Das Alter ist vertrackt: Wir wünschen uns, dass uns unsere Pferde möglichst lange begleiten, doch aufs Alter sind wir nicht immer optimal vorbereitet. Kein Pferd ist zwar von jetzt auf gleich ein Greis, doch der schleichende Alterungsprozess erleichtert die Lage nicht wirklich. Fakt ist: Ältere und alte Pferde haben spezielle Bedürfnisse, die sich umgekehrt proportional zur Muskelmasse entwickeln. Letztere schrumpft, die Herausforderungen wachsen.
Die wichtigsten Fragen rund um unsere Oldies beantworten Expertinnen aus unterschiedlichen Bereichen – von Training bis Tierschutz. Die zentrale Botschaft vorweg: "Das Verständnis fürs alte Pferd ist das Wichtigste, das wir erbringen müssen", sagt Dr. Friederike Hänsch. "Es gibt nicht den Normalweg, wie das Pferd alt wird und zu sein hat. Jedes Pferd ist ein Individuum und muss auch so gesehen werden."
Training
Schauen Sie Ihrem Pferd ins Gesicht! "Der Augenausdruck spricht oft Bände", sagt Anke Recktenwald, die auch noch Pferde Ü-30 im Training hat. Starrsinniger oder schreckhafter, körperlich weniger flexibel, auf solche Einschränkungen sollten sich Besitzer einstellen. "Viele meinen dann, sie müssten besonders viel machen, um gegenzusteuern", hat Recktenwald festgestellt.
Um den Senior nicht trotz bester Absicht zu überfordern, sollte das Training zum Pferd passen: "Ein Arthrosepferd muss nicht 20 Minuten in der Quadratvolte laufen und eine Stunde auf vier Balance-Pads stehen."

Achten Sie auch beim Reiten aufs Pferd, rät Recktenwald: "Ist das Pferd nach dem Ritt froh, läuft es besser, sind die Falten über den Augen weg?" Zwei Beispiele: Bei ihrer eigenen Stute, die immer mal wieder ungleich fußte, hatte Recktenwald kein gutes Gefühl beim Reiten; wenn sie mehr machte, lief die Stute schlechter.
Eine andere Stute wiederum, die ebenfalls getickt hatte, bewegte sich durchs Reiten besser. "Mit 30 Jahren und einem Jungen im Sattel ist sie ihren ersten 30-Kilometer-Distanzritt erfolgreich gelaufen."
Klingt wie eine Binse, ist aber gerade für Senioren ein Leitgedanke: Achten Sie beim Training auf die Tagesform! Denn ältere Pferde haben nun mal gute und schlechte Tage. Dr. Angela Schwarzer stellt die Frage: "Was bietet das Pferd mir heute an?" Möchte es traben oder galoppieren, warum denn nicht? "Und an Tagen, wo die Lust nicht so groß ist, macht man etwas langsam, geht vielleicht nur eine Runde spazieren", meint Dr. Schwarzer.
Tipp: "Das individuelle Eingehen ist bei älteren Pferden ganz wichtig", betont Dr. Angela Schwarzer. "Man hat ja in der Regel keinen sportlichen Ehrgeiz mehr, und das Pferd muss keine spezielle Leistung bringen."
Fütterung
In ihrer Praxis hat Dr. Kathrin Irgang vor allem mit älteren Pferden zu tun, die schon in einem schlechten Zustand sind. Ihr Wunsch: Die Prophylaxe zu verbessern. "Ältere Pferde werden oft als mager hingenommen", bemerkt Dr. Irgang. Die Besitzer fänden sich damit ab, weil das ein schleichender Prozess sei.
Hier seien auch die Tierärzte gefragt, gemeinsam mit den Besitzern den Ernährungszustand zu beurteilen. "Alte Pferde müssen nicht mager sein!", betont die Expertin. Sie rät, frühzeitig einzugreifen mit Heuersatz und hochkalorischen Futtermitteln. "Aus meiner Erfahrung werden zu spät zu wenig Heucobs gefüttert", sagt Dr. Irgang. "Bei Pferden, die gar keine Zähne mehr haben, muss man tatsächlich die gesamte Heumenge auf Heuersatz umstellen", betont die Expertin.
Nach aktueller Faustformel sind das mindestens 1,7 Kilo Heuersatz pro 100 Kilo Pferd – und zwar kalkuliert fürs Idealgewicht, also nicht bezogen aufs dünne Pferd. Solange das Pferd noch halbwegs kauen kann, sollte maximal die Hälfte des Raufutterbedarfs als Heuersatz gefüttert werden, sagt Dr. Irgang. Doch auch das können kiloweise Cobs sein.

Wer seinem Senior Heucobs zufüttert, muss zudem die Mahlzeitenfrequenz im Blick haben. Wer maximal die Hälfte des Raufutters ersetzt, muss zwei- oder dreimal täglich zufüttern. "Bei komplettem Heuersatz sind es mindestens vier Mahlzeiten pro Tag", rechnet Dr. Kathrin Irgang vor. "Und das muss ja mit der Zeit fürs Einweichen auch in den Tagesablauf des Betriebs integriert werden." Die Heucobs abends einzuweichen und morgens zu füttern, ist übrigens keine Option, gerade wenn es warm ist und das Futter schnell gärt.
Besitzer sollten zudem energiedichte Kraftfutter wählen, also fettreiches Futter mit hohem Eiweißgehalt. Hier kommt durchaus für Sportpferde gedachtes Futter in Betracht. Bei Stoffwechselerkrankungen sind getreidefreie Produkte zu empfehlen, mit geringem Stärke- und Zuckergehalt. "Pferdebesitzer können auch die Energiedichte der Heucobs erhöhen, indem sie etwa Luzerne- oder Maiscobs einmischen und Öl dazugeben", rät Dr. Irgang.
Geduld ist ebenso gefragt, wenn es ums Auffüttern geht, denn abnehmen geht immer schneller als zunehmen. Dr. Irgang rechnet mit mindestens drei Monaten, wenn das Pferd wirklich abgemagert ist. Man sollte dem Senior natürlich auch nicht plötzlich ein Überangebot vorsetzen, sondern langsam anfüttern, die Mengen peu à peu steigern. Und ja, das geht ins Geld! Dr. Irgang hat das durchgerechnet für einen Senior mit Stoffwechselproblemen und Zahnerkrankungen: Hier liegt man rund bei den vierfachen Kosten.
Dass sich der Einsatz lohnt, zeigt das Beispiel einer 30-jährigen Isländerstute, die als Tierschutzfall beschlagnahmt worden war und zu Wiltrud Heine in die Eulenmühle kam. "Wir mussten sie wegen Parasiten im Fell scheren, und da sah man, dass sie nur noch Haut und Knochen war; erstaunlich, dass das Pferd überhaupt noch lebte."
Innerhalb eines halben Jahres sei sie dank der Futterumstellung auf Heucobs ein rundes, normales Pferd geworden. "Wir haben kein Pferd im Stall, das rippig aussieht oder zu dünn ist", sagt Heine – obschon das Durchschnittalter der Pferde auf dem Hof bei 20,7 Jahren liege. Gute Pflege und Haltung dürften dazu sicher ebenfalls beitragen.
Um den Ernährungszustand des Seniors besser einschätzen zu können, rät Dr. Irgang, das Pferd einmal die Woche mit ein bisschen Abstand anzuschauen und insbesondere die Rippen anzufassen, denn Fell kann wie gesagt täuschen. Wie Sie den Body Condition Score (BCS) genau bestimmen, lesen Sie hier.
Denken Sie auch an die Kolikprophylaxe, gerade wenn der Liegebereich mit Stroh eingestreut ist. "Bei älteren Pferden kann es selbst bei sehr piksiger Heuqualität ein Problem mit Verstopfungskolik geben", warnt Dr. Irgang. Ausreichend Wasser ist ganz wichtig; für Pferde mit Zahnproblemen kann es gerne auch lauwarm sein. "Bei Selbsttränken sollten Sie zusätzlich stehendes Wasser, etwa aus dem Eimer anbieten, das nehmen manche Pferde lieber an."
Tipp der Fütterungsexpertin zum Zahnzustand: Schauen Sie sich die Pferdeäpfel an. Wie viele lange Fasern sind da drin? Ein Pferd mit guten Zähnen kaut alles klein bis auf etwa vier Millimeter. Sind die Fasern länger, frisst das Pferd sein Heu vielleicht noch, verwertet es aber nicht mehr richtig. Dann sollten Sie die Menge an Heucobs erhöhen.
Haltung
Die pferdegerechte Haltung von Senioren erfordert aufmerksame Besitzer – und eventuell auch ein Umdenken. Fakt ist: Pferde brauchen den Kontakt zu Artgenossen, aber womöglich nicht mehr das Leben in einer Offenstallherde. Das kann selbst für offenstallgewöhnte Pferde gelten.
Ebenso wie für ein ehemaliges Turnierpferd, das als "Sportrentner" nun sein Leben im Offenstall genießen soll. "Ein solches Pferd stand eventuell zehn Jahre oder länger in Einzelhaltung und kann in der Gruppe überfordert sein", sagt Dr. Angela Schwarzer. Vielleicht nicht unbedingt körperlich, aber mental mit dem Sozialverhalten, weil es zum Beispiel typische Drohmimik nicht erkennt und so dauernd Schläge kassiert.

Wichtig ist der Zugang zu Ressourcen, also Futter, Wasser und Schlafplatz, betont Dr. Schwarzer. Damit tun sich rangniedrige Pferde, und das sind ja vielfach die Senioren, in Gruppenhaltung zum Teil schwer. Dass ältere Pferde in Ruhe ihr Rau- oder Kraftfutter fressen können, ist je nach Stallkonzeption auch gar nicht so leicht umzusetzen, gerade wenn die Oldies Heuersatz brauchen. Ähnliche Ansprüche der Pferde erleichtern das.
Ein ganz wichtiger Aspekt: "Wir wissen mittlerweile, dass REM-Schlafmangel selbst für gesunde Pferde ein Problem ist", betont Dr. Schwarzer. Wenn sich Pferde etwa aufgrund von Arthrose nicht mehr so gut hinlegen können oder wollen, steigt der Anspruch an den Liegebereich. Besitzer sollten daher prüfen, ob sich ihr Pferd überhaupt noch hinlegt. Dr. Schwarzer rät, mal spätabends im Stall vorbeizuschauen oder auch eine Kamera aufzustellen.
Genügt die Offenstallhaltung nicht mehr den Bedürfnissen des Rentners, sollten Sie das Haltungskonzept wechseln, etwa Paddockbox mit stundenweisem Freilauf in der Gruppe oder mit einem guten Kumpel. Es muss ja nicht immer ein Stallwechsel sein; denn gerade für sehr alte Pferde ist die Eingewöhnung in einer komplett neuen Umgebung natürlich schwierig. Und leider ist das Angebot an seniorengerechten Pferdeställen auch noch lange nicht groß genug.

Einen ganz anderen Aspekt sollten Pferdebesitzer ebenfalls im Auge haben: Denn nicht nur die Pferde werden älter, auch die Menschen. "Die Besitzer sind dann oft nicht mehr in der Lage, die Pferde zu versorgen, wenn sie sie am Haus hatten", berichtet Wiltrud Heine. Oder die Besitzer bekommen gesundheitliche oder finanzielle Probleme.
Die Pferde seien dann oft nicht mehr in einem Zustand, in dem man sie verkaufen oder vermitteln könne. "Die Problematik spitzt sich zu, sodass man beizeiten vorsorgen sollte, also Alternativen für sein Pferd findet, wenn man sich selbst nicht mehr kümmern kann", appelliert Wiltrud Heine.
Tipp: "Ist die Fütterung automatisiert, sollte man darauf achten, dass nachts zwischen 12 und 5 Uhr keine Fütterungszeiten programmiert sind", rät Dr. Kathrin Irgang. So haben alle Pferde Zeit zum Schlafen.
Wohlfühlen
Woran erkenne ich, ob es meinem Senior noch gut geht? Diese zentrale Frage ist leider gar nicht leicht zu beantworten. Experten wie Dr. Angela Schwarzer versuchen, den Besitzern objektive Kriterien an die Hand zu geben: Wichtig ist hier der BCS, also ob das Pferd normalgewichtig oder schlimmstenfalls extrem abgemagert ist. Zeigt das Pferd Verhaltensänderungen, isoliert sich etwa in der Gruppe, wird apathisch? Legt es sich noch hin? Als erstes sollten Besitzer dann prüfen, ob gesundheitliche Probleme wie Schmerzen dahinterstecken.

Als Amtstierärztin hatte Dr. Hänsch mit dem Fall eines Isländers zu tun: Das Pferd lief noch im Galopp mit der Herde mit, war aber stark abgemagert und hatte sicherlich nicht nur einen Tumor. "Das ist dann ganz schwer einzuschätzen: Ja, der nimmt noch teil, aber der körperliche Zustand spricht Bände, sodass wir das als erhebliches Leiden beurteilen würden", berichtet sie.
Allerdings sind sich zum Teil ja nicht einmal die Tierärzte einig, ob ein Pferd sinnvoll weiterleben kann und eine gute Lebensqualität hat – oder nicht. Dr. Schwarzer empfiehlt, Tagebuch zu führen, um einen objektiven Eindruck von den guten und schlechten Tagen zu bekommen – und auch um schleichende Entwicklungen später besser nachvollziehen zu können.
Besitzer sollten ihre Pferde zudem beobachten, nicht nur in der täglichen Arbeit, beim Füttern oder Ausmisten, ergänzt Dr. Hänsch und rät: "Nehmen Sie sich nach dem Reiten oder dem Spaziergang noch eine halbe Stunde Zeit: Wie gehen die Pferde zum Beispiel in der Herde miteinander um, ist die Interaktion anders geworden? Besonderheiten fallen im eingespielten Alltag vielleicht nicht immer auf."
Doch manchmal ist Lebensfreude offensichtlich. Wie bei dem 46-jährigen Senior einer amerikanischen Kollegin von Anke Recktenwald. "Das Pferd galoppierte über die Koppel, es hatte große Augen, keine Falten, kein Schmerzgesicht. Es hatte auch Steifheiten, war kein fluffiges Jungpferd, aber den Spaß am Leben konnte man an seinen Augen sehen und an seinen Bewegungen."

Tipp: Kalkulieren Sie individuelle sowie Rasseunterschiede ein. "Es gibt Pferde, die schneller anzeigen, dass es ihnen nicht gut geht, während andere wie Isländer eher stille Dulder sind", betont Dr. Friederike Hänsch.
Kommentar
Wir brauchen mehr Spezialisten für ältere und alte Pferde, und zwar in allen Sparten – von der Haltung bis zur Heilkunde. Das erfordert nicht allein die steigende Zahl von Seniorpferden, sondern auch der weidezaunschmale Grat, der oft zwischen Best Agern und Abstellgleis liegt. "Der ist eben alt" – solche Sätze dürfen nicht herhalten als faule Ausreden fürs Nicht-Kümmern-Wollen oder als trauriges Eingeständnis des Nicht-Kümmern-Könnens. Je fundierter das Wissen, je breiter das Verständnis, desto besser können wir unsere alternden Partner versorgen und vorsorgen.

Linda Krüger, CAVALLO-Chefredakteurin
Immer mehr Senioren
Wie viele Pferde Ü-20 in Deutschland leben, lässt sich nur schätzen. Laut Tierärztlicher Vereinigung für Tierschutz (TVT) sind es 10 bis 20 Prozent der rund 1,2 Millionen Pferde. Die demographische Entwicklung dürfte sich auch bei den Vierbeinern bemerkbar machen.
In der Schweiz etwa wurde das Durchschnittsalter 2016 auf 12,6 Jahre geschätzt, im Jahr 2012 waren es noch 10,6 Jahre. Seit 2002 schrumpft hier die Geburtenrate, das Durchschnittsalter steigt, die Pferdepopulation wird also immer älter.
Seh- und andere Schwächen
Eher unbekannt: Laut britischer Studie hatten fast 89 Prozent der 327 untersuchten Seniorpferde (≥15 Jahre) leichte bis schwere Augenprobleme. Die Besitzer dachten das nur bei 3,3 Prozent.
Und auch wenn Alter keine Krankheit ist, haben die meisten Senioren schon gesundheitliche Handicaps, insbesondere die Stoffwechselstörung Cushing, Atemwegsleiden, Zahnprobleme und orthopädische Krankheiten wie Arthrose. Zudem sind sie anfälliger für Koliken und Infektionen, die Muskulatur schrumpft.
Die Expertinnen

Dr. Friederike Hänsch ist stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises Pferde der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, TVT. www.tierschutz-tvt.de

Wiltrud Heine gründete die Stiftung "Pro Equis" zum Pferdeschutz und nimmt in ihrer Eulenmühle Notfallpferde auf. www.eulenmuehle.de

Dr. Kathrin Irgang ist als Tierärztin spezialisiert auf computergestützte Rationsberatung und Diätetik für Pferde und Kleintiere. www.tierarzt-ernaehrung.de

Anke Recktenwald ist Pferdewirtschaftsmeisterin FN, Feldenkrais-Pädagogin und Tellington-Trainerin Level III. www.anke-recktenwald.de

Dr. Angela Schwarzer ist stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises Pferde der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. www.tierschutz-tvt.de