Schon kurz nach dem Aufsteigen spüre ich: Rocky ist munter. Wach, fein und voller Energie. Der 18-jährige Hispano-Araber, ehemaliges Doma-Vaquera-Pferd, ist ein erfahrener, spritziger Wallach und mein Schulpferd für die kommenden Tage. Ich habe mich für einen Working-Equi- tation-Kurs auf der Hacienda Buena Suerte (www.dysli.net) im spanischen Villamartín angemeldet – eine Disziplin, die ich bisher noch nicht kenne. Unser Trainer Mitja Hinzpeter, Weltmeister und mehrfacher Deutscher Meister in der Working Equitation, ist Rocky schon oft selbst geritten. Er kennt ihn und weiß, was ihn fordert und was ihn entspannt.
Unsere erste Trainingseinheit beginnt klassisch: Dressurarbeit im Viereck als Basis für später. Ich bin beeindruckt, wie sensibel Rocky auf meine Hilfen reagiert – oft reicht ein Gedanke, und er setzt ihn um. Doch es gibt auch Herausforderungen. Besonders nach dem ersten Galopp tut er sich schwer, im Schritt wieder loszulassen. Stattdessen zackelt er nervös, gerät aus dem Takt. Mitja hat die Lösung: Schenkelweichen – geradeaus – wieder Schenkelweichen. Ich merke, wie Rocky sich lockert. Mitjas Timing ist sehr präzise – seine Tipps kommen genau dann, wenn ich sie brauche.
In den nächsten Einheiten wollen wir zum Stiltrail – das ist quasi Dressur mit Hindernissen. Bei diesem Parcours geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Harmonie und Eleganz.
Es hakt in den Übergängen an der Feinabstimmung
Jeder Übergang, jede Richtungsänderung zählt. Und da hakt es bei uns noch in der Feinabstimmung. Besonders die Übergänge zwischen Trab und Galopp sind wacklig. Die Anlehnung geht verloren, Rocky fällt auseinander, doch Mitja rät: "Versuche, ihn gedanklich mehr auf die Hinterhand zu setzen, bevor du durchparierst." Und tatsächlich – nach ein paar Wiederholungen klickt’s: Der Ablauf wird runder.
In der nächsten Einheit geht es auf den Trail. Und gleich bei der Glockengasse wird klar: Das hier ist eine andere Art von Dressur. Rückwärts um die Kurve? Das erinnert mehr an Einparken als an klassische Lektionen. "Lenken über die Vorhand", erklärt Mitja. Ich brauche einen Moment, um umzudenken – aber Rocky geht rückwärts wie ein Uhrwerk. Ich konzentriere mich, halte die Spur – und komme ohne Stangenkontakt um die Kurve. Puh, geschafft! Gar nicht so leicht, wie es immer bei den Profis aussieht.

Glockengasse: Hier ist ein exakter Stopp gefragt, damit die Reiterin sich kaum bewegen muss, um die Glocke zu läuten.
Dann der einfache Slalom, der eigentlich gar nicht einfach ist. Aufgebaut wie für die Klasse M mit Abständen von sechs Metern. Im Trab ist er kein Problem, doch im Galopp wird es knifflig. Rocky soll bei jedem Richtungswechsel in einem fliegenden Wechsel umspringen. Links klappt es mühelos, rechts hakt es. "Hol dir erst die innere Rippe", rät Mitja und meint, dass er meinen neuen inneren Schenkel annehmen soll. Und: "Ein bisschen mehr Tempo hilft." Ich probiere es – und tatsächlich flutscht es langsam. Ich wage den ganzen Slalom im Galopp. Rocky springt jedes Mal um. Ich habe Gänsehaut.
Das Tor: Geschick vom Reiter und Geduld vom Pferd
Am Tor ist besonderes Geschick von mir und Geduld von Rocky gefragt. Er soll geschlossen und ruhig stehen, bis ich das Tor öffne, dann drücke ich das Tor so weit auf, dass mein Pferd durchpasst. Dabei soll ich immer die Kon- trolle über das Tor behalten. Mit einer Vorhandwendung dreht sich das Pferd auf der anderen Seite wieder Richtung Tor und mit zwei Tritten Schenkel- weichen schließen wir es wieder. Auch das ist knifflig, aber Rocky weiß, was zu tun ist und hilft mir.
Doch das eigentliche Highlight wartet noch: der Stier. Diese Aufgabe besteht aus drei Teilen. Erst muss der Reiter die Garrocha aus einem Fass schnappen, dann damit den Ring auf dem Stier stechen und wieder in einer Tonne abstellen. Diese Stiltrail-Aufgabe verlangt vom Reiter Koordination und Präzision und vom Pferd einiges an Mut, da es auf einen lebensgroßen Stier frontal zugehen muss. Ich greife im Schritt die Garrocha aus der Tonne – und treffe beim Umgreifen prompt Rockys Hinterteil mit dem Ende der Garrocha. Ich habe Glück, der Wallach bleibt gelassen. Ich atme durch. Ein paar Versuche später gelingt die Übung im Schritt – und dann fordert Mitja: "Auf, das kannst du im Galopp." Herzklopfen. Rocky zieht an, ich versuche ruhig zu bleiben. Ich greife die Garrocha, visiere den Ring an – Treffer! Auch das Zurückstellen in die Tonne gelingt. Etwas holprig, aber ohne Abzug. Und mit einem breiten Grinsen.

Im Slalom geht es um eine gute Rittigkeit. Mitja hat immer den richtigen Tipp parat.
Dann der Pferch, der eine Art Treibgang für die Rinderarbeit simulieren soll. Er ist eng und hat außen einen Durchmesser von etwa sechs Metern. In den höheren Klassen wird er im Galopp geritten. Mich kostet es anfangs im Schritt eine kleine Überwindung, denn der Pferch ist nur etwa 1,50 Meter breit und ich habe Angst, mit meinen Knien hängenzubleiben. Doch Rocky zeigt mir schnell, dass es dazu keinen Grund gibt. Er stapft zielsicher durch, sowohl rechts als auch links herum. "Versuche es im Galopp", motiviert mich Mitja. Ich fokussiere genau meinen Weg in den Pferch, und Rocky galoppiert die kleine Volte zuverlässig durch. Ein tolles Gefühl.
Rocky denkt mit und hat Freude an den Aufgaben
Der Stiltrail macht süchtig. Er fordert nicht nur Technik, sondern lässt mich Reiten neu spüren. Ich schaue nicht aufs Pferd, sondern denke voraus, plane, fühle – und Rocky? Der scheint aufzugehen in der Aufgabe. Als ob er versteht, dass es hier nicht um stupide Wiederholung, sondern um echtes Arbeiten geht. Jedes Hindernis gibt einen Sinn.
Mitja betont: "Früher war das Pferd ein Arbeitsmittel. Es ging darum, mit wenig Aufwand das meiste vom Pferd aus zu erreichen. Der Mensch blieb im Sattel möglichst aufrecht, das Pferd übernahm quasi seine Beine." Zudem war der Mensch im Sattel sicherer, denn die Rinder, die für die Stierkämpfe gezüchtet werden, sind nicht immer zahm und nett.
Die zwei Kurse über je drei Tage waren ausgebucht. Zurecht. Mitja hat ein tolles Gespür für alle Pferde und Reiter im Kurs. Ein Jungpferd wird von ihm behutsam an die Hindernisse herangeführt, ein schreckhafter Galoppierer findet am Kursende einen ruhigen Galopp. Ich darf am letzten Tag den kompletten Parcours mit 13 Hindernissen durchreiten. Im Galopp zwischen den Aufgaben und auf einem Pferd, das ich vor Kurzem noch gar nicht kannte. Ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist. Aber der Stiltrail hat mir gezeigt: Reiten ist nicht nur Bewegung, sondern pure Kommunikation und Hilfenabstimmung. Es geht um Balance, Timing – und Vertrauen. Rocky hat mir das geschenkt. Ich kann es kaum erwarten, all das mit meinem eigenen Pferd umzusetzen. Der Stiltrail verbindet. Dressur, Spaß, Präzision – und vor allem das Gefühl, mit dem Pferd eins zu werden.

Mitja Hinzepter reitet seit 2010 Working Equitation und ist seit 2011 Teil der deutschen Nationalmannschaft. Er züchtet selbst goldene Pintos und gibt sein Wissen in Kursen zu Dressur, Stiltrail und Rinderarbeit weiter. www.gp-concept.de