für die Stute zu lang ist und der Wirbelsäule zu wenig Platz lässt. Deshalb raten sie dazu, ihr lieber noch ein halbes Jahr Zeit zu geben, sich durch die Ausbildung am Boden zu entwickeln und dann nach einem passenden Sattel zu suchen. "Es muss ja nicht gleich ein Neusattel sein", betont Anne Schmatelka.

Bewegungs-Check: Da sich die Stute noch in der Ausbildung und derzeit in Rekonvaleszenz befindet, konnten die Expertinnen die Bewegungen unter dem Sattel nicht beurteilen. Ihr aktueller Trainingszustand zeigt aber, dass sie Sechsjährige gut gearbeitet wird.
Experten-Tipps: Weiter so wie bisher, empfehlen Anne Schmatelka und Michaela Wieland. Und mit dem Reiten lieber noch eine Weile warten, bis die Stute etwas mehr Kraft, Gleichgewicht und Muskulatur entwickelt hat. Damit der Hals des Ponys locker bleibt, rät die Pferdeosteopathin, daran zu arbeiten, dass sie sich immer wieder fallen lässt: Mit dem Handballen den Unterhals sanft durchmassieren. Auch gut: Mit der dem Pferd zugewandten Hand in die Falte zwischen Halsansatz und Schulterblatt greifen und das Pferd mit der anderen Hand am Halfter vorsichtig und leicht seitlich (zu Ihnen hin) in die Tiefe locken

Auch gut: Mit der dem Pferd zugewandten Hand in die Falte zwischen Halsansatz und Schulterblatt greifen und das Pferd mit der anderen Hand am Halfter vorsichtig und leicht seitlich (zu Ihnen hin) in die Tiefe locken. Pferde lernen schnell, auf den Griff in die Halsfalte den Kopf abzusenken.
Trainingsplan für optimale Tragkraft
Die Pferdetherapeutin Karin Kattwinkel (www.equo-vadis.de) beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Phänomen der Trageschwäche. Für die Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e. V. (VFD) bietet sie Schulungen für VFD-Übungsleiter und Reiter an.
Hier hat sie ihre Trainingstipps in einen Stufenplan gefasst, den Sie gemeinsam mit Ihrem Trainer angehen können. "Denn es bedarf eines ganzheitlichen Vorgehens, das alle Faktoren berücksichtigt", so die Expertin. Wichtig sei, die Reihenfolge der Stufen genau einzuhalten.
- Ursachen finden und abstellen
- Blockaden lösen
- Hufe und Zähne korrigieren
- Schonhaltungen beseitigen: zum Beispiel über Abkauübungen, ausgedehnte Massagen, physiotherapeutische Übungen
- Körperschema ändern: Zirkuslektionen, langsames Arbeiten an der Hand, gezieltes Bauchanheben, Hinterhand heranschließen im Stand
- Gezieltes Tragkrafttraining am Boden:
- Führen in Schrittlängenvariationen und Führen auf gebogenen Linien mit unterschiedlichem Durchmesser in Dehnungshaltung
- Rückwärtsrichten auf gerader Linie oder bergan am Hang
- An der Hand Schulterherein im Schritt (so langsam wie möglich) im Wechsel mit Volten. Das Pferd soll dabei den Hals dehnen.
- Freispringen über moderate Hoch-Weit-Sprünge
7. Gezieltes Tragkrafttraining unter dem Sattel (Voraussetzung: gut sitzender Reiter, optimal passender Sattel):
- Zunächst ausschließlich Schrittlängenvariationen in Anlehnung
- In der Bahn nur auf großem Oval reiten, keine anderen Bahnfiguren
- Im Gelände: Bergauf- und Bergabreiten, ruhiges Cantern auf ebener Strecke in Anlehnung
- Einige Wochen später: Traben auf großem Zirkel, dabei Leichttraben und mehrfach pro Runde den Fuß wechseln (als Balanceübung und für ständige Lastumverteilung)
- Schrittlängenvariationen im Trab
- Rahmen- und Haltungsvariationen im Trab
- Cavaletti-Arbeit im Trab auf gerader, dann auf gebogenen Linien
- Springen mit Reiter. Das Pferd soll dabei ruhig und mit gut aufgewölbtem Rücken springen, auf keinen Fall den Kopf heben und stürmen.
Um ein Pferd aus der völligen Trageschwäche wieder in ein gesundes Reitpferd zu verwandeln, vergehe – tägliches Training vorausgesetzt – mindestens ein Jahr, meint Karin Kattwinkel. Doch sie macht Mut: "Der Weg bis dahin ist so abwechslungsreich, macht so viel Spaß und bringt Mensch und Pferd so viel näher zueinander, dass es sich lohnt!"
Die Expertinnen

Anne Schmatelka ist Dressurausbilderin und Fachbuchautorin. In Lehrgängen und Fortbildungen innerhalb Deutschlands und der Schweiz vermittelt sie, wie Pferde rückenschonend und gesunderhaltend geritten werden können. www.los-gelassen.de

Michaela Wieland ist Humanphysiotherapeutin und seit 2005 DIPO-Pferdeosteo- und Physiotherapeutin sowie seit 2011 DIPO-zertifizierte Sattelexpertin. Sie lebt in Bönnigheim bei Stuttgart und reitet selbst Dressur bis M-Niveau. www.michaelawieland.de