Medizinkompendium: Atemwegserkrankung
Pferdekrankheit RAO - Recurrent Airway Obstruction

Recurrent Airways Obstruction: RAO-Patienten leiden unter verschleimten und verkrampften Atemwegen. Den Pferden geht allmählich die Luft aus. Was hilft dagegen?

Kompendium RAO
Foto: Lisa Rädlein

Jeder Atemzug war für die Araberstute (13) eine Qual. Wenn die Schimmelstute einatmete, vergrößerten sich die Nüstern auf die Maße eines Handtellers. Die Augen riss das Pferd panisch auf. „Es machte den Eindruck, als wolle es bald ersticken“, beschreibt Dr. Uwe Petermann aus Melle/Niedersachsen auf seiner Website die erste Untersuchung der Stute. Sie litt seit neun Jahren unter der Wiederkehrenden Atemwegsobstruktion (engl. Recurrent Airway Obstruction, RAO), einer nicht-infektiösen Entzündung der tiefen Atemwege. RAO gehört zum Krankheitskomplex des Equinen Asthmas, ist die schwere Verlaufsform davon und zählt zu den häufigsten Atemwegserkrankungen.

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Was bei der Pferdekrankheit Recurrent Airway Obstruction hilft
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Lisa Rädlein

Was löst die Krankheit RAO aus?

Bei der Wiederkehrenden Atemwegsobstruktion reagiert die Pferdelunge empfindlich auf bestimmte Reize. Reizen kann die Lunge ziemlich viel. „Die Auslöser für RAO sind sehr vielfältig“, sagt Pferdefachtierärztin Dr. Heike Kühn vom Immunologischen Zentrum für Pferde. Manche reagieren etwa empfindlich auf unspezifische Reize wie kalte oder feuchte Luft oder eine erhöhte Ammoniakbelastung. Auch Staub in Stall, Reithalle oder -platz kann die Atemwege reizen. Genetische Veranlagungen können ebenfalls eine RAO begünstigen. Hat das Pferd vermehrt auf der Weide Probleme, könnte dahinter der sogenannte „Weidehusten“ stecken (engl. summer pasture-associated obstructive pulmonary disease, SPAOPD). „Man vermutet, dass ein Bodenpilz die Ursache hierfür ist“, sagt Dr. Heike Kühn.

SPAOPD ist eine Form des Equinen Asthmas. Virale Erkrankungen wie Influenza oder Herpes können ebenfalls für Equines Asthma verantwortlich sein. „Viren dringen in die Epithelzellen der Lunge ein, wo sie massive Zellschäden anrichten. So haben Allergene leichten Zugang zu den tieferen Schichten. Das Virus ist wie ein Hammer, der im Bad die Kacheln zerschlägt; ist Wasser eingedrungen, helfen auch keine neuen Fliesen mehr“, vergleicht Dr. Kühn. Allergien – etwa gegen Schimmelpilzsporen in Heu und Stroh oder Milben in Kraftfutter und Stallstaub – können ebenso Equines Asthma und insbesondere RAO auslösen.

In so einem Fall feuert das Immunsystem gegen die vermeintlichen Angreifer. Die überschießende Immunreaktion setzt einen fatalen Kreislauf in Gang: Antikörper (Immunoglobuline) heften sich an Mastzellen, wo sie zur Freisetzung des Botenstoffs Histamin führen. Dieser lässt über verschiedene Reaktionswege die Schleimhäute in den Bronchien anschwellen. Die Bronchialmuskulatur verkrampft, wodurch sich die Bronchioli (Äste der kleinen Bronchien am Übergang zu den Lungenbläschen) verengen. Entzündungszellen überschwemmen dann binnen weniger Stunden nach dem Allergen-Kontakt die Lunge.

Sie setzen unter anderem Sauerstoff-Radikale und andere Entzündungsmediatoren (Vermittlungssubstanzen) frei, die die Zellen der Lunge weiter schädigen. In ganz schweren Fällen führt die ständige Verkrampfung der Bronchialmuskulatur zu einer Verdickung der Muskelzellen (Hypertrophie) und zu einer permanenten Verengung der Bronchioli. Tritt diese Hypertrophie der Bronchialmuskulatur ein, spricht man von „remodelling“, weil sich die Anatomie der unteren Atemwege verändert und die Funktion stark eingeschränkt wird. Das ist sehr schwer zu behandeln. Tierärzte vermuten, dass auch Endotoxine (Bakteriengiftstoffe), die etwa in Stallstaub und Futter stecken, beteiligt sind. Egal, was RAO auslöst: Jeder Entzündungsschub verschlimmert den Zustand. Der gesunde Lungenbereich schrumpft; in schweren Fällen überdehnen und reißen Lungenbläschen. Diese Überblähung (Lungenemphysem) ist irreparabel. Zäher Schleim zerstört zudem Flimmerhärchen (Zilien), die Fremdstoffe aus der Lunge befördern; das Infektionsrisiko steigt.

Wie macht sie die Krankheit RAO bemerkbar?

Im Anfangsstadium hustet das Pferd kaum, meist zu Trainingsbeginn. Schreitet die Erkrankung fort, schwitzt und ermüdet das Pferd schnell. Hustenattacken nehmen zu, die Atemfrequenz ist erhöht (über acht bis zwölf Züge pro Minute). Typisch: Die Sekretrinne in der Nüster (Übergang von dunkler zu unpigmentierter Haut) wird unscharf. Im fort- geschrittenen Stadium hustet das Pferd häufig, das Atmen ist besonders im Stall angestrengt. Es bildet sich eine Dampfrinne an der Flanke. Das Pferd keucht bei geringer Belastung und magert ab.

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Der Tierarzt hört Herz und Lunge des Pferds mit einem Stethoskop ab.

Wie stellt der Tierarzt die Diagnose?


„Eine präzise Diagnostik ist ausschlaggebend für eine gute Therapie“, betont Dr. Heike Kühn. Dafür beobachtet der Tierarzt die Atmung (normal in Ruhe: acht bis zwölf Züge pro Minute) und hört mit einem Stethoskop die Lunge ab, um Besonderheiten festzustellen. Übers Ab- klopfen kann er zudem feststellen, ob das Organ vergrößert ist. Nun folgt die Bronchoskopie: Dabei führt der Tierarzt ein Endoskop in die Luftröhre ein. Auf einem Monitor kann er erkennen, wie stark die Atemwege entzündet sind, wie viel Schleim sich gebildet hat und wie dessen Konsistenz ist. Über die Bronchoalveoläre Lavage (BAL) oder die Gewinnung des Tracheobronchialsekrets (TBS) können Zellen aus den Tiefen der Lunge erlangt werden.

Anhand dieser Proben kann der Tierarzt detaillierte Informationen über die Krankheit und die passende Therapie gewinnen. „Ist die Leistung des Pferds eingeschränkt, bringt die BAL beste Erkenntnisse; bei schwereren Erkrankungen wird TBS genutzt“, sagt Dr. Kühn, ergänzt aber: „Allerdings müssen die Zellen sehr genau ausgewertet werden. Das machen nur wenige Labore.“ Sie unterstützt gemeinsam mit Tierärztin Dr. Bianca Schwarz ab 1. Januar 2020 Veterinäre: „Sie können uns Vorberichte und Ausstriche schicken und erhalten Unterstützung in ihrem Therapieplan.“ (www.equizyt.com)

So behandeln Tierärtze

RAO ist bisher nicht heilbar. „Asthmatiker bleiben Asthmatiker, aber mit einem guten Haltungsmanagement und Medikamenten führen die Pferde ein normales Leben“, sagt Dr. Kühn. Möglichst staubarme Haltung und Fütterung sind in jedem Fall wichtig. In leichten Fällen genügt manchmal der Wechsel von Boxen- auf Offenstall- oder Weidehaltung. Wichtig für die Schleimentleerung der Lunge ist Bewegung; RAO-Patienten dürfen und sollen leicht belastet werden.

Pfeift das Pferd asthmatisch, ist aber jede Belastung tabu. Verschiedene Medikamente unterschiedlicher Wirkstoffgruppen bekämpfen Verschleimung, Verkrampfung und Entzündung. Experten raten bei stark verschleimten Bronchien zu einer Lungenspülung. Als Entzündungshemmer sind kurzwirkende Kortisonpräparate (Glukokortikoide) das Mittel der Wahl. Zeitlich begrenzt und richtig dosiert sind die Risiken meist gering. Vernebelt und inhaliert reicht eine niedrige Dosierung.

Wie lässt sich vorbeugen?

Frische Luft, wenig Staub und Bewegung sind das A und O. Lassen Sie auch im Winter Luft in den Stall – „ein Luftzug ist nicht gleich Zugluft“, so Heike Kühn –, misten Sie täglich und achten Sie beim Futter auf gute Qualität.

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6 / 20253

Erscheinungsdatum 17.05.2023