„Es geht um Konsequenz“

CAVALLO: Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung des Dressurreitens?
Hartmut Schmidt: In der Diskussion um die Dressurreiterei wird gerade eine 180-Grad-Wendung vollzogen. Das ist gut, da vieles, was man im Sport gezeigt bekommt, nichts mehr mit klassischer Dressur und einem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Tier zu tun hat.
Was halten Sie von dem Begriff „gewaltloses Reiten“?
Begriffe wie Gewalt haben in der Reiterei überhaupt nichts zu suchen. Was zur richtigen Ausbildung eines Pferds gehört, sollte endlich einmal klar benannt werden. Mit Gefühlsduselei kommt man da nicht weiter: Es geht im Kern um Konsequenz, denn diese ist meiner Meinung nach das Wichtigste in der Reiterei. Bei vielen Lehrgängen werden zur Anschauung nur Pferde gezeigt, die alles schon können. Fragen der Zuschauer zu Problemen mit ihren eigenen Pferden werden abgeblockt. Es wird nicht deutlich genug erklärt, dass als oberstes Ziel bei der Ausbildung eines Pferds die Grunddressur erarbeitet werden muss.
Grunddressur heißt was genau?
Das Pferd kann nichts dafür, dass es Reittier geworden ist und wäre viel lieber auf der Wiese. Will ich es ausbilden, benötige ich Konsequenz und Einfühlungsvermögen. Damit bringe ich dem Pferd Sensibilität und Durchlässigkeit bei. Dabei müssen unbedingt das Exterieur und vor allem das Interieur des Pferds berücksichtigt werden. Nicht jedes Pferd ist für den Grand Prix geeignet und wird Piaffe und Passage lernen können. Reiter und Ausbilder müssen sich immer über die Fähigkeiten ihres Pferds im klaren sein. Sie dürfen nicht zu viel verlangen.
Wann kommt es zur Gewalt?
Wenn der Reiter kein Verständnis für Psyche und Körperbau des Pferds hat. Unser Grundproblem sind Menschen, die sich nicht mehr die Zeit nehmen, die biomechanischen Zusammenhänge zu begreifen. Pferde werden leider viel zu häufig vermenschlicht oder als Sportgerät angesehen. Da heißt es dann: „Setz dich mal durch, der verarscht dich!“ Ein Pferd denkt aber nicht wie wir und verfolgt keine hinterhältigen Absichten. Es reagiert einfach auf unser Verhalten. Deshalb liegt es an uns, seine Sprache zu lernen.

Was ist in der Ausbildung des Reiters wichtig?
Der Reiter muss die Möglichkeit haben, Gefühl und Verständnis für das Reiten zu lernen. Häufig findet man in den Ställen jedoch unmotivierte Reitlehrer, die nur ihre 10-er Karte verkaufen wollen – oder müssen, um zu überleben –, und schlecht ausgebildete Schulpferde. Wenn dann noch starre Ausbinder Stellung und Biegung verhindern, hat der Schüler keine Chance, gutes Reiten zu lernen. Aber das Problem fängt nicht bei denen an, die noch nicht reiten können, sondern schon bei den Vorbildern und den Richtern im Sport.
Welche Probleme sehen Sie da?
Ich wundere mich über manche richterliche Entscheidung. Etwa, wenn im Spitzensport Pferde ohne Rahmenerweiterung und mit steifem Genick Höchstnoten erhalten. Oder Tiere, die weder still stehen können noch fähig sind, eine Ehrenrunde mit zu laufen. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob zwischen Reiter und Pferd überhaupt ein Vertrauensverhältnis besteht. Wenn Richter fundamentale Fehler wie das Fehlen der Losgelassenheit übersehen, und wenn sie Leistungen belohnen, die nachweislich mit tierschutzwidrigen Zwangsmethoden erzielt wurden, dann stimmt an unserem System etwas nicht. Das Pferd muss biomechanisch vom Hinterbein über den Rücken in die Selbsthaltung geritten werden. Das wird sich nie verändern, da können die Hyperflexions-Anhänger so viel reden wie sie wollen!
Gibt es ein Durchschnittsalter, in dem Pferde bestimmte Lektionen beherrschen müssen?
Wann man mit der Grundausbildung anfängt, kommt auch wieder aufs Pferd an. Ahlerich von Dr. Reiner Klimke ging beispielsweise schon als 6-Jähriger S-Dressur, war bis zum Alter von 17 Jahren im Sport erfolgreich und starb mit 21 Jahren an einer Kolik. Dieses Pferdeleben zeigt, dass eine mit Rücksicht auf Knochenbau, Gelenke und Sehnen erfolgte, schonende Ausbildung des jungen Pferds nicht zu Verschleiß führt. Alles, was ich mir mit dem Pferd im Alter von drei bis sechs Jahren hart erarbeiten muss, kann Schäden verursachen und sollte vom Trainingsplan gestrichen werden. Alles, was das Pferd von alleine macht, was spielerisch geht, ist möglich. Der Reiter muss sich immer nach dem Pferd und dessen individueller Persönlichkeit richten.
Was halten Sie von der Diskussion um Doping im Reitsport?
Wenn Medikation immer weiter verfeinert wird, um Defizite auszugleichen, ist das doch ein Unding. Es ist katastrophal, wenn einer unserer besten Springreiter sogar sagt, alles sei erlaubt, was nicht gefunden wird. Auch der letzte Doping-Skandal in der Dressur im vergangenen Jahr ist unentschuldbar. Die Spitzenreiter sind so knallhart professionell, dass sie genau wissen, was in ihren Ställen passiert. Hinter all diesen Ereignissen steht nur verbissener Ehrgeiz.
Also ist es der Ehrgeiz des Reiters,der vieles zerstört?
Natürlich ist Ehrgeiz in der Reiterei nötig. Zu viel Ehrgeiz des Reiters ist aber immer schlecht. Auch ohne Doping schadet er häufig nicht nur dem unausgereiften Körper des Pferds, sondern ganz klar auch seiner Psyche.
Welche Rolle spielt das Geld?
Heute ist es viel teurer als früher, Spring- oder Dressurställe zu halten. Es geht ja in der Zwischenzeit um Wahnsinnsgelder. Alles wird immer gewinnorientierter. Wer heute keinen Mäzen hat, der ihm Pferd und Turniere finanziert, hat kaum noch eine Chance. Auch die Pferdezucht steht unter diesem enormen Druck. Leider geht das all zu häufig zu Lasten der Pferde. Auch früher wurde mit Pferden falsch umgegangen; aber heute erscheint mir die Situation völlig pervertiert. Nur: Wenn es um unsere Pferde geht, darf uns die Ethik nicht verloren gehen.
Turnierrichter in der Kritik: Show statt Dressur? Dr. Britta Schöffmann im Podcast-Interview
Die Richter großer Reitturniere stehen immer wieder in der Kritik: Spektakuläre Tritte, so die Vorwürfe, werden höher bewertet als harmonisches Reiten. Show zieht mehr als eine grundsolide Ausbildung und ein harmonischer Ritt; das spiegeln zumindest die Noten für die einzelnen Lektionen in Dressurprüfungen wider. Wir sprechen in unserer Podcast-Folge darüber mit Dr. Britta Schöffmann, Grand-Prix-Reiterin, Ausbilderin und selbst Turnierrichterin bis zur Klasse M. Wie sieht sie die Bewertungen ihrer Richterkollegen? Und welche Vorschläge hat sie, um statt Show wieder klassische Dressur in den Vordergrund zu rücken? Dr. Britta Schöffmann redet Klartext.
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