An Markus Raabe ist ein Boxer verloren gegangen. Ein klein wenig aus optischer Sicht, aber vor allem verbal. Denn der Mann teilt schneller aus, als er mit dem Schmiedehammer aufs Eisen donnert. Kostprobe gefällig? "Dicke Reiter gehören nicht aufs Pferd", "ich habe Allergien gegen Menschen, die ohne Ausbildung am Huf rumwerkeln", Öko-Freaks gehen ihm "tierisch auf die Nerven", und CAVALLO – das sei ja auch so ein "Pendelschwinger-Magazin".

Auch wir müssen einige Hiebe einstecken, als wir den 47-Jährigen kurz vor Weihnachten in seiner Schmiede im Münsterland besuchen. Doch Markus Raabe provoziert und polarisiert nicht, um einfach nur zu beleidigen: Das Feuer in seinen Worten stammt vielmehr aus dem Leid, mit dem er so oft konfrontiert ist. Denn Pferde, die ein mehr als hartes Leben führen, kennt der Schmied zur Genüge.

Markus Raabe pendelt zwischen Pferdewelten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Er fliegt zu Kunden in aller Welt und beschlägt vierbeinige Olympioniken, deren Wert in die Millionen geht. Und er beschlägt abgemagerte Arbeitspferde in Rumänien, die täglich Karren 80 Kilometer weit ziehen. Ohne Hufschutz, über Schotterpisten.
Der Tierschützer erlebte schon Messerattacken
Um das Leid der Arbeitspferde zu lindern, gründete der Hufschmied vor etwa zwölf Jahren die Hilfsorganisation Equiwent. Mit seinem Team fährt er alle zwei Wochen in die ärmsten Gebiete Osteuropas, knapp 2000 Kilometer. Er setzt sich ein für Menschen, die kaum ihre Kinder ernähren können – geschweige denn ihre Tiere.

Dazu kommen die Gefahren bei seinen Einsätzen, riskanter als jeder Boxkampf: Er erlebte in Rumänien Geiselnahmen, Messerattacken, Steinwürfe aufs Auto, ist daher oft mit Polizeischutz unterwegs. Daheim in Deutschland ist die Situation ebenfalls heikel: Wegen seines Engagements in Osteuropa wurde er schon von Rechtsradikalen bedroht.
Sein Hof wirkt dazu wie ein krasser Gegenentwurf, liegt umgeben von Feldern zwischen Warendorf und Gütersloh. Zwei Shettys und zwei Esel sonnen sich auf dem Paddock – allesamt gerettete Tierschutzfälle. Mehrere Hunde toben auf dem Hof, "mein Wachpersonal", sagt Markus Raabe bei der Begrüßung. Ist die Idylle etwa trügerisch – oder wozu die Bewacher? Der Hufschmied erzählt, dass ständig fremde Leute auf der Matte stünden: Reitvereine laden in der Einfahrt containerweise Sachspenden wie Halfter ab, die er mit nach Rumänien nehmen soll. Verzweifelte Besitzer von lahmenden Pferden suchen seinen Rat.

Nächtelang archiviert der Schmied Huf-Bilder
Markus Raabe ist nicht nur Tierschützer, sondern vor allem Spezialist: für Hufrollen-Probleme, Hufkrebs, Hufrehe. Er betreut fast nur noch solche Spezialfälle, plus seine Stammkundschaft. Bei unserem Besuch kommen mehrere dieser vierbeinigen Stammkunden zur Hufbearbeitung, dazu ein Hufkrebs-Fall zur Nachsorge.

Der Hufschmied lässt sich jedes Pferd im Schritt und Trab vorführen. Seine Hände stemmt er in die Hüften, die Augen verfolgen die Bewegung. "Das ist Pflichtprogramm, aber kaum ein Schmied macht es", meint er. Dann zückt er die Kamera und fotografiert die Hufe; so könne er die Entwicklung verfolgen. "Ich geb’s zu, ich bin ein Dokumentations-Freak und Huf-Fetischist", sagt er. Nächtelang sortiert und archiviert er die Bilder.
Kein Wunder, dass der Mann viel Kaffee trinkt. Die frühere Milchkammer wandelte er zur Kaffee-Küche um. "Es gibt bei mir die beste Bohne. Schreib das unbedingt." Er grinst. Ein Kollege habe ihm mal gesagt, guter Kaffee sei das Erfolgsrezept für einen großen Kundenstamm. Da sei was dran. Bei ihm gehe keiner ohne Kaffee vom Hof.

Nötig hätte er das nicht. Er sollte eher an seinen Abwehrtechniken feilen. Kehrt der Schmied nach einer zweiwöchigen Tour aus Rumänien zurück, warten Wäschekörbe voller Post auf ihn – und hunderte von E-Mails mit Krankheitsgeschichten von Pferden. Viele hoffnungslose Fälle brachte der Schmied zum Laufen; das spricht sich herum. Und obwohl Zeit sein wertvollstes Gut sei, antwortet er meist persönlich.

Neben diesem persönlichen Draht schätzen seine Kunden vor allem die Expertise: "Was der Tierarzt nicht herausfindet, findet Markus heraus. Er macht nie etwas nach Schema F", erzählt eine der heutigen Stammkundinnen, die seit 15 Jahren zu Markus Raabe kommt und dafür anderthalb Stunden Anreise auf sich nimmt.
Ihr Haflinger Poldi wartet am Anbindeplatz. Hufschmiedin Tiffany Hild zückt schon den Eimer: "Poldi pinkelt immer in die Schmiede", erzählt sie. Die Pferde-Physiotherapeutin lernte das Schmiedehandwerk bei Markus Raabe, ist seit über zehn Jahren seine rechte Hand und begleitet ihn nach Rumänien. Markus Raabe bietet Poldi eine Schleckschale an: "Der liebt Minze." Die Schmiede kennen ihre Schützlinge. Markus Raabe hält seine Nase ins Fell. "Der Geruch verrät viel über die Gesundheit."

Bevor man weiter dazu fragen kann, ist er schon wieder verschwunden. Er sucht seine Handschuhe. "Wenn die weg sind, ist grundsätzlich Tiffany schuld." Er hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Mit einer Prise Humor spricht er auch Poldis muffige Hufe an: "Stinken ein bisschen, die Füße. Oder sind das meine?"
16-Stunden-Tage sind keine Seltenheit
Markus Raabe ackert meist 16 Stunden am Tag. Zum Feierabend raucht er eine Zigarette auf dem Hof. Allein. Oder auch nicht: Oft tauchen abends noch fremde Leute auf, halten ihm ihre Handys mit Hufbildern unter die Nase. Sie wollen seinen Rat, pausenlos. "Wenn ich mich mal richtig erholen will, schlafe ich im Hotel."

Für Ausgleich zum Knochenjob hat er kaum Zeit, dabei sei das nötig: "Ich könnte mit rechts eine Kartoffel zerquetschen, aber muss prusten, wenn ich die Treppe hochlaufe." Er versucht regelmäßig zu joggen, auch um abzunehmen und wieder reiten zu können. Dass er im Sattel genauso Volldampf gab wie im Tierschutz, zeigt ein Bild von ihm in der Schmiede: Raabe mit wehendem Haar im vollen Galopp mit einem Schimmel übers Stoppelfeld. "Das war Nike, mein Araber. Der wurde 36."

Von reicher Kundschaft zur bittersten Armut
Wie kam er zum Pferd? Sein Vater war Dorfschmied und vermietete eine Box. Pferdebesitzerin Sandra brachte dem 14-jährigen Markus das Reiten bei. Er verliebte sich in sie – und ist bis heute mit ihr zusammen. Das erfahren wir aber nur nebenbei, zuvor hatte er von seinen vermeintlich 40 Ehefrauen und Kindern in Rumänien erzählt. Ironie statt Romantik. Wir lernen schnell: Nicht alles für bare Münze nehmen, erst aufhorchen, wenn er sagt: "Jetzt im Ernst."
Ganz im Ernst ist der Schmied "Traveller aus Leidenschaft". Er hatte seit 15 Jahren keinen Urlaub, reist aber zu Kunden in der ganzen Welt. "In Florida waren wir mal bei einer wohlhabenden Kundin. Die Anlage war fein mit weißen Zäunen. Aber an den Menschen war nichts echt." Solche Aufträge erledige er, weil sie Geld und somit Zeit brächten; Zeit, die er für Einsätze in Rumänien nutzt. Seine Familie und Kollegin Tiffany Hild unterstützen ihn dabei: "Ohne sie alle wäre ich aufgeschmissen."

Mit einem Team aus Tierärzten, Polizisten und Sozialarbeitern fährt er in abgelegene Dörfer, mit Wurmkuren, Kartoffeln und Hufeisen im Gepäck. Die Menschen sind von ihren Arbeitspferden abhängig, doch ihnen selbst fehlt es am Nötigsten: Viele Menschen können nicht lesen, leben in Lehmhütten ohne Strom, fünfköpfige Familien auf zehn Quadratmetern, die Pferde in dunklen Verschlägen. "Die Menschen wissen nicht, dass das Gift für die Lunge ist. Viel Leid der Tiere geht auf fehlende Bildung und Armut zurück", sagt der Hufschmied. Deshalb gehören bei Equiwent Tierschutz und humanitäre Hilfe zusammen.
Die verheerenden Zustände sah Markus Raabe erstmals 2006. Er hatte davon gehört, wollte sich aber selbst ein Bild machen. Überall war Hilfe nötig. Das Leid dort ließ ihn nicht mehr los, er gründete Equiwent.
Die Organisation arbeitet nach dem Belohnungsprinzip: Kommt ein Besitzer mit einem lahmenden Pferd, muss er zuerst einen Paddock bauen. Als Lohn gibt’s Hufeisen oder tierärztliche Behandlungen. Ein strittiger Ansatz, weiß Raabe, aber nachhaltig: "So lernen die Menschen, wie artgerechte Haltung geht. Das hilft den Tieren langfristig."
Einer tierlieben Familie schenkte Equiwent kürzlich ein Pferd. "Die Frau kenne ich seit zwei Jahren. An dem Tag hat sie das erste Mal gelächelt", erzählt der Schmied. Seine Augen glänzen. Hinter der Deckung blitzt Verletzlichkeit auf. Aber nur einen Moment. Schließlich muss er weiter kämpfen – für genau solche Ereignisse.
Kontakt
Equiwent Schmiede ohne Grenzen: Das Team Markus Raabe und die Tierärztliche Praxis auf Hof Stolzenberg bieten orthopädische Hufbearbeitung, Physiotherapie für Pferde und tiermedizinische Behandlungen. www.schmiede-ohne-grenzen.de
Equiwent Hilfsorganisation: Der gemeinnützige Verein hilft Tieren und Menschen in Not. 2013 gab es dafür den Deutschen Tierschutzpreis. www.equiwent.org
Infos zu Spenden gibt es unter www.equiwent.org und per E-Mail an: spenden@equiwent.org