Die Hände von Könnern bringen Pferde ins Gleichgewicht. Gute Osteopathen wirken mit gezielten Griffen auf Gelenke, Organe und Psyche des Tiers. Sie geben den Impuls, um die Selbstheilung des Körpers anzuregen. Je nach Ausbildung greifen Therapeuten ganz unterschiedlich zu. CAVALLO zeigt, wie und wo Experten Hand anlegen, welche Schwachstellen sie bei Pferden besonders häufig finden und was seriöse Therapeuten auszeichnet. Wer weiß, wie gute Osteopathie funktioniert, fällt nicht auf Knochenbrecher oder Scharlatane herein, die dem Pferd schaden.
Vertreter von drei renommierten Osteopathie-Schulen hat die Redaktion ans Pferd gebeten, um ihre Arbeit zu demonstrieren. Die Experten sehen Sie rechts auf dem Foto. Ihre Techniken variieren, jeder setzt spezielle Schwerpunkte. Manches ist strittig, etwa ob die Therapie dem Pferd weh tun darf. Keinen Streit gibt‘s bei den Knackpunkten von Stute Maya, an der die Therapeuten ihre Methoden zeigen. Sie kommen zu denselben Ergebnissen, trotz unterschiedlicher Untersuchungs- und Behandlungsansätze. Die Zähne des Pferds müssen bearbeitet werden, Kiefergelenk und Genick sind blockiert; Wirbelsäule, rechtes Hinter- und linkes Vorderbein machen ebenfalls Probleme.
Wie gute Osteopathen ihre Patienten checken und die wichtigsten Aspekte der Methoden stellen wir Ihnen auf den folgenden Seiten vor. So können Sie entscheiden, was Sie persönlich am meisten anspricht. Das ist wichtig für die optimale Therapie. Denn der Reiter wird immer einbezogen.
Barbara Welter-Böller
Fachschule für osteopathische Pferdetherapie Welter-Böller
Barbara Welter-Böller (Gründerin & Leiterin)
Ausbildungsstätte: Meyer-Hof
29640 Schneverdingen
Tel. 02206-858346
www.welter-boeller.de
Beatrix Schulte Wien
Deutsches Institut für Pferde-Osteopathie, DIPO
Beatrix Schulte Wien
(Gründerin & Leiterin)
Hof Thier zum Berge, 48249 Dülmen
Tel. 02594-782270
www.osteopathiezentrum.de
Ilona Willebrand
Tierärztliche Akademie für Osteopathie, TAO Equilibre
Ilona Willebrand
Leitung: Dr. Dorothea Traenckner
65795 Hattersheim
Tel. 06190-8879619
www.tao-equilibre.de
Michaela Wieland
Michaela Wieland
DIPO-Osteotherapeutin und Sattelexpertin
(www.michaelawieland.de)















Die wichtigsten Regeln der Therapie
Welter-Böller: 1. Ich will die Compliance des Pferds, also ein kooperatives Verhalten. Tut die Behandlung weh, wird es mit Abwehr reagieren. Bevor mobilisiert wird, muss also der Schmerz weg, zum Beispiel über Elektrotherapie. 2. Der Osteopath stößt den Selbstheilungsimpuls an und muss dem Pferd Zeit geben, sich zu regulieren. 3. Lieber einmal mehr kommen, als alles auf einmal zu wollen. Das Pferd soll merken, der Therapeut meint es gut mit mir.


TAO Equilibre: 1. Immer mit, nie gegen das Pferd. 2. Wir handeln nach dem Grundsatz von Respekt, Liebe und Mitgefühl.
DIPO: 1. Alles, was wir machen, dient der Durchblutungsförderung und damit dem Zellstoffwechsel. Osteopathie verstehen wir als Zell-Regulations-Therapie. Alle Zellen im Körper müssen sich bewegen können, damit sie neben dem Stoffwechsel auch die Nervenimpulse richtig verwerten können. 2. Wir arbeiten vom Gelenk zum Muskel, da das Skelett die tiefste Struktur ist. Struktur und Funktion beeinflussen sich wechselseitig.
Wie läuft die Untersuchung ab?

Welter-Böller: Ich frage zuerst, wie der Besitzer sein Pferd anspricht. Nennt er es "Zicke" oder "Make my day"? Der Name oder Spitzname ist wichtig für die Beziehung zum Pferd. Ich erkundige mich, wie alt es ist, wie lange der Besitzer es hat, was er über die Vorgeschichte weiß und warum er sich für dieses Pferd entschieden hat. Ich schaue mir Haltung, Fütterung, Box und Weidegesellschaft an, frage nach dem Trainingsplan. Währenddessen beobachte ich, wie das Pferd auf neue Menschen reagiert und freue mich, wenn es mir aus Neugierde auf Menschen quasi den Befundbogen auffrisst. Dann frage ich, warum der Besitzer mich gerufen hat. Zu 90 Prozent geht es um Rittigkeitsprobleme. Lahmende Pferde oder solche mit unklaren Befunden an der Halswirbelsäule behandele ich nicht: Das muss erst vom Tierarzt abgeklärt werden.
Beim Pferd beurteilt man, wie es generell aussieht, wirkt es altersgemäß, wie sind Exterieur, Stellung, Muskulatur? Hat es Haut- oder Muskelverletzungen? Ich lasse es im Schritt vorführen, rückwärtsrichten und in einer Volte um mich herum laufen. Das Pferd wird ohne Ausrüstung in allen Gangarten longiert: Wie bewegt es sich ohne Reitereinfluss? Dann lässt man es vorreiten. Zeigt sich, dass das Problem beim Reiter liegt, kann ich ihm als Trainer Tipps geben. Sattel und Zaumzeug werden gecheckt.
Bei der Untersuchung fahre ich zuerst mit den Händen komplett übers Pferd, taste die Muskulatur ab, fühle bei Wallachen nach Kastrationsnarben. Dann werden alle Gelenke untersucht: Wie ist die Bewegungsqualität? Der Behandlungsplan richtet sich nach dem Befund. Bei Zahn- und Genick problemen muss man wiederkommen, wenn die Zähne bearbeitet wurden. Bei Beckenschiefstand durch einen geblähten Blinddarm ist die Fütterung umzustellen. Je nach Fall gebe ich Tipps für die Bodenarbeit und das Training unterm Sattel – oder empfehle dem Reiter, sich selbst osteopathisch behandeln zu lassen. Kleine Restriktionen in Gelenken kann man sofort beheben. Selbst dann ist aber nicht gleich alles okay. Ich warte stets 14 Tage, in denen sich das Pferd selbst ausbalancieren soll. Sind Probleme über einen längeren Zeitraum entstanden, muss man sie längerfristig rückabwickeln.

TAO Equilibre: Am Anfang steht eine Untersuchung in Bewegung: Wie weit können sich alle Strukturen bewegen? Dazu reicht in der Regel das Vorführen im Schritt und Trab an der Hand. Bei Lahmheit lassen wir das Pferd auf unterschiedlichen Böden vorführen und, falls nötig, auch unterm Sattel. Wir tasten das Pferd ab und hören uns den Vorbericht des Besitzers an. Dann verschaffen wir uns einen Überblick über das parietale System (Muskulatur, Skelett, Faszien, Gefäße, Lymphbahnen), das viszerale (Eingeweide mit Aufhängungen und neurologischen Verschaltungen bis hinein in Kopf und Kreuzbein, Blut- und Lymphgefäßversorgung) sowie das cranio-sacrale System (Kopf, Gehirn, Rückenmark, Rückenmarkshäute, Gehirn- und Rücken marks flüssigkeit). Die Vitalität des cranialen rhythmischen Impulses prüft man meist im Bereich des Kopfs und des Kreuzbeins. Eine neuere Entwicklung ist die fluide Osteopathie, die wir ebenfalls nutzen: Sie beschäftigt sich mit verschiedensten Rhythmen im Körper und energetischen Verknüpfungen, ähnlich wie man sie in der Akupunktur findet.
Die Systeme werden nun detaillierter untersucht, wobei je nach Fall gewichtet wird. Ein Pferd mit Bronchitis untersuche ich anders als eines mit Knieproblemen. Die Untersuchung der Wirbelsäule ist jedoch immer dabei. Als Tierärzte untersuchen wir alle anatomischen Systeme, aber auch Hufbeschlag, Zähne und Sattel. Man fokussiert den Bereich, der für den speziellen Fall wichtig ist. Im Blick haben muss man zudem die Pferd-Reiter-Interaktion: Ein Reiter mit schiefem Kreuzdarmbeingelenk kann nie symmetrisch einwirken. Sitzt der Reiter schief, kann das Pferd nicht gerade gehen.
In der Therapie konzentrieren wir uns nicht nur auf Gelenkflächen, um etwaige Blockaden zu lösen, sondern arbeiten mit den Wechselwirkungen zwischen allen Strukturen. Ursache-Folge-Ketten werden entlang der verschiedenen Verknüpfungen der Gewebe miteinander nachvollzogen: Denn Symptome können sich weit entfernt vom eigentlichen Ursprung zeigen. So kann ein blockiertes Genick seine Ursache in einer gestressten Leber haben. Dann kann ich das Genick fünf Mal behandeln, es wird immer wieder blockieren. Ich muss also die Leber behandeln, dann löst sich das Problem im Genick oft von ganz allein.
Wenn erkennbar ist, dass das Tier kein osteopathisches Problem hat, sondern Strukturen wie etwa Sehnen geschädigt sind, muss man in die Schulmedizin wechseln.

DIPO: Wir fragen nach der Vorgeschichte des Pferds, Erkrankungen, Unfällen und Problemen, die der Reiter sieht. Dann lässt man das Pferd auf hartem Untergrund im Schritt und Trab am Halfter vorführen, um die Fußung zu beurteilen, die Bewegung der Beine, der Kruppe und des Schweifs. Ist zum Beispiel die Kruppenmuskulatur verspannt, trägt das Pferd den Schweif schief. Beim ersten Termin muss der Therapeut den Reiter nicht unbedingt auf dem Pferd sehen.
Untersuchung und Behandlung finden in möglichst ruhiger Umgebung auf rutschfestem Untergrund statt, etwa einem Longierzirkel. Zum Start begrüßt man das Tier freundlich. Dann prüfen wir die Gelenke nach festem Schema: Wir beginnen am linken Vorderbein am Hufgelenk und arbeiten uns hoch zum Schulterblatt; dann ist das rechte Vorderbein an der Reihe. Am Hinterbein beginnt man am linken Hufgelenk und hoch bis zum Kreuzbein, anschließend rechts hinten. Unterschiede in der Bewegungsqualität zwischen links und rechts sind ein osteopathischer Befund. So ist etwa die Beweglichkeit der Schulter eingeschränkt, wenn man nur auf einer Seite das Vorderbein bis zum Hinterhuf ziehen kann. Wenn wir eine Bewegung mehr als einmal versuchen und sich das Bewegungsausmaß dabei vergrößert, ist das schon Therapie.
Nach den Gliedmaßen kontrollieren wir das Kreuzdarmbeingelenk und die Beweglichkeit der Lenden- und Brustwirbelsäule. Dann geht‘s an den Kopf mit Hinterhauptsbein, 1. und 2. Halswirbel sowie die restlichen Halswirbel. Danach kontrollieren wir Kiefergelenk sowie Zungenbein und, soweit möglich, die Zähne.
Nun prüfen und behandeln wir Muskeln, Faszien sowie Weichteile. Beim Griff in die Brustmuskeln im Bereich der Gurtlage muss das Pferd zum Beispiel in der Lage sein, den Rücken aufzuwölben. Zum Schluss kommt der Schweifzug. Das ist eine schöne Übung, die der Besitzer nachmachen kann. Man schlägt sich das Schweifende um die Hand und lehnt sich vorsichtig nach hinten. Der Zug wird so lange ausgeführt, bis das Pferd den Hals fallenlässt und seinen Kopf senkt.
Das Pferd soll nach der Untersuchung frei laufen. Wenn man blockierte Gelenke mobilisiert hat, muss der Körper die neuen Bewegungsmuster erst lernen. Der Besitzer bekommt einen Behandlungsbogen mit Übungen fürs Pferd, deren korrekte Ausführung wir uns gleich zeigen lassen. Sattel und Zaumzeug werden kontrolliert. Das Training bis zur Nachbehandlung richtet sich nach den Befunden.















Wo liegen Schwerpunkte der Methode?
Welter-Böller: Beim Training. Hier liegt bei den allermeisten Pferden die Ursache der Probleme. Schuld sind vor allem die künstliche Haltung, in der viele Pferde geritten werden, Ausbildungsschritte, die nicht ans Pferd angepasst sind und es überfordern, aber auch falsche Ausrüstung wie zu eng verschnallte Reithalfter.
TAO Equilibre: Wir berücksichtigen die Gesamtheit aller Systeme, da sie sich gegenseitig beeinflussen können. Wichtig ist, dass man dank umfangreicher Ausbildung einen großen Pool an osteopathischen Techniken hat: So können wir die Technik an den Patienten anpassen. Das ist das beste Mittel, um auch bei schwierigen Pferden oder sehr schmerzhaften Problemen einen kooperativen Weg in der Behandlung zu gehen.
DIPO: Von der Therapie zum Training: Wir leiten die Kunden an, das Pferd richtig über den Rücken zu arbeiten. Weiterer Schwerpunkt ist die Pferd-Sattel-Reiter-Analyse: Viele Sättel sind ein erheblicher Störfaktor. Reiter sind oft nicht locker genug und brauchen auch osteopathische Behandlung.
















Welche Methoden lehnen Sie ab?
Welter-Böller: Manipulation in jedem Fall – ohne Rücksicht darauf, was machbar ist und was nicht. Ein älteres Pferd etwa, das veränderte Gelenkstrukturen im Genick hat, kann man nicht mehr gerade bekommen. Untersuchungen gegen den Widerstand des Pferds lehne ich ab, wobei die Schmerzreaktion eine Abwehrreaktion ist.
TAO Equilibre: Das Pferd mit Zwangsmitteln wie der Nasenbremse oder Sedierung zur Kooperation zu zwingen. Gut funktionierende Reflexe sind häufig notwendig, um das Pferd präzise behandeln zu können.
Dipo: Behandlung auf die Schnelle, bei der man den Pferden mal eben fix ins Kreuz springt. Therapeuten ohne fundierte Kenntnisse in Anatomie, Neurologie, Biomechanik dürfen nicht ans Pferd. Ebensowenig Leute ohne Liebe und Respekt vorm Pferd.

Infos zur Ausbildung
Welter-Böller: zweigleisig. Lehrgänge (330 Stunden) nur für Tierärzte und Physiotherapeuten (FN anerkannt). Für medizinische Laien: Ausbildung mit Fernstudium und 9 mehrtägigen Kursen (430 Stunden).
TAO Equilibre: nur Tierärzte; das dreistufige Ausbildungssystem beruht auf der veterinärmedizinischen Vorbildung (Grundkurs und 2. Stufe: rund 500 Stunden; Stufe 3: Kür auf internationalem Niveau).
DIPO: nur Tierärzte, Ärzte und Physiotherapeuten (rund 300 Stunden). Das Longierabzeichen ist Pflicht.















Die Streitpunkte
1. Darf die Therapie dem Pferd weh tun?
Ja: TAO Equilibre & DIPO "Eine Behandlung kann nicht immer nur angenehm sein. Aber man sollte respektvoll und im Einverständnis mit dem Pferd arbeiten: Es zeigt deutlich, was richtig ist und wann es überfordert wird", so Ilona Willebrand von TAO Equilibre. "Wenn man dem Pferd mit einem kurzen, wenn auch unangenehmen Impuls helfen kann, ist das okay", sagt DIPO-Leiterin Schulte Wien.
Nein: Welter-Böller "Abwehrreaktionen durch Schmerz behindern den Behandlungserfolg", sagt Schulleiterin Barbara Welter-Böller.

2. Medizinische Laien dürfen behandeln?

Ja: TAO Equilibre & Welter-Böller Wenn sie umfangreich ausgebildet sind. TAO Equilibre zieht den Vergleich zur Humanmedizin: Hier werden medizinische Laien (mindestens Heilpraktiker) über 1350 Stunden geschult. "Laien sind oft besonders motiviert und lernen teils intensiver als medizinische Profis", sagt Barbara Welter-Böller.
Nein: DIPO "Ihnen fehlen die nötigen Kenntnisse. Diese kann man nicht in Wochenendkursen lernen", sagt DIPO-Leiterin Schulte Wien. Eine Ausbildung in Wochenendkursen hält auch TAO Euqilibre für unzureichend.
3. Ist jede Technik gleich wichtig?

Ja: Welter-Böller & TAO Equilibre "Ich brauche das Spektrum aller Techniken, um das jeweilige Problem effektiv lösen zu können", sagt Barbara Welter-Böller. "Wer nur einen Hammer im Werkzeugkasten hat, sieht in jedem Problem den Nagel", so TAO Euqilibre. Der Osteopath müsse auf direkte oder indirekte Techniken zurückgreifen können, je nach Patient.
Nein: DIPO "Viele Probleme kann ich mit kranio-sakraler-Osteopathie nicht lösen", sagt Schulte Wien, die diese Technik nicht generell und nur als letzte Harmonisierung einsetzt.
4. Gelenkbewegung bis an die Grenze?
Ja: DIPO & Welter-Böller "Nur wenn ich bis ans Ende der physiologischen Bewegungsgrenze gehe, weiß ich, ob die Beweglichkeit eingeschränkt ist und kann sie wieder herstellen", sagt Beatrix Schulte Wien. Auch Barbara Welter-Böller prüft gesunde Gelenke bis zur physiologischen Grenze.
Nein: TAO Equilibre Bei der osteopathischen Untersuchung der Gliedmaßen testen wir kleine Bewegungen; sind diese möglich, sind es in der Regel auch die großen. Bei der klassisch orthopädischen Untersuchung arbeitet man mehr an den Bewegungsgrenzen.














