Dr. Inga Wolframm: Das Wort "Pferdesport" ist für mich ein Sammelbegriff, denn ich meine damit jeglichen Umgang mit dem Pferd, egal ob Spazierengehen oder auf olympischem Niveau reiten. Die harmonische Zusammenarbeit von Tier, Mensch und Natur steht dabei immer zentral. Nachhaltigkeit im Pferdesport bedeutet für mich vieles, aber vor allem, unsere Bedürfnisse nicht über die der nachfolgenden Generationen zu setzen. Das beinhaltet, das Wohl von Pferd und Mensch zu beachten, klimafreundlich zu handeln, zu einer biodiversen Umwelt beizutragen und das Ansehen des Pferdesports in der Gesellschaft zu stärken. Die jetzige Generation soll den Sport auf eine Art und Weise genießen, die es der nächsten Generation ermöglichen wird, das auch zu tun!
Die Studenten unseres Studiengangs werden in verschiedenen Fächern an das Thema Nachhaltigkeit und die verschiedenen Facetten herangeführt. Selbstverständlich gibt es auch Vorlesungen, aber mein Lehrstuhl richtet sich vor allem auf die Forschung aus. Studenten arbeiten an den Forschungsprojekten mit. Ein Projekt beschäftigt sich zum Beispiel mit Nachhaltigkeit in Pferdepensionsbetrieben. Dazu leite ich eine Pilotstudie an, in der wir Stallbetreiber befragen: Wie könnte ein Stall noch pferde- und umweltfreundlicher, noch naturfreundlicher werden und zugleich wirtschaftlich erfolgreich sein? Was lässt sich einfach verwirklichen, und wo geht es eher langsam voran? Wir wollen systematisch ergründen, wo Herausforderungen und Chancen für Pferdebetriebe liegen, zu einer nachhaltigen Pferdewelt beizutragen. Im Moment sind wir mit der Analyse beschäftigt und hoffen im Laufe des Jahres die ersten Ergebnisse zu haben.
Ich fange gerade an, den Lehrstuhl mit Projekten zu füllen. Dabei gehe ich von Zielfragen aus. Eine ist: Wie können wir die harmonische Zusammenarbeit zwischen Tier und Mensch und damit das Tierwohl nachhaltig schützen? Wir wissen schon viel, wissenschaftlich belegt, über das Pferdewohl. Was bisher jedoch kaum erforscht ist: Wie sorge ich dafür, dass die Menschen danach handeln? Ein Beispiel: Bandagieren. Wir wissen inzwischen, dass es nicht gut für die Sehnen ist. Warum bandagieren dennoch viele weiterhin? Oder warum stellen Menschen Pferde zu wenig raus oder nutzen zu enge Nasenriemen? Liegt es am Nicht-Wissen? Am sozialen Umfeld, weil die anderen drumherum das auch machen? Wie wir in der Gesellschaft ein Umdenken erreichen, wird ein großes Thema für Forschungsarbeiten meines Lehrstuhls werden.
Durch die Verstädterung bekommen immer mehr Bürger Abstand zur Natur. Ställe am Rand von Stadt und Dorf können da viel leisten, mit Pferden, die hoffentlich draußen stehen und grasen! Höfe haben viele Möglichkeiten, um Biodiversität zu fördern. Pferde müssen nicht auf eiweißreichem Gras stehen. Bienenweiden, Kräuterstreifen, grüne Oasen können eingesetzt werden, um die Biodiversität zu erhöhen. Auch dazu werden wir Forschungsprojekte initiieren.
Ja, das ist unser Ziel. Hier beginnt schon Vieles im Kleinen: Kann ich zum Beispiel mit dem Fahrrad zum Stall fahren anstatt mit dem Auto? Muss es unbedingt eine neue Reithose sein, oder tut es die alte auch noch? Für Stallbetreiber spielen dann Themen wie Biodiversität, nachhaltige Energiegewinnung oder Wasserspeicherung eine wichtige Rolle. Die Haltung von Pferden geht mit einer intensiven Landnutzung Hand in Hand. Gleichzeitig bietet sie ein enormes Potenzial zu demonstrieren, wie verantwortungsvolle Land- und Grasbewirtschaftung funktoniert und die biologische Vielfalt erhöht werden könnte. Auch ein Thema: Wie können wir als Pferdesportbranche sicherstellen, dass wir verantwortungsvoll mit Wasser umgehen, indem wir zum Beispiel Regenwasser sammeln oder, wo immer möglich, natürliche Wasserquellen nutzen, anstatt kostbares Leitungswasser zu verbrauchen? Dazu kommt: Wer Reitsport betreibt, muss eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen kaufen oder in Anspruch nehmen: vom Futter bis zur Ausrüstung, von der Kleidung bis zum Transportmittel. Hier stellt sich die Frage, wie wir sicherstellen können, dass der Verbrauch und die Produktion all dieser Elemente nachhaltig und zirkulär bleibt? Viele Reitsportbetriebe liegen am Rande von Städten und Dörfern und bilden einen natürlichen Übergang zwischen bebauten Gebieten und der Natur. Deshalb sind Pferdebetriebe ideal, um die Schönheit der natürlichen Umwelt und den verantwortungsvollen Umgang mit ihr zu zeigen.
Dr. Inga Wolframm ist seit September 2022 Professorin für nachhaltigen Pferdesport. Sie hat einen Doktortitel in Sportpsychologie und einen Master-Abschluss in Human and Equine Sports Science. In den vergangenen Jahren arbeitete sie an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Utrecht. Zuvor schrieb sie u. a. Fachbücher zum Thema Reiten.
Das Studium: Die Universität Van Hall Larenstein befindet sich in den Niederlanden und betreut 4 000 Studenten aus 40 Ländern. Die Professur für Nachhaltigkeit im Pferdesport wurde hier im September 2022 neu geschaffen. Die Standorte der Universität befinden sich in Velp und Leeuwarden. vhluas.de