Die Decke des Stalls hängt so tief, dass man sie mit den Fingerspitzen erreichen kann. Zwischen den Brettern des Dachbodens stecken Maisblätter; jede Ritze dieser 15, vielleicht 20 Quadratmeter großen Hütte ist damit abgedichtet. Die staubige Luft kitzelt in der Nase. Durch ein winziges, halbblindes Fensterchen fällt ein Hauch von Tageslicht. In dem Stall leben ein Schimmelwallach und eine Stute mit Fohlen bei Fuß. Und ein Schwein, das aus dem Verschlag in der Ecke grunzt. Und Hühner, die gackernd zwischen den Pferden umherlaufen.

Dass im Nordosten Rumäniens die Lebensbedingungen der Pferde wie der Besitzer teils prekär sind, erzählte Markus Raabe bereits, als wir ihn in seiner Schmiede besuchten. Der 48-Jährige sorgt mit seiner Organisation "Equiwent – Schmiede ohne Grenzen" seit Jahren dafür, dass sich dies Stück für Stück ändert – und schlug vor, uns selbst ein Bild von seiner Arbeit zu machen.
SUVs auf der Hauptstraße, Karren im Dorf
Nordostrumänien zeigt sich mir zweigeteilt. In den Städten Iasi und Suceava rauschen Geländewagen an modernen Cafés vorbei. So manche Neubausiedlung in den Vororten könnte ebenso in Deutschland stehen.
Anders sieht es abseits der Hauptstraßen und Städte aus. In den Dörfern holpern Pferdekarren über Straßen, die tiefe Schlaglöcher haben. Sofern sie überhaupt geteert sind und nicht nur aus Lehm und Schotter bestehen, so wie der Weg, der zum Stall des Schimmels führt.

Zu diesem wurden heute die Equiwent-Tierärzte Georgiana und Alexander gerufen, vom Schwiegervater des Pferdebesitzers. Der Wallach hat eine Wunde an der Fessel, das Fohlen hustet; das wundert bei dem kleinen, staubigen Stall nicht. So beengt wie Wallach, Stute und Fohlen leben auch deren Besitzer.
Das kleine Häuschen steht ein paar Schritte entfernt. Ein Stromkabel windet sich von Haus zu Haus. "Dass man sich hier einen Stromanschluss teilt, ist ganz normal", sagt Markus Raabe; viel mehr als eine Glühbirne und ein, zwei Elektrogeräte könne man damit nicht betreiben.
Der etwa dreijährige Enkel des Mannes, der mit den beiden Tierärzten ins Gespräch vertieft ist, lugt neugierig hinter der Hausecke hervor. Er wird groß werden in einem Haus ohne fließend Wasser und mit Plumpsklo hinterm Stall.
"Das Haus hat immerhin einen Betonsockel, da können also von unten keine Ratten hineinkriechen. Und es ist ordentlich Brennholz für den Winter gelagert. Die Familie ist arm, ja, aber es gibt deutlich ärmere", sagt Markus Raabe.
Der einzige Wunsch: Das Pferd soll gesund werden
Auch der Mann, der die Equiwent-Tierärzte rief, lebt in diesem Dorf nahe Suecava in Armut. Bei ihm waren wir zuvor, Alexander und Georgiana untersuchten eines seiner drei Pferde. Das Trio stand angebunden an einen Karren voller Gras hinterm Haus des Rumänen.
Der Sohn war mit dem Fuchswallach und seinem Karren unterwegs, als ein Autofahrer in sie hineinfuhr. Der Sohn kam bei dem Unfall ums Leben, das Pferd lahmt seither. Der Fuchs solle in seinem Leben nicht mehr arbeiten, betont der ältere Mann, aber er solle wieder gesund werden.
Markus Raabe schluckt schwer, als ihm die Tierärzte das übersetzen. "Wir holen das Pferd in den nächsten Tagen und untersuchen es in der Klinik", entscheidet er mit den beiden Tierärzten. Heute ist der Anhänger schon belegt: Eine braune Stute, die seit mehreren Tagen lahmt, soll in die Non-Profit-Tierklinik von Equiwent transportiert werden. Die Besitzer bringen sie auf die Dorfstraße, Markus Raabe übernimmt den Strick und führt die Stute innerhalb weniger Augenblicke auf den Anhänger – als ob sie wüsste, dass ihr in der Klinik geholfen wird.

Dort wickelt Raabe zwei Verbände ab, die unterhalb der Fesselgelenke sitzen. "Die sind viel zu stramm", schimpft er, greift zum Hufmesser und schneidet die Mullbinden durch. Beim Blick auf die Hufe meint er: "Die sind viel zu lang. Vielleicht hat das Pferd gar kein orthopädisches Problem, sondern ein Beschlagsproblem." Erstmal soll die Stute Ruhe und dann die Hufe gemacht bekommen.
Stute Pepper sieht zum ersten Mal den Schmied
Pepper hat das schon hinter sich. Die anderthalbjährige Stute wurde von Equiwent in Obhut genommen, das Team kümmert sich den Winter über um sie. Hufbearbeitung inklusive, und die ist nötig: "Da war noch keiner an den Hufen", so Markus Raabe. Georgiana und Alexander beruhigen die Stute und halten ihr eine Leckschale hin.
Während die Schwarzbraune eifrig schleckt, geht Raabe mit Hufzange, -messer und Feile zu Werk. Fast mustergültig gibt Pepper ihre Hufe her. "Hui, so eine tolle Maus. Der erste Schmiedetermin und schon so lieb", lobt Raabe die Stute immer wieder, während er zügig die Hufe bearbeitet. Danach darf Pepper zurück in ihren großen Paddock.

Für den Nachmittag, sagt Alexander, stehen ein paar Fälle im Feld an. Er packt Medikamente und Wurmkuren ins Tierarzt-Auto, neben die Notfall-Box, von der es in jedem Equiwent-Auto ein Exemplar gibt.

Darin, neben einem Vorrat an Medikamenten: Bolzenschussgerät und Axt. "Ich will auf alles vorbereitet sein", erklärt Markus Raabe. Auf einer seiner ersten Fahrten nach Rumänien fand er im Straßengraben ein schwer misshandeltes Pferd mit mehreren Brüchen, das er nicht erlösen konnte, das soll sich nicht wiederholen.
Und seit Raabe in einen Tumult mit mehreren aggressiven Männern geriet, aus dem er knapp entkam, ist die Axt als Droh-Gebärde an Bord. Und ein bestimmter Betrag an Bargeld ist immer griffbereit, seit in den Armen des Hufschmieds eine hochschwangere Frau starb, weil Ärzte sie ohne Vorabzahlung nicht behandeln wollten.
Behandlung unter freiem Himmel im Nirgendwo
Während Markus Raabe mir das erzählt, holpern wir zum ersten Fall im Feld. Der Weg besteht mehr aus Spurrinnen und bis zu 40 Zentimeter tiefen Löchern als allem anderen. Auf einer Hochebene erreichen wir die Schafherde eines älteren Hirten.

"Im Frühjahr starben viele Lämmer. Wir wollen herausfinden, ob womöglich eine Seuche der Grund war", erklärt Alexander und taucht mit Georgiana, dem Hirten und dessen Neffen in den Pferch ab. Schaf um Schaf nehmen sie Blut für die Untersuchung. Dann wollen sie noch das Pferd des Hirten behandeln, doch vom Pferd ist nichts zu sehen.

Der Neffe des Hirten führt uns hin: Die Schimmelstute steht angepflockt in einem kleinen Tal. Sie hat sich an der Ganasche verletzt; die Wunde eitert. Routiniert öffnen die beiden Tierärzte die Wunde, sodass das Eiter-Blut-Gemisch abläuft, und behandeln das Pferd medikamentös.

Auf dem Weg zurück in die Klinik stoppen wir an einem verfallenen Hof. Markus Raabe will ihn in einen Gnadenhof für Arbeitspferde verwandeln. Seinem Sohn Jannis fällt dabei eine Kuh auf, die auf der Nachbarwiese angepflockt ist: Die Kette ist in Nase und Genick eingewachsen. Das Tier lässt niemanden an sich heran.
Die drei Männer fixieren es mit vereinter Muskelkraft an einem Baum, legen ihm ein stabiles Rinderhalfter an und schneiden die Kette durch. "Das geben wir weiter an die Behörden, damit die den Besitzer ausfindig machen können." Rund um Suceava und Iasi ist das Equiwent-Team gut vernetzt. Doch wie "erschließt" sich das Team neue Gegenden für Hilfsprojekte?

Besuch in einem Dorf, das verschwindet
Das steht am nächsten Morgen an. Wir fahren nach Hulub, einem Dorf nahe der Grenze zur Republik Moldau. "Laut unseren Tierärzten besteht hier ein großer Hilfsbedarf. Wir checken heute, welche Hilfe genau benötigt wird", erzählt Markus Raabe. Der "große Bedarf" ist noch untertrieben: Die Dorfstraße ist eine Lehmpiste, die Hälfte der kleinen Häuser ist zerfallen und steht leer.

Georgiana und Alexander fahren gezielt einige Familien und Pferdebesitzer an, übersetzen deren Not, behandeln die Tiere. "So kommen wir nicht weiter, wir brauchen eine Anlaufstelle", sagt Raabe. Heißt: eine Person, die das Dorf und seine Bewohner kennt und die Hilfe koordinieren kann.
Wir stoppen an der Dorfschule, die beiden Tierärzte sprechen die Lehrer an. Einer nennt die Nummer des Dorfpriesters, einen Anruf später steht der vor uns. Wer könne, habe Hulub verlassen. Geblieben seien Alte, Schwache, viele arme Familien, die Hilfe benötigten, erzählt er – und führt uns zum Haus einer solchen Familie.

Durch den schmalen Flur betreten wir den einzigen Wohnraum: zwei breite Betten, Herd, daneben eine Gasflasche. Ein Tisch, ein Schrank mit sauber gespültem Geschirr, Teppiche auf dem Lehmboden. Die Decke, an der eine einsame Glühbirne baumelt, hängt durch. Es riecht erdig. Hier leben Eltern mit sechs Kindern.
Mir schießen die Tränen in die Augen – doch Markus Raabe sieht es positiv: "Du darfst nicht sehen, wie schlecht es der Familie geht. Du musst sehen, wie wir ihr Leben besser machen können. Und das werden wir!"
Markus Raabe und sein Projekt

Hufschmied Markus Raabe gründete 2008 die Tierschutzorganisation Equiwent. Dazu gehören in Rumänien eine Non-Profit-Tierklinik, mehrere mobile Tierärzte und Sozialarbeiter. Das Team behandelt Arbeitspferde, deren Zahl dort in die Hunderttausende geht, kastriert Straßenhunde und engagiert sich humanitär. Equiwent ist auch in anderen Ländern aktiv. Infos zu Spenden: www.equiwent.org

Wir vor Ort

CAVALLO-Redakteurin Barbara Böke (links) begleitete das Team von Equiwent vier Tage lang vor Ort.
Wissenwertes zu Rumänien
Rumänien gliedert sich in 41 Bezirke (judete) plus den Hauptstadtbezirk Bukarest. Equiwent ist in den nordöstlichsten Bezirken Suceava, Botosani und Iasi aktiv, der ärmsten Region des Landes.
Seit 2007 ist Rumänien EU-Mitglied. Beim Bruttoinlandsprodukt, das die wirtschaftliche Leistung bemisst, liegt Rumänien EU-weit an drittletzter Stelle. Das Land ist seit Jahrzehnten Auswanderungsland. Waren es früher meist ethnische Minderheiten, wanderten seit dem Fall des kommunistischen Regimes 1989 auch gut ausgebildete Rumänen aus.