Pro Tag macht ein Pferd etwa 17 280 Atemzüge. Für Filou war jeder eine Qual. Klar, dass sich der Mérens-Wallach da nicht mehr bewegen mochte, lethargisch oder aggressiv war. Die Ursache für Filous Beschwerden: 220 Kilo Übergewicht, die der Wallach mit sich schleppte (siehe weiter unten). Solche extremen Härtefälle sieht auch Constanze Röhm nicht täglich. Die Fütterungsberaterin aus Boos in der Eifel hat Filous Diät-Plan aufgestellt. Aber: "Dass Pferde ein wenig pummelig sind, ist in den vergangenen Jahren fast Standard geworden", so ihre Beobachtung. Ihr begegnen in der Praxis kaum zu dünne Pferde, aber sehr häufig Tiere mit teils massivem Übergewicht – und das kann für die Vierbeiner ebenso massive Folgen haben.
Denn das Fett schwabbelt nicht nur am Mähnenkamm oder an der Kruppe. Es ist auch im Pferdekörper: "Dieses sogenannte Viszeralfett sitzt etwa an Leber, Lunge, Darm oder Bauchspeicheldrüse. Das Pferd ist also von innen wie außen prall", so Röhm. Atmen fällt dem Tier dann schwer. "Daneben greift Viszeralfett hormonell in den Stoffwechsel ein. Das kann zu Hufrehe führen", sagt Tierärztin Dr. Kathrin Irgang aus Berlin. Und Heike Bussang nennt aus ihrer Tierarzt-Praxis und Reha-Zentrum im hessischen Gemünden zahlreiche Fälle, bei denen Übergewicht zu Folgekrankheiten wie Insulinresistenz oder dem Equinen Metabolischen Syndrom führte.
Die Diät mit Geling-Garantie: richtig füttern und mehr bewegen
Übergewicht ist also kein nettes Wohlstandsbäuchlein, sondern macht Pferden schlicht das Leben schwer. Wer als Pferdebesitzer daran was ändern will, hat zwei Stellschrauben: angepasste Fütterung und mehr Bewegung. Gerade Ersteres ist schwer einzuschätzen. "Oft sind sich Reiter nicht bewusst, wie viel ihre Pferde wovon fressen und wie viel Energie das Futter enthält", sagt Constanze Röhm. Da hilft nur, einen fachkundigen Berater hinzuzuziehen, die Ration analysieren und neu aufstellen zu lassen. Wird das Pferd dann moderat, aber regelmäßig bewegt, schmelzen die Pfunde – langsam.
"Pro Tag 700 Kalorien weniger entsprechen einem Fettabbau von 100 Gramm täglich", rechnet Constanze Röhm vor. Davon sieht man meist wenig. "Messen Sie daher einmal pro Woche den Brustumfang vom Widerrist bis hinter den Ellenbogen einmal um den Brustkorb herum", sagt Dr. Kathrin Irgang. Bei jeder Messung sollte der Umfang ein bis zwei Zentimeter zurückgehen. Dass dieses Vorgehen auch bei Härtefällen Erfolg hat, zeigen die nachfolgenden Beispiele unserer Expertinnen: Aus fetten wurden fitte Pferde.
Übrigens: Wie Sie bei Ihrem Pferd den Body-Condition-Score ermitteln, lesen Sie hier: [Link auf https://www.cavallo.de/medizin/was-ist-gesund-richtwerte-zum-pferdegewicht/]
Simba
Shetlandpony-Wallach
Alter: 11 Jahre
Soll-Gewicht: 180-190 Kilo
Ist-Gewicht: 310 Kilo – also 120 Kilo (63%) zu viel!
So lebt das Pferd: Simba steht tagsüber mit Großpferden in einem Paddock, nachts in der Box. Im Sommer ist er 24 Stunden auf der Weide. Er bekommt Heu ad libitum (circa 8 Kilo bis zur Appetitsgrenze), etwa 150 bis 200 Gramm Heucobs, 100 bis 150 Gramm Müsli und Leckerlis. Mit dieser Ration erhält er etwa doppelt so viel Energie, wie er eigentlich bräuchte.
Befund: Das Shetty ist fettleibig. Seine Schultern sind kaum tastbar, an Rumpf und Kruppe sammelt sich Fettgewebe. Er ist lethargisch bis aggressiv.
Diät-Plan: Die Heuration wird auf vier Kilo halbiert, dazu kommen 1,5 Kilo Stroh. Durch die Futterreduktion sollte Simba rein rechnerisch täglich bis zu 120 Gramm abnehmen. Tatsächlich wiegt er 16 Monate später nur noch 250 Kilo und kann nun von seiner Besitzerin eingefahren werden. Nach drei Wochen ist Simba soweit, dass er viermal pro Woche jeweils 75 Minuten vor dem Einspänner trainiert wird; entweder im Intervalltraining oder über Schrittarbeit am Hang. Dazu stehen zweimal pro Woche 30 bis 40 Minuten Doppellonge oder Arbeit mit Bodenricks auf dem Trainingsplan.
Durch das Training steigt der Energiebedarf, sodass Simba neben Mineralfutter fünf Kilo Heu, 800 Gramm Stroh und 250 Gramm Hafer erhält. Nach zweieinhalb Jahren hatte der Wallach Normalgewicht – und war als Wanderfahrpony sogar schon in den Pyrenäen.
Bella*
Stute, Pura Raza EspaÑola
Alter: 12 Jahre
Soll-Gewicht: ca. 550 Kilo
Ist-Gewicht: 720 Kilo – also 170 Kilo (30 %) zu viel!
So lebt das Pferd: Bella lebt in einer Box, die mit Stroh eingestreut ist. Dazu kommt sie täglich vier Stunden auf eine üppig bewachsene Weide mit unbeschränkt Zugang zu Gras. Die P.R.E.-Stute frisst neben Heu ad libitum zudem täglich ein Kilo Müsli, 250 Gramm Mash sowie Hagebutten und Leckerli in unbekannter Menge. Gearbeitet wird Bella nicht.
Befund: Die Stute ist extremst adipös. Rund um Schulter und Hinterhand bildet sich durch die Fettablagerungen Cellulite (siehe Bilder links). Zucker- und Insulinwerte sind viel zu hoch. Dazu leidet Bella seit Jahren unter chronischer Hufrehe. Das Übergewicht macht der Stute so zu schaffen, dass sie sich mehrmals hinlegt und nicht mehr aufstehen möchte.
Diät-Plan: Bella wird in ein Reha-Zentrum eingewiesen. Hier bekommt sie ad libitum energiearmes Heu mit einem hohen Rohfaseranteil (ca. 12 Kilo pro Tag). Die Stute muss dieses – im Gegen- satz zum bisherigen Heu mit hohem Anteil an Deutschem Weidelgras – ordentlich kauen. Das kostet Bella schon so viel Kraft, dass sie während des Fressens mehrmals mit dem Kopf im Heunetz einschläft.
Gegen die Hufrehe erhält Bella einen orthopädischen Hufbeschlag und Kryotherapie. Dabei werden die Hufe extrem gekühlt. Die Kältebehandlung verlangsamt Stoffwechsel- und Entzündungsprozesse. Nach 14 Tagen kann die Stute so wieder laufen.
Nun bekommt Bella einen Bewegungsplan verordnet. Vier Wochen lang wird die Stute nun täglich 20 Minuten Schritt geführt. Im Anschluss geht Bella 30 Minuten Schritt, 5 Minuten Trab und wieder 10 Minuten Schritt. Die Trab- und Schrittintervalle werden Stück für Stück ausgebaut, sodass Bella insgesamt eine Stunde lang an der Hand bewegt wird.
Nach einem Monat wird Bella entlassen, nach weiteren zwei Monaten wiegt die Stute bereits 600 Kilo. Die Speiseplan-Empfehlung für daheim: energiearmes Heu ad libitum, vermischt mit Stroh, und Weide nur mit überständigem, energiearmen Gras.
Tiffany
Islandpferd-Stute
Alter: 16 Jahre
Soll-Gewicht: ca. 450 Kilo
Ist-Gewicht: 540 Kilo – also 90 Kilo (20 %) zu viel!
So lebt das Pferd: Tiffany lebt mit zwei weiteren Pferden in einem mit Stroh eingestreutem Offenstall. Dort bekommt sie Heu zur freien Verfügung, täglich je 500 Gramm Heucobs und Müsli sowie zweimal pro Woche 250 Gramm Mash und eine Portion Kräuter.
Befund: Die Stute leidet seit vier Jahren an chronischer Hufrehe. Tiffany kann kaum laufen, ist apathisch, will nur noch fressen oder liegen.
Diät-Plan: Statt energiereichem bekommt die Stute in einem Reha-Zentrum energiearmes Heu. Die tägliche Heu-Ration von 9 Kilo wird in drei Portionen aufgeteilt und jeweils mit einem Kilo Stroh vermischt. Tiffany erhält gegen die Hufrehe einen orthopädischen Beschlag und wird mit Kryotherapie behandelt (siehe Bella, vorige Seite).
Die Isi-Stute geht zudem täglich an der Hand spazieren; begonnen wird mit 30 Minuten. Die Zeit wird nach und nach auf 60 Minuten gesteigert, dazu kommen kürzere Trabintervalle. Nach ihrer Entlassung bekommt Tiffany weiterhin 9 Kilo Heu, 3 Kilo Stroh und einen Salzleckstein. Ihre Weide wird mit energiearmen Grassorten neu eingesät. Heute ist Tiffany ein fittes Pony und wird wieder geritten.
Filou
Mérens-Wallach
Alter: 15 Jahre
Soll-Gewicht: ca. 480-500 Kilo
Ist-Gewicht: 720 Kilo – also 220 Kilo (44%) zu viel!
So lebt das Pferd: In seinem Offenstall hat Filou freien Zugang zu Stroh und einem grasbewachsenen Paddock. Er frisst täglich etwa acht Kilo Heu. Dazu bekommt er Mineralfutter, 300 Gramm Heucobs, 200 Gramm Rübenschnitzel, 80 Gramm Kräuter und einmal pro Woche 400 Gramm Mash. Kraftfutter, Raufutter und Gras ergeben eine tägliche Futtermenge von rund 18 Kilo. Damit nimmt Filou täglich rund 109 Megajoule Energie auf; nötig wären 55 Megajoule. Bewegt wird der Wallach nicht.
Befund: Filou ist extremst adipös – ein lebensbedrohlicher Zustand. Schulterblatt und Hüftknochen sind nicht zu spüren. Das Fettgewebe sitzt vor allem an Rumpf und Kruppe; der Mähnenkamm ist mehr als 20 Zentimeter breit. Die Hufe sind sehr warm, Fell und Haut trocken und schuppig. Letzteres liegt vermutlich am Eiweißmangel. Filou benötigt als stark behaarter Mérens rund 380 Gramm Protein, bekommt aber nur 349 Gramm. Es besteht der Verdacht auf Insulinresistenz und Fettleber. Filou fällt das Atmen schwer, er hustet, ist lethargisch und aggressiv.
Diät-Plan: Zunächst wird die tägliche Strohmenge von rund 9,8 Kilo auf ein gutes Drittel davon (3,3 Kilo) reduziert. Die Heu-Ration wird ebenfalls auf 6,6 Kilo gesenkt. Dazu kommen 300 Gramm Proteinmix und ein Kilo Luzernemix. So kann der Mérens seinen hohen Eiweißbedarf decken. Die Protein- menge wird dabei langsam erhöht. Filou bekommt zudem Weideverbot, dafür aber täglich ein Kilo frische Zweige zur Beschäftigung.
Zudem muss die Besitzerin Filous Trinkverhalten kontrollieren. Durch die Futterreduktion können die Fettwerte im Blut steigen. Damit das Blut nicht verdickt und zudem Giftstoffe über Leber und Niere abgebaut und ausgeschieden werden, muss der Wallach ausreichend trinken.
Neben der Futtermenge wird vor allem die Bewegung nach oben gesetzt: Filou muss dreimal täglich etwa 30 Minuten zügig an der Hand Schritt laufen. Dabei verbrennt er etwa neun Megajoule und nimmt so pro Tag 200 Gramm ab. Die schonende Bewegung ist wichtig, damit die Hufe nicht noch zusätzlich zum Gewicht belastet werden. Nach nun 1,75 Jahren hat Filou 100 Kilo abgenommen. Wenn er 600 Kilo wiegt, kann er traben.
Elliot
Tinker-Wallach
Alter: 8 Jahre
Soll-Gewicht: ca. 560 Kilo
Ist-Gewicht: 710 Kilo – also 150 Kilo (27%) zu viel!
So lebt das Pferd: Elliot lebt mit sechs anderen Pferden in einem Offenstall. Seine Appetitsgrenze liegt bei 18 Kilo Heu; die Be- sitzerin hat die Ration auf 11 Kilo gedeckelt. Dazu kommen 4,5 Kilo Stroh und Mineralfutter. Das macht insgesamt einen Energiegehalt von 76 Megajoule; 65 Megajoule wären ausreichend. Der Tinker wurde zwar angeritten, wird aber seit zwei bis drei Jahren nicht mehr geritten.
Befund: Der Wallach ist extrem aufgebläht und unbeweglich. Sein Bauch hat – in der Sattelgurtlage gemessen – einen Umfang von 260 Zentimetern. Seine Hufe sind aufgrund des Übergewichts ausgetellert; daher lahmt Elliot. Zudem leidet er an Kurzatmigkeit und Mauke. Letzteres ist oft ein Anzeichen für einen gestörten Stoffwechsel.
Diät-Plan: Der Tinker geht täglich 45 Minuten Schritt in einer Führanlage. Unter der Woche steht zudem Arbeit mit Bodenricks (im Schritt) auf dem Plan. Am Wochenende geht seine Besitzerin zwei bis drei Stunden mit dem Pferd spazieren; das verbraucht zwölf bis 18 Megajoule. Zweimal im Monat bewegt sich Elliot 20 bis 30 Minuten in einem Aquatrainer, in dem das Wasser bis zum Karpalgelenk reicht.
Nach etwa einem Jahr wiegt Elliot 650 Kilo und darf nun phasenweise traben. Im Aquatrainer reicht das Wasser bis zum Bauch. Sobald er weniger als 610 Kilo wiegt, darf er geritten werden. Das Fernziel seiner Besitzerin: 2021/2022 eine Alpenüberquerung in Angriff nehmen.