Medizin-Kompendium
Was ist Piroplasmose?

Die "kleine Schwester der Malaria", wie Piroplasmose auch genannt wird, breitet sich weiter aus. Zecken spucken dabei Parasiten ins Pferd, die massiv rote Blutkörperchen zerstören.

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Foto: Lisa Rädlein

Seit ein paar Tagen litt die Stute immer wieder an Fieberschüben; dabei stieg die Körpertemperatur bis auf 41 Grad Celsius. Das 14-jährige Warmblut mochte nicht mehr fressen, war geschwächt und zeigte milde Anzeichen einer Kolik. Nachdem die tierärztliche Behandlung mit Antibiotika, entzündungshemmenden und krampflösenden Medikamenten nicht wirklich anschlug, wurde die Stute in die Tierklinik Hochmoor eingewiesen.

Die behandelnden Tierärzte der Klinik, darunter Dr. Wolfgang Scheidemann, fanden zunächst auffällige Blutwerte. Gefärbte Blutausstriche brachten sie schließlich auf die richtige Spur, beschreiben sie den Fall in der Fachzeitschrift "Pferdeheilkunde" (Ausgabe 19/2003): Die Stute litt an Piroplasmose, einer Infektionskrankheit, die durch Zecken, vor allem Schildzecken, übertragen wird. Tierärzte nennen die Piroplasmose die "kleine Schwester der Malaria", weil die Krankheit bei Pferden ähnliche Symptome wie Malaria hervorruft.

Was löst die Krankheit aus?

Piroplasmose wird durch zwei einzellige Erreger (Protozoen) ausgelöst: Babesia caballi und Theileria equi (synonym: Babesia equi). Diese birnenförmigen Einzeller (lateinisch pirum = Birne) gaben der Piroplasmose ihren Namen.

Babesia caballi und Theileria equi werden von infizierten Zecken auf Pferde übertragen. In Deutschland kommt als Vektor (Krankheitsüberträger) vor allem die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) in Frage, die sich bevorzugt an Flussläufen sowie in feuchten Wald- und Wiesenbiotopen (Auwäldern) einnistet.

Ursprünglich war diese Zecke vor allem in Norditalien, Österreich und Ungarn heimisch, mittlerweile hat sie sich aber auch in Deutschland verbreitet. Hier ist sie bislang vor allem in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt (vor allem Magdeburg) und Sachsen (rund um Leipzig) sowie Hessen (Frankfurt) und Baden-Württemberg (Schönbuch bei Tübingen) aufgetreten, ebenso wie an den Seitenarmen des Rheins.

Hier hatte sich auch die 14-jährige Stute mit Theileria equi infiziert, berichtet Dr. Wolfgang Scheidemann. Der Fachtierarzt für Pferde und Innere Medizin vom Tierärztlichen Kompentenzzentrum Karthaus behandelte das Tier. Ob eine einheimische oder eingeschleppte Zecke Verursacher war, ließ sich nachträglich nicht bestimmen. "Aber das Weidebiotop des Pferds an einem Seitenarm der Ruhr entsprach am ehesten dem Lebensraum der Auwaldzecke."

Die Zeckengattungen Rhipicephalus und Hyalomma, die ebenfalls Piroplasmose-Erreger übertragen, werden von Zugvögeln aus dem Süden eingeschleppt. Die Zecken tragen wiederum einzellige Parasiten in sich, die vor allem in Südeuropa, Russland, Asien, Afrika, Süd- und Zentralamerika und im Süden der USA heimisch sind. Beim Blutsaugen landen sie in der Blutbahn des Pferds.

Insbesondere Theileria equi breitet sich jedoch weiter in westlichen Ländern aus. In der Schweiz etwa sind die Einzeller bereits etabliert; vom Welschland (französischsprachige Schweiz) aus gelangen sie weiter nach Osten. Auch in Irland sind Fälle aufgetreten. "Aufgrund des Klimawandels kann man davon ausgehen, dass sich Piroplasmose übertragende Zeckenarten auch bei uns weiter etablieren", so Dr. Scheidemann.

Wie viele Pferde hierzulande bisher infiziert sind, ist nicht klar, da keine Meldepflicht existiert. Tierärzte raten jedoch mittlerweile dazu, die Piroplasmose bei entsprechenden klinischen Symptomen als Differenzialdiagnose nicht außer Acht zu lassen.

Nicht immer ist eine Zecke der Übeltäter: Auch die Infektion über kontaminierte Kanülen oder Blutkonserven bei tierärztlichen Behandlungen oder die Übertragung im Mutterleib von einer tragenden Stute auf ihr Fohlen (intrauterine Infektion) sind möglich.

Wie macht sich Piroplasmose bemerkbar?

Saugt eine infizierte Zecke Blut, überträgt sie dabei die Sporozoiten (Einzeller) der Piroplasmen aufs Pferd. Die Inkubationszeit beträgt zwischen 10 und 30 Tagen. Erkrankte Pferde leiden an Fieberschüben, die Körpertemperatur kann bis auf über 41 Grad Celcius steigen. Puls- und Atemfrequenz sind erhöht. Das Pferd kann milde Koliksymptome zeigen oder Ödeme entwickeln. Bewegungsstörungen bis hin zu Lähmungen können ebenfalls auftreten.

Der Zustand des Tiers kann sich zudem innerhalb weniger Tage verschlechtern. Denn die Erreger Babesia caballi und Theileria equi befallen und zerstören im Verlauf der Erkrankung auch die roten Blutzellen (Erythrozyten) des Pferds. Das führt zu einer Reihe von Symptomen, wie beispielsweise zur hämolytischen Anämie: Erythrozyten transportieren Sauerstoff. Kreisen nicht mehr genügend rote Blutkörperchen im Pferdekörper, fehlt das Atemgas in den Zellen. Das Pferd wird daher immer schwächer, teilnahmsloser und ist kaum noch belastbar.

Auch Gelbsucht (Ikterus) ist ein Hauptsymptom der Piroplasmose. Wenn sich Schleimhäute gelb färben, liegt das an einer zu hohen Konzentration von Bilirubin. Das ist ein gelbes Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Werden viele Erythrozyten zerstört, fällt mehr Bilirubin an als normalerweise. Erst steigt die Konzentration des Farbstoffs im Blutserum, dann gelangt er über die Gefäßwände ins Gewebe. Dort lagert er sich an und sorgt für Gelbsucht.

Dunkelbrauner Urin kann ebenfalls auftreten: Die Färbung des Harns kommt vom roten Blutfarbstoff Hämoglobin, der beim Zerfall der Erythrozyten frei wird. Die massive Ausscheidung kann zu akutem Nierenversagen führen.

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Lisa Rädlein
Zecken der Gattung Dermacentor gelten als Überträger von Piroplasmose. Heller Urin verfärbt sich bei der Krankheit dunkelbraun.

Aus der akuten kann sich ein chronischer Verlauf entwickeln. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Babesia caballi maximal vier Jahre im Pferd bleiben. Theileria equi hingegen dürfte ein Pferd nach bisherigen Erkenntnissen lebenslang in sich tragen.

Wie stellt der Tierarzt die Diagnose?

Wegen der unspezifischen Anfangssymptome ist die Diagnose klinisch schwierig zu stellen. "Zielführend für die Diagnostik sind Laboruntersuchungen", sagt Dr. Scheideman. Wichtig ist der Vorbericht des Besitzers. So erfährt der Arzt, ob das Pferd im Ausland war oder Zecken hatte.

Akute Piroplasmose-Infektionen lassen sich zwischen dem zweiten und siebten Krankheitstag, also der akuten, hochfieberhaften Phase, gut mittels mikroskopischer Untersuchung gefärbter Blutausstriche (direkter Erregernachweis) diagnostizieren. "Beweisend sind die Einschlüsse (Merozoiten) in den roten Blutzellen: Theileria equi als sogenannte Malteserkreuz-Formation und Babesia caballi als zwei birnenförmige Merozoiten", sagt Tierarzt Scheidemann.

Experten empfehlen daneben diverse Tests wie den ELISA-Test, der indirekte Immunfluoreszenz-Antikörpertest (IFAT), die Komplementbindungsreaktion (KBR) und vor allem die Polymerase-Kettenreaktion (engl. Polymerace Chain Reaction, PCR). Problematisch sind chronische Infektionen, bei denen die Konzentration der Parasiten im Blut niedrig ist.

Wie sieht die Behandlung von Piroplasmose aus?

Der Patient braucht Ruhe und bekommt bei Bedarf fiebersenkende Mittel, im Notfall auch Blutkonserven. Zur spezifischen Therapie eignet sich der Wirkstoff Imidocarb dipropionat. Bei Babesia caballi-Infektionen reicht oft eine einmalige Injektion, um klinisch und labordiagnostisch eine Besserung zu erzielen; wobei eine zweite Injektion nach 48 Stunden die Erkrankung in der Regel vollständig heilt.

Die mit Theileria equi infizierte Stute behandelte Dr. Wolfgang Scheidemann zweimal im Abstand von 48 Stunden mit Imidocarb. "Die Elimination dieses Erregers erfordert deutlich höhere Dosen und mehrere Injektionen des Medikaments, das auch Nebenwirkungen haben kann", so der Tierarzt.

Das Allgemeinbefinden besserte sich schnell. Die Stute fraß wieder selbstständig (vorher Ernährung mittels Nasenschlundsonde), die Gelbsucht klang ab. Nach einem 14-tägigen Klinikaufenthalt wurde sie schließlich entlassen.

Wie lässt sich Piroplasmose vorbeugen?

Einen Impfstoff gibt es nicht. Schützen können Sie Ihr Pferd, indem Sie es täglich nach Zecken absuchen. Die Parasiten sind vorwiegend zwischen März und November aktiv; bei milden Temperaturen auch im Winter.

Zecke
Alex Gottschalk/DeFodi Images via Getty Images
Zecken sind Überträger zahlreicher Krankheiten.

Stiche mit Folgen

Sie sind nur wenige Millimeter groß, aber die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist deutlich größer: Zecken können bei ihrem Stich zahlreiche – für Pferd wie Reiter – gefährliche Krankheitserreger übertragen. Zwei wie Vierbeiner können sich dabei etwa Borreliose einfangen. Bei Pferden kann dies dazu führen, dass sie unreitbar werden. Menschen können an Gesichtslähmungen oder Gelenksentzündungen leiden.

Andere Bakterien können Ehrlichiose verursachen. Reiter leiden dann unter anderem an Muskelschmerzen, Pferde werden apathisch oder bekommen Fieber. Eine Variante dieser Erkrankung ist die Anaplasmose: Hier befallen die Erreger weiße Blutzellen (Granulozyten), die für die Immunabwehr wichtig sind.

An Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) können vor allem Reiter erkranken, Pferde nur sehr selten – dann jedoch meist sehr schwer.

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