Wir hören Heidi schon, bevor wir sie sehen. Ihr lautes Wiehern ist allerdings kein Willkommensgruß an uns: Es gilt ihren Kumpels, die auf der Weide grasen, während sie in der Box auf uns warten muss.
Denn die 16-jährige Westfälische Kaltblut-Stute Heidi gibt ihren Besitzern Grund zur Sorge. Deshalb statten wir ihr gemeinsam mit Pferdetrainerin Sandra Schneider, bekannt aus der VOX-Sendung "Die Pferdeprofis", einen Besuch ab.
Liebe auf den ersten Blick
Petra und ihre Mutter Lisa Bach kauften die Stute im August 2018 von privat – spontan, ohne Probereiten. "Es war Liebe auf den ersten Blick", sagt Lisa Bach. Laut Vorbesitzerin hat die Stute "ein bisschen Sattelzwang". Doch Zuhause wird schnell klar: Die Stute hat ein größeres Problem. "Sie lässt mich nicht aufsteigen", erzählt Lisa. Heidi drängelt Lisa zur Seite oder weicht aus. Manchmal beißt sie und steigt. "Es dauert eine Stunde, bis ich im Sattel sitze. Aber dann entspannt sie sich wieder und ich kann normal mit ihr ausreiten."
Bachs lenken die Stute mit Futter ab, probieren es mit einem Baumlos-Sattel, holen den Pferde-Osteopathen und lassen die Zähne checken. Nichts hilft. Sie binden die Stute zum Aufsteigen an. Bachs haben den Eindruck, die Stute fürchtet sich vor dem Sattel, und lassen schließlich das Reiten bleiben.
Sandra Schneider vermutet, dass die Stute lange Zeit einen schlecht sitzenden Sattel hatte. "Unarten entwickeln sich oft aus Schmerzen", sagt sie. "Daran erinnern sich Pferde lange, auch wenn der Grund dafür nicht mehr besteht." Starke Druckpunkte entstehen besonders beim Aufsteigen. Denn zuerst zieht der Reiter einseitig am Sattel. Und dann schiebt das Reitergewicht den Sattel nach unten. "Im Stand drückt ein Sattel das Pferd oft mehr als in der Bewegung", erklärt Schneider.
Der Plan der Pferde-Expertin steht
"Wir müssen nach dem Grund für Heidis Problem suchen. Hat sie Angst vor Schmerzen oder will sie einfach nicht?" Denn wenn Pferde bockig werden, kann das auch am falschen Umgang liegen. Vor allem bei den "Kaltis" neigen viele Reiter dazu, härter zuzupacken. Sandra Schneider: "Gerade Kaltblüter sollten in ihrer Grundausbildung lernen, Druck zu weichen und auf feine Hilfen zu reagieren. Ein Kräftemessen können wir nur verlieren."
Besitzerin Lisa holt ihre aufgeregte Stute aus der Box. Heidi hat leicht geschwitzt. "Sie ist erst vor vier Tagen in diesen Stall gezogen", erklärt Lisa. Die Stute fühlt sich ohne andere Pferde in Sichtweite noch unsicher in der fremden Umgebung. Heidi hat ein freundliches Gesicht, wirkt aber alles andere als selbstbewusst. Sie dürfte für ihr Alter wesentlich properer sein.
"Das Pferd ist schmal und kaum bemuskelt", findet Sandra Schneider. Sie nimmt vorsichtig Kontakt mit der Stute auf und streicht Hals und Rücken ab. Heidi ist skeptisch. Als Schneider ihren Arm über Heidis Rücken legt, weicht das Pferd aus. "Heidi hat keine Rückenmuskulatur. Der Trapezmuskel ist zurückgebildet, der lange Rückenmuskel schwach", attestiert die Trainerin.
Feines Pferd
Sandra Schneider nimmt die Stute an die Hand, lässt die Hinterhand weichen, Heidi dann anhalten und richtet sie rückwärts. Das Kaltblut reagiert auf feine Signale. "Ein nettes Pferd", lobt Schneider. Die Trainerin holt einen Hocker, den sie neben Heidi auf den Boden stellt. Prompt schaut Heidi besorgt.
Als Sandra Schneider darauf steht, weicht die Stute aus. Schneider wartet, bis sie stehen bleibt, und lobt dann. "Sie soll mit dem, was ich mache, einverstanden sein", sagt sie und streicht mit der Hand über Heidis Rücken. Sofort dreht sich die Stute weg. Schneider hält mit der Hand leichten Kontakt zum Pferderücken, bis Heidi sich beruhigt. Dann lobt sie und beginnt von vorne. "Diese Übung kannst du spielerisch immer wieder einbauen", erklärt sie Heidis Besitzerin. Etwa beim Spaziergang: Ein Baumstamm oder eine Bank sind prima Hilfsmittel.
Wichtig sind kurze Sequenzen und viele Pausen, in denen sich die Stute wieder entspannen und das Erlebte verarbeiten kann. "Wenn Heidi ruhig neben der Aufstiegshilfe steht und sich am Rücken anfassen lässt, ist sie bereit für den nächsten Schritt. Dann kannst du dich mit dem Oberkörper über sie lehnen oder ein Bein über ihren Rücken schwingen", sagt die Trainerin. Beenden soll Lisa das Training mit einem positiven Erlebnis. Schneider: "Hat die Stute eine für sie schwierige Situation gelassen akzeptiert, lobst du sie und gibst ihr für den Rest des Tages frei."
Erst Muskeln aufbauen, dann neuer Sattel
Doch bevor Lisa wieder aufsitzen darf, muss Heidi zunehmen und Muskeln aufbauen. Sandra Schneider empfiehlt Longieren und Spazierengehen im hügeligen Gelände. Entspannte Bodenarbeit wie Übertreten an der Hand, Rückwärtsrichten, Halten und Antreten sind nicht nur gute Gymnastik für Heidi, sondern helfen ihr auch, Vertrauen aufzubauen. Schneider rät Lisa, die Fütterung zu überdenken. Ihr Tipp: Heu ad libitum und zusätzlich Rübenschnitzel füttern. Sie warnt davor, die Kraftfuttermenge drastisch zu erhöhen. "Zu viel Energie belastet den Stoffwechsel."
Zum Schluss checkt Schneider den Sattel. Heidi zeigt deutlich, dass sie nicht gesattelt werden möchte, und weicht zunächst aus. Lisa legt ihr einen Westernsattel auf den Rücken. Schneider schaut kritisch.
Ihr Urteil: Der Sattel ist an der Schulter zu weit, hat zu wenig Schwung und ist zu lang. Heidi braucht unbedingt einen neuen Sattel. Doch das kann warten: "Erst wenn Heidi genügend Muskeln und Gewicht aufgebaut hat, ist es sinnvoll, einen Sattel anzupassen", sagt Schneider.
Petra und Lisa Bach besprechen noch am gleichen Tag mit der Stallbesitzerin, dass Heidis Futterrationen aufgestockt werden. Auf dem Trainingsplan stehen neben den Aufsteigübungen vor allem Arbeit an der Longe und ausgedehnte Spaziergänge. Mit diesem Plan, viel Geduld und einem neuen Sattel sollte Heidi ihre Angst vor dem Sattel aber bald überwinden können. Die Trainerin und die Besitzer sind zuversichtlich.





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