Aussitzen meint nicht sitzen bleiben

Dressurreiten: Selbst Reit-Profis haben Probleme beim Aussitzen
Aussitzen meint nicht sitzen bleiben

Zuletzt aktualisiert am 11.06.2013
CAV Aussitzen Dressur Dietze Standpunkt - Susanne von Dietze
Foto: Lisa Rädlein

Aussitzen ist anspruchsvoll. Sogar viele Profireiter versagen dabei. Nicht nur beim Vereinsturnier in der Nachbarschaft hoppeln Teilnehmer ihren Pferden hart im Rücken herum, sondern auch bei hochkarätig besetzten Dressur-Events. Hier kaschiert der Dressurfrack einiges, es stellt sich trotzdem die Frage: Kann man diese Gangwunder einfach nicht sitzen oder könnte man die Pferde sitzen, wenn sie nicht brettfest wären?

Um das zu klären, muss man sich das Thema genau anschauen. Für erste Probleme sorgt schon das Wort „aussitzen“. Der Begriff‹ führt auf die falsche Fährte. Im WörterbuchŽ finden sich folgende Bedeutungen:
1. beim Trab fest im Sattel bleiben
2. standfest Probleme durch Abwarten überstehen
3. Kleidungsstücke oder Sitzplätze durch zu langes Benützen ausbeulen

Alle drei Definitionen passen nicht wirklich zu dem, was bei einem guten Aussitzen tatsächlich passiert. Worte wie „fest“ und „überstehen“ helfen nicht dabei, Verständnis für die geforderte fein-elastische Bewegung des Mitschwingens zu wecken.

Dabei ist ein grundlegendes Verständnis für korrektes Aussitzen unverzichtbar. Heute müssen deutsche Reiter in fast allen Dressurprüfungen auf dem Turnier im Trab aussitzen. Das wäre aus meiner Sicht nicht zwingend nötig und macht unerfahreneren Turnierreitern das Leben schwer. Dressur gelingt auch im Leichttraben!

Das zeigt ein Film aus dem Jahr 1932, in dem der Sieger einer olympischen Dressurprüfung im starken Trab leichttrabt. In den USA ist das rhythmische Auf und Ab auch heute noch in Dressuren auf A-Niveau für alle Reiter erlaubt. Viele gute Profis reiten im Training nicht nur Verstärkungen, sondern alle Lektionen inklusive Seitengänge und Übergänge im Leichttraben.

Lassen sich bewegungsstarke Pferde nicht sitzen?

Warum sieht man trotzdem immer wieder unharmonische Bilder, auch im Spitzensport? Sind vielleicht die großen Bewegungsabläufe vieler moderner Dressurpferde schuld? Sicher nicht. Auch Pferde mit Weltklassebewegungen und sehr viel Schwung können bequem zu sitzen sein. Ein losgelassen über den Rücken schwingendes Pferd nimmt seinen Reiter rückenfreundlich und harmonisch in der Bewegung mit.

Weder Pferd noch Reiter kommen losgelassen aus dem Stall. Den Weg zur gemeinsamen Losgelassenheit zu finden, ist immer wieder eine Herausforderung. Oft genug nehmen die Reiter sie nicht an und verzichten zugunsten von spektakulären Spannungstritten auf einen locker schwingenden Pferderücken.

Das Aussitzen wird so noch schwerer, als es ohnehin schon ist. Die moderne Zucht hat Pferde mit immer ausdrucksvolleren und größeren Bewegungsabläufen hervorgebracht. Leider ist in der Ausbildung der Reiter nicht darauf geachtet worden, sie in Hüfte und Becken ebenfalls elastischer zu machen. So überfordern die Bewegungen vieler moderner Sportpferde die Beweglichkeit ihrer Reiter.

Reiter muss Rückenproblemen vorbeugen

Für eine gewisse Zeit kann ein guter Reiter sich mit Kraft und Spannung festhalten. Doch das kommt ihn und sein Pferd letztlich teuer zu stehen, denn es kostet die Gesundheit des Rückens. Rückenprobleme sind unter professionellen Reitern der Hauptgrund, ihre Karriere zu beenden und umzuschulen. Und auf Seiten der Pferde versucht ein Heer von Tierärzten, Physiotherapeuten und Osteopathen, beschädigte Rücken zu reparieren.

Beides wäre nicht so oft nötig, wenn bei den Reitern Beweglichkeit, Elastizität und Bewegungsgefühl genauso intensiv im Fokus stünden wie die Bewegungsqualität des Pferds. Dressurreiter-Prüfungen, bei denen die Richter stärker auf Sitz und Einwirkung der Reiter schauen, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Doch insgesamt müssen Richter, Ausbilder und Reiter für dieses Thema noch viel sensibler werden.

Denn Reiten muss die Gesundheit nicht ruinieren. Das zeigen ältere Reiter, die fit und ohne Rückenprobleme bis ins hohe Alter auch Leistungssport betreiben. Der Japaner Hiroshi Hoketsu qualifizierte sich mit 70 Jahren für die Olympischen Spiele in London. Inzwischen ist er 71 Jahre alt und dürfte, wie schon vor vier Jahren in Peking, wieder der betagteste Olympia-Teilnehmer sein.

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Lisa Rädlein

Kraft hilft beim Aussitzen nicht

Wer lange gesund im Sattel sitzt, macht das mit Technik und Gefühl, nicht mit Kraft. Anders als die eingangs genannten Definitionen fürs Aussitzen nahelegen, darf der Reiter dabei eins nicht tun – einfach sitzen bleiben. Stattdessen muss er mit Becken und Körpermitte komplexen Bewegungen folgen.

Diese entstehen durch die diagonale Fußfolge im Trab. Man spürt im Sattel vor allem, wie sich der Rücken hebt und senkt. Aber es passiert noch viel mehr. Das Auf und Ab ist mit einer Sinuskurve vergleichbar. Der Reiter muss seinen eigenen Schwerpunkt somit nicht nur hoch und runter, sondern dabei jeweils auch noch vorwärts verlagern.

Gleichzeitig senkt sich beim Pferd die Kruppe abwechselnd nach rechts und links. Ist das Pferd locker, setzt sich die Beckenbewegung als Rotation in die Wirbelsäule fort. Der Reiter muss deshalb sein Becken nicht nur wellenförmig auf und ab bewegen, sondern auch noch wechselseitig vorwärts. Und das alles, ohne dass die Beckenbewegung in den Schultern sichtbar wird.

Außerdem darf sich dabei das Reitergewicht nicht seitlich verschieben. Denn auch der Schwerpunkt des Pferds bleibt durch die diagonale Beinstütze immer mittig. Der Test im Stehen: Können Sie ein Knie leicht beugen und das Becken auf der gleichen Seite nach vorwärts-abwärts folgen lassen, ohne dass sich der Druck unter den Füßen verändert oder sich Ihre Schultern bewegen?

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Lisa Rädlein

Losgelassenheit täglich erarbeiten

Nicht jeder Reiter kommt beim Aussitzen gleich weit oder tief. Wie gut sich ein Becken bewegt, hängt von vielen Faktoren ab. Manche davon, etwa die Dehnfähigkeit und die Elastizität des Gewebes, sind trainierbar. Andere, wie die Länge und Form des Beckens, sind naturgegeben und lassen sich nicht ändern.

Solche Körperfaktoren bestimmen mit, ob ein Reiter ein Pferd bequem findet oder es nur schwer aussitzen kann. Reiter mit langem Becken können sich oft gut auf Pferde mit größeren Bewegungsabläufen einstellen. Auf einem Pferd mit flachen, kurzen Bewegungen neigen sie jedoch dazu, im Rumpf zu verspannen, weil es ihnen schwerfällt, den schnellen Bewegungen zu folgen. Reiter mit kurzem Becken und festen Muskeln sind dagegen von großen Pferdebewegungen oft überfordert.

Ein guter Reiter lernt, seine eigenen Körperbewegungen denen möglichst vieler verschiedener Pferde anzupassen. Doch auch Profis haben ihre „Lieblings-Trab-Bewegung“. Ich selbst habe hunderte von Pferden geritten. Darunter waren gerade einmal zwei Tiere, die perfekt zu meinem eigenen Bewegungsmuster passten. Eins davon war nicht gesund, das andere konnte ich mir finanziell nicht leisten.

Mein bestes Pferd, die Stute Actrice, mit der ich auch international Erfolge hatte, war für mich nicht besonders bequem. Nur mit viel Geduld und viel Leichttraben konnten wir zu einer gemeinsamen Losgelassenheit im Trab finden, die wir uns in jeder Trainingseinheit neu erarbeiten mussten.

Selbst wer im Training weich aussitzt, kann beim Turnier ins Hoppeln geraten. Prüfungen sind auch für erfahrene Reiter und Pferde Ausnahmesituationen. Der Stress ist groß, Lautsprecher, Fahnen und Zuschauer am Viereck irritierend. Da gehen selbst gehorsame Pferde nicht so losgelassen, wie sie vielleicht könnten. Es gibt eben doch einen feinen Unterschied zwischen „Ausbildung-Reiten“ und „Aufgabe-Reiten“.

Dies ist das einzige Hindernis für gutes Aussitzen, welches man nicht allein durch besseres Training ausschalten kann. Hier hilft vor allem Wettkampfpraxis. Grundlegende Losgelassenheit beim Pferd und Geschmeidigkeit beim Reiter sind dagegen unabhängig vom Turnierstress. Sie lassen sich in der Ausbildung gezielt fördern. Allerdings nur, wenn Richter und Trainer das Problem nicht länger einfach aussitzen.

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Bauernschmitt