Geländetraining für Pferd und Reiter

Geländetraining
Vielseitig unterwegs

Veröffentlicht am 18.10.2024
CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Frau mit Pferd im Gelände-Parcours, Pferd schreitet durch Wasser
Foto: Antje Wolff


Ein Ausflug auf den Geländeplatz

Wallach Indigo galoppiert über den Geländeplatz. Der Sound der federnden Hufe auf dem Grasboden klingt in Reiterohren wie Entspannungsmusik. Aber das Pferd ist aufmerksam und wach. Der Lusitano spitzt die Ohren. Motiviert zieht er aufs Billard zu – und springt hinauf. Seine Reiterin Nicole Künzel strahlt. Geschafft! Mit ihrem 11-jährigen Rappen reitet die Ausbilderin für klassische Dressur erst das dritte Mal auf dem Geländeplatz in Hanstedt/Ollsen. Aber beide meistern die natürlichen Hindernisse wie Gräben, steile Hänge und Sprünge fürs CAVALLO-Foto-Shooting meisterhaft. Auch durchs Wasser trabt Indigo gelassen.

Jeder kann vielseitig werden!

Träumen Sie auch von so einem Ritt durchs Gelände mit Naturhindernissen – aber hatten bisher immer zu viel Sorge? Dann lesen Sie jetzt unbedingt weiter. "Es gibt auf dem Geländeplatz Übungen für jedes Niveau. Über viele Hindernisse kann ich sogar gehen", sagt Peer Ahnert. Er bildet seit über dreißig Jahren Reiter im Gelände aus. Sein Motto: Anforderungen langsam und systematisch steigern. Viele Hindernisse übt er mit Schülern erst aus dem Schritt oder Trab heraus – oder lässt das Pferd sogar führen. Das macht mutig! Tiefe Gräben und steile Hänge sind plötzlich ein Ding der Möglichkeit. Für Peer Ahnert bedeutet Vielseitigkeit absolutes Vertrauen zwischen Pferd und Reiter: Bei Prüfungen und nach jahrelanger Ausbildung springt sein Pferd mit ihm ab – ohne zu sehen, wo es landet. Blindes Vertrauen, wortwörtlich.

Ausbilderin Nicole Künzel legte bei ihrem Lusitano in drei Monaten vermehrt den Fokus auf die Vorbereitung für den Geländeplatz. Richtig gehört: Eine Ausbilderin für klassische Dressur und ein Lusitano – genau diese Kombi steuerte den Sprung in die Vielseitigkeit an.

Der Plan für einen guten Start

Als Jugendliche wurde Nicole Künzel vielseitig ausgebildet: Springen, Dressur und Geländereiten mit Natursprüngen und Wassergraben standen auf der Tagesordnung. Doch als Erwachsene setzte sie andere reiterliche Schwerpunkte. Erst vor acht Jahren kam der Wunsch auf, erneut mit dem Geländetraining zu beginnen. Als 36-Jährige wagte sie den Wiedereinstieg. Sie sah eine Kursausschreibung von Peer Ahnert und wollte mit ihrem PRE-Hengst Suavito (16) teilnehmen. Sie fragte, ob das möglich sei. Und war willkommen.

CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Frau reitet durchs Gelände
Antje Wolff

"Der Kurs entfachte Feuer – und seither reite ich regelmäßig auf dem Geländeplatz", erzählt Nicole Künzel. Nun lernt auch ihr Lusitano Indigo die Vielseitigkeit kennen. Wir sind dabei, stellen den Trainingsplan vor – und machen mit. Es lohnt sich, vielseitig zu werden! Mensch und Pferd meistern Herausforderungen, wachsen zusammen – und werden fit und elastisch. Wie das geht? Mit dem Trainingsplan und Body-Check des CAVALLO-Experten-Teams auf den folgenden Seiten.

Ist mein Pferd fit fürs Geländetraining?

Barbara Welter-Böller ist Expertin für Faszientraining. Am Beispiel von Lusitano-Wallach Indigo zeigt die Pferdeosteopathin, welche körperlichen Voraussetzungen Pferde fürs Geländetraining brauchen und wie ein gesunder Trainings-Aufbau aussieht.

Faszien-Check

Geländetraining mit Sprüngen, Stufen und Unebenheiten stellt an den Pferdekörper höhere Ansprüche als der Ritt auf einem ebenen Sandplatz. Ist das Pferd bereit dafür? Das zeigt der genaue Blick auf die Faszien. Das Gewebe umhüllt Muskeln und Organe, bildet Sehnen, Bänder und Gelenkkapseln aus. "Faszien sind das einzige Gewebe im Körper, das alle Strukturen miteinander verbindet. Sie ermöglichen es dem Pferd, schadlos und ohne Energieaufwand auf allen vier Beinen zu stehen", erklärt Pferdeosteopathin Barbara Welter-Böller.

CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Galoppsprung, Pferd springt im Gelände-Parcours über querliegenden Baumstamm
Antje Wolff

Das Fasziensystem stabilisiert das gesamte Pferd. Es wirkt ständig gegen die Schwerkraft – und verdient besonderes Augenmerk. Denn als Fluchttiere verbringen Pferde verhältnismäßig viel Zeit im Stand. Anders als etwa Menschen oder Hunde, die mehr liegen oder sitzen. Zudem erhöhen Faszien die Muskelleistung – und ermöglichen etwa hohe Sprünge ohne hohen Energieaufwand.

Body-Check

Zunächst klärt Barbara Welter-Böller, welches Ziel Reiterin Nicole Künzel mit ihrem Lusitano verfolgt: Wallach Indigo soll durch ein angepasstes Ausdauer-Training mehr Stabilität und Kraft entwickeln und gut auf den Geländeplatz mit unterschiedlichen Herausforderungen vorbereitet werden.

Katapult-Effekt: Warum können Kängurus bis zu neun Meter weit und drei Meter hoch springen? Das liegt am Katapult-Effekt. Dieser spart Muskelkraft und entsteht durch elastische Faszien. Auch Pferde nutzen ihn: Beim Durchtritt der Fesselgelenke spannen sich Sehnen und Bänder wie Gummibänder und speichern Energie. Beim Abfußen setzt Entspannung ein – und Bewegungsenergie wird frei. Über den Katapult-Effekt bewegen sich die Tiere effizient fort. Wie gut das funktioniert, prüft die Fachfrau an folgenden Punkten am Pferdekörper:

Am Stand der Fesselgelenke liest Barbara Welter-Böller die Faszienspannung ab. Sie prüft zugleich, ob der Fesseltrageapparat mit Fesselträger, Beugesehne und dem Unterstützungsband gesund ist. Diese körperlichen Strukturen sind wichtig für den Katapult-Effekt. Die Expertin begutachtet das Pferd im Stand auf ebenem Boden. Das Pferd soll dafür geschlossen stehen und alle vier Beine gleichmäßig belasten. Wie ist der Winkel von Fessel- und Zehenachse? "Eine Winkelung von 45 Grad vorne und 55 Grad hinten sind optimal", weiß Barbara Welter-Böller. Bei Indigo stimmt die Winkelung. Aber viele Pferde zeigen auch Abweichungen vom Idealwinkel.

CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Hand am Huf und liest Faszienspannung ab
Antje Wolff

Daraus lassen sich Rückschlüsse übers Training ziehen: Stehen die Fesseln zu gerade, ist das Pferd stark beansprucht. Sind Pferde durchtrittig und der Winkel flach, sind die Faszien eher schwach.

Der Unterschlüsselbein-Muskel (musculus subclavius) ist der Muskel vor dem Schulterblatt. Er spielt eine zentrale Rolle fürs Springen: "Dieser Muskel muss die Schulter halten beim Landen", erklärt Barbara Welter-Böller.

CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Frau steht vor Pferd am Muskel vor dem Schulterblatt
Antje Wolff
CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Frau steht seitlich am Pferd am Muskel vor dem Schulterblatt mit Kinesio-Tape
Antje Wolff

Wallach Indigo bekommt ein Kinesio-Tape an der unteren Halsbasis. Dieses spricht den Muskel und die Faszien dort direkt an: Das Pferd kann den Brustkorb besser heben und zugleich den Hals fallenlassen. Bewegung und Haltung verbessern sich.

Der Zustand der Rückenbänder lässt sich bei Trab-Schritt-Übergängen an der Longe beurteilen. "Sackt der Rücken im Übergang nach unten, brauchen die Rückenbänder noch mehr Stabilität", erklärt die Pferdephysiotherapeutin. In dem Fall sollte der Reiter das Pferd vermehrt im leichten Sitz im Trab reiten und die Rückenbänder somit entlasten. Vermeiden Sie auch zu lange Schrittphasen unterm Sattel, das stresst die Rückenbänder. "Führen Sie im Gelände im Schritt und sitzen dann zum Traben auf", rät die Expertin.

Bewegungs-Check

Übung 1: Belastet das Pferd ein Bein mehr oder weniger? Lassen Sie es dafür mehrmals über ein Cavaletti (ca. 20 cm hoch) traben.

CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Pferd an Longe trabt über flaches Cavaletti
Antje Wolff

Beobachten Sie, ob es immer auf dem gleichen Bein aufkommt – oder ob es wechselt. Manchmal arbeiten Pferde mit einem Bein deutlich mehr. Tipp: Trainieren Sie solche Pferde vermehrt im Trab. Aufgrund der diagonalen Fußfolge sind die Beine so abwechselnd belastet. "Ich empfehle viele gebogene Linien, denn ich will die Schubkraft des inneren Beins trainieren. Dafür muss das Pferd sich korrekt biegen." Galopp ist bei einseitig belastenden Pferden eher kontraproduktiv.

CAVALLO Vielseitig, Geländetraining, Pferd an Longe springt im Galopp über einen Baumgeäst, Galoppsprung
Antje Wolff

Im Galopp tragen je nach Phase das innere Vorderbein und äußere Hinterbein zeitweise in der Einbeinstütze die gesamte Last. Fehlt dafür die Kraft, leidet die Gesundheit des Pferds.

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Die Experten

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