Schwierige Pferde reiten
Gibt es Pferde, die nicht geritten werden wollen?

Mit manchen vierbeinigen "Härtefällen" will harmonisches Reiten kaum gelingen. Zwei Ausbilder diskutieren, was dahintersteckt.

Frau galoppiert mit einem weißen Pferd über eine Wiese
Foto: Lisa Rädlein

Mit dem Pferd ein richtig gutes Team sein – in manchen Fällen ein scheinbar endloser Weg, der Mensch und Tier gewaltig an den Nerven zehrt. Es gibt sie, diese "schwierigen" Pferde, bei denen sogar Profis mit ihrem Latein am Ende sind.

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Debatte
Pferde, die nicht geritten werden wollen
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Ob das hoffnungslose Fälle sind oder jedes Pferd zum glücklichen Reitpferd werden kann, diskutieren die Ausbilder Wolfgang Marlie und Carola Paustian, die sich häufig zum Austausch in Marlies Reiterpension treffen. Wolfgang Marlie machte sich in den 1980er-Jahren, lange bevor Robert Redford im Kino mit Pferden flüsterte, auf die Suche nach neuen Wegen zur Freundschaft mit Pferden. Seinen Werdegang vom ehrgeizigen Turnierreiter zum experimentierfreudigen Reitlehrer und entspannten Horseman beschreibt er in seiner Biografie "Pferde, wie von Zauberhand bewegt" (Kosmos, 2016). Carola Paustian ritt schon vor 35 Jahren in der Reiterpension Marlie die Pferde, die in den größten Schwierigkeiten steckten. Sie ist mobile Pferdetrainerin und Reitlehrerin im Süden Schleswig-Holsteins.

Glauben Sie, dass es Pferde gibt, die keinen Reiter auf ihrem Rücken haben möchten?

Paustian: Spontan würde ich sagen, ja, die gibt es. Aber das ist ein subjektiver Eindruck.

Marlie: Für mich gibt es sie nicht. Da Pferde als soziale Wesen bereit sind, auch Menschen in ihre Herde einzubeziehen, kann jedes gesunde Pferd lernen, sich auch mit uns wohlzufühlen – selbst wenn wir im Sattel sitzen. Vielmehr stelle ich mir die Frage, ob ich es schaffe, jedem Pferd den Rahmen zu bieten, in dem es lernen kann, geritten zu werden. Und ja, hier gibt es Grenzen.

Paustian: Aber es gibt Pferde, die es uns nicht so leicht machen, sie zu reiten. Bei denen es für uns schwieriger oder herausfordernder ist, diesen individuell passenden Rahmen zu schaffen. Deine Einstellung, Wolfgang, hilft dir dabei sicher sehr. Du sagst, dass du früher die Pferde dazu bringen wolltest, dass sie das machen, was du möchtest. Heute möchtest du – wir wir alle eigentlich – dass sie gerne mit uns arbeiten.

Marlie: Das ist richtig. Ich erinnere mich dabei an mein früheres Schulpferd Sabrina. Die Stute war nicht sehr beliebt, so ein sperriger Typ. Aber es gab eine Reitschülerin, die sich in sie verguckt und sich um sie gekümmert hat. Sie war keine besonders gute Reiterin, aber sie hatte mit Sabrina eine Ebene gefunden, auf der es für beide okay war und das Pferd zufrieden wirkte. Heute würde ich sagen: Das haben wir anderen damals nicht hinbekommen, weil wir nur eines im Kopf hatten: Wir wollten, dass dieses Pferd funktioniert, ob gern oder ungern. Um das zu erreichen, haben wir viel zu viel Druck gemacht.

Herr Marlie, in Ihrer Reithalle hängt ein Zitat von Ihnen: "Für mein Reiten (...) ist es nicht so entscheidend, wie viel Technik ich beherrsche, sondern wie viel gedankliche Freundlichkeit ich für mein Pferd entwickeln kann." Dann kann also auch jemand ein guter Reiter sein, der im klassischen Sinne noch Anfänger ist?

Marlie: Absolut!

Paustian: Vielleicht müssen wir definieren, was Reiten heißt? Auf dem Rücken zu sitzen oder gemäß der Ausbildungsskala zu arbeiten? Bei meinem Pferd Fido ist es inzwischen so, dass er zu Bodenarbeit bereit ist, mich aufsteigen lässt und sich in allen Gangarten in alle Richtungen mit mir bewegt, aber eben nicht im Sinne der klassischen Hilfengebung. Dabei möchte ich ihn eigentlich auf Grundlage der Ausbildungsskala trainieren, damit er sich gesunderhaltend bewegt.

Marlie: Wenn ihr einen Weg gefunden habt, miteinander zu kommunizieren, reicht das doch. Reiten ist für mich unabhängig vom Reitstil oder der Reitweise. Ich definiere es so, dass ich auf dem Pferd sitzen und die Führung, also die Verantwortung für sein Wohlergehen, übernehmen darf. Was passiert, wenn du versuchst, Fido klassisch gemäß der Ausbildungsskala zu reiten?

Paustian: Ich bekomme auch auf kleine Anfragen sehr große, heftige Antworten. Vom kompletten Einfrieren bis zum Explodieren.

Marlie: Interessant! Was ist für dich eine große Antwort und was ist eine kleine Anfrage? Ich verstehe zwar, was du meinst, aber ein Pferd antwortet so, wie es sich fühlt. Wenn mir eine Fliege über die Stirn krabbelt und ich verscheuche sie, ist das für mich eine kleine Geste. Aber frag’ mal die Fliege! Und wenn sie als nächstes ein Pferd am Bauch kitzelt, schmeißt sich das deshalb vielleicht in den Dreck. Pferde sorgen nur für sich. Fido kann nicht fürsorglich für die Fliege oder für dich und mich mitdenken.

Frau Paustian, Sie haben Ihren Fido nicht als Jungpferd übernommen. Wissen Sie, ob er eine klassische Grundausbildung durchlaufen hat?

Paustian: Es wurde immer wieder versucht. Er ist jetzt 15 und war, bevor ich ihn vor zwei Jahren kennengelernt habe, mehrfach im Beritt.

Marlie: Und eine der Ausbilderinnen hat dich vor ihm gewarnt...

Paustian: Ja, sie hat mir abgeraten, ihn zu kaufen. Sie meinte, er sei zu allem fähig und für "normales" Reiten nicht geeignet. Aber wir hatten ja gerade geklärt, dass man Reiten sehr unterschiedlich definieren kann.

Doch es ist nicht nur Fido, oder? Sie sagten vorhin, dass es Pferde gebe, die es einem nicht so leicht machten, sie zu reiten...

Paustian: Die gibt es. Unabhängig davon wie man Reiten definiert. Und das muss nicht mal daran liegen, dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben oder unglücklich geprägt wurden. Für mich gibt es Pferde, die so hochsensibel sind, dass wir für sie immer zu grobmotorisch sind und sie damit überfordern. Egal, wie erfahren und vorsichtig wir sind. Da stellt sich mir inzwischen die Frage: Muss man solche Pferde reiten oder darf man seinen Frieden damit machen, es zu lassen?

Marlie: Natürlich darf man das. Und falls doch noch einer um die Ecke kommt und die richtigen Knöpfe findet, muss man deshalb keine grauen Haare kriegen. Ich weiß ja, dass du jedes Pferd liebenswert findest, aber vielleicht hat jemand anderes noch mehr oder eine andere Form von Liebe für dieses eine Pferd, von dem wir denken, wir reiten es lieber nicht. Vielleicht bekommt derjenige dann Sachen hin, dass uns vor Begeisterung die Augen herausfallen.

Paustian: Bisher liebe ich es herauszufinden, ob Fido vielleicht auch beim Reiten Freude haben kann. Wenn es mir mal keinen Spaß mehr macht oder falls es mir zu gefährlich werden sollte, werden wir eben Spaziergänger. Es ging mir, als ich mit Mitte 50 und nach einem Bandscheibenvorfall wieder ein Pferd angeschafft habe, mehr darum, ein Pferd durch sein Leben zu begleiten, als unbedingt ums Reiten.

Marlie: Das ist eine schöne Einstellung. Bei einem Pferd, das viele Jahre bei mir im Stall stand, war genau das die Lösung. Nachdem die Besitzerinnen und ich viele, auch gefährliche Unfälle mit ihm hatten, schlug ich vor, ihn als vierbeiniges Familienmitglied anzusehen, aber nicht mehr zu reiten. Er war als junges Pferd zu einem Ausbilder gekommen, der ihn für unterfordert hielt. Das Ende vom Lied war, dass sich Mensch und Tier so aneinander abgearbeitet haben, dass der Mann das Pferd in die Ecke gestellt und verprügelt hat. Als das Pferd danach wieder zu mir kam, dachte ich manchmal wirklich, es sei nicht reitbar. Doch ich wusste ja, dass dieses Tier als Jungpferd total unauffällig war. Ich habe den Wallach dann ganz von vorne und mit vielen Experimenten vom Boden aus gearbeitet. Irgendwann, nach Jahren, hatte ich das Gefühl, es mit dem Reiten nochmal versuchen zu können. Es gelang! Seine Besitzerin ritt dieses Pferd noch, als sie hochbetagt und dement war. Ich glaube: Wenn massive Probleme auftreten, liegt es meistens an zu wenig Zeit und zu viel Druck.

Sie haben ein Pferd hier, das von der Paralympics-Reiterin Bettina Eistel selbst gezogen und mit Hilfe anderer Profis ausgebildet wurde. Es hat wohl keine schlechten Erfahrungen gemacht. Trotzdem kam es mit acht Jahren als unreitbar zu Ihnen.

Marlie: Floppy ist bei Bettina bestimmt liebevoll aufgewachsen. Aber wissen wir, was ein Pferd als schlechte Erfahrung verbucht? Selbst innerhalb einer Familie, wo alle die gleichen Voraussetzungen haben, entwickeln sich die Kinder unterschiedlich.

Reiterpension Marlie
Lisa Rädlein
Am Boden finden Reiter und Pferd leichter zueinander. Manchmal bleibt es für immer dabei – und beide sind damit zufrieden.

Kann Floppy inzwischen wieder geritten werden?

Marlie: So ähnlich wie Carola es von Fido beschreibt, ja. Aber ich bin, als ich mal zu viel wollte, auch schon mächtig von ihm abgeschossen worden. Es war so ein Moment, in dem ich beim Reiten dachte, jetzt muss auch mal ein bisschen mehr gehen. Zack, lag ich unten. Manchmal ist es ungünstig, wenn man augrund seiner Erfahrung zu viel Technik beherrscht. Meiner Schwiegertochter, die noch nicht so lange reitet, ist so etwas mit Floppy noch nie passiert. Sie würde aber auch gar nicht auf die Idee kommen, dass er jetzt oder gleich irgendetwas Bestimmtes für sie leisten muss. Sie freut sich einfach daran, dass es ihn gibt und ist glücklich mit dem, was er ihr anbietet.

Paustian: Das klingt für mich so, als hätte sie einen Zugang zu Floppy gefunden. Das ist doch der Idealzustand, oder?

Marlie: Ich glaube, auf jeden Pott passt ein Deckel. Es ist nur manchmal die Frage, wer dieser Deckel ist. Alois Pohajsky, der ehemalige Leiter der Spanischen Hofreitschule, hatte als junger Offizier ein Dienstpferd, das bei der Ausbildung richtig Probleme gemacht hat. Deshalb bat er den damaligen Oberbereiter Gottlieb Polàk um Hilfe. Polàk galt als einer der begnadetsten Ausbilder. Er setzte sich auf Podhajskys Pferd. Es ist sofort durchgegangen und hätte ihn fast an Bäumen abgestreift. Polàk ist daraufhin abgesprungen und hat sinngemäß erklärt, dieses Pferd sei eine Bestie und überhaupt nicht reitbar. Podhajsky hatte aber kein anderes Pferd und arbeitete deshalb weiter mit ihm. 1936 war diese angeblich unmögliche Bestie dann das Reserve-Pferd für die Dressur bei den Olympischen Spielen. Unreitbar oder nicht, das liegt also für mich ganz im Auge des Betrachters.

Paustian: Und in dessen Möglichkeiten und seiner Freude daran, Zugang zu diesem einen Pferd zu bekommen.

Die Ausbilder

Wolfgang Marlie (83) leitet die Reiterpension Marlie in Scharbeutz/Ostsee. Er lernte unter anderem bei Paul Stecken und Egon von Neindorff. Carola Paustian (56) ist mobile Pferdetrainerin und Reitlehrerin im Süden Schleswig-Holsteins.

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Erscheinungsdatum 17.05.2023