Pferde sind Lauftiere. Trotzdem sind ihre Beine extrem anfällig für Verletzungen. Das gilt besonders für die unteren Extremitäten zwischen Huf und Sprunggelenk. Häufig fügen Pferde sich Schürf- und Schlagverletzungen sogar selbst zu, indem sie sich in die Hacken treten. Tiefe und weiche Böden sowie Überlastungen etwa beim Springen können außerdem Sehnenverletzungen hervorrufen.
Eine in diesem Jahr in England veröffentlichte Studie stellt besonders die gerne behauptete Schutzwirkung gegen Stöße in Frage. Auf sie setzen vor allem Spring- und Geländereiter, die häufig Hartschalengamaschen benutzen, um ihre Pferde vor Verletzungen zu bewahren. Es gibt sie in vielen Varianten von der einfachen halboffenen Plastikhartschale mit Lammfell- oder Neopren-Unterlage bis zum teuren, das ganze untere Bein und den Fesselkopf umschließenden Hightech-Modell mit Carbon-Schalen und schockabsorbierender Gel-Einlage.
Das alles ist laut Dr. David Marlin mehr Schein als Sein. Der Tierarzt und Berater des Britischen Reiterverbands BEF hatte in der Studie im Auftrag des englischen Pferdesportausrüsters Equilibrium Products Ltd. untersucht, wie gut Gamaschen und Bandagen Pferdebeine wirklich vor Blessuren bewahren, wenn sie gegen Hindernisse stoßen oder diese streifen.
Demnach hält kaum eine Gamasche, was sie verspricht. Die Hälfte der von Marlin getesteten geschlossenen Gamaschen für Geländeritte bot beim Stoßtest „keinen ausreichenden Schutz“, wie die englische Internetseite horsemart.co.uk formuliert. Auch drei Viertel aller halboffenen Gamaschen und Bandagen „schützten weniger als nach Vernunft erwartet“. In einigen Fällen habe die Gamasche die Stoßwirkung sogar noch verstärkt.
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Ein zu fester Sitz ist schädlich
Ebenso niederschmetternd war das Ergebnis einer zweiten Materialprüfung, in der Marlin untersuchte, wie sich die Gamaschen beim Kontakt mit scharfen Gegenständen verhielten. Der Tierarzt stellte fest, dass bei einigen Modellen „bereits ein beunruhigend geringer Kraftaufwand genügte“, um sie zu beschädigen.
Das Problem daran: Die Reiter seien nicht in der Lage, durch Augenschein oder Handhabung Schlüsse daraus zu ziehen, wie gut eine Gamasche die Beine ihrer Pferde vor Stößen und Schnitten schützt. „Dazu müsste man sie aufschneiden“, sagt Dr. Marlin. Im Klartext: Was toll und teuer aussieht, ist nicht unbedingt besser. Marlin fordert daher die Entwicklung standardisierter Tests und eines Bewertungssystems, um dem Reiter Anhaltspunkte für seine Kaufentscheidung zu geben.
Ein Hinweis, dass und wie eine Gamasche die Sehnen des Pferdebeins stützt, wäre ebenfalls angebracht. So geht Dr. Rüdiger Brems wie manche Tierärzte davon aus, dass Gamaschen „den Sehnenapparat stützen, wenn sie den Fesselkopf umschließen und richtig fixiert sind. Aber sie dürfen nicht zu fest sitzen. Das würde die Bewegungsfreiheit des Beins einschränken und auf Sehnen und Blutgefäße drücken“, erklärt der Leiter der Pferdeklinik Wolfesing im bayerischen Zorneding. Ideal findet Brems Neopren-Gamaschen: „Die sind elastisch, geben aber auch Halt. Das entspricht etwa dem Tapen von Muskeln oder Extremitäten mit Klebestreifen bei menschlichen Sportlern.“
Sein Kollege Dr. Matthias Baumann vom Trainings- und Rehazentrum für Pferde im bayerischen Reichertsheim hat dagegen erhebliche Zweifel, dass Gamaschen den Sehnenapparat des Pferds unterstützen. „Die bringen gar nichts“, sagt der Vielseitigkeitsreiter. „Sie schützen höchstens vor Verletzungen, wenn sich das Pferd selbst mit dem Huf ins Bein greift. Die Sehnen entlasten sie nicht. Auch wenn die Hersteller das gerne behaupten.“
Diese Aussage deckt sich mit dem Ergebnis eines CAVALLO-Tests vom Juni 2001. Der Biomechaniker Dr. Parvis Falaturi untersuchte damals, wie gut Gamaschen den Fesseltrageapparat im Vergleich zum blanken Pferdebein tatsächlich unterstützen. Seinerzeit im Test: eine einfache Springgamasche sowie die SMB II von Pro Choice. Deren Material sowie die den Fesselkopf umschließende Konstruktion sollten die Sehnen besonders gut vor einer Überdehnung bewahren.
Das ernüchternde Resultat des Tests: Ob das Pferd Gamaschen oder keine trug, machte keinen Unterschied aus. „Was im Bein passiert, wird durch Boden und Beschlag, nicht aber durch Gamaschen beeinflusst“, schlussfolgerte Parvis Falaturi damals.
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Die Hitze staut sich
Viele Reiter benutzen leichte Neopren-Gamaschen mit oder ohne Plastikverstärkung gegen Streifverletzungen. Neopren ist leicht, passt sich dem Pferdebein gut an und nimmt kaum Wasser auf. Der Nachteil: Manche Pferde schwitzen sehr stark unter solchen Gamaschen, da Neopren die Körperwärme gut isoliert. In einigen Fällen kann es auch zu allergischen Reaktionen kommen. „Das ist aber sehr selten“, weiß Tierarzt Dr. Brems.
Schlimmer sei jedoch, dass die unter den Gamaschen gestaute Hitze das Pferdebein schädigen könne, sagt David Marlin, der auch die Wärmeleitfähigkeit untersuchte. „Manche Modelle geben die Wärme nur schlecht nach außen ab“, so der Brite.
Schon ohne Gamaschen würden sich die Sehnen der Pferde im Galopp auf bis zu 45 Grad erhitzen, behauptet Marlin. Solche Temperaturen können Sehnenverletzungen und sogar ein Zellsterben verursachen. Wärmeisolierende Gamaschen verstärken dann diese Effekte. David Marlin rät daher, die Gamaschen nach Gebrauch möglichst schnell abzunehmen und die Beine zu kühlen. „Außerdem sollten Gamaschen Hinweise auf die Wärmeleitfähigkeit tragen“, meint Dr. Marlin.
Tipp
Statt Gamaschen verwenden viele Reiter auch Bandagen zum Schutz der Pferdebeine. Die Gefahr: Lösen sich die Bandagen, kann das Pferd über die lockeren Wickel stolpern. Mit Wasser vollgesogen, ziehen sich Bandagen zudem zusammen und schnüren Gefäße wie Sehnen im Pferdebein ab. Da sich die Wärme unter Bandagen wie unter Gamaschen stark staut, muss man sie sofort nach dem Reiten entfernen.
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