Alternative Heilmethoden für Pferde in der heutigen Zeit
Prellungen, geschwollene Pferdebeine, Atemwegs- oder Verdauungsprobleme, Entzündungen, Arthrose: Da gibt’s doch was aus der Natur! Gegen viele Erkrankungen bei Pferden ist ein Kraut gewachsen. Oder es gibt andere Pflanzenbestandteile und Mineralien, die effektiv im Kampf gegen gesundheitliche Probleme sein können oder ihnen vorbeugen. Tierheilpraktiker, Fütterungsexperten und Tierärzte machen sich diesen Bereich der Komplementär- bzw. Alternativmedizin oft zunutze.
Doch bei welchen Problemen können Reiter Naturheilkunde für Pferde einsetzen?
Das Feld der Komplementär- bzw. Alternativmedizin ist dabei ziemlich umfassend – und nicht immer trennscharf. Der Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI) ordnet der Komplementärmedizin Verfahren der Naturheilkunde und "andere Medizinsysteme” zu, die die konventionelle Medizin – also die, die an den Universitäten westlicher Länder gelehrt wird – ergänzen. Als Alternativmedizin definiert der BDI Vorgehensweisen, "deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegt ist und/oder deren Wirkung nicht plausibel ist”.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO verwendet hingegen beide Ausdrucksweisen gleichwertig als "breite Palette von Gesundheitspraktiken” abseits der konventionellen Medizin. Diese Praktiken untergliedert die WHO in tradierte Medizin (z.B. Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda), in biologische (wie Phyto- und Aromatherapie) und manipulative Therapien (z.B. Osteopathie, Chiropraktik), in Körper-Geist-Therapien (z.B. Yoga) und Energietherapien (z.B. Magnetfeld).
Nicht ganz einfach, hier den Überblick zu behalten. So oder so sind wir Reiter aber für Ergänzungen der konventionellen Veterinärmedizin in Form von Naturheilkunde für Pferde offen. Das zeigt eine belgische Studie (Keller et.al., 2021, Universität Gent). Die Forschenden befragten über 1 500 Pferdebesitzer, wie sie zu komplementärer und alternativer Veterinärmedizin stehen. 72,5 Prozent der Befragten gaben an, dass sie diese bereits eingesetzt hatten; vor allem in Form von Manual- oder Kräutertherapien.
Welche natürlichen Heilmittel Reiter einsetzen können
Wetten, dass auch Sie schon klassische Naturheilverfahren beim Pferd eingesetzt haben – beispielsweise die Hydro- oder die Thermotherapie? Hydrotherapie ist der Einsatz von Wasser; das haben Sie sicher schon genutzt, um geschwollene Pferdebeine zu kühlen und Entzündungen zu bremsen. Thermo-Therapie nutzt die Kraft der Wärme, etwa in Form von warmen Umschlägen.
Diese beiden Naturheilverfahren können Reiter meist bedenkenlos einsetzen, ebenso wie etliche Naturheilmittel. Dazu zählen beispielsweise rohe Zwiebeln und Apfelessig, die Insektenstiche lindern. Oder medizinischer Honig, der die Wundheilung unterstützt. Heilerde- und Beinwellumschläge kühlen geschwollene Pferdebeine. Ringelblume wirkt – als Tee aufgegossen und mit Kompressen auf kleinere Verletzungen aufgebracht – schmerzstillend. Und Kamille beruhigt Magen-Darm-Trakt sowie Nerven.
In welchen Fällen man besser Experten einbezieht
Anders sieht es bei komplexen Erkrankungen oder Anwendungen aus. Hier sollten Reiter sich fachliche Unterstützung im Bereich natürlicher Heilmittel für Pferde holen. Etwa beim Einsatz von Kräutern, um die Gesundheit zu fördern: Heilpflanzen wie Schafgarbe oder Birke sollen die Entgiftung durch Leber und Niere anregen. Rinden und Wurzeln können bei Durchfall und Kotwasser helfen, Brennnesseln bei Hautproblemen.
Allerdings sind Heilkräuter nicht immer nebenwirkungsfrei. Je nach Dosis können sie giftig werden. Oder sie haben Sekundärwirkungen: Eibisch soll beispielsweise Schleim bei Atemwegsproblemen lösen, kann aber zu Magenproblemen führen. Vorsicht auch bei Kräuter-Mischungen: Kräuter können Wechselwirkungen erzeugen, ihre Wirkungen also aufheben oder sich blockieren.
Bei anderen Heilmitteln oder Naturheilverfahren bei Pferden liegt es auf der Hand, dass Reiter sie nicht anwenden können; etwa das Setzen von Akupunkturnadeln. Auch Blutegel sollte besser ein Therapeut oder Tierarzt beißen lassen. Die Tiere werden aufgrund ihres gerinnungshemmenden und anti-entzündlichen Speichels bei Abszessen oder Wundheilungen eingesetzt. Tierheilpraktiker können sie seit 2022 nur anwenden, wenn die Egel vorab durch einen Tierarzt verschrieben wurden (§50 Abs.2 TAMG).
Homöopathika zählen nicht zur Naturheilkunde
Homöopathika sind für jeden Reiter in der Apotheke zu erhalten. Zur Naturheilkunde zählt Homöopathie im strengen Sinne nicht, weil sie ihre Wirkung nicht auf physikalisch-materielle Zusammenhänge stützt, sondern laut Begründer Samuel Hahnemann auf "geistartige Umstimmungskräfte”.
In der Praxis werden die Mittel vielfältig eingesetzt. "Wenn im Stall ein Infekt herumgeht, kann man mit diesen Präparaten beispielsweise das Immunsystem stimulieren und dem Infekt so vorbeugen”, sagt Tierärztin Tina Wassing. "Hat ein Pferd wegen einer Verletzung Boxenruhe, gebe ich neben Entzündungshemmern auch gerne homöopathische Mittel, damit das Tier schneller aus der Entzündung herauskommt. Oder ein Mittel, damit es weniger unruhig ist und runterkommt.” Bei Tieren mit chronischen Erkrankungen hat sie gute Erfahrungen gemacht. "Einige Pferde sind so stabil geworden, oder ich kann sie bei Verschlechterungen schnell abfangen.”
Zwar ist im Beipackzettel von Homöopathika oft vermerkt, dass "keine Nebenwirkungen bekannt” seien. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu gefährlichen Reaktionen kommen. Stute Donna Asana etwa starb 2010 an einem anaphylaktischen Schock, nachdem ein Tierarzt ihr homöopathische Präparate gespritzt hatte. Ein ähnlicher Fall wird 2007 im Deutschen Tierärzteblatt geschildert. Mutmaßliche Ursache: eine Überempfindlichkeit gegen einen der Inhaltsstoffe. Wer auf Nummer Sicher gehen will, kontaktiert Tierärztin oder Tierheilpraktikerin, bevor er seinem Pferd Homöopathika gibt.
Apropos Einsatz: Registrierte Homöopathika aus dem Humanbereich dürfen Pferdebesitzer ihren Vierbeinern verabreichen. Im Zweifelsfall aber empfehlen sich Präparate, die für Pferde registriert/zugelassen sind; das sind in Deutschland laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 143 Stück. Für diese Präparate müssen die Hersteller Qualität und Unbedenklichkeit belegen.
Wie findet man Experten für Alternativmedizin für Pferde?
Wer sich unsicher ist, wie und bei welchen Gelegenheiten alternative Heilmittel beim Pferd eingesetzt werden können, holt sich Hilfe. Etwa bei Tierärzten, die die Zusatzbezeichnung Akupunktur für Pferde, Biologische Tiermedizin oder Homöopathie tragen – im Web zu finden unter gervas.org (Akupunktur), ggtm.de (Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin) oder dzvhae.de (Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte). Der Begriff Tierheilpraktiker ist nicht rechtlich geschützt; achten Sie daher auf eine gute Ausbildung Ihres Therapeuten (etwa an der Akademie für Tiernaturheilkunde, ATM).
Was sagt die Wissenschaft zu Naturheilmitteln?
Hier ist die Forschungslage nicht eindeutig. Beispiel Phytotherapie: Nicht bei jedem Kraut ist der Wirkmechanismus entschlüsselt – und erst recht nicht beim Pferd. Studien zur Naturheilkunde aus dem Pferdebereich gibt es etwa zur Wirkung von Thymian (dessen ätherisches Öl Thymol bei Atemwegserkrankungen hilft), zu Hagebutte (entzündungshemmende Wirkung bei Pferden mit Gelenksproblemen) oder Teufelskralle (unterstützt lahmende Pferde mit Osteoarthritis). Von sekundären Pflanzenstoffen in Kräutern ist bekannt, dass sie antioxidativ, antiviral und antibakteriell wirken.

Etliche wissenschaftliche Studien belegen die Wirksamkeit von Pflanzenstoffen.
Bei Akupunktur wiesen etliche Studien im Humanbereich nach, dass die Nadeltechnik aus der Chinesischen Naturheilkunde schmerzlindernd wirkt (etwa Meißner et.al., Uni Jena, 2014). Bei Pferden gibt es ebenfalls einige Hinweise, dass Akupunktur Schmerzen lindern kann. Sie hilft zudem bei chronischen Atemwegserkrankungen (COB/RAO) – und das nahezu genauso gut wie eine medikamentelle Therapie, zeigte eine Studie (Reitz, Universität Jena, 2006). Bei klinischen Symptomen schloss die Laserakupunktur sogar besser ab als die Medikamentengabe.
Strittig ist die Lage in der Homöopathie. Das Institut für Komplementäre und Integrative Medizin der Universität Bern schreibt, "dass die Ergebnisse der meisten Untersuchungen [zu Homöopathie] nicht mit der Placebo-Hypothese vereinbar sind”. Der Placebo-Effekt beschreibt Wirkungen von Scheinmedikamenten, die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren. Bei Tieren gibt es den Placebo-by-proxy-Effekt, hervorgerufen durch die Erwartungshaltung oder das veränderte Verhalten des Besitzers, was das Tier zurückspiegelt.
Auf solche Effekte verweisen Homöopathie-Gegner – und auf Studien, denen zufolge Homöopathie nicht wirkt (Linde et.al., 1997; Mathie et.al., 2017; NHMRC, 2015). Tierarzt Dr. Rolf Wagels, Co-Autor einer kritischen Literatur-Review zur Veterinärhomöopathie (Handl et.al., 2024), stört, "dass bei homöopathischen Präparaten keine Wirksamkeit nachgewiesen werden kann”. Und dass den Mitteln scheinbare Verbesserungen zugeschrieben werden: "Viele Homöopathen fragen sich nicht, ob ein Pferd wegen oder trotz der Therapie gesund geworden ist.” Der Körper heile sich oft selbst. Dazu müssten in Studien Seiteneffekte (wie Placebo, Stressabbau, ein wellenförmiger Krankheitsverlauf) sicher ausgeschlossen werden. Wagels’ Fazit: "Die Prämissen der Homöopathie sind unplausibel bis unmöglich, weshalb gar keine relevanten klinischen Ergebnisse erwartet werden können.”
Fakt ist: Der Streit über die Wirksamkeit homöopathischer Therapien in der Veterinär- und Humanmedizin ist längst nicht beigelegt.
Alles natürlich?
Naturheilkunde hat als Ziel, die Selbstheilungskräfte des Körpers anzuregen.
Naturheilmittel sind Mittel aus der Natur, oft Pflanzen, einzelne Kräuter oder Pflanzenbestandteile wie Flohsamen; auch Blutegel zählen dazu.
Naturheilverfahren werden unterteilt in klassische Verfahren (wie Phyto-Therapie, die Verwendung von Heilpflanzen und pflanzlichen Arzneimitteln) und traditionelle Verfahren wie Traditionelle Chinesische Medizin (TCM, unterteilt in fünf Behandlungssäulen; die bekannteste ist Akupunktur).
Biologische Arzneimittel (Biologika) werden biotechnologisch hergestellt; darunter fallen Hormone und Impfstoffe.
Arzneirecht
Medikamente für Tiere werden in Deutschland vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zugelassen. Dafür werden Arzneien "auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit, Qualität und Umweltsicherheit” geprüft. Stichwort Wirksamkeit: Hier muss der Antragsteller klinische Prüfungen nachweisen, also "kontrollierte Studien unter Feldbedingungen”, um damit Wirksamkeit und Verträglichkeit zu belegen.
Für homöopathische Tierarzneimittel gelten Sonderregeln. Sie können auch nur registriert werden. Dafür ist kein Wirksamkeitsnachweis nötig, es dürfen dann auch keine "Angaben über Wirkungen und Anwendungsgebiete” gemacht werden.
Trotzdem sind nur die wenigsten Homöopathika freiverkäuflich zu erhalten; die meisten homöopathischen Produkte können nur in Apotheken oder beim Tierarzt erworben werden. Apothekenpflichtige Homöopathika, die für Pferde zugelassen oder registriert sind, können Tierhalter selbst anwenden.
Bei Homöopathika aus dem Humanbereich ist die Anwendung diffiziler. Registrierte Human-Homöopathika dürfen Reiter bei Nicht-Schlachtpferden auch ohne Absprache mit dem Tierarzt geben; zugelassene Human-Homöopathika (erkennbar an "Zul.-Nr.” auf der Packung) hingegen nicht. Tierheilpraktiker dürfen zudem keine apothekenpflichtigen Medikamente an Reiter abgeben.
Die Experten

Tina Wassing ist Tierheilpraktikerin und Tierärztin aus Ahaus/NRW, spezialisiert auf Pferde und biologische Tiermedizin.

Dr. Rolf Wagels arbeitete zehn Jahre als Tierarzt in der Pferdeklinik der TiHo Hannover und ist Fachtierarzt für Informatik und Dokumentation. tiho-hannover.de