Sissi machte ihrer Namensgeberin, der österreichischen Kaiserin, alle Ehre. Wie diese hatte die 23-jährige Haflingerstute lange, lockige Haare. Die behielt sie auch nach dem Fellwechsel im Frühjahr; dazu schwitzte die Stute stark. Alles Anzeichen einer Stoffwechselstörung: dem Equinen Cushing-Syndrom (ECS).
Was verursacht das Cushing Syndrom?
Die Ursache von Cushing liegt im mittleren Bereich der Hirnanhangdrüse (Hypophyse, engl. pituitary gland). Im englischen Raum wird die Krankheit daher „pituitary pars intermedia dysfunction“ (PPID) genannt. Zusammen mit der Nebennierenrinde produziert die Hirnanhangdrüse Hormone im Übermaß. „Vereinfacht ausgedrückt, geht bei ECS die Bremse für die Produktion bestimmter Botenstoffe in der Hypophyse kaputt“, sagt Tierarzt Dr. Christian Bingold.
Zellen im Gehirn produzieren den Botenstoff Dopamin. Diese Zellen sterben bei Cushing-Patienten leichter. Es beginnt eine hormonelle Kettenreaktion: Die Zellen produzieren weniger Dopamin. Dadurch gerät die Aktivität der Hirnanhangdrüse außer Kontrolle. Wegen des fehlenden Dopamins kann sie sich massiv vergrößern (Adenom); in seltenen Fällen bilden sich Tumorzellen.
Die überaktive Hirnanhangdrüse sondert ungebremst unter anderem das adrenokortikotrope Hormon (ACTH) ab. ACTH erreicht übers Blut die Nebennierenrinde. Dort kurbelt es mit weiteren Hormonen und Botenstoffen die Produktion von Kortisol an, das der Körper normalerweise bei Stress ausschüttet. Es erhöht den Blutzuckerspiegel und versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Die Fehlproduktion schwächt die Abwehrkräfte. Bekommt ein Pferd längere Zeit Glukokortikoide (Kortison), kann das ebenfalls Cushing auslösen.
Wie macht sich Cushing bemerkbar?
ECS beginnt schleichend. Bis das Pferd klinische Symptome zeigt, können Monate oder Jahre vergehen. Im Frühstadium schwitzt und ermüdet das Tier schnell und ist weniger aktiv (bis hin zur Apathie). Das sicherste Anzeichen ist unnatürlich langes, dickes Fell (Hirsutismus); die Haare sind wellig und lockig. Der Fellwechsel ist gestört oder findet nicht statt.
Manchmal fallen die Haare im Frühjahr zwar aus, wachsen aber übermäßig lang nach. Das Tier verliert Gewicht, baut körperlich ab. Weil oft der Zuckerstoffwechsel gestört ist, kann eine Insulinresistenz entstehen. Das Pferd neigt zu Hufgeschwüren, hat schlechtes Horn. Manchmal bilden sich krankhafte Fettpolster, vor allem an Hals und Kruppe; die Fruchtbarkeit kann gestört sein. Bei Pferden, die ECS durch Kortison bekamen, schreitet die Krankheit oft schnell voran.

Welche Tiere sind gefährdet?
Rund 20 Prozent der Pferde und Ponys ab etwa 15 Jahren leiden daran. Nach neueren Erkenntnissen ist der Anteil aber wesentlich größer, auch wenn die Symptome bei vielen Tieren nicht sichtbar sind. So geht man davon aus, dass etwa 64 Prozent der 16- bis 20-Jährigen betroffen sind. Bis zum Alter von 30 Jahren steigt der Anteil auf 95 Prozent. „Cushing ist eine typische Alterskrankheit; es gibt aber immer Ausreißer, die es früher bekommen“, so Dr. Bingold. Pferde können sogar ab 5 Jahren betroffen sein; die typischen Krankheitssymptome fehlen dann. Dass die Zahl jüngerer Patienten zunimmt, ist wissenschaftlich nicht belegt; in der Praxis scheinen sich diese Fälle aber zu mehren.
Was sind die Folgen des Cushing Syndroms?
Im späteren Stadium verursacht ECS viele Beschwerden: Die Pferde sind anfälliger für Infektionen und Parasiten, leiden unter Muskelschwund, Wunden heilen langsamer. Entwickelt sich eine Nierenfehlfunktion, pinkeln und trinken die Pferde häufiger. Viele Cushing-Pferde bekommen Reheschübe.
Geschätzt 70 bis 90 Prozent der Rehefälle in Deutschland gehen nach neueren Erkenntnissen auf Stoffwechselstörungen zurück. „Wird Cushing nicht behandelt, entwickelt die Hälfte der Tiere Hufrehe“, so Dr. Bingold. Warum sind Pferde mit ECS so anfällig dafür? „Die Insulinsensitivität geht zurück, der Zuckerstoffwechsel ist erheblich gestört. Im Verlauf der Krankheit entsteht eine Hyperinsulinämie, die für die Huflederhaut sehr schädlich ist. Das begünstigt eine schleichende Hufrehe.“ Auf Zucker reagieren Cushing-Patienten empfindlicher als gesunde Pferde. Der Tierarzt untersucht das Blut, wenn er vermutet, dass Cushing den Reheschub verursacht hat. Wichtige Werte: ACTH, Glukose, Insulin.
Wie stellt der Tierarzt die Diagnose?
Cushing lässt sich über eine ACTH-Messung feststellen. Liegen die Werte deutlich über dem Grenzwert, gilt die Diagnose als zuverlässig. „Gesunde Pferde können aber in Stresssituationen, bei Schmerzen oder Infekten ebenfalls erhöhte Werte haben“, sagt Dr. Bingold. Da- her sollte nicht nur der ACTH-Wert berücksichtigt werden, sondern auch die Symptome. Zudem sind die Werte im Frühstadium oft nicht über der Norm. Berücksichtigt werden muss zudem die Schwankung des ACTH-Spiegels übers Jahr. Vergleichen kann man nur Werte, die zur gleichen Jahreszeit ermittelt werden. Auch der Verlust der jahreszeitlichen Schwankungen ist ein Symptom. Werden jahreszeitlich spezifische Grenzwerte überschritten, braucht man keine spezielle Funktionsdiagnostik. Ist die Situation unklar, kommen Tests wie der TRH-Stimulationstest zum Einsatz: Der Kortisol-Wert wird bestimmt; dann wird das Hormon TRH gegeben und erneut Kortisol bestimmt. Bei Cushing steigt der Wert innerhalb von 30 Minuten. Kombiniert mit dem Dexamethason-Supressionstest, gilt dies als zuverlässigste Methode.
So behandeln Tierärzte das Cushing Syndrom
Cushing ist unheilbar. Startet man die Therapie frühzeitig, bekommt man die Symptome aber meist gut in den Griff. Der Wirkstoff Pergolid ist die erste Wahl für Dr. Bingold. „Pergolid wirkt lebensverlängernd“, sagt er. Es ist unter dem Markennamen Prascend für Pferde erhältlich. Das Pferd bekommt die Arznei täglich, ein Leben lang. Sie stimuliert die Ausschüttung von Dopamin. Das signalisiert der Hirnanhangdrüse, die Produktion von Hormonen zu stoppen. Die Behandlung hat gute Erfolgschancen. Die Lebensqualität der Pferde verbessert sich oft innerhalb von Tagen oder Wochen nach Beginn der Therapie. Laut Schweizer Studie geht es 90 Prozent der Cushing-Patienten besser, wenn sie täglich Pergolid (0,5 bis 1 mg pro 500 Kilo Körpergewicht) bekommen.
80 Prozent der Pferde hatten keine neuen Rehe-Schübe. Es kann jedoch Monate dauern, bis sich die Hufrehe-Problematik bessert. „Bei manchen Tieren lässt sich die Rehe gar nicht aufhalten.“ Forscher der Michigan State Universität untersuchten die Langzeitwirkung von Pergolid an 30 Pferden. Sie stellten fest: Die Arznei verbesserte die Lebensqualität der Tiere. Die Dosis musste allerdings bei der Hälfte der Tiere im Laufe der Zeit erhöht werden. Pferdebesitzer sollten den körperlichen Zustand und den Hormonhaushalt betroffener Tiere jedes Jahr vom Veterinär checken lassen. Dazu eignet sich am besten der Herbst.
Der Check hilft, die Arzneidosis optimal anzupassen. Das Diätfuttermittel Corticosal von Navalis Nutraceuticals, ein Mönchspfeffer-Kombi-Präparat, eignet sich nachweislich zur Unterstützung bei ECS-Patienten. Eine Studie der Universitäten Berlin und München belegte positive Effekte auf Fell, Aufmerksamkeit und In- sulinwerte. „Als Zusatz kann das Futter hilfreich sein. Allein reicht es in der Regel nicht aus“, sagt Dr. Christian Bingold.
Wie lässt sich Cushing vorbeugen?
Artgerechte Haltung mit viel Bewegung ist die beste Vorsorge. Übergewicht spielt offenbar eine große Rolle. Deshalb entwickeln Pferde mit Equinem Metabolischen Syndrom im Alter oft Cushing. „Derzeit wird Stress als möglicher Faktor diskutiert“, sagt Dr. Bingold. Dieser sollte daher vermieden werden.